Softwareauswahl in 10 Schritten
„Projektmanagement-Software: 13 kostenlose Lösungen“.
„Marktübersicht: Die besten Projektmanagement-Tools“.
„30 webbasierte Projektmanagement-Tools im Überblick“.
Wenn Sie im Internet nach Projektmanagement-Software suchen, finden Sie schnell verschiedene Übersichten und Vergleiche. Viele Auswahlprozesse beginnen mit dem Studium solcher Listen. Dabei bieten sie selten einen ernsthaften Vergleich der Möglichkeiten und Features, sondern beschreiben lediglich die grundsätzliche Ausrichtung der Software. „X ist eine Projektmanagement-Software, mit der Projekte planen und Projekte verwalten für Ihre Teams ganz einfach wird.“ Oder: „Mit der webbasierten Projektmanagement-Software Y haben Sie Ihre Projekte einfach im Griff.“ Solche Informationen helfen nicht bei der Auswahl einer geeigneten Software. Doch wie sollten Sie vorgehen, wenn Sie eine sinnvolle Entscheidung treffen wollen?
Der Prozess der Softwareauswahl
Der Softwareauswahlprozess wird häufig als mehrstufiger Prozess mit folgenden neun Schritten beschrieben:
- Marktanalyse
- Erstellen einer Longlist mit potentiellen Anbietern
- Einholen von unverbindlichen Preis- und Leistungsinformationen bei Softwareanbietern nach (Request for Information)
- Auswertung der erhaltenen Informationen und Erstellung einer Shortlist mit einer engeren Auswahl der Anbieter
- Präsentationen der Anbieter, die es auf die Shortlist geschafft haben
- Definition von inhaltlich bindenden Angaben über Vertragsspezifikationen und weiteren Verhandlungsgegenstände (Request for Proposal)
- Erbringen des Nachweises, dass sich Vorstellungen und Anforderungen auch in der Praxis realisieren lassen (Proof of Concept)
- Verhandlungen mit den bevorzugten Anbietern
- Auswahlentscheidung
Kennen Sie den wichtigsten Faktor bei Ihrer Softwareauswahl? Das sind SIE! Sie tauchen aber in keinem der genannten Schritte auf. Es ist Ihre individuelle Situation, es sind die Anforderungen von Ihnen und Ihren Kollegen, es sind Ihre Rahmenbedingungen. Ihre individuelle Ausgangssituation ist maßgeblich für die Softwareauswahl und für die anschließende Softwareakzeptanz. Zugegeben, das klingt banal. Doch obwohl es so banal klingt, werden in der Praxis häufig Shortlists ohne jegliche Rücksicht auf konkrete Ausgangssituationen erstellt. So landen Lösungen in der engeren Auswahl, weil Unternehmen einen guten Ruf haben, Kontakte zwischen Mitarbeitern der Firmen bestehen oder schlicht, weil Produkt A bei einem Vergleich auf einer amerikanischen Vergleichsseite oben steht. Wenn Sie auf der Suche nach einer passenden Softwarelösung sind, sollten Sie also zuerst einige wesentliche Fragen beantworten:
- Wer hat welche Herausforderung und warum hat er sie?
- Welche Unterstützung wird benötigt und wie lässt sich diese Unterstützung zur Verfügung stellen?
- Welche Erwartungen werden von wem an die Lösung gestellt?
- Wer sind die Stakeholder des Vorhabens, welche Einstellungen, Motive und Ziele haben sie?
- Welche Rahmenbedingungen gilt es zu beachten?
