Negativer Self-Talk: Risiken und Nebenwirkungen

Gastbeitrag von | 05.09.2024

Wir alle führen Selbstgespräche. Häufig tun wir dies in einer Form, die wir uns von keinem anderen gefallen lassen und mit niemand anderem führen würden. Negativer Self-Tak ist aber nicht nur nur nervig, sondern in den meisten Fällen auch hinderlich.

Woher kommt die innere Stimme, die uns manchmal runtermacht, Höchstleistungen von uns fordert oder es immer allen recht machen will? Und warum ist negativer Self-Talk kein guter Ratgeber und wie können wir die Muster dahinter durchbrechen? Darum geht es in diesem Artikel.

Was ist negativer Self-Talk?

Negativer Self-Talk ist nichts anderes als ein ständiger Strom von Gedanken, Kommentaren, Anweisungen und Fantasien. Dazu gehören auch Dramen aus der Vergangenheit oder Worst-Case-Szenarien, die wir uns für unsere Zukunft ausmalen.

Manchmal ist Self-Talk unüberhörbar, manchmal sehr subtil. Je nach Situation kann er ängstlich, schrill, wütend, verzagt, verzweifelt oder cholerisch klingen. In den meisten Fällen bremst er uns aus und schwächt unser Selbstwertgefühl.

Dabei muss Self-Talk nicht immer negativ sein. Mit den passenden Worten könnte er sogar motivieren. Doch anstatt “Das wird schon!” denken wir oft Sätze wie:

  • “War ja klar, dass das nichts wird!”,
  • “Wie doof kann man nur sein?” oder
  • “Das schaffe ich nie!”

Aus evolutionärer Sicht ist negativer Self-Talk eine angeborene und lebenswichtige Funktion. In Stresssituationen läuft sie jedoch allzu oft aus dem Ruder. Was gedanklich in uns vorgeht, ist hochkomplex und wird seit vielen Jahren in der Psychologie, Neurologie und anderen Wissenschaften erforscht.

Inhaltlich geht es beim Self-Talk in erster Linie um uns selbst. Auch wenn wir an etwas anderes denken, wie zum Beispiel an andere Menschen oder an eine Situation im aktuellen Weltgeschehen. Es hat meist damit zu tun, wie sich dies auf uns und unser Leben auswirken könnte.

Das meiste davon geschieht unbewusst. Wir planen keinen dieser Gedanken oder denken absichtlich. Gedanken kommen in der Regel völlig unerwartet und unkontrolliert. Sie können das ausprobieren, indem Sie eine Minute lang Ihre Gedanken beobachten. Schauen Sie, welche Gedanken Sie absichtlich denken oder welche Ihnen einfach so in den Sinn kommen. Was wird der nächste Gedanke sein und was der übernächste?

Die Tatsache, dass uns Self-Talk “einfach so” in den Sinn kommt, macht die Sache nicht einfacher. Was passiert da?

Warum Gedanken fabriziert werden

Die wichtigste Aufgabe unseres Gehirns besteht darin, unseren Körper am Leben zu erhalten. Das beginnt damit, dass es all unsere Körperfunktionen steuert, womit es schon allerhand zu tun hat.

Gleichzeitig verarbeitet unser Gehirn das, was es in der Außenwelt wahrnimmt, u.a. um mögliche Gefahren schnell zu erkennen und abzuwenden.
Um eine Gefahr als Gefahr erkennen zu können, braucht unser Gehirn Vergleichswerte, mit denen es die Informationen abgleichen kann. Diese Vergleichswerte gewinnt es aus den erblichen Anlagen wie z.B. unseren Instinkten, aber auch – und da kommt unsere Vergangenheit ins Spiel – aus all unseren bisherigen Erfahrungen.

Vereinfacht gesagt, scannt unser Gehirn unsere Umwelt, vergleicht die erfassten Daten mit den gespeicherten Erfahrungen aus der Vergangenheit und trifft dann eine “Vorhersage”, was mit hoher Wahrscheinlichkeit als nächstes passieren wird. Das alles geschieht blitzschnell und ohne unser bewusstes Zutun.

Als ich das erste Mal davon hörte, erinnerte mich der Ablauf an ein früheres Projekt, an dem ich als Informatikerin beteiligt war.

Grundlagen für unser Kopfkino

Das Team, in dem ich arbeitete, hatte die Aufgabe, ein automatisches Nachschubverfahren für Groß- und Einzelhändler zu entwickeln. Das Herzstück einer automatischen Beschaffung ist eine zuverlässige Prognose, deren Qualität von vielen Faktoren abhängt.

