Der richtige Ton im UX-Writing

Gastbeitrag von | 09.08.2021

Mit gesprächhaftem Schreiben und Voice & Tone Design den Nutzer erreichen

Beim UX-Writing oder nutzerfreundlichem Schreiben ist der richtige Ton wahnsinnig wichtig. Wie spreche ich den Nutzer an, was soll er von mir denken und wie will ich mich nach außen hin präsentieren? Lustig, seriös, locker oder doch eher extravagant? All das sowie viele weitere Elemente werden idealerweise vor dem Tippen des ersten Wortes im sogenannten Voice & Tone Design einer Marke festgelegt. Doch was ist das Voice & Tone Design eigentlich und wie finde ich meine eigene Stimme? Diese und noch andere Fragen möchte ich gerne mit diesem Artikel und der dazugehörigen Recherche auf den Grund gehen. Doch fangen wir beim Ursprung an…

Was ist überhaupt UX-Writing?

UX-Writing oder UX-Texten kann grob übersetzt werden mit nutzerzentriertem Texten. Beim UX-Writing geht es darum, Inhalte für den Nutzer zu schreiben und zu gestalten. Auf diese Weise fühlt sich dieser nicht nur optisch, sondern auch inhaltlich willkommen und wertgeschätzt. Ein UX-Writer selbst ist weniger ein Texter im klassischen Sinne, sondern vielmehr ein Kommunikator oder Dolmetscher zwischen System und Nutzer.

Wieso ist UX-Writing so wichtig?

UX-Writing ist wichtig, will man den Nutzer langfristig begeistern und seine Website bzw. App klarer gestalten. Bei UX-Texten steht im Gegensatz zu Marketing-Texten der Nutzer im Vordergrund und nicht das Produkt oder die Dienstleistung. Aber gerade diese Einstellung ist es, was UX-Writing so erfolgreich macht. Es geht nicht darum ein Produkt zu bewerben oder ein Unternehmen ins beste Licht zu rücken, sondern dem User Unterstützung zu bieten. Auf diese Weise kann man die User Experience und Nutzerführung seiner Seite/Anwendung erhöhen und einen Joy of Use kreieren.

UX-Writing - Worauf kommt es an?

Mit gesprächhaftem Schreiben den Nutzer überzeugen

Das klassische UX-Writing verfolgt den Ansatz, dass man sich mit den Texten auf seiner Website oder App im beständigen Gespräch mit dem Nutzer befindet. Beim UX-Texten sollte man daher besonders auf einen gesprochenen Schreibstil achten. Kate Moran von der NNGroup beschreibt in ihrem Artikel „The Impact of Tone of Coice on Users Brand Perception“¹ wie sich gesprächhaftes Schreiben positiv auf die User Experience auswirkt und Cliffort Nass, Professor an der Stanford University, konnte in diversen Experimenten nachweisen, dass eine menschliche Oberfläche die Nutzer mehr überzeugt und anspricht.

Auch Kinneret Yifrah, Autorin des Buches „UX Writing & Microcopy“² plädiert dafür, die Unterscheidung vom schriftlichen Sprachstil und gesprochenen Sprachstil aufzuheben. Sie betont in ihrem Buch mehrfach, dass wir schreiben dürfen, wie wir sprechen, solange es höflich, respektvoll und grammatikalisch korrekt ist. Yifrah zufolge sollten wir uns von dem Mythos verabschieden, dass ein schriftlicher Sprachstil automatisch seriöser und qualitativ hochwertiger ist als das mündliche Pendant.

„Selbst wenn Ihre Marke wirklich seriös ist, müssen Sie den Nutzer nicht zwingend das Gefühl geben, dass Sie Ihre Anwälte geschickt haben, um mit ihnen zu sprechen – schicken Sie lieber den Kundenberater.“ – Kinneret Yifrah

Bevor es ans UX-Writing geht

Ich selbst habe vor geraumer Zeit in meinem eigenen Blog einen Artikel zum Thema UX-Writing veröffentlicht. In diesem gebe ich konkrete Tipps, was es beim UX-Texten zu berücksichtigen gilt. Doch bevor Sie jetzt den Browser-Tab wechseln und anschließend motiviert in die Tasten hauen, sollten Sie noch kurz weiterlesen, um mehr über das sogenannte Voice & Tone Design zu erfahren. Es kann Ihnen helfen, zukünftig in der Sprache Ihrer User zu schreiben und damit langfristig eine Bindung zu Ihnen aufzubauen.

Was ist Voice & Tone Design?

