Quereinsteiger in der UX-Branche

Gastbeitrag von | 05.05.2022

Wie gelingt der Quereinstieg in die UX-Branche?

Wie werde ich User Experience (UX) Designerin? Diese Frage habe ich mir Mitte 2020 gestellt. Ich war mit meinem damaligen Job unterfordert und suchte nach einer neuen Herausforderung. Heute nach 1,5 Jahren stelle ich mir die Frage trotz diverser Weiterbildungen, Workshops und dem Lesen von umfangreicher Fachliteratur leider immer noch. Nicht zuletzt deshalb, weil hierzulande anscheinend nicht nur Zertifikate und Zeugnisse das Nonplusultra bei jeder Bewerbung sind, auch die gute alte Berufserfahrung (Minimum 2-3 Jahre) darf auf keinen Fall fehlen. Schwierig ist nur, wenn man genau diese sammeln möchte, um langfristig einen Fuß in die Tür zu bekommen. Eine klassische Zwickmühle, die ich bisher nur teilweise auflösen konnte.

“Und was willst du später mal werden?” – “Quereinsteigerin!”

Quereinsteiger sind in der heutigen Berufswelt keine Seltenheit mehr. Der seit Jahren vorherrschende Fachkräftemangel zwingt Unternehmen praktisch dazu, sich nach fachfremden Arbeitskräften umzusehen und diese selbst auszubilden. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung gibt es für Quereinsteiger immer höhere Berufschancen und eine Studie des Video-Recuiting-Anbieters Viasto fand heraus, dass 38 Prozent aller Arbeitnehmer bereits in einem Berufsfeld arbeiten, das nicht ihrer ursprünglichen Ausbildung entspricht.

Vor allem in der Medien- und Wirtschaftsbranche ist der Anteil an Quereinsteigern besonders hoch und auch das Vergleichsportal gehalt.de konnte anhand von 3.608 Datensätzen aufzeigen, dass die meisten Quereinsteiger im Medienumfeld bzw. in den Presse- und Online-Marketing-Abteilungen zu finden sind. Ebenfalls interessant: Jeder dritte Beschäftigte im Bereich PR und Online-Marketing kommt ursprünglich aus den Geistes-, Sozial- oder Wirtschaftswissenschaften. Mit diesem Hintergrundwissen überrascht es mich im Nachhinein wenig, dass ich nach meinem Fremdsprachen-Studium ins Marketing wechselte und mich dort mit den Jahren immer mehr etablierte. Es schien als wäre ich für den Quereinstieg prädestiniert, zumal man sich mit einem geisteswissenschaftlichem Studium überall und nirgendwo zu Hause fühlt.

Da mein erster Quereinstieg vergleichsweise einfach vonstattenging, war ich bei meinem nächsten Branchenwechsel hoch motiviert und optimistisch. Ich wollte erneut den Sprung ins kalte Wasser wagen – vor allem um mich weiterzuentwickeln, mein Berufsprofil weiter aus- und mir ein neues Standbein aufzubauen. Wenn ich nur gewusst hätte, was mich erwartet…

Ein Quereinstieg in die UX-Branche ist laut Internet nicht unüblich

Natürlich bin ich nicht vollkommen blind an die ganze Sache herangegangen. Bevor ich den besagten Quereinstieg wagte, habe ich Bücher gewälzt und Erfahrungsberichte gelesen, ob dieser Job überhaupt etwas für mich ist und ob ich die nötigen Grundvoraussetzungen mitbringe.

Laut Internet muss man als UX-Designer:in

  • kreativ,
  • analytisch,
  • empathisch,
  • kommunikativ,
  • neugierig,
  • flexibel und
  • leidenschaftlich

sein. Darüber hinaus sollte man ganzheitlich denken können und stets im Sinne der Nutzen agieren, auch wenn das bedeutet, das eine oder andere Mal mit Stakeholdern & Co. auf Konfrontationskurs zu gehen. Neben den typischen Soft-Skills sollte ein:e UX-Designer:in außerdem die gängigen UX-Standards kennen, Programmierkenntnisse und ein visuelles Grundverständnis besitzen, Marketing-Grundlagen beherrschen sowie UX-Tools und Design-Programme bedienen können.

