Die Kunst der Leistungsbeurteilung
Wie gelingt es, die Leistung von Mitarbeitern richtig zu beurteilen?
Für viele Führungskräfte steht im Herbst eine schwere Jahreszeit an. Die regelmäßige Leistungsbeurteilung der Mitarbeiter ist bei vielen Unternehmen per Tarifvertrag eine Pflicht. Und angelehnt an bekannte Kommunikationsweisheiten, würde ich sogar so weit gehen zu sagen: Man kann nicht nicht beurteilen. Es gibt also einen triftigen Grund, sich über dieses Thema Gedanken zu machen. In diesem Artikel beschreibe ich drei Meilensteine, die Sie erreichen sollten, damit eine Leistungsbeurteilung tatsächlich funktioniert.
Zunächst möchte ich mit einer Einordnung starten. Denn Leistung zu beurteilen kann auf verschiedenen Wegen geschehen. Angefangen vom klassischen Feedback im Mitarbeitergespräch über Zielvereinbarungen bis hin zur tariflich geregelten Leistungsbeurteilung ist alles möglich. Hinzu kommt, dass man in den einzelnen Bewertungssystemen unterschiedliche Ansätze, Merkmale und Skalen findet. In diesem Beitrag möchte ich mich jedoch auf Systeme konzentrieren, die Leistung anhand einer Skala bewerten und mit einem entsprechenden Geldwert korrespondieren. Genau solche Ansätze können zum Pulverfass der schlechten Laune werden, weil man den Mitarbeitenden in dieser Bewertungsform direkt ins Portemonnaie greift.
Klare Anforderungen als Grundlage der Leistungsbeurteilung
Starten wir also mit den Basics der Leistungsbewertung und halten zunächst die Grundvoraussetzung für ein Gelingen fest: Auf die Anforderungen kommt es an. Denn eine Leistungsbewertung basiert nicht auf Ihrem individuellen Maßstab. Eventuell liegen Ihnen Ihre Personaler bereits in den Ohren und fordern Sie auf, für alle Stellen in Ihrem Bereich auch Stellenbeschreibungen anzufertigen. Aus diesen geht nämlich hervor, was von den Menschen abverlangt wird.
Im ersten Schritt sollten Sie also genau festlegen, auf was es bei diesen Positionen genau ankommt:
- Welche Aufgaben sind auf einer Stelle zu erfüllen?
- Welche Kompetenzen muss man dort zeigen?
- Welche Verhaltensweisen sind erfolgreich?
Das ist ein zeitintensiver und herausfordernder Prozess. Holen Sie sich Hilfe bei Ihren Personalern, die auf diesem Gebiet sicher Experten sind.
Wenn Sie die Anforderungen klar gezogen haben, müssen Sie sie mit Ihren Mitarbeitern kommunizieren und die Erwartungen deutlich formulieren. Ein oft gemachter Fehler ist, genau diesen Schritt zu unterlassen. Und zum Tag der Bewertung wundern sich Mitarbeiter und Führungskraft gleichermaßen über die Punkte. Da ist Streit vorprogrammiert.
Eine Tücke im System ist der Mythos, dass nur eine volle Punktzahl eine gute Punktzahl ist. Dabei ist gerade in Leistungsbeurteilungen die Mitte die Position, die exakt den Erwartungen entspricht. Der Mitarbeiter arbeitet also so, wie man es von ihm erwarten kann. Kein Grund zur Klage. Doch viele Mitarbeiter sehen ihre Selbstwert verletzt, wenn sie in der Masse unterzugehen drohen. Sie brauchen also gute, glaubhafte und konkrete Beispiele und Argumente, warum die Leistung eben nicht mehr ist als der Standard. Machen Sie diese an den Anforderungen fest, vermeiden Sie, dass Sie unsicher werden und nach Argumenten suchen müssen. Am Ende treffen Sie die Entscheidungen, mit all ihren Konsequenzen. Und bei stets zu guten Leis-tungsbeurteilungen können Risiken aufkommen, die für alle Beteiligten grenzwertig sind. Gar nicht selten sind gute Bewertungen die Grundlage für Beförderungen. Und das kann teuer werden, wenn sie eine falsche Entscheidung treffen und Menschen über Ihre Fähigkeiten befördern.