Das Voice & Tone Design definiert im Grunde genommen die Sprache, mit welcher Sie mit Ihren Nutzern kommunizieren – eine Corporate Language sozusagen. Im Gegensatz zum sogenannten Corporate Design, die grafische Unternehmensidentität, stellt das Voice & Tone Design sicher, dass jegliche schriftliche Kommunikationskanäle Ihres Unternehmens (E-Mails, Websitetexte, Microcopy, Newsletter, Social-Media-Beiträge etc.) konsistent sind und wie Sie klingen. Es repräsentiert, ähnlich wie Ihre Firmenfarben oder das Firmenlogo, Ihre Unternehmenswerte sowie Ihre -persönlichkeit und beeinflusst damit auch wie Ihre Nutzer Sie wahrnehmen.

Wieso ist das richtige Voice & Tone Design so wichtig?

Erinnern Sie sich noch an Clifford Nass? Der Professor der Stanford Universität, der herausfand, dass menschliche Oberflächen die Nutzer mehr überzeugen? Nun, in seinen vielen Experimenten gewann er noch weitere Erkenntnisse, zum Beispiel, dass Menschen digitalen Produkten, bei denen Inhalte und Tonfall nicht übereinstimmen, mit Argwohn und Ablehnung gegenüberstehen. Inkonsistenz im Design, den Texten oder dem Content sorgt bei den Menschen eher für Verwirrung und das Vertrauen sinkt. Umgekehrt wiederum verstehen Probanden Botschaften besser und befinden sie für überzeugender, wenn die nonverbalen Elemente mit den verbalen Elementen übereinstimmten.

Diese Experimente unterstreichen, dass die Definition eines Voice & Tone Designs für die eigene Marke sehr wichtig ist. Dank ihm kommuniziert man konsistent, klar und verständlich die eignen Werte und spricht die Nutzer gezielt an. Darüber hinaus versprüht man mit dem „richtigen Ton“ Authentizität und erhöht seinen Wiedererkennungswert, der über das Logo hinausgeht.

Wie finden Sie Ihre Stimme?

Der richtige Ton, sprich das Voice & Tone Design, sollte ebenso zur Corporate Identity zählen wie Farben, Logo oder ein Slogan. Doch wie legen Sie Ihren eigenen Ton fest? Wer definiert ihn und wie gehen Sie dabei genau vor? Fragen über Fragen, deren Beantwortung den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Dennoch möchte ich die praxisnahe „Anleitung“ nicht völlig außer Acht lassen. Wenn Sie wirklich wissen wollen, wie Sie bei der Gestaltung Ihrer eigenen Unternehmenssprache vorgehen, dann empfehle ich Ihnen das Buch „UX Writing & Microcopy“ von Kinneret Yifrah. Nein, das ist keine versteckte bzw. bezahlte Werbung 😉 Ich persönlich finde das Buch einfach ideal, um das Bewusstsein für UX-Writing zu schärfen und für das eigene Voice & Tone Design eine Art Anleitung zu haben. Alternativ fand ich diesen Artikel sehr praxisnah und informativ für die Bestimmung der eigenen Markensprache: Tone of Voice: Wie Sie Ihre Markenstimme definieren.³

Zurück zur Frage, wer die neue Corporate Language definiert: Da hierzulande eher selten eine konkrete Position für dieses Vorhaben geschaffen wird, kann sich diesem Thema im Grunde genommen jeder widmen, der sich mit der Markenkultur im Unternehmen auskennt, analytische Fähigkeiten mitbringt, offen für Veränderung ist und gut texten kann. Nicht selten sind es jedoch Marketing-Mitarbeiter, Content-Strategen, Creative Directors oder Texter, die diese Aufgabe übernehmen.

Voice & Tone als Leitfaden festhalten

Das Voice & Tone Design einer Marke wird nach Fertigstellung idealerweise als eine Art Leitfaden in einem PDF- oder Word-Dokument oder als PowerPoint-Präsentation festgehalten. Warum das? Damit jeder im Unternehmen nachträglich darauf zurückgreifen und deren Richtlinien verinnerlichen kann. Auf diese Weise wird die Kommunikation in der eigenen Unternehmenssprache erleichtert und konsistent umgesetzt, unabhängig vom Kommunikationskanal, Kontaktpunkt oder der Position des jeweiligen Mitarbeiters. Darüber hinaus kann der Leitfaden zum Beispiel Onboarding-Prozesse begleiten oder dabei helfen, neue Kommunikationskanäle zu erschließen.

Am besten legt man den Voice & Tone Leitfaden an einem zentralen Ort ab, um jedem Mitarbeiter den Zugang zu ermöglichen. Zudem ist ein Workshop hilfreich, in welchem man den neuen Leitfaden seinen Kollegen präsentiert. Wichtig ist es außerdem, einen Verantwortlichen für das Voice & Tone Design und deren Leitlinien zu benennen. Dieser aktualisiert und überprüft dann letztere regelmäßig und ist Ansprechpartner bei Fragen sowie Schwierigkeiten.

Warum haben Unternehmen kein Voice & Tone Design?