Diese Auflistung lässt vermuten, dass es Kandidaten aus den Branchen Grafikdesign, Mediengestaltung, Kommunikationsdesign, Frontend-Entwicklung oder Marketing leichter haben in die UX-Branche hineinzurutschen. Und tatsächlich: Laut gehalt.de sind 22 Prozent der UX-Beschäftigten studierte Informatiker und 18 Prozent ausgebildete Designer.

Mit diesen Hintergrundinformationen standen meine Chancen, als UX-Designerin durchzustarten, auf den ersten Blick gar nicht mal so schlecht. Auch wenn man bedenkt, dass User Experience hierzulande noch relativ jung ist und es daher noch wenig Studiengänge bzw. Ausbildungsplätze gibt. Aktuell zumindest scheint die Branche daher ideal für Quereinsteiger. So fing ich 2020 eine Weiterbildung zur UX-Designerin an¹, in der Hoffnung, dass mir schon ein Arbeitgeber im Anschluss eine Chance geben würde – zwar für ein geringes Gehalt, aber was soll’s. Lehrjahre sind schließlich keine Herrenjahre. Darüber hinaus war ich optimistisch, da mein Quereinstieg ins Marketing einst auch relativ reibungslos verlief.

Als Quereinsteiger doch nicht gut genug?

Nach meiner Weiterbildung fing ich frohen Mutes an, mich auf diverse Junior UX-Design-Stellen oder Werkstudenten-Stellen im Bereich UX zu bewerben. Schnell musste ich feststellen, dass mir für erstere vor allem die Berufserfahrung zu fehlen schien, für zweitere war ich zu teuer. Das war vor allem eins: ernüchternd.

Mit jeder weiteren Absage stieg das Gefühl nicht „gut genug“ zu sein, und auch die Scham wegen meines vermeintlichen Versagens mischte mit. Ein klassischer Teufelskreis, den wohl jede:r Bewerber:in kennt. Unsicherheit ist vorprogrammiert, erst recht, wenn man noch zusätzlich als Quereinsteiger in eine neue Branche wechseln möchte.

Trotzdem bewarb ich mich weiter, las fleißig Fachliteratur, nahm an einzelnen Workshops teil und schrieb sogar aktiv Freelancer an, um für umsonst zu arbeiten und somit Praxiserfahrung zu sammeln. Doch nichts geschah, außer, dass die Frustration stieg. Schließlich hielt ich den Druck nicht mehr länger aus und bewarb mich wieder auf die guten alten Marketingstellen.

Natürlich ploppt ab und zu immer noch die Frage im Hinterkopf auf: Habe ich zu früh aufgegeben? Wie lange hätte ich noch durchhalten und Absagen kassieren müssen, bis ich endlich eine Chance bekommen hätte?

Nach der Weiterbildung ist vor der Weiterbildung

Trotz der bisher ernüchternden Erfahrung und der Rückkehr in meinen alten Job, wollte ich nicht völlig von meinem neuen Pfad abweichen. Also entschloss ich mich neben meiner Arbeit eine Ausbildung im Bereich Grafikdesign zu machen, auch mit der klitzekleinen Hoffnung, dass dieser Background meine Chancen als Quereinsteigerin erhöht. Letzten Endes ist es mein persönlicher Eindruck, dass Designer, Grafiker oder Programmierer eine bessere Chance haben, UX-Designer zu werden als Marketer, obwohl auf vielen Seiten etwas anderes behauptet wird.

Gibt man Quereinsteigern bzw. Neulingen überhaupt eine Chance?

Die vielen Stellenanzeigen im Internet, in denen ein UX-Designer gesucht werden, sind vollgestopft mit Anforderungen – allen voran die klassische Berufserfahrung. Von “erste praktische Erfahrungen” (was auch immer das bedeutet) bis hin zu 5 Jahren war alles dabei. Da stellt sich mir natürlich zwangsläufig die Frage: Gibt man Neulingen überhaupt eine Chance? Meiner Erfahrung nach nicht, hatte ich doch das Gefühl, dass genau dieser “Ich bin neu in der Szene”-Stempel mir am Ende zulasten gelegt wurde.

