Rumms! Schulbus trifft Projektmanager!
Fühlen Sie sich manchmal als Projektmanager fast ohnmächtig? Kennen Sie das Gefühl, wenn Sie sich im Kreis drehen, sich allein gelassen fühlen und einen Befreiungsschlag herbeiwünschen?
Wenn Sie dieses gefühlte Projektmanager-Hamsterrad verlassen wollen, dann möchte ich Ihnen Hilfe anbieten. Hilfe in Form eines Tests. Ein Test mit einem gelben Schulbus.
Der „Gelbe Schulbus“-Test ist ein Gedankenexperiment für Projektmanager, das im Rahmen eines (Selbst-) Coachings verwendet werden kann, um einen neuen Blick auf sich in der Rolle als Projektmanager zu bekommen.
Die Kernfrage des Gedankenexperiments lautet:
„Angenommen, Sie werden auf dem Weg zur Arbeit beim Überqueren einer Straße von einem gelben Schulbus angefahren. Sie sind 3 Monate, 1 Jahr oder länger nicht mehr arbeitsfähig und ansprechbar. Was passiert jetzt im Projekt?“
„Im Projekt“ oder „am Projekt“ arbeiten
Kennen Sie den Unterschied zwischen „im Projekt“ und „am Projekt“ arbeiten? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass für viele Projektmanager der Unterschied, wann sie „im Projekt“ und „am Projekt“ arbeiten, gar keine Rolle spielt bzw. es keinen Unterschied macht.
Hier eine pragmatische Abgrenzung, die ich oft in meinen Coachings mit Projektmanagern nutze:
„Im Projekt“ arbeiten bedeutet, den Kunden in den Mittelpunkt Ihrer Tätigkeiten zu stellen. Sie arbeiten beispielweise „im Projekt“,
- wenn Sie den Ist-Prozess in einem Workshop aufnehmen oder die Anforderungen des Kunden in ein Konzept gießen,
- wenn Sie die Umsetzungsmöglichkeiten erarbeiten oder
- wenn das Produkt für den Kunden technisch umsetzen.
Als Prozess Manager, Business Analyst oder Entwickler arbeiten Sie meist „im Projekt“.
In diesen Rollen tragen Sie als Fachkraft oder Experte zur Problemlösung des Kunden bei. Sie produzieren Ergebnisse mit einem direkten Mehrwert für Ihren Kunden.
„Am Projekt“ arbeiten bedeutet, das Projekt als System selbst in den Mittelpunkt Ihrer Tätigkeiten zu stellen. Sie arbeiten beispielweise „am Projekt“,
- wenn Sie den Projektauftrag mit den Stakeholdern klären,
- wenn Sie Projektstrukturen für die Projektbeteiligten vereinbaren,
- wenn Sie Regeltermine für das Team festlegen und Räume für Kommunikation schaffen oder
- wenn Sie sich um eine Verbesserung in der Zusammenarbeit kümmern.
Als Projektmanager arbeiten Sie „am Projekt“, so dass jeder Einzelne „im Projekt“ sich optimal einbringen kann.
Vernachlässigen Projektmanager die Arbeit „am Projekt“, kann das dazu führen, dass das Zusammenspiel „im Projekt“ nicht befriedigend funktioniert. So kann es sein, dass Sie als Projektmanager Schwachstellen „im Projekt“ stopfen. Als Folge verfangen Sie sich noch mehr auf der Ebene der Problemlösung für den Kunden, wodurch Ihnen die Zeit fehlt „am Projekt“ zu arbeiten. Schnell kann das zu mehr Problemen „im Projekt“ und zu einem negativen Kreislauf führen.
In der Praxis begegnen mir häufig zwei Fragen zu dieser Abgrenzung:
Frage 1:
„Im Projekt“ arbeiten bedeutet, den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. „Am Projekt“ arbeiten bedeutet, das Projekt als System selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Bedeutet dies, dass Projektmanager in ihrer Arbeit den Kunden wirklich komplett außen vorlassen können?
Nein. Sie als Projektmanager haben den Kunden natürlich auch immer Blick. Ohne Kunden und ohne Problem gibt es kein Projekt. Jedoch gestalten Sie durch Ihre Arbeit „am Projekt“ optimale Voraussetzungen, um „im Projekt“ Mehrwert für den Kunden zu schaffen.
Frage 2:
Ist es als Projektmanager grundsätzlich schlecht, „im Projekt“ zu arbeiten?
Nein, Projektmanager können „im Projekt“ arbeiten. In vielen Kontexten sind „hands-on“-Projektmanager, die wertschöpfende Tätigkeiten übernehmen, wie z.B. die Durchführung von Konzeptionsworkshops oder Testaufgaben „im Projekt“ sehr hilfreich. Besonders in kleineren Projekten, in denen die Rolle des Projektmanagers und der Fachkraft meist von einer Person übernommen wird, ist das üblich. Als Projektmanager sollten Sie nur bewusst wahrnehmen und entscheiden, ob Sie „im“ oder „am Projekt“ arbeiten und ob dies zieldienlich ist. So ist Ihre Arbeit „im Projekt“ nicht hilfreich, wenn Sie beispielsweise konzeptionell im Projekt immer „retten“ müssen, obwohl es einen verantwortlichen Business Analysten gibt. Auch nicht hilfreich ist, wenn Sie das gesamte Team auf inhaltlicher Detailebene mikromanagen und sich alles Beteiligten fragen, was eigentlich ihre Aufgabe „im Projekt“ ist.
Die beschriebene Unterscheidung ist für Menschen, die bisher sehr stark als Fachkraft in Projekten die tätig waren, und erstmalig die Projektmanager-Rolle übernehmen, schwierig. Häufig braucht es eine komplett andere Bewertung der eigenen Arbeit:
Als Fachkraft leisten Sie hervorragende Arbeit und sind deshalb „im Projekt“ mit Ihrer Expertise unverzichtbar. Als Projektmanager leisten Sie erst dann hervorragende Arbeit, weil Sie ein System gestalten, bei dem „im Projekt“ auf Sie verzichtet werden kann.
Es braucht auch eine andere Orientierung:
Für die Arbeit „im Projekt“ haben Sie den Kunden mit seinen Wünschen als Orientierung für Entscheidungen. Überspitzt ausgedrückt ist dem Kunden egal, was die Beteiligten „am Projekt“ tun. Wichtig sind die „im Projekt“ produzierten Ergebnisse und den damit verbundenen Mehrwert. Für diesen Mehrwert bezahlt der Kunde.
Die Frage ist jetzt:
Wen nehmen Sie als Projektmanager zur Orientierung für Ihre Arbeit „am Projekt“?
Der gedankliche „Projektmanager Nachfolger“
Stellen Sie sich vor, es gäbe einen Tag x mitten in der Projektumsetzung, an dem Sie Ihre Rolle als Projektmanager an eine bisher nicht beteiligte Person abgegeben müssen. Geben wir der gedanklichen „Projektmanager Nachfolgerin“ doch einfachheitshalber den Namen „Paula Müller“.
Frau Müller geht es sicherlich nicht nur um das Kundenproblem. Sie wird den Zustand des Projekts ins Zentrum ihrer Beobachtung legen. Denn ein guter Zustand des Projekts als System erhöht ihre Chancen einer reibungslosen Übernahme der Projektmanager-Rolle am Tag x.
Frau Müller wird im Gegensatz zum Kunden Fragen aufwerfen, die eher den Zustand des Projekts im Fokus haben, also auf Ihre Arbeit „am Projekt“ abzielen, zum Beispiel:
- Was ist das Ziel und welche Erwartungen gibt es?
- Wie sieht die Aufbau- und Ablauforganisation des Projekts aus?
- Welche Abhängigkeiten existieren?
- Welche Routinen gibt es in der Projektarbeit?
- Wie ticken die Menschen und wie gehen sie miteinander um?
- Gibt es Reibungen oder Konflikte und was wurde bisher getan?
- Wie zufrieden sind die Teammitglieder?
- Welche Risiken gibt es?
Als Projektmanager können Sie Frau Müller als Ihren Kunden auf Projektmanagement-Ebene betrachten. Sie gibt Ihnen Orientierung bei der Arbeit „am Projekt“.
Sie sind in der Rolle als Projektmanager besonders effektiv, wenn Sie konkreten Mehrwert für Frau Müller schaffen, d.h. sich um den Zustand des Projekts kümmern und ihr die Angst vor dem Stress nehmen, das Projekt am Tag x zu übernehmen.
Berücksichtigen Sie diese Perspektive in Ihrer Arbeit, dann werden Sie automatisch „am Projekt“ arbeiten. Was würde Frau Müller tun? Wie würde Frau Müller entscheiden?
Mein Vorschlag: Vereinbaren Sie doch einen regelmäßigen Jour Fixe Termin mit sich selbst und Ihrer gedanklichen Frau Müller. Beleuchten Sie aus ihrer Perspektive, was Sie „am Projekt“ noch tun müssen.
Falls Sie sich jetzt konkret fragen, wie sich der Gedanke umsetzen lässt, möchte ich Ihnen im Folgenden den „Gelber Schulbus“-Test für Projektmanager vorstellen.
Dies ist eine Schritt-für-Schritt Anleitung, die Sie im (Selbst-) Coaching nutzen können.
Der „Gelbe Schulbus“-Test für das (Selbst-) Coaching
Schritt 1. Ist-Zustand visualisieren
Denken Sie an Ihr aktuelles Projekt. Visualisieren Sie am besten eine konkrete Situation, die für Sie wichtig ist. Beschreiben Sie den Kontext, die beteiligten Menschen, die Interaktionen. Heben Sie hervor, was aus Ihrer Sicht gut und was schlecht funktioniert. Welche Muster erkennen Sie?
Schritt 2. „Gelber Schulbus“-Test durchführen
In dem zweiten Schritt lassen wir uns umfahren:
„Stellen Sie sich vor, Sie leiten ein Projekt mit x Mitarbeitern. Eines Tages fährt Sie ein gelber Schulbus um. Sie fallen für mindestens 3 Monate aus. Was passiert jetzt im Projekt?“
Betrachten Sie aus der Vogelperspektive Ihre Visualisierung aus dem ersten Schritt. Was verändert sich mit dem Tag Ihres sofortigen Ausscheidens im Projekt? Was läuft zieldienlich? Welche Blockaden erkennen Sie? Wie und wo pendelt sich das System ohne Ihr Zutun ein? Welche Muster erkennen Sie?
Visualisieren Sie wesentliche Veränderungen.
Schritt 3. Soll-Zustand entwerfen
In dem zweiten Schritt haben Sie ein Bild davon entwickelt, was in dem Projekt geschehen kann, wenn Sie nicht mehr „im Projekt“ arbeiten.
In diesem Schritt entwickeln Sie den Sollzustand.
Stellen Sie sich die konkrete Frage:
Was wünscht sich Ihre gedankliche Nachfolgerin Frau Müller, die das Projekt nach Ihrem Unfall „erbt“?
Visualisieren Sie die den Sollzustand.
Was läuft anders?
Beschreiben Sie die Unterschiede zu dem „Gelber Schulbus“-Zustand aus Schritt 2.
Schritt 4. Maßnahmen ableiten
Im letzten Schritt geht es darum konkrete Maßnahmen aus der Betrachtung der unterschiedlichen Szenarien abzuleiten.
Sammeln Sie Maßnahmen, die Sie heute ergreifen können, um näher an den Sollzustand kommen. Priorisieren Sie nach Wichtigkeit.
Die Wahrscheinlichkeit nach den einzelnen Schritten ist hoch, dass Sie Maßnahmen „am Projekt“ identifizieren, da Sie sich bewusst aus der Arbeit „im Projekt“ herausnehmen.
Sie kompensieren Schwachstellen „im Projekt“ nicht mehr ad-hoc als „Feuerwehrmann“, sondern legen den Fokus auf bessere Rahmenbedingungen und ein besseres Zusammenspiel „im Projekt“.
Fazit
An dieser Stelle ein Disclaimer: Bitte Überqueren Sie den Zebrastreifen weiterhin achtsam, auch wenn Sie sich vielleicht in der Rolle als Projektmanager ohnmächtig fühlen. 🙂
Aus der Praxis weiß ich, dass sich der „Gelbe Schulbust“-Test besonders gut für Menschen eignet, die ersmals die Rolle des Projektmanagers übernehmen. Zum Einen trainiert der Test die bewusste Unterscheidung, wann „im Projekt“ und wann „am Projekt“ gearbeitet wird. Zum Anderen erleben die Projektmanager auf spielerischer Art, dass Projekte oftmals auch ohne eigenes Zutun weiterlaufen. Manchmal hilft diese Erkenntnis bereits, um die eigene Identität nicht vom Projekt abhängig zu machen und ein Ohnmachtsgefühl in Krisensituationen zu vermeiden.
Darüber hinaus erzählen mir Projektmanager regelmäßig, dass der Moment, in dem der gelbe Schulbus den Projektmanager trifft, Klarheit bringt. Diese Klarheit verbessert die Arbeit „am“ und „im Projekt“.
In meinen Coachings verwende ich übrigens auch eine fortgeschrittene Version des Gedankenexperiments:
„Der Moment, an dem sich der Projektmanager in den geplanten Urlaub verabschiedet und das Projekt weiterläuft.“
Menschen, die eine Verschiebung ihres Urlaubs in Betracht ziehen, sollten sich vor dem Gelben Schulbus und dem Rumms in Acht nehmen. 😉
Hinweise:
Interessieren Sie sich für weitere Erfahrungen aus der Praxis? Testen Sie unseren wöchentlichen Newsletter mit interessanten Beiträgen, Downloads, Empfehlungen und aktuellem Wissen.
Wenn Sie mehr über Hung Tieu erfahren wollen, dann empfiehlt sich ein Blick auf seine wunderschöne Website.
Hung Tieu hat einen weiteren Beitrag im t2informatik Blog veröffentlicht:
Hung Tieu
Hung Tieu verfügt über mehr als 15 Jahre Projekterfahrung als Projektmanager in unterschiedlichsten Projekten. In seiner Arbeit kann er auf einen großen Schatz an klassischen und agilen Methoden im Bereich Strategieumsetzung und Projektmanagement zurückgreifen. Heute unterstützt er als Berater, Trainer und Coach, Menschen dabei, jenseits von Tools und Checklisten ihre Projekte mit mehr Klarheit, Gelassenheit und Verbundenheit zu meistern.