Die Theorie und Vorteile hinter UX-Writing und dem Voice & Tone Design sind für viele klar. Trotzdem hat der Großteil der Unternehmen hierzulande eben keine Corporate Language, sondern lediglich eine optische Corporate Identity. Warum ist das so? Warum erachten viele die optischen Aspekten einer Unternehmensrepräsentation wie Farben, Design oder das Logo als wichtig, sprachlich darf jedoch jeder „seinen Senf dazugeben“?

An diesem Punkt kann ich selbst nur spekulieren, da es diesbezüglich keine aussagekräftige Datenlage gibt. Im Bereich Online- und Digital-Marketing haben diverse Studien der letzten Jahre gezeigt, dass ausgewählte Online-Marketing-Maßnahmen vor allem wegen zu hoher Kosten, fehlendem Know-how oder einem zu hohen Arbeitsaufwand nicht umgesetzt werden. Vielleicht gelten diese Hürden ja auch für die Einführung eines Voice & Tone Designs?

Aus eigener Erfahrung weiß ich außerdem, dass man irgendwie dazu tendiert, diesen Schritt zu überspringen, da man schnell glaubt zu wissen, wie man für seine Marke „spricht“. Dieser Umstand scheint auch Kinneret Yifrah bewusst zu sein, denn sie betont in ihrem Buch noch mal ausdrücklich, dass man den Schritt, ein Voice & Tone Design festzulegen, nicht auslassen sollte – egal welche und viel Texte man zu welchem Zeitpunkt für sein Unternehmen schreiben will.

Meine Learnings zum Thema UX-Writing und Voice & Tone

Zu Beginn dieses Artikels war meine Absicht folgende: Ich wollte mehr über das Thema Voice & Tone Design erfahren und wie man dieses gestaltet. Jetzt nachdem ich meinen Artikel fertiggestellt habe, ist mir jedoch klar geworden, dass etwas anderes noch viel wichtiger ist: das Bewusstsein für die eigene Markensprache und deren Notwendigkeit für die eigene Corporate Identity.

Dass man ohne die richtigen Farben oder ein Logo keine Firmenwebsite gestalten kann, ist wohl jedem bewusst. Doch über die richtigen Sprachleitlinien machen sich vermutlich die wenigsten Gedanken. Und selbst wenn man den richtigen Ton für seine Marke gefunden hat, halten ihn wahrscheinlich viele nicht ausführlich für verschiedene Kommunikationskanäle und mit Praxisbeispielen in einem Dokument fest. Aber genau diese Dokumentation kann der Schlüssel für eine bessere Markenkommunikation sein und das Zünglein an der Waage, um sich gekonnt von der Konkurrenz abzuheben. Letzten Endes ist es vor allem die Kombination aus Bild und Text, die ein Design so wirkungsvoll macht und nicht nur eine „fancy“ Oberfläche. Widmen wir uns daher nicht nur den optischen Aspekten einer Website/ Anwendung, sondern schenken wir auch den Worten darin die Aufmerksamkeit, die sie verdienen.

Fazit

UX-Writing und Voice & Tone Design sind zwei Begriffe, die hierzulande noch nicht jedem zu Ohren gekommen sind. Umso wichtiger, dass wir sie häufiger in den Mund nehmen, das Bewusstsein dafür schärfen und im Idealfall auch praktizieren. Mit etwas Glück nehmen sie dann in ein paar Jahren im Designprozess den gleichen Stellenwert ein wie die grafische Gestaltung einer Oberfläche und bilden zusammen mit ihr ein unschlagbares Team.

 

Hinweise:

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[1] The Impact of Tone of Voice on Users’ Brand Perception
[2] Kinneret Yifrah, UX Writing & Microcopy, erschienen 2020 im Rheinwerk Verlag
[3] Tone of Voice: Wie Sie Ihre Markenstimme definieren

Weitere Quellen:

Kinneret Yifrah: 6 reasons to design a voice and tone for your digital product
Wie Sie Ihre Tone-of-Voice-Leitfaden schreiben

Download: Blogpaper User Experience

Diesen Beitrag finden Sie auch im kostenlosen Blogpaper User Experience – Fünf Perspektiven auf User Experience.

Franziska Tietz hat einen weiteren Beitrag im t2informatik Blog veröffentlicht:

t2informatik Blog: Quereinsteiger in der UX-Branche

Quereinsteiger in der UX-Branche

Franziska Tietz
Franziska Tietz

Franziska Tietz ist Online-Redakteurin, Bloggerin und UX-Designerin in Ausbildung. Lange Zeit verfasste sie als Texterin sowie Content-Managerin Webtexte für kleine und mittelständische Unternehmen, bevor sie 2020 ihr eigenes Blogprojekt ins Leben rief. Auf ihrem Blog „How to UX“ setzt sie sich regelmäßig mit ausgewählten User-Experience-Themen auseinander und berichtet außerdem über diverse Weiterbildungsmöglichkeiten in der Branche.