Frauen wollen führen und Frauen können Chef
Kürzlich besuchte ich als Beraterin für Diversity und Unternehmenskultur ein großes Unternehmen, das sich mehr Frauen in Führungspositionen wünscht. An dem Treffen nahmen Vertreter der Geschäftsleitung, der Personalabteilung und einige Führungskräfte teil. Sie hatten mich engagiert, um sie bei ihrem Projekt zur Förderung von Gender Diversity zu beraten.
Da saß ich also vor einer Gruppe von interessierten Menschen und bemerkte, dass die Frauen im Raum besonders interessiert wirkten. Zu Beginn stellte ich die entscheidende Frage: „Auf welche Problemsituation schauen wir nun bei euch?“
Die Antwort überraschte mich nicht: „Wir finden einfach keine Frauen, die bei uns in Führung gehen wollen.“
Nach weiteren Nachfragen erfuhr ich, dass etwa 45 % der Mitarbeiter in dem Unternehmen Frauen sind. Als ich darauf hinwies, dass es bemerkenswert ist, dass keine weiblichen Führungstalente gefunden und keine Frauen als kompetent genug angesehen werden, um Führungspositionen zu übernehmen, herrschte Stille im Raum.
Leider habe ich in den letzten Monaten diese Situation häufig erlebt.
- Woher kommt die Annahme im Management und in den Personalabteilungen, dass Frauen offensichtlich nicht führen wollen, wenn sie sich nicht auf entsprechende Stellen bewerben?
- Welche Grundannahmen über Frauen existieren im Unternehmen?
- Und warum zeigen sich keine weiblichen Talente?
Das Management und die Personalabteilungen sind oft ratlos und können diese Fragen nicht sofort beantworten. Hier komme ich ins Spiel und leiste Übersetzungsarbeit. Dabei stelle ich folgende Statements in den Raum:
Frauen denken erstmal darüber nach und wägen ab
Viele ambitionierte Frauen haben Lust, die Geschicke in ihrem Unternehmen mitzulenken. Sie möchten Einfluss nehmen und auch Verantwortung übertragen bekommen. Denn sie trauen sich selbst Führung zu.
In der von mir durchgeführten Studie „Frauen wollen führen – aber unter anderen Vorzeichen“¹, die zum Jahreswechsel 2021/2022 publiziert wurde, äußerten knapp 90 Prozent der weiblichen Befragten, dass sie durchaus eine Führungsaufgabe und die damit einhergehende Verantwortung übernehmen würden.
Doch wenn man weiter fragt, warum sie aktuell keine Führungskraft sind, erfährt man eine Menge zu den Gründen. Grundsätzlich zweifeln Frauen, ob man ihnen die Kompetenz als Führungskraft zuspricht. Sie haben erlebt, dass sie nicht als kompetente Führungskraft angesehen und wertgeschätzt, sondern kritisch beäugt werden. Ihnen wird misstraut und man schaut ganz genau hin, ob ihnen auch ja kein Fehler unterläuft. Und wenn doch, dann wird das oft mit der Aussage verbunden: „Das war ja klar, dass SIE es nicht kann.“
Interessant ist zudem, dass Männer in Auswahlverfahren häufig an ihrem möglichen Potenzial gemessen werden. Und Frauen häufig an ihren aktuellen Fähigkeiten. Ein großer Unterschied in der Bewertung, wer die Kompetenz und Skills für eine Führungsaufgabe mitbringt.
Wechseln wir die Perspektive und erkennen, dass Frauen diesen großen Beweisdruck verspüren und es sehr häufig mit ungerechtfertigten Bewertungen zu tun haben, dann ist es mehr als verständlich, dass sie zögerlich sind, eine Führungsaufgabe mit Freude zu übernehmen. Ständig unter Beobachtung zu stehen und die Zweifel nahezu auch körperlich zu spüren, dass einem der Führungsjob nicht zugetraut wird, macht keine Lust auf diese Aufