Greenwashing – Pro und Kontra

von | 06.07.2023

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Leserinnen und Leser, hallo Freunde des t2informatik Blogs,

heute versuche ich einen Spagat: Es geht um Greenwashing und die bewusste Täuschung von Verbraucherinnen oder Kunden. Menschen absichtlich zu täuschen, um Vorteile und Profite zu generieren, ist verwerflich. Verwerflich! Und trotzdem vermarkten Unternehmen ihre Produkte und Dienstleistungen mittels Täuschung. Manche nennen das vielleicht sogar Marketing, diese Einschätzung teile ich nicht. Ich möchte mich dem Thema Greenwashing nähern und herausarbeiten, was Unternehmen möglicherweise dazu bewegt, es zu betreiben. Zeit für einen Spagat, Zeit für einen Blick auf Motive und Graubereiche der Unternehmens- oder Produktkommunikation.

Was ist Greenwashing?

Das Deutsche Umweltbundesamt beschreibt Greenwashing als „den Versuch von Organisationen, sich insbesondere durch Maßnahmen im Bereich Kommunikation und Marketing ein grünes bzw. nachhaltiges Image zu geben, ohne entsprechende, Nachhaltigkeits-orientierte Aktivitäten im operativen Geschäft tatsächlich systematisch umzusetzen“.1

Und die Augsburger Allgemeine ergänzt: „Die Bezeichnung steht für eine Strategie, mit der sich Unternehmen oder andere Akteure durch die gezielte Verbreitung von Desinformationen ein Image ökologischer Verantwortung verschaffen. Diese Desinformationen sind dabei nicht zwingend unwahr. In vielen Fällen entsprechen die ‚grünen Behauptungen‘ eines Unternehmens der Wahrheit, doch das Kerngeschäft ist meist nicht umweltfreundlich. So lenken Konzerne von anderen Problemen, die ihre Produkte verursachen, ab“.2

Kurzum: Greenwashing umfasst „Verhaltensweisen oder Aktivitäten, die den Eindruck erwecken, dass ein Unternehmen mehr für den Umweltschutz tut, als es tatsächlich tut“.3 Und da dies Verbraucherinnen und Kunden täuscht, gibt es inzwischen einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates über die Begründung ausdrücklicher Umweltaussagen und die diesbezügliche Kommunikation (Richtlinie über Umweltaussagen bzw. Green Claims-Richtlinie).4 Eine Grundlage für die Vorlage ist eine Studie der Europäischen Kommission, in der 150 Werbeversprechen untersucht, und mehr als die Hälfte davon als vage, irreführend oder unbegründet eingeordnet wurden.5

Na, wenn es sogar demnächst ein Verbot gegen Greenwashing gibt, dann sollten Unternehmen doch besser nicht mehr auf darauf setzen, oder?

Gründe gegen Greenwashing

Neben dem zukünftigen Verbot aus Brüssel gibt es eine ganze Reihe von Gründen, die auch heute schon gegen Greenwashing sprechen:

  • Wer seine Kundinnen und Kunden täuscht, gefährdet sein Produkt- oder Firmenimage, untergräbt das Vertrauen in sein Unternehmen, gefährdet Umsätze, Arbeitsplätze oder Partnerschaften. Verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen, ist ein langwieriges, kostenintensives Unterfangen mit ungewissem Ausgang.
  • Wer seine begrenzten Ressourcen für oberflächige, irreführende Marketingmaßnahmen verwendet, anstatt in tatsächlich nachhaltige Praktiken und Innovationen zu investieren, schädigt bewusst die Umwelt.
  • Wer wider besseres Wissens vorgibt, etwas Positives für die Umwelt zu tun, untergräbt die tatsächlichen Pioniere einer Branche, die versuchen, nachhaltig zu agieren. Unter Umständen führt dies zu einem Stillstand bei der Entwicklung und Umsetzung echter umweltfreundlicher Praktiken oder Innovationen.
  • Und zu guter Letzt ist die Irreführung von Verbrauchern nach dem Wettbewerbsrecht – namentlich dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) – unzulässig. Das öffnet die Tür für Abmahnungen durch Verbände oder gar Klagen durch Konkurrenten.6

Kurzum: Die Gesetzeslage in Deutschland, das zukünftige Verbot in der Europäischen Union, denkbare Vertrauens- und Imageverluste, die Gefahr von Umsatzeinbrüchen und hoher Investitionen zur Beseitigung möglicher Konsequenzen, sowie die tatsächliche Schädigung der Umwelt sprechen eine sehr deutliche Sprache. Die Sache ist klar: Finger weg von Greenwashing!

Graubereiche in der Unternehmens- oder Produktkommunikation

Im Internet finden sich zahlreiche Beispiele, in denen Unternehmen die Irreführung von Anwenderinnen und Verbrauchern vorgeworfen wird.7 Das führt zu drei Fragen:

1. Bedeutet dies, dass sich alle Unternehmen, die Greenwashing betreiben, auch bewusst dafür entscheiden?

Könnte es sein, dass ein Unternehmen

  • nicht über ausreichende Kenntnisse oder Ressourcen verfügt, um umfassende Nachhaltigkeitsmaßnahmen umzusetzen?
  • die Auswirkungen seiner Aktivitäten unabsichtlich überbetont?
  • die Komplexität des Themas unterschätzt oder es versäumt, die Auswirkungen seiner Aktivitäten auf allen Ebenen zu kontrollieren?

Beispiel: „Für Mensch und Umwelt“ lautet der Leitspruch des Umweltbundesamtes (UBA). Sicherlich ist das UBA in Deutschland eine der führenden Organisationen, wenn es um die Verbindung von Menschen und Umwelt geht. Die Möglichkeit bspw. auf Knopfdruck auf der Website den Kontrast für Menschen mit Sehbehinderung anzupassen, ist spektakulär.8 Natürlich betreibt das UBA kein Greenwashing; unzählige Publikationen, Einordnungen, Erläuterungen belegen dies eindrücklich. Worauf aber das Umweltbundesamt weniger achtet, ist der CO₂-Fußabdruck seiner Website. Der ist leider wirklich schlecht.9 Anspruch und Wirklichkeit auf allen Ebenen und in allen Bereichen gerecht zu werden, ist offensichtlich nicht immer ganz einfach. In anderen Worten: es ist ein Spagat!

2. Gibt es eine Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung?

Kennen Sie Unternehmen, von denen Sie sicher wissen, dass sie Greenwashing betreiben? Vielleicht fällt Ihnen das eine oder andere Unternehmen sofort ein, vielleicht haben Sie auch nur ein unbestimmtes Gefühl, dass es die meisten Unternehmen einfach tun.

  • Laut Change Readiness Index 2022 sehen sich 19 % der befragten Unternehmen als Vorreiter mit aktiver grüner Strategie und 77 % bezeichnen sich als Grüne Follower.10
  • Laut einer Umfrage der Datenplattform Dynata glauben 66 % der Verbraucherinnen und Verbraucher, dass Unternehmen zwar sagen, dass sie sich um die Umwelt kümmern, aber ihre Taten nicht ihren Worten entsprechen.11

Könnte es sein, dass Menschen harte Urteile fällen, sobald es um andere Menschen oder Organisationen geht? Könnte es sein, dass es einen Unterschied zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung gibt? Unabhängig davon wie valide und vergleichbar solche Umfragen im Detail sind, eine Diskrepanz zwischen „wir verändern etwas“ und „es wird mehr geredet als getan“ scheint offensichtlich.

3. Woran lässt sich Greenwashing erkennen?

Es gibt eine amerikanische Fast-Food-Kette, die sich 2009 entschied, ihr weltweit bekanntes Logo fortan auf einem grünen und nicht mehr auf einem roten Hintergrund zu platzieren. Selten dürfte es ein solch offensichtliches Greenwashing gegeben haben. In der gelebten und erlebten Praxis ist es aber nicht immer so eindeutig, nicht immer lässt sich genau bestimmen, wo die Irreführung durch Unternehmen beginnt.

  • Wie viele Stunden muss eine Kuh auf einer Wiese grasen, damit die Darstellung dieser Situation auf einer Milchverpackung Verbraucherinnen nicht in die Irre führt?
  • Ist es in Ordnung, ein „grünes“ Produkt aus einem Sortiment zu bewerben, wenn das restliche Sortiment weniger „grün“ ist?
  • Ist die Verwendung von Formulierungen wie umwelt- oder klimafreundlich erlaubt, wenn Hersteller mögliche Umweltfolgen mithilfe von Zertifikaten kompensieren?

Vielleicht ist die Welt der Unternehmens- und Produktkommunikation nicht immer nur schwarz oder weiß, möglicherweise bewegt sie sich – bewusst oder unbewusst – die meiste Zeit im Graubereich.

Motive für Greenwashing

Was spricht denn jetzt für Greenwashing? Bei allem Kontra, wo liegt das Pro?

Gerne würde ich laut „Es gibt kein Pro!“ oder „Nichts spricht für Greenwashing!“ rufen, die Motive ergeben sich aber aus der Umkehrung der vorangegangenen Argumente:

  • Wenn Kriterien zur glasklaren Einordnung fehlen, wenn es also einen großen Graubereich gibt, warum sollten Unternehmen diesen nicht ausnutzen?
  • Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher fast flächendeckend Greenwashing vermuten oder gar unterstellen, ergibt es dann nicht Sinn, es auch tatsächlich zu tun?
  • Wenn die Transparenz fehlt, wer „schuldig“ ist, warum sollten Unternehmen es nicht versuchen?
  • Wenn es keine signifikanten Strafen gibt – bis das neue Verbot in der Europäischen Union greift, erste Schlupflöcher thematisiert und geschlossen, sowie erste Urteile gesprochen sind, wird noch sehr viel Zeit vergehen – warum sollten Unternehmen es nicht ihren Wettbewerbern gleichtun?
  • Wenn sich Verbraucherinnen oder Anwender so leicht manipulieren lassen, warum sollten Unternehmen dadurch nicht Absätze ankurbeln und Arbeitsplätze sichern?
  • Wenn Kundinnen oder Käufer bereit sind, für „grüne“ Produkte oder Dienstleistungen mehr Geld zu bezahlen, warum sollten Unternehmen dies nicht nutzen, um kurzfristig die Profite zu erhöhen?
  • Wenn die Kundenbindung und das Vertrauen in gute Produkte oder Dienstleistungen hoch ist, warum sollten Unternehmen fürchten, dass Kundinnen sich für andere Lösungen entscheiden?
  • Wenn das eigene Verhalten die Pioniere der Branche einbremst, die wirklich nachhaltig agieren wollen, manifestiert dies nicht den Status quo und sorgt für rosige Chancen bei geringen Risiken?
  • Wenn Käuferinnen oder Anwender zu bequem sind, sich mit „echten“ Umweltsiegeln auseinanderzusetzen, warum sollten Unternehmen keine eigenen Siegel erfinden oder entsprechende Einstufungen kaufen?
  • Wenn der Preis der Ware wichtiger ist als die Art der Produktion ist, warum sollten Unternehmen ein großes Augenmerk auf umweltgerechte oder nachhaltige Praktiken legen?
  • Wenn Menschen oberflächig auf „grüne“ Zutaten oder Scheinargumente wie „klimafreundlich“ achten, warum sollten Unternehmen diese nicht bereitstellen?