Ähnlich verhält es sich beim Ablauf unserer internen Programme: Wir brauchen eine entsprechende Hardware für die Rechenleistung und Datenhaltung (Gehirn), einen guten Algorithmus für die Verarbeitung (Verstand), eine ordentliche Datenbasis für die Prognose (Erfahrungen) und genügend Zeit, um all die Informationen sorgfältig auszuwerten.

Zwei kritische Aspekte bei der Nachschubberechnung sowie beim Self-Talk sind:

  • die Zeit, die wir uns für die Verarbeitung lassen und
  • die Datenbasis, die wir für die Verarbeitung heranziehen.

Schauen wir uns als erstes den Zeitfaktor an.

Auf Reiz folgt Reaktion

Reize von außen werden innerlich verarbeitet und je nach Situation und Interpretation wird eine Reaktion veranlasst. Das kann sehr schnell gehen.
Sobald wir quietschende Reifen hören, springen wir schneller von der Straße als wir denken können. Niemand wird hier die Notwendigkeit der schnellen Reaktion in Frage stellen.

Wenn wir jedoch im Affekt jemandem wegen einer Beleidigung eine Ohrfeige geben, könnten wir die Schnelligkeit hinterher bereuen – ob der vielen anderen Optionen, die wir nicht berücksichtigt haben.

Wenn wir uns nur wenig Zeit für die Interpretation des Reizes lassen, führt der erste Eindruck zu einer Bewertung. Aus dieser schnellen Bewertung ziehen wir unter Umständen vorschnell Schlüsse und lassen uns zu einer impulsiven Reaktion hinreißen.

Die Schnelligkeit erreichen wir durch Automatismen, die sich innerlich abspielen. Jedes Mal, wenn wir auf einen äußeren Reiz reagieren, speichern wir dies als Reiz-Reaktion ab und je öfter wir dies bei ähnlichen Reizen tun, desto tiefer ist der Reiz-Reaktionsprozess verankert.

Am Beispiel einer akuten Gefahr für unser Leben passiert folgendes: Das Geräusch von quietschenden Autoreifen (Reiz) löst Angst aus (Gefahr) und lässt uns zur Seite springen (Reaktion). Unser logischer Verstand (präfrontaler Cortex) spielt in diesem Prozess kaum mit, denn bei starken Emotionen übernimmt ein anderes Gehirnareal (limbisches System) die Kontrolle.

An diesem Automatismus wollen wir auch nicht rütteln, denn er hilft uns beim Überleben und es bleibt keine Zeit, darüber nachzudenken, ob die Geräusche wirklich eine Gefahr sind.

Ähnlich verhält es sich im folgenden Beispiel: Der wütende Blick unserer Chefin (Reiz) wird blitzschnell mit einer früheren Kündigung (Erfahrung) in Zusammenhang gebracht. Angst (Emotion) macht sich breit und wir wittern Gefahr (Schlussfolgerung). Wir sind wie gelähmt, fallen in eine Schockstarre oder werden hyperaktiv (Handlung). Auch hier lähmt die Angst unseren logischen Verstand, den wir gerade jetzt dringend bräuchten.

Wenn wir dem nun folgenden Self-Talk freien Lauf lassen, beginnt in unserem Kopf der Auftakt einer Serie, die uns nächtelang beschäftigen kann.
Mehr noch: Der Inhalt, den wir in Dauerschleife wiederholen, wird abgespeichert wie ein Erlebnis und somit bei zukünftigen Prognosen mit herangezogen. Unser Gehirn unterscheidet beim Abspeichern nicht, ob wir uns eine Story nur vorstellen oder sie wirklich erleben.

Unbewusstes Storytelling

Je öfter wir diese inneren Filme abspulen, desto schneller haben wir sie beim nächsten Ereignis als “Erinnerung” parat. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns immer wieder gleich verhalten, ist somit erheblich.

Das ist jedoch nicht der einzige Schaden, den negativer Self-Talk anrichten kann. Darüber hinaus verändert sich auch unsere Wahrnehmung. Wir achten automatisch auf alles, was darauf hindeuten könnte, dass unsere Annahme (“Die nächste Kündigung steht vor der Tür.”) wahr wird. Wir sammeln Anzeichen und labeln sie fälschlicherweise als Beweise.

Erst wenn wir bewusst innehalten, können wir diese Gedanken beobachten und in Frage stellen.

Je sensibler wir für unseren Self-Talk werden, desto deutlicher wird uns auffallen, wie negativ die Filme sind und wie oft wir sie innerlich durch die vielen Wiederholungen zementieren. Dabei ist vieles von dem, was sich in unserem Kopf abspielt, nicht nur übertrieben, sondern auch höchst unwahrscheinlich.

Beim Beispiel “Blick von der Chefin” fallen mir – mit emotionalem Abstand – viele andere Optionen ein, die man für eine Interpretation heranziehen könnte. Vielleicht hatte sie Stress zu Hause, möglicherweise ist sie wegen eines anderen Vorfalls genervt oder eventutell hat sie auch einfach nur schlecht geschlafen.

Warum sammeln wir nicht weitere Optionen, statt dem erstbesten Drama die gesamte Spielzeit zu überlassen?

Besonders kritisch wird es, wenn solche Automatismen in sensible Bereiche unseres Lebens eindringen und ein Eigenleben entwickeln. Werfen wir einen Blick auf die Datenbasis, die einen starken Einfluss auf das Eigenleben von Automatismen hat.

Prognose auf Basis alter Daten

Die Datenbasis, auf die unser Gehirn bei der Bewertung eines Reizes zurückgreift, umfasst alles, was wir je erlebt, gehört, gelesen, oder gesehen haben. Je emotionaler die Erfahrung war und je häufiger sie stattgefunden hat, desto schneller greift unser Gehirn darauf zu. Sogar dann, wenn wir uns gar nicht mehr bewusst daran erinnern können.

Viele prägende Erfahrungen haben ihren Ursprung in unserer Kindheit, in der das “Überleben” an erster Stelle stand. Wir waren von anderen abhängig und haben Strategien entwickelt, um umsorgt und beschützt zu werden.

Um das zu erreichen haben wir Verhaltensweisen gestärkt, die uns die notwendige Zuwendung sicherte und jene Verhaltensweisen unterdrückt, mit denen wir sie zu verlieren glaubten.

Da das Gehirn eines Kleinkindes noch nicht in der Lage ist, logisch zu denken, waren die Strategien entsprechend simpel. In der Psychologie spricht man auch vom “magischen Denken”. In meiner Systemanalogie wäre dieses Denken auf eine unzureichende Hard- und Softwareausstattung zurückzuführen.

Magisches Denken als Grundlage für Entscheidungen

Es ist leider so, dass unser Gehirn auch die frühen kindlichen Strategien – die der erwachsenen Logik heute nicht mehr standhalten würden – zur Bewertung aktueller Ereignisse heranzieht. Automatismen lassen sich nicht so einfach abschalten und hier sind ein paar Beispiele, die das verdeutlichen.

  • Wenn wir in der Kindheit für jeden kleinen Fehler kritisiert wurden, kann es sein, dass wir im Erwachsenenalter unbewusst versuchen, alles perfekt zu machen. Die innere Überzeugung, die wir als Kind entwickelt haben, wirkt noch heute: Dass wir nur dann in Ordnung sind, wenn wir keine Fehler machen.
  • Andere Strategien könnten sein, dass wir auch heute noch alles tun, um nicht aufzufallen oder dass wir uns übermäßig anstrengen, besonders stark sein wollen oder versuchen, es allen recht zu machen.

Wenn diese Strategien früher die Lösung waren, um uns in der Welt zurechtzufinden, sicher zu fühlen und dazuzugehören, sind sie heute – vor allem in Stresssituationen – Teil unseres Problems.

Das heißt nicht, dass diese inneren Antreiber nicht auch ihre gute Seite haben – immerhin haben sie uns dahin gebracht, wo wir heute sind. Ein Gehirnchirurg darf seinen perfektionistischen Anteil auf der Arbeit gerne behalten. Für ihn kann es jedoch hilfreich sein, diesem Antreiber nicht in allen Lebenssituationen die Zügel zu überlassen, denn das könnte schnell in Stress ausarten.

Da diese Automatismen selten hinterfragt werden, bleiben wir so lange in dieser Endlosschleife stecken, bis wir uns bewusst damit auseinandersetzen. Eine kraftvolle Methode, um diese endlosen Muster zu durchbrechen und nachhaltige Veränderungen zu bewirken, ist das Journaling.

Ausstiegsstrategie Journaling

Gedanken kreisen blitzschnell und springen von einer Sache zur nächsten. Daher können wir unseren Self-Talk besonders gut mit einer schriftlichen Methode, dem Journaling, einfangen.

Beim Journaling geben wir unserem Kopfkino einen Raum, in dem alles sein darf und in dem wir gleichzeitig alles hinterfragen dürfen.

Dabei verlangsamen wir beim Schreiben unsere Gedanken und können einzelne aus dem Gedankenstrom herausgreifen, sie vertiefen und besser verstehen. Journaling ist eine Möglichkeit, sich selbst achtsam zuzuhören – freundlich, offen und ohne Bewertung. Selbst dann, wenn man gerade in einer Emotion steckt und sie auf Papier festhält. Dabei kann man beobachten, wie sich mit dem Schreiben auch oft die Emotion verändert.

Diese Form der schriftlichen Reflexion gelingt am besten, wenn wir guten Fragen nachgehen oder einem Satzanfang folgen. Wir locken die unbewussten Anteile und Denkweisen beim Journaling aus der Deckung und machen uns so mit ihnen vertraut.

Journaling eignet sich ideal zur täglichen Routine, ist aber auch in Momenten hilfreich, in denen es uns mal nicht so gut geht oder wir an einer Sache kauen, die uns nicht loslässt, aber auch nicht dient.

Die Journaling-Methode, die ich an dieser Stelle empfehle, beginnt immer mit einem vorformulierten Satzanfang. Damit geben wir unseren Gedanken eine Richtung. Es geht darum, mehr über uns selbst zu erfahren. Was wir gerade empfinden, was wir wollen, was uns glücklich macht und was wir gerne verändern würden.

Je besser wir über uns Bescheid wissen, desto leichter können wir im Laufe des Tages und in der Zukunft darauf reagieren. Je öfter wir unserem Kopfkino auf die Spur kommen, desto wahrscheinlicher ist, dass wir es auch langfristig in positive Bahnen lenken.

Fazit

Negativer Self-Talk ist nicht nur nervig, sondern kann in entscheidenden Momenten unser Selbstwertgefühl erheblich schwächen. Viele dieser inneren Monologe basieren auf alten Mustern, überholten Annahmen und kindlichen Strategien, die oft übertrieben und höchst unwahrscheinlich sind.

In kritischen Situationen erhöht negativer Self-Talk unseren Stresspegel und blockiert unser logisches Denken, während unsere Wahrnehmung zunehmend darauf ausgerichtet ist, diese negativen Gedanken zu bestätigen. Mit Werkzeugen wie dem Journaling können Sie den negativen Self-Talk besser erkennen, die dahinterliegenden Antreiber verstehen und sie effektiv regulieren.

Sie haben immer die Wahl, wie wertschätzend und wohlwollend Sie mit sich selbst umgehen! Fangen Sie am besten gleich damit an.

 

Hinweise:

Wenn Sie sich für die Journaling-Methode interessieren, dann lohnt sich ein Blick auf “WORT WERK  – Das Journaling-Buch für mehr Klarheit, Gelassenheit & Lebensfreude.” In dem Buch von Gabriele Andler finden Sie ausführliche Beschreibungen mit 60 Satzanfängen, 30 Achtsamkeitsübungen und 120 Zitaten.

Wort-Werk - Das Journaling-Buch von Gabriele Andler

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Gabriele Andler hat einen weiteren Artikel im t2informatik Blog veröffentlicht:

t2informatik Blog: Achtsamkeit – die neue Superpower?

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Gabriele Andler
Gabriele Andler

Gabriele Andler arbeitet international als Coach, Trainerin und Autorin. Sie hat weltweit zahlreiche achtsamkeitsbasierte Programme in Unternehmen durchgeführt und leitet ein eigenes Institut für Yoga und Achtsamkeit.

In ihren 24 Jahren bei SAP war sie als Beratungsleiterin tätig und kennt die Herausforderungen, denen Unternehmen und deren Mitarbeiter heute gegenüberstehen. Ihre langjährigen Erfahrungen mit der Achtsamkeitspraxis haben sie sowohl beim Selbstmanagement als auch bei der Führung globaler Teams unterstützt.

In ihren Büchern geht es immer um drei zentrale Fragen: Wie können wir auch in schwierigen Zeiten gelassen, selbstbewusst und in Verbindung mit uns selbst und anderen bleiben? Was hilft uns, trotz Unsicherheiten neugierig und offen auf Veränderungen zu reagieren? Und wie können wir trotz aller Herausforderungen unsere Motivation und Lebensfreude bewahren?