Meiner Ansicht nach fehlt es vor allem an Ausbildungs- und Traineestellen, denn diese sind anscheinend rar gesät in der Branche. Darüber hinaus scheint es, als suchen viele Unternehmen einen UX-Designer, der das bisher verursachte Chaos lösen beziehungsweise eine Lücke schließen soll. Da kann man natürlich keinen Anfänger gebrauchen. Zu diesem Thema gibt es auch einen amüsanten Artikel aus dem UX-Kollektiv, den ich Ihnen sehr ans Herz lege: Please give junior UX designers a chance.²

Warum Quereinsteiger von Vorteil für Unternehmen sind

Quereinsteiger werden unter Umständen immer noch eher als zweite Wahl und weniger als Chance betrachtet. Dabei haben die vermeintlichen Fachfremden eine Menge zu bieten:

  • Angefangen von ihrer hohen Leistungsbereitschaft bis hin zu ihrer Motivation neue Dinge zu lernen.
  • Darüber hinaus bringen Sie neue Perspektiven und unvoreingenommene Sichtweisen auf bereits vorhandene Dinge ebenso wie ein breit gefächertes branchenfremdes Fachwissen mit.
  • Ein weiterer Faktor, der für Quereinsteiger spricht, ist deren Dankbarkeit für die gebotene Chance, welche wiederum zu einer höheren Loyalität führen kann.
  • Außerdem stärken Unternehmen mit der Förderung von Quereinsteigern ihre Unternehmenskultur sowie Vielseitigkeit und gehen letzten Endes aktiv gegen den Fachkräftemangel vor.

 

Fazit

Was braucht man denn nun als Quereinsteiger für die UX-Branche?

In vielen Artikeln im Internet steht, dass man für die UX-Branche unter anderem Empathievermögen, Kreativität oder analytische Fähigkeiten braucht. Meiner Erfahrung nach braucht man als Quereinsteiger im Bereich UX vor allem:

  • viel Geduld,
  • Ausdauer,
  • ein dickes Fell
  • und die Bereitschaft, Neues zu lernen
  • sowie Umwege zu gehen.

Außerdem kann eine Prise Ideenreichtum und Kreativität nicht schaden, um neue Wege zum ersehnten Ziel zu finden. Denn seien wir mal ehrlich: den klassischen Weg zum Berufsbild UX-Designer:in gibt es bisher nicht. Deshalb ist der Job für viele ebenso wie für mich wahrscheinlich immer noch ein Mysterium.

War es deswegen schlecht, einen Quereinstieg in die UX-Branchen zu wagen? Auf keinen Fall, denn vieles aus dem Bereich lässt sich auch im Marketing oder in anderen Branchen anwenden und ist damit eine Bereicherung für jeden Job.

 

Hinweise:

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[1] Meine UI-/UX-Weiterbildung
[2] Please give junior UX designers a chance

Weitere Quellen:

In diesen Bereichen gibt es die meisten Quereinsteiger
Berufswunsch Quereinsteiger
Produktbezogene Jobs im Porträt: der User Experience Designer
UX-Designer – ein Job, der die Zukunft gestaltet

Franziska Tietz hat einen weiteren Beitrag im t2informatik Blog veröffentlicht:

t2informatik Blog: Der richtige Ton beim UX-Writing

Der richtige Ton beim UX-Writing

Franziska Tietz
Franziska Tietz

Franziska Tietz ist Online-Redakteurin, Bloggerin und UX-Designerin in Ausbildung. Lange Zeit verfasste sie als Texterin sowie Content-Managerin Webtexte für kleine und mittelständische Unternehmen, bevor sie 2020 ihr eigenes Blogprojekt ins Leben rief. Auf ihrem Blog „How to UX“ setzt sie sich regelmäßig mit ausgewählten User-Experience-Themen auseinander und berichtet außerdem über diverse Weiterbildungsmöglichkeiten in der Branche.