Loyalität in Unternehmen – Teil 1
Das ist (nicht) loyal! Mit Haltung ins Handeln kommen!
Äußere Einflüsse stellen Menschen auf die Probe. Fühlen sich Menschen bedrängt, neigen sie dazu, ihre Eigenschaften noch stärker auszuleben als üblich. Die Folge: Charaktermerkmale potenzieren sich. Wer normalerweise eher ängstlich veranlagt ist, gerät in Panik. Wer der Außenwelt mit einer ausgeprägten Gelassenheit begegnet, reagiert jetzt unter Umständen mit Gleichgültigkeit. Und wer üblicherweise hektisch ist, verstrickt sich in wildem Aktionismus. So lässt sich in vielen Unternehmen eine blinde Betriebsamkeit beobachten, die bei näherem Hinsehen zu nichts führt und lediglich mit Produktivität verwechselt wird. Wieder andere geraten in Schockstarre und bleiben für geraume Zeit reglos. Doch um sinnvolle Veränderungen anzutreiben, braucht es Bewusstheit. Wir brauchen keine höhere Drehzahl, sondern mehr Reflexion.
Im Wirtschaftsleben wissen wir schon längst, dass grundlegende Veränderungen für Unternehmen dringend und unausweichlich sind. Möglicherweise haben Sie auch schon Initiativen ergriffen, um diese anzustoßen, doch irgendwie werden Sie das Gefühl nicht los, dass es sich hierbei um bloße Kosmetik handelt, statt radikal dort anzusetzen, wo es wirksam ist. Ich sehe die Problematik darin, dass viele Menschen immun gegenüber Veränderung (geworden) sind und möchte darauf eingehen, wie wir es uns leichter machen können, auf die Komplexität unserer Welt zu reagieren – und zu einem gewissen Teil pro-aktiv zu gestalten.
Wir erschaffen unsere Zukunft selbst, indem wir heute eine bestimmte Denkweise einnehmen, darauf basierend handeln und so die Zukunft formen.
Herausforderungen der heutigen Führung
In meiner Arbeit mit zahlreichen Führungskräften und Teams stelle ich eine Dynamik fest, die versucht, uns auf dem aktuellen Entwicklungsstand festzuhalten und uns vor Veränderungen zu „schützen“. Die Entdeckung der „Immunität gegenüber Veränderungen“ führt zu der Fragestellung nach den Motivationen und Überzeugungen, die Führungskräfte und Entscheider daran hindern, genau diejenigen Veränderungen vorzunehmen, die jetzt nötig und erforderlich sind. Für die Wegebnung sollte einerseits klar sein, dass die aktuellen Herausforderungen nicht durch klassisches Lernen zu bewältigen sind. Sie erfordern eine tiefgreifende Entwicklung auf Haltungs- und Verhaltensebene. Zweitens: Um wirksam mit der Komplexität im Außen umzugehen, ist es wichtig, die eigene Komplexität, sprich Flexibilität im Denken und Handeln, zu erhöhen.
Lassen Sie uns einen Blick auf drei typische Herausforderungen im heutigen Führungsleben werfen, um hier mögliche Loyalitätsverhinderer auszumachen, aber auch die Potenziale zu erkennen, die neue Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten in der Führung eröffnen.
Herausforderung 1: Verantwortungsabgabe und informeller Informationsfluss
Wer kennt das nicht? Flurfunk, politisches Taktieren und Absicherung nach allen Seiten, wenn etwas schiefgeht oder das Risiko zu groß ist. Leider oft als Reflex gelebt, ist diese Tendenz schwierig, weil sie externe Faktoren oder andere Menschen für das Ergebnis verantwortlich macht.
Erst wenn die Führungskraft sich selbst als Teil dieser Dynamik begreift, durchbricht sie das typische Selbstschutz- und Abwehrmuster und kann sie aktiv zu einer Lösung beitragen.
Herausforderung 2: Toxische, gekünstelte Kommunikation
„Man“ hat sich angewöhnt, nicht zu sagen, was man wirklich denkt. Das Ergebnis ist toxische Kommunikation. Obwohl möglicherweise gedacht wird: „So eine blöde Idee wird nie funktionieren“ wird eher: „Hm, interessant“ gesagt. Diese „kosmetische Wahrheit“ häufig da angewandt, wo jemand hin- und hergerissen ist: Sollten Sie als Führungskraft respektvoll ehrlich oder doch lieber rein sachlich-faktenorientiert sein, weil das für Sie von Professionalität zeugt? Führungskräfte sollten sich in solch einem Fall nicht wundern, wenn ihre Botschaft trotz aller Dringlichkeit emotional nicht ankommt und auf wenig emotionale Verpflichtung trifft.