Kriterien für die Softwareauswahl
Wenn Sie mit den Betroffenen die Fragen vor der Marktanalyse beantwortet haben, können Sie sich Gedanken über die Kriterien der Softwareauswahl machen. Kriterien liefern Ihnen eine Struktur für den Vergleich der Software. Wie können Sie für Ihre Softwareauswahl Kriterien ermitteln? Ein sehr guter Anhaltspunkt sind Ihre Anforderungen bzw. Ihr Anforderungsmanagement. Das Anforderungsmanagement ist nicht nur eine Schlüsseldisziplin bei der Entwicklung von Software und Systemen, sondern auch bei der Softwareauswahl. Dabei geht es jedoch nicht um eine effiziente Art der Verwaltung von Anforderungen, sondern um die bestmögliche Vorgehensweise zur Ermittlung von Anforderungen – häufig auch als Requirements Engineering bezeichnet. Hier können Sie nachlesen, wie der beste Prozess im Anforderungsmanagement aussieht, welches Vorgehen zur Anforderungserhebung ideal ist und welche Schritte wesentlich sind.
Ein wichtiges Kriterium für Ihre Softwareauswahl sind Ihre Randbedingungen. Welche Richtlinien, Normen und Gesetze müssen Sie beachten? Welche technischen Randbedingungen existieren? Können Sie sämtliche Daten in einer Cloud-basierten Lösung in den USA speichern? Existieren besondere Nachweispflichten in Ihrer Branche? Müssen vorhandene Systeme integriert werden? Oder besitzen Sie besonders viel Know-how in der Verwendung einer definierten Datenbank? Antworten auf solche Frage liefern zusätzliche Anforderungen und somit weitere Kriterien für Ihre Auswahl. Wie teuer ist die anzuschaffende Software? Die Frage nach dem Preis zu stellen ist logisch und richtig, doch der Zeitpunkt ist für Ihre Softwareauswahl wichtig. Warum? Stellen Sie sich vor, eine Software kostet 200.000 Euro. Was macht eine solche Aussage mit Ihnen? Viel zu teuer, oder? Praktisch jeder Mitarbeiter hat ein Gefühl für einen Preis einer Ware, doch ohne Bezug zu den Anforderungen fehlt die Bewertungsgrundlage. 200.000 Euro für ein Grafikprogramm sind viel zu teuer. 200.000 Euro für eine mehrsprachige, unternehmensweite ERP-Lösung eines Global Players könnten hingegen gerechtfertigt sein. Ohne Bewertungsgrundlage bleiben Lösungen frühzeitig auf der Strecke. Hier hilft der Request for Information, durch den Sie Preisinformationen der Hersteller erhalten, die Sie mit Ihren Anforderungen abgleichen können. Vielleicht wollen Sie lediglich von A nach B fahren und mit einem günstigen Fahrrad könnten Sie dies realisieren. Vielleicht wollen Sie aber auch Waren transportieren und dann sollten Sie die Kosten für Transporter und nicht für Fahrräder miteinander vergleichen. Es ist also wichtig, die Frage nach dem Preis immer in Bezug zu Ihren Anforderungen zu stellen und dafür müssen Sie diese zuerst definiert haben.
Natürlich sollten Sie bei den Preisinformationen neben den Anschaffungskosten auch Kosten für die Inbetriebnahme, für Wartung und Pflege sowie Zahlungsmodalitäten und Budgets beachten. Wie wichtig für die Auswahl ist der Hersteller der Software für Sie? Häufig entscheiden sich große Unternehmen für große Anbieter, denn sie beurteilen die zukünftige Existenz der Unternehmung positiver als bei kleineren Unternehmen. Die Größe eines Unternehmens kann also ein Kriterium sein. Doch im Zuge der Herstellerbeurteilung gibt es noch weitere Kriterien: Erfolgt der Vertrieb der Lösung direkt durch den Hersteller oder indirekt über Vertriebspartner? Wenn der Vertrieb über Partner organisiert wird, an wen melden Sie Probleme, Fragen oder Verbesserungsvorschläge und wie zügig erwarten Sie verlässliche Antworten? Wie erfolgen der Support, die Betreuung 365/24/7, die Lieferung von Updates, die Vor-Ort-Betreuung der Anwender und die Schulung? Je länger Sie über Ihre Situation nachdenken, desto mehr Kriterien werden Ihnen einfallen. Diese Kriterien sind Folge Ihrer individuellen Ausgangssituation. Sie sind die Basis für Ihre Softwareauswahl und damit auch der Grund, warum ein einfacher Vergleich von Featurelisten im Internet nicht ausreicht, um die Herausforderungen in Ihrem Unternehmen zu meistern.
Gewichtung der Kriterien
Sie haben Ihre Kriterien definiert – und jetzt? Jetzt kommt ein weiterer Aspekt zum Tragen: die Gewichtung der Kriterien. Ohne Gewichtung sind alle Kriterien gleich wichtig. Doch es gilt zwei Herausforderungen zu meistern:
- Es liegt in der Natur der Sache, dass jeder Mitarbeiter seine eigenen Anforderungen wichtiger einschätzt als die von Kollegen. Da der individuelle Nutzen einer Software ein elementarer Bestandteil für die Akzeptanz einer Software ist, verwundert dies nicht. Dies kann zu Konflikten zwischen Kollegen, Rollen, Abteilungen oder Unternehmensbereichen führen.
- In den meisten Kriterienkatalogen werden drei, vier oder fünf Abstufungen verwendet: 1, 2 oder 3. Oder wünschenswert, wichtig, sehr wichtig, kritisch. Um den Konflikten zwischen Kollegen & Co. aus dem Weg zu gehen, werden die meisten Anforderungen in der höchsten Stufe eingeordnet und der Nutzen der Gewichtung ist hinfällig.
Wie gelingt also die Gewichtung der Kriterien? Erhöhen Sie die Anzahl der Stufen. Je mehr Stufen Sie verwenden, desto besser. Wenn Sie diesen Gedanken zu Ende denken, erhalten Sie eine absolute Gewichtung, also eine Anzahl der Stufen, die der Anzahl der Anforderungen bzw. Kriterien entspricht. Natürlich verursacht ein solches Vorgehen viel Aufwand, aber das Ergebnis ist eine eindeutige Liste. Lohnt sich ein solcher Aufwand? Eine gute Frage. Lohnt sich das Investment in eine Software, mit der Sie die Herausforderungen in Ihrer Organisation nicht meistern? Nein.
Fazit
Im Internet finden Sie leicht Softwarevergleiche und Feature-Listen. Für eine erste Marktanalyse und als Informationsquelle können diese durchaus nützliche Hinweise liefern. Doch damit gehen Sie den zweiten vor dem ersten Schritt. Im Zuge einer Softwareauswahl sollten Sie sich im ersten Schritt mit Ihrer Ausgangssituation, mit Ihren Anforderungen und Kriterien und mit der Gewichtung Ihrer Kriterien auseinandersetzen. Das ist die Basis für eine gute Entscheidung und die Grundlage für die bekannten neun Schritte eines Auswahlprozesses. Natürlich steigern Sie damit den Aufwand bei der Auswahl einer geeigneten Lösung – hier empfiehlt es sich, ein sinnvolles Maß zwischen Aufwand und Nutzen zu finden. Dieses Maß definieren Sie ebenfalls anhand Ihrer Ausgangssituation, denn es ist nahe liegend, dass die Auswahl einer alternativen Software für eine Grafikerin weniger Aufwand verursachen darf als die Auswahl einer unternehmensweiten ERP-Lösung für einen Global Player. Klingt banal, oder? Und was folgt auf die Softwareauswahl? Die optimale Softwareeinführung.
Hinweise:
Interessieren Sie sich für weitere Tipps aus der Praxis? Testen Sie unseren wöchentlichen Newsletter mit interessanten Beiträgen, Downloads, Empfehlungen und aktuellem Wissen.
Hier finden Sie zum Thema Softwareeinführung ein kostenloses Whitepaper zum Download.
Michael Schenkel hat im t2informatik Blog weitere Beiträge veröffentlicht, u. a.
Michael Schenkel
Leiter Marketing, t2informatik GmbH