Polywork: Die neue Vielseitigkeit in der Arbeitswelt

Gastbeitrag von | 19.02.2024

Polywork – ein weiteres Trendthema in der Arbeitswelt? Was steckt wirklich dahinter?

Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass Polywork mehr ist als nur ein neuer Begriff. Es verkörpert eine grundlegend menschliche und sinnvolle Idee: In der heutigen Arbeitswelt streben immer mehr Menschen danach, ihre persönlichen Fähigkeiten und Interessen in verschiedenen Bereichen einzusetzen, anstatt sich nur auf eine einzige Karriere festzulegen. Immer mehr Arbeitnehmer, insbesondere junge Menschen, entscheiden bewusst, die Grenzen zwischen bezahlter Arbeit, unternehmerischen Tätigkeiten, ehrenamtlichem Engagement und persönlichen Interessen zu verwischen. Dieser Ansatz führt zu einer Art „Polyamorie der Arbeit“ und kann viele Formen annehmen, z. B. Freelancing, Teilzeitbeschäftigung, selbstständige Projekte oder ehrenamtliche Arbeit. Die Digitalisierung eröffnet zahlreiche Möglichkeiten, Krisen erfordern Anpassung und die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben nimmt immer vielfältigere Formen an.

Was ist Polywork?

Polywork bezeichnet eine Arbeitsweise, bei der Menschen mehrere verschiedene Tätigkeiten, Projekte oder Rollen gleichzeitig ausüben, anstatt sich ausschließlich auf eine feste Anstellung zu beschränken. Dabei können diese verschiedenen Aspekte der Arbeit nahtlos ineinander übergehen und eine sinnvolle und erfüllende berufliche Erfahrung ermöglichen. Der Begriff betont die Idee, dass Arbeit nicht mehr in starren Strukturen festgelegt sein muss, sondern flexibel und anpassungsfähig sein kann.

Ein Beispiel für einen Polyworker wäre bspw. ein Scrum Master, der tagsüber bei einem Softwareentwicklungsunternehmen arbeitet, abends freiberuflich verschiedene Projekte betreut und am Wochenende an einem ehrenamtlichen Kunstprojekt teilnimmt.

Diese Flexibilität ist nicht nur auf kreative Berufe beschränkt, sondern funktioniert auch für Berufe, die normalerweise als weniger flexibel angesehen werden. Es ist möglich, in Teilzeit bei einem Unternehmen angestellt zu sein, nebenbei selbstständig zu arbeiten oder als Dozent in einem anderen Bereich aktiv zu sein und sich gleichzeitig um Familie oder soziale Projekte zu kümmern.

Der Unterschied zwischen Polywork und Multitasking

Polywork und Multitasking mögen auf den ersten Blick ähnlich erscheinen. Beide Konzepte beinhalten die Idee, mehrere Tätigkeiten gleichzeitig auszuführen. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied in der Herangehensweise und dem zugrunde liegenden Prinzip. Menschen, die Polywork praktizieren, streben bewusst nach einer breiten Palette von Tätigkeiten. Es geht nicht darum, viele Dinge gleichzeitig zu erledigen, sondern verschiedene Aufgaben, Projekte oder Rollen im Laufe der Zeit zu bewältigen. Polywork legt Wert auf die Struktur und den bewussten Einsatz von Fähigkeiten in verschiedenen Kontexten, um eine vielseitige und erfüllende berufliche Erfahrung zu schaffen. Im Gegensatz dazu kann zu viel Multitasking zu Stress, Qualitätsverlust und ineffizienter Arbeitsweise führen.

Am Rande möchte ich erwähnen, dass es ein Social-Media-Netzwerk namens Polywork gibt, das vor einigen Jahren als Alternative zu LinkedIn und anderen gestartet wurde. Die Relevanz dieses Netzwerks scheint jedoch begrenzt zu sein, da es in meiner Arbeitswelt kaum bekannt ist.

Die Vorteile von Polywork in einer sich wandelnden Arbeitswelt

Die Arbeitswelt befindet sich in einem ständigen Wandel, geprägt von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit (VUKA). In dieser dynamischen Umgebung ist es entscheidend, dass Menschen sich schnell an neue Anforderungen anpassen können. Genau hier kommt Polywork ins Spiel. Polywork ermöglicht es den Menschen, ihre Fähigkeiten und Erfahrungen in verschiedenen Kontexten einzusetzen und sich so leichter an Veränderungen anzupassen. Die Vielseitigkeit schafft eine natürliche Anpassungsfähigkeit.

In einer agilen Arbeitsumgebung ist es von großer Bedeutung, dass Menschen über ein breites Spektrum an Fähigkeiten verfügen. Polywork fördert die Entwicklung unterschiedlicher Kompetenzen und trägt so dazu bei, dass Menschen in verschiedenen Situationen und Projekten erfolgreich agieren können.