Ihre Gedanken offenbaren ihr Dilemma: Wenn sie genau sagt, was sie denkt, riskiert die Führungskraft einen Konflikt, schadet vielleicht der Beziehung oder fühlt sich schlecht. Andererseits, wenn sie nicht sagt, was Sie denkt, wird das tatsächliche Problem nicht formuliert. Sie untergräbt die Beziehung und „vergiftet“ sich selbst, weil sie es für sich behält und diese Gedanken weiterhin in ihr arbeiten.
Mit einem loyalen Führungsbewusstsein lernt eine Führungskraft, ihre Abwehrmechanismen emotional intelligent zu steuern und ihre Gedanken effektiv zu „entgiften“, indem sie Klarheit darüber gewinnt, dass ein interner, toxischer Dialog reflexhaft passiert. Außerdem erkennt sie, dass ein zusätzlicher innerer Konflikt entsteht, wenn sie eine „kosmetische Wahrheit“ formuliert, die weder authentisch noch effektiv ist. Auch ein innerer Konflikt wird nach außen sichtbar und erzeugt eine Wirkung. Mit einer angepassten Einstellung kann die Führungskraft diese entsprechend vorwegnehmen und steuern – und bleibt dabei authentisch, effektiv und respektvoll.
Herausforderung 3: Zuordnung der Komplexität
Adaptiv oder technisch, das ist Frage, die Sie sich im Angesicht von Herausforderungen stellen dürfen. Adaptive Herausforderungen sind nicht einfach zu lösen, weil es keinen klaren Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung gibt; die Auswirkung wird erst im Nachhinein erkennbar (Beispiel: Corona). Und selbst das nicht immer. Bei vielen heutigen Herausforderungen ist nicht mehr planbar, was das Ergebnis sein wird. Verantwortungsträger müssen sich notgedrungen auf Unsicherheiten und eine gewisse Unvorhersagbarkeit einlassen, um handlungsfähig zu bleiben. Das erfordert tiefgreifende Reflexion und Entwicklung in den Bereichen Werte, Überzeugungen, Rollen, Beziehungen, Kommunikation und Zusammenarbeit. Das setzt die Bereitschaft voraus, aus der Komfortzone herauszutreten, Experimente und neue Entdeckungen zu machen.
Wir alle haben in den vergangenen Jahren im Umgang mit Veränderung, Globalisierung, Digitalisierung dazu gelernt – aber die wenigsten haben sich entwickelt. Bewältigung und Umgang sind wertvolle Fähigkeiten, aber sie reichen nicht aus, um die heutigen und zukünftigen Herausforderungen zu meistern. Vorausschauende Führungspersönlichkeiten entwickeln deshalb eine bewusste Haltung, vertrauen auf ihre innere Resonanz und reifen als Persönlichkeit. Dies ermöglicht ihnen ein hohes Maß an Flexibilität und Weitblick im Umgang mit Veränderung.
Für eine nachhaltige Entwicklung sind alle Mitglieder eines Teams gefordert, ihr Denken umzustellen und eine neue gemeinsame Mission zu leben:
- von der Vorgabe zur Selbstverantwortung,
- von der Kontrolle zur Selbstkontrolle,
- vom Sicherheitsdenken zum experimentellen Denken,
- von der Fehlervermeidung zum Ausprobieren,
- vom Recht zum Widerspruch zur Pflicht zum Widerspruch,
- vom Konsens zum Dissens,
- von der Fremdbestimmung zur Selbstbestimmung.
Was ist Loyalität?
Es gibt unzählige Definitionen von Loyalität. Begriffsbestimmungen aus der Psychologie, wissenschaftliche und wirtschaftliche Betrachtungs- und Auslegungsweisen. Um ein eigenes Verständnis von Loyalität zu entwickeln, schauen wir uns zunächst einmal an, wie sich Vertrauen als die Basis für den Aufbau von Loyalität definiert.