Erschreckend viele Motive, die Unternehmen anführen können, oder? Und wenn Sie jetzt noch bedenken, dass das Wirtschaftsleben insbesondere bei Konzernen in kurzen Intervallen vonstattengeht, in denen diese Quartalszahlen veröffentlichen und ihren Shareholdern gegenüber Rechenschaft ablegen müssen, dann ist es auch wenig überraschend, wenn ein kurzfristiges Greenwashing deutlich attraktiver und lukrativer als ein mittel- bis langfristiges Investment in Umwelt und Nachhaltigkeit wirkt.

Das Richtige tun

Es gibt Graubereiche in der Unternehmens- und Produktkommunikation und es gibt Motive, warum Unternehmen Greenwashing betreiben. Leider kann ich Ihnen keinen Tipp geben, was Sie tun sollten, wenn Sie in einem Unternehmen arbeiten, dass aktiv und bewusst Menschen in die Irre führt. Trotz der verschiedenen öffentlichen Beispiele habe ich aber die Hoffnung, dass solche Unternehmen die Ausnahmen sind. Ich kenne aus meinem Umfeld einige internationale Unternehmen, die Nachhaltigkeit wirklich ernst nehmen und sich auf die Reise gemacht haben. Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit sind jedoch komplexe Themenbereiche, bei denen einfache Appelle nicht ausreichen, um ein Umdenken bei anderen Marktteilnehmern zu initiieren. Als Partner oder Konsumentinnen dürfen wir also bei aller Dringlichkeit des Themas etwas Geduld aufbringen.

Gleich zu Beginn des Artikels hatte ich Ihnen von meinem Spagat berichtet. Ich bin froh, dass ich in einem Unternehmen arbeite, das auf seine Umwelt achtet und Greenwashing in allen Facetten ablehnt. Grundsätzlich habe ich auch den Eindruck, dass es bei vielen kleineren und mittleren Unternehmen ähnlich ist. Aber: was tun bei der Menge an Motiven, die Greenwashing begünstigen?

Unternehmen können sich bewusst entscheiden, kein Greenwashing zu betreiben, selbst wenn es nicht auffliegt oder es von Kundinnen oder Verbrauchern entschuldigt wird. Sie können bei allen Umsatzwünschen bei der Wahrheit bleiben. Sie können mit „Wir betreiben kein Greenwashing“ werben. Sie können die Umwelt und ihre Verbraucherinnen und Mitarbeiter wertschätzen. Sie können das Richtige tun. Einfach weil sie es wollen!

 

Hinweise:

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[1] Definition vom Umweltbundesamt
[2] Umschreibung der Augsburger Allgemeine
[3] Definition von goClimate, wortgleich mit der Beschreibung im Cambridge Dictionary
[4] Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Begründung ausdrücklicher Umweltaussagen und die diesbezügliche Kommunikation
[5] Impact Assessment Report der European Commission in regards of empowering consumers for the green transition through better protection against unfair practices and better information
[6] Greenwashing – Ist das noch faire Werbung?
[7] Beispiele für Greenwashing
[8] Eine Augenweide für Menschen mit Sehbehinderung: die Website des Umweltbundesamts
[9] Website Carbon Calculator: der Carbon-Footprint der Website des Umweltbundesamts
[10] Statista: Green Economy: Selbsteinschätzung deutscher Unternehmen 2021
[11] Dynata: Global Consumer Trends: The Urgent Fight Against Climate Change

Michael Schenkel hat im t2informatik Blog weitere Beiträge veröffentlicht, u. a.

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Michael Schenkel
Michael Schenkel

Leiter Marketing, t2informatik GmbH

Michael Schenkel hat ein Herz für Marketing - da passt es gut, dass er bei t2informatik für das Thema Marketing zuständig ist. Er bloggt gerne, mag Perspektivwechsel und versucht in einer Zeit, in der vielfach von der sinkenden Aufmerksamkeitsspanne von Menschen gesprochen wird, nützliche Informationen - bspw. hier im Blog - anzubieten. Wenn Sie Lust haben, verabreden Sie sich mit ihm auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen; mit Sicherheit freut er sich darauf!