Ganzjährige Vorbereitung und Beurteilungsfehler
Vorprogrammiert ist auch der Stress, wenn Sie die Leistungsbeurteilung nur halbherzig vorbereiten. Wir und unser Gehirn können uns sowohl in der Wahrnehmung als auch in der Erinnerung und der Bewertung an sich, täuschen. Und eine solche Täuschung kann schwerwiegende Folgen haben. Sie als Führungskraft leben vom Vertrauensverhältnis zu ihren Mitarbeitern. Eine Beurteilung, die auf Verzerrungen beruht, kann zu Misstrauen und Konflikten führen, da niemand nachvollziehen kann, wie Sie beurteilen. [1]
Unter den Bewertungsfehlern gibt es beispielsweise die Tendenz zur Mitte. [2] Immer da, wo man sich als bewertende Führungskraft unsicher ist, entscheidet man sich für den Standard oder eben die Mitte. Verbunden mit der Hoffnung, so keinen Ärger zu produzieren.
Ebenfalls sehr bekannt ist der Halo-Effekt in der eine bestimmte Eigenschaft andere Merkmale „überstrahlt“ und Rückschlüsse auf die gesamte Leistung getroffen werden.
Eine ebenso beliebte Falle ist der Effekt des letzten Eindrucks. Positive oder negative Erinnerungen aus der Zeit kurz vor der Bewertung werden zu stark gewichtet und verwässern so das Gesamtergebnis. Aber Achtung: Auch Ihre Mitarbeiter können diese Verzerrungen bewusst nutzen. Kennen Sie den Nikolaus-Effekt? Das ist der Effekt, der eintritt, wenn Ihren Mitarbeitern bewusst wird, dass in den nächsten Wochen eine Beurteilung ansteht und sie gezielt mehr PS auf die Straße bringen.
Besonders amüsant finde ich den Lorbeeren-Effekt. [3] Hier ist der Name Programm und die Mitarbeiter ruhen sich auf den ehemals erhaltenen Lorbeeren aus. Auch wenn die aktuellen Leistungen nicht den Anforderungen entsprechen, wird eine Beurteilung gerne einfach mal so fortgeschrieben. Ihre Mitarbeiter haben den Wunsch nach einer ehrlichen Beurteilung. Beruht diese auf Verzerrungen und Fehlern ist das die fehlende Wertschätzung, die an der Beziehung nagt und Ihren Vertrauenskredit arg in Mitleidenschaft zieht.
Bereiten Sie sich also gewissenhaft auf die Beurteilung vor, in dem Sie
- sich das ganze Jahr Notizen machen,
- Kommentare zu Verhaltensweisen festhalten und
- Ergebnisse bereits „vorbewerten“.
Allein die Tatsache, dass Sie diesen Artikel lesen, kann Sie ein Stück weit vor den Verzerrungen schützen. Bewusstsein ist der erste Weg zur Unterlassung.
Sollten Sie unsicher sein, ob Ihre Bewertung zu stark verzerrt ist, können Sie die Leistungsbeurteilung eventuell mit einer weiteren Führungskraft durchführen und sich besprechen. Ebenfalls hilfreich sind standardisierte Bewertungsbögen bei denen Maßstäbe hinterlegt sind. Nutzen Sie die Vorlagen und wie bereits oben beschrieben, kleiden Sie diese Anhand der Anforderungen auf der Stelle aus. Auch das können Sie bereits mit anderen Führungskräften tun, damit Sie team- bzw. bereichsübergreifend einheitlich unterwegs sind. Relativ oft erlebe ich insbesondere in technischen Bereichen, dass Beurteilungen zwischen den Ebenen und Teams diskutiert werden und die Führungskräfte Argumente entkräften müssen, die in fremden Verantwortungsbereichen liegen.
Abbildung: Praktische Tipps für faire Leistungsbeurteilungen
Die konsequente Durchführung der Leistungsbeurteiltung
Ein letztes Merkmal für eine gute Leistungsbeurteilung ist die konsequente Nutzung des Instruments.
Grundsätzlich ist es richtig, dass Mitarbeiter für besondere Leistungen auch einen Bonus erhalten sollen. Gleichzeitig hat die Beurteilung aber auch eine Hinweis- und Motivationsfunktion, wenn die Leistung nicht zu 100 % den Anforderungen entspricht.
Doch aus Angst vor Ärger oder einem gelben Schein tendiert man zur Mitte oder findet alles gar nicht mehr so schlimm. Damit schränken Führungskräfte nicht nur ihre Möglichkeiten ein, sondern demotivieren auch diejenigen, die gute Leistungen erbringen. Erschwerend kommt hinzu, dass in vielen tarifvertraglichen Lösungen ein Korrekturfaktor enthalten ist. Dieser Faktor setzt die Leistung beispielsweise zum Gewinn des Unternehmens ins Verhältnis. Ergo: Deine Leistung ist nur so viel wert, wie am Ende als Erfolg herausspringt. Das ist ebenso logisch wie frustrierend. Ein Zwiespalt, der viele Führungskräfte an den Rand der Verzweiflung treibt – was nicht ganz unverständlich ist.
Um dieses Vorgehen verständlich zu erklären, sind ungemein hohe Kommunikationsfähigkeiten erforderlich. Außerdem ist eine hohe Resilienz erforderlich, denn die Mitarbeiter, die für ihre Anstrengungen eine Belohnung erwarten, haben einen berechtigten Punkt: Warum soll ich mich nächstes Jahr weiter anstrengen, wenn meine Leistung nicht honoriert wird?
Die Leistungsbeurteilung ist ein Instrument, das mehr bezwecken soll, als Geld zu verteilen. Es geht um wertschätzendes Feedback zwischen den Beteiligten. Man bespricht auch mögliche Entwicklungsschritte für die nächsten Jahre. Eine Korrektur der Bewertung und ein damit verbundener geringerer Bonus sind natürlich enttäuschend und frustrierend.
Allerdings entbindet das keine Führungskraft davon, eine weniger gute Leistung auch als solche zu benennen und zu bewerten. Auch dafür bietet eine Leistungsbeurteilung Möglichkeiten. Dabei muss man sich hin und wieder das Prinzip der Normalverteilung ins Gedächtnis rufen. Es können nicht alle Mitarbeiter beste Bewertungen erhalten, da nicht alle beste Leistungen im Sinne der Leistungsbeurteilungen liefern.
In meinen Trainings höre ich immer wieder das Argument, das Team gebe 150 Prozent. Sollte das stets der Fall sein, sind die Anforderungen deutlich zu niedrig. Dabei leugne ich nicht, dass Ihre Mitarbeiter alles geben. Mein Punkt ist jedoch, dass schlechtere Leistungen ebenso ehrlich bewertet werden müssen. Wenn Sie diesen Schritt gehen, dann legen Sie den Grundstein für eine Verbesserung. Zeigen Sie Ihren Mitarbeitern nicht nur, dass Sie mit bestimmten Ergebnissen nicht zufrieden waren, sondern auch, wie sie es im kommenden Jahr besser machen können.
Dieses Vorgehen erfordert Kommunikationskompetenz, damit das Feedback treffsicher wirkt und nicht zu Resignation führt. Erklären Sie dem Mitarbeiter konkret, woran Sie festmachen, dass die Leistung noch nicht ausreicht. Welche Verhaltensweisen möchten Sie in Zukunft stärker/öfter sehen, um eine bessere Bewertung geben zu können?
Fazit
Eine faire Leistungsbeurteilung ist eine große Herausforderung für Führungskräfte. In regelmäßigen Abständen ist man gefordert, Leistung objektiv und nachvollziehbar zu bewerten und somit die Motivation neu zu zünden oder sie aufrechtzuerhalten und zu steigern.
Doch viele Hürden stehen im Weg: Unklare Erwartungen, die nicht offen kommuniziert werden, bilden häufig den Nährboden für Missverständnisse. Wer sich nicht ausreichend vorbereitet oder das Instrument der Leistungsbeurteilung halbherzig nutzt, riskiert wertvolles Vertrauen. Gerade bei einer weniger guten Bewertung drohen schwierige Gespräche, Unverständnis und emotionale Rückschläge. Aber zu schweigen ist keine Option.
Die Kunst der Leistungsbeurteilung liegt darin, diese Gespräche mit Klarheit und Einfühlungsvermögen zu führen. Faktenbasiert, nachvollziehbar und respektvoll. Denn vor Ihnen sitzt ein Mensch, der an diese Bewertung nicht selten seinen Selbstwert knüpft. Gehen Sie diesen Prozess deshalb gewissenhaft an: mit Mut zur Ehrlichkeit, dem Blick für Entwicklungspotenziale und dem Bewusstsein, dass echte Führung nicht im Verteilen von Punkten liegt, sondern in der Fähigkeit, Leistung zu fördern.
Hinweise:
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[1] Dorsch – Lexikon der Psychologie: Beobachtungsfehler
[2] Personalbeurteilung: Tendenz zur Mitte
[3] ITB Consulting: Beobachtungs- und Bewertungsfehler
Hier finden Sie einen Beitrag zur Frage: Ist Feedback ein Geschenk?
Und hier einen Beitrag über Unconscious Biases – die Welt in unseren Köpfen.
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Michael Zocholl hat einen weiteren Beitrag im t2informatik Blog veröffentlicht:

Michael Zocholl
Michael Zocholl ist Wirtschaftspsychologe und unterstützt Führungskräfte und Teams dabei, Kommunikation, Zusammenarbeit und Vertrauen nachhaltig zu stärken – in Workshops, Coachings und Trainings. In seinem Podcast Zuhören, Fragen, Führen widme ich mich einmal wöchentlich den Herausforderungen und Chancen rund um das Mitarbeitergespräch.
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