Prof. Dr. Andreas Suchaneck von der Handelsschule Leipzig und Wittenberg, Zentrum für globale Ethik, beschreibt Vertrauen im Gabler-Wirtschaftslexikon so: „Vertrauen ist die Erwartung, nicht durch das Handeln anderer benachteiligt zu werden; als solches stellt es die unverzichtbare Grundlage jeder Kooperation dar. Vertrauen wird als multidimensionales Konstrukt verstanden, welches Dimensionen wie Kompetenz, Integrität und Wohlwollen umfasst. Man kann zwischen Vertrauen in Personen und Vertrauen in Systeme unterscheiden. In Interaktionssituationen steht Vertrauen stets im Zusammenhang mit Verantwortung; Akteure, denen Vertrauen geschenkt wird, haben die Verantwortung, dieses in ihrem eigenen Interesse zu honorieren.“¹
Loyalität wird im Gabler-Wirtschaftslexikon nicht definiert. Bei Wikipedia ist zu lesen: „Loyalität bezeichnet (in Abgrenzung zu Treue, Unterwerfung oder Gehorsam) die auf gemeinsamen moralischen Maximen basierende oder von einem Vernunftinteresse geleitete innere Verbundenheit und deren Ausdruck im Verhalten gegenüber einer Person, Gruppe oder Gemeinschaft. Loyalität bedeutet, im Interesse eines gemeinsamen höheren Zieles, die Werte (und Ideologie) des anderen zu teilen und zu vertreten bzw. diese auch dann zu vertreten, wenn man sie nicht vollumfänglich teilt, solange dies der Bewahrung des gemeinsam vertretenen höheren Zieles dient. Loyalität zeigt sich sowohl im Verhalten gegenüber demjenigen, dem man loyal verbunden ist, als auch Dritten gegenüber.
Das Ausmaß der geforderten Loyalität hängt von den Erwartungen ab, die für die jeweilige Beziehung konstitutiv (maßgeblich) sind. Diese Beziehungen können informeller (zum Beispiel Freundschaften) oder formeller Natur sein (zum Beispiel Arbeitnehmer). Man kann in sie hineingeboren werden (zum Beispiel Verwandtschaft) oder sie gewählt haben (zum Beispiel Einwanderung). Die Loyalitätserwartungen erstrecken sich auf äußere Handlungen, aber auch auf innere Einstellungen. Strittig ist, ob Loyalitäten genuine (wahrhaftige, unverfälschte) Pflichten sind.“²
Barbara fühlt sich am Ende. Seit mittlerweile 16 Jahren ist sie bei ihrem mittelständischen Betrieb angestellt und hat es bis in die zweite Führungsebene geschafft. Doch nun das: Erst der Verkauf und die Eingliederung in die neue Firmengruppe. Ständig neue Ideen kommen nun vom Headquarter, welche Qualitätsstandards erfüllt und Prozessleitfäden erstellt werden sollen. Alles schön und gut, aber jetzt ist echt nicht die Zeit dafür. Die Wirtschaft brennt! Überall Probleme: im Einkauf, im Vertrieb, in der Jahresplanung und im Team. Nur noch eines mehr, und sie kann gleich ins Büro einziehen und ihre Ehe an den Nagel hängen. Zuhause ist nur noch Stress wegen der vielen Überstunden. Ihre zwei Teenager sieht sie fast nur noch am Wochenende. Doch sie hat so viel Angst! Was, wenn der Umsatz einbricht wie in so vielen anderen Unternehmen? Was, wenn die neue Chefetage entdeckt, dass sie doch eigentlich nur gelernte Industriekauffrau ist? Was, wenn übermorgen ihre Niederlassung schließen muss? Vor Sorge kann Barbara kaum noch schlafen.
Ungünstiges Verhalten: im Gedankenkarussell verweilen, Grübeleien mit sich selbst ausmachen, sich isolieren.
Aussichtsreicheres Verhalten: mit Vertrauten über Sorgen sprechen, regelmäßige Gespräche für Fragen und Antworten mit Vorgesetzten auf der einen und dem Team bzw. den Beschäftigten auf der anderen Seite führen, Teamgeist und Austausch forcieren: z.B. durch wöchentliches Team-Spiel (30-45 Minuten) die Kooperation stärken, immer wieder die gemeinsame Vision (den größten „gemeinsamen Nenner“) in Erinnerung rufen und Zusammenhalt fördern.
Loyalität ist also das freiwillige Commitment gegenüber einer Person oder einer Organisation über die positive Haltung und Bereitschaft zum Zusammenhalt, selbst wenn im aktuellen Augenblick keine Indizien auf Vertrauenswürdigkeit hinweisen. Die innere Verpflichtung ist dann beispielsweise auf eine gemeinsame, positiv empfundene Historie zurückzuführen und verbindet die innere Haltung mit der Gefühlslage dem Subjekt oder Objekt gegenüber, so dass ein verbindliches Verhalten daraus resultiert.
Loyalität als Verhalten oder Einstellung
Wird Loyalität als eine wahrnehmbare Verhaltensweise in der Beziehung zwischen dem Mitarbeiter und dem Unternehmen beschrieben und gedeutet, entscheidet sich der Mitarbeiter, bei dem Unternehmen zu bleiben und eine Bindung entsteht. Zu unterscheiden ist jedoch, dass das Loyalitätsverhalten eines Mitarbeiters sowohl aktiv als auch passiv ausgeprägt sein kann. Aktive Loyalität zeichnet sich durch aktives Handeln und Unterstützung aus, während die passive Form durch Zurückhaltung und Geduld charakterisiert ist.
Weitere Verhaltensweisen, die von Loyalität zeugen können, sind beispielsweise eine lange Betriebszugehörigkeit, Unterstützung von Kollegen und eine hohe Leistungsbereitschaft. Graham und Keeley³ unterscheiden bei Problemen am Arbeitsplatz drei Formen von Loyalität:
- Unconscious,
- Passive und
- Reformist Loyalty.
Mitarbeiter, die unconsciously loyal sind, sehen keine Notwendigkeit einer Reaktion, dagegen ergreifen passive loyale Mitarbeiter bewusst keine Gegenmaßnahmen, in der Hoffnung, dass sich etwas ändert. Reformist Loyalty ist hingegen durch aktives Verhalten gekennzeichnet, indem Veränderungen aktiv forciert werden, um der Situation eine positive Richtung zu geben.
Im Gegensatz zum verhaltensorientierten Ansatz wird einstellungsbasierte Loyalität als „a feeling of attachment to the organization“ definiert und oftmals mit dem Begriff des organisationalen Commitments gleichgesetzt. Letzteres bedeutet eine starke Akzeptanz der Ziele und Werte des Unternehmens sowie das Bedürfnis, Teil des Unternehmens zu sein. Dabei werden drei Komponenten unterschieden:
- Affektives,
- Normatives und
- Kalkulatives Commitment,
die jeweils durch einen psychologischen Zustand gekennzeichnet sind. Affektives Commitment beschreibt den Wunsch des Mitarbeiters, die Beziehung zum Unternehmen aufrecht zu erhalten. Normatives Commitment basiert auf einer moralischen Verpflichtung, dass der Mitarbeiter bei dem Unternehmen bleiben sollte. Kalkulatives Commitment legt den Fokus auf den Aufwand, den ein Mitarbeiter mit dem Verlassen des Unternehmens verbindet und welcher ihn am Fortgehen hindert.
Entscheidende Merkmale, die Loyalität charakterisieren, sind:
- Eingebundenheit (Grad der Integration eines Mitarbeiters im Team, in seinen Aufgaben, im Unternehmen),
- Identifikation mit dem Unternehmen (stärker als die positive Haltung zum Unternehmen allein) und
- Engagement.
Hinweise:
Das war Teil 1 der dreiteiligen Serie zu „Loyalität in Unternehmen“. In Teil 2 geht um die Erschaffung einer loyale Unternehmenskultur und Teil 3 dreht sich um Veränderungsbereitschaft.
[1] Gabler Wirtschaftslexikon: Vertrauen
[2] Wikipedia: Loyalität
[3] Graham, J. W., & Keeley, M. (1992): Hirschman’s loyalty construct
Hier finden Sie die beiden anderen Teile der Serie und einen weiteren Beitrag von Miriam Engel:
Sehr gerne empfehlen wir Ihnen das Buch Royal führen – loyal handeln von Miriam Engel. Die Tipps und Tools zur Umsetzung loyaler Führung, Bindung von Mitarbeitern und Optimierung der Mitarbeiterkommunikation machen das Buch sehr lesenswert.
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Miriam Engel
Miriam Engel ist Kommunikationswirtin, Führungstrainerin und zertifizierte Personalentwicklerin. Fokus ihrer Arbeit ist Team- und Kulturentwicklung sowie Mitarbeiterkommunikation. Mit der Managementberatung loyalworks® berät und betreut sie Betriebe, die ihre Mitarbeiter nachhaltig binden und passende Kandidaten fürs Unternehmenswachstum gewinnen wollen. Die Expertin für loyale Führung und Zusammenarbeit bietet Leadership-Programme auch mit IHK-Zertifizierung an.
@Photo: Oliver Hehr