Die traditionelle Karriereleiter ist in der VUKA-Welt oft nicht mehr linear. Polywork eröffnet den Menschen die Möglichkeit, ihre Karriere auf nicht-traditionelle Weise zu gestalten. Sie können verschiedene Erfahrungen sammeln und ihre berufliche Reise flexibel anpassen.

Die Fähigkeit, in verschiedenen Kontexten zu arbeiten, stärkt die psychische Widerstandsfähigkeit gegenüber unvorhersehbaren Herausforderungen. Polyworker sind oft widerstandsfähiger und besser darauf vorbereitet, mit Unsicherheit und Komplexität umzugehen.

Polywork kann als gezielte Strategie betrachtet werden, um den Herausforderungen der VUKA-Welt zu begegnen. Es ist die Antwort auf die Notwendigkeit, flexibel zu sein und sich schnell anzupassen. Gleichzeitig ist es auch die „andere Seite der Medaille“ von VUKA, da die Anforderungen der heutigen Welt dazu führen, dass Menschen vermehrt nach vielseitigen Karrierewegen suchen.

Auch Arbeitgeber können von Polywork profitieren. Durch den Einsatz vielseitiger Mitarbeiter, die verschiedene Fähigkeiten und Perspektiven einbringen, können Unternehmen flexibler auf Herausforderungen reagieren. Zudem fördert Polywork die Kreativität und Innovation in Teams. Es reduziert auch das Risiko von Personalwechseln. Oft scheint das Gras auf der anderen Seite grüner zu sein, wenn man fest in einem Unternehmen angestellt ist. Doch wer aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, erkennt schnell, dass das nur selten der Fall ist. Es kommt eben immer darauf an, wie die Sonne darauf scheint.

Polywork kann die Mitarbeiterbindung fördern. Es erfordert nicht unbedingt eine ausschließliche Bindung an einen Arbeitgeber. Im Gegenteil, ein Teilzeitmitarbeiter, der sich voll und ganz engagiert, ist oft produktiver als ein Vollzeitmitarbeiter mit reduziertem Engagement.

Polywork und das Arbeitsrecht: Flexibilität und Regulierung

Polywork verspricht Freiheit, Flexibilität und individuelle Ausrichtung. Doch diese Vielfalt erfordert genauso viel Regulierung wie starre Systeme. Um die Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gleichermaßen zu schützen, ist es entscheidend, klare Arbeitszeiten festzulegen und Verantwortlichkeiten abzustimmen. In meinem Buch über Lebensphasenorientiertes Leadership¹ betone ich, dass verschiedene Lebensphasen unterschiedliche Arbeitsmodelle erfordern. Daher sind unterschiedliche arbeitsvertragliche Regelungen notwendig. Diese Regelungen können für Care-Arbeit, Ehrenamt, Sabbaticals oder Nebentätigkeiten genutzt werden.

Ein wichtiger arbeitsrechtlicher Aspekt ist die Festlegung des Umfangs, wenn die Arbeitszeit reduziert wird, sowie die Frage, ob feste Arbeitszeiten erforderlich sind. Dies variiert je nach Job.

Der Arbeitgeber muss nicht unbedingt Einzelheiten über Hobbys oder familiäre Situationen erfahren. Bei mehreren gleichzeitigen Arbeitsverhältnissen wird die Situation jedoch komplizierter. Der Hauptarbeitgeber muss möglicherweise Nebentätigkeiten genehmigen. Tätigkeiten, die im Wettbewerb zum Hauptarbeitsverhältnis stehen, können ausgeschlossen werden. Eine detaillierte Überprüfung ist erforderlich, um mögliche Konflikte im Vorfeld auszuschließen. Dabei ist Transparenz der wichtigste Aspekt. Offene Kommunikation verringert das Konfliktrisiko erheblich.

Es ist auch wichtig zu betonen, dass Polywork keine Einbahnstraße ist. Vielfalt für den Arbeitnehmer bedeutet gleichzeitig eine Chance für den Arbeitgeber. Das Arbeitsrecht bildet hier die gemeinsame Leitplanke, innerhalb derer sichere und flexible Verträge ausgehandelt werden können. Netzwerkstrukturen, die durch Polywork entstehen, erfordern komplexe Regelungen. Doch dies muss nicht zwangsläufig kompliziert sein, wenn es richtig angegangen wird.

Die spannende Verbindung von Polywork und ehrenamtlichem Engagement

Mich fasziniert schon immer, wie sich unsere Arbeitswelt verbessern kann, wenn wir uns auch sozial engagieren. Gleichzeitig profitiert das Ehrenamt von den Erfahrungen agiler Arbeitswelten. Viele Menschen nutzen ihre Vielseitigkeit, um nicht nur beruflich, sondern auch gesellschaftlich aktiv zu sein. Diese Verbindung kann sowohl persönlich erfüllend als auch gesellschaftlich wertvoll sein. Die Zukunft gehört den Polyworkern, die neben ihrem Beruf auch in einem Verein für digitale Bildung aktiv sind und ihre technischen Fähigkeiten nutzen, um Jugendlichen das Programmieren beizubringen. Polywork schafft Brücken zwischen verschiedenen Beschäftigungen und damit zwischen Menschen.

Fazit

Polywork bietet in der heutigen dynamischen und teilweise unsicheren Arbeitswelt eine innovative Möglichkeit, Beruf und persönliche Interessen miteinander zu verbinden. Durch die Vielfalt der Tätigkeiten eröffnen sich neue Chancen für persönliches Wachstum, berufliche Weiterentwicklung und gesellschaftliches Engagement. Dabei geht es nicht darum, sich in zu vielen Aufgaben zu verlieren. Vielmehr sollte der Wunsch nach Vielfalt und Flexibilität in der Arbeit in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Das griechische Wort „Poly“ mag Vielzahl bedeuten, doch in der Arbeitswelt sollte es nicht als „zu viel“ interpretiert werden. Eine individuell gesunde Balance aus Sicherheit und Agilität, aus Planbarkeit und Spontanität, aus Lernen und Können, führt zu vielen „perfect matches“.

Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten im Büro, gründen eine NGO und produzieren gleichzeitig ein Musical. Das mag vielleicht etwas übertrieben klingen, aber es gibt viele andere realistische Kombinationen. In der Polyamorie der Arbeit liegt viel Potenzial für eine agile Arbeitswelt. Und ganz ehrlich, viele von uns sind längst mehrspurig unterwegs. Denken Sie nur einmal darüber nach.

Extra-Bonus

Hier finden Sie 3 zusätzliche Fragen, die Britta Redmann beantwortet (bitte auf Plus klicken):

Welche potenziellen Risiken sind mit Polywork verbunden?

Britta Redmann: Polywork und Multitasking sind zwei verschiedene Konzepte, dennoch ist es wichtig, dass Menschen bei der Anwendung von Polywork darauf achten, nicht zu stark in Multitasking zu verfallen und mehrere Aufgaben gleichzeitig zu bearbeiten. Ein solches Vorgehen kann leicht zu Überlastung, Stress und somit zu einem Qualitätsverlust führen. Es ist daher entscheidend, über eine klare Arbeitsstruktur und Selbstorganisation zu verfügen sowie die Fähigkeit zu besitzen, sich bewusst in verschiedenen Kontexten einzubringen.

Wie sinnvoll ist es, dass Arbeitgeber die Idee von Polywork aktiv unterstützen?

Britta Redmann: Ich finde es sinnvoll und förderlich, wenn Arbeitgeber Polywork aktiv unterstützen. Mitarbeitern wird dadurch ermöglicht, selbstorganisiert und strukturiert in verschiedenen Tätigkeitsfeldern zu arbeiten. Eine solche Unterstützung seitens des Arbeitgebers reduziert den individuellen Stress. Gleichzeitig stärkt sie das Vertrauen in die Fähigkeiten und Motivation der Mitarbeiter.

Könnte Polywork als Konzept auch unternehmensintern funktionieren?

Britta Redmann: Auf jeden Fall! In Zeiten vielfältiger Herausforderungen und der Notwendigkeit, sich schnell an Veränderungen anzupassen, kann Polywork dazu beitragen, interne Talente optimal einzusetzen. Es ermöglicht Organisationen, flexibel auf unternehmerische Notwendigkeiten zu reagieren und gleichzeitig die individuellen Fähigkeiten und Talente ihrer Mitarbeiter zu fördern. Eine echte Win-Win-Situation.

Hinweise:

[1] Britta Redmann: Lebensphasenorientiertes Leadership. Wie Führungskräfte eigene Auszeiten vorbereiten und umsetzen können.

Weitere Information zur aktiven Gestaltung der Arbeitswelt finden Sie auf der Website von Britta Redmann.

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Britta Redmann
Britta Redmann

Britta Redmann ist als Anwältin, Mediatorin und Coach selbständig tätig und verantwortet bei einem Softwarehersteller den Bereich HR & Corporate Development. Sie ist Autorin verschiedener Fachbücher. Als Personalleiterin hat sie in verschiedenen Branchen Organisationsentwicklungen begleitet, geleitet und arbeitsrechtlich umgesetzt. Ihre besondere Expertise liegt auf der Entwicklung von Organisationen bis hin zu agilen und vernetzten Formen der Zusammenarbeit. Moderne Konzepte, wie z.B. zu Agilität, Arbeit 4.0 und Digitalisierung werden von ihr arbeitsrechtlich transformiert und organisatorisch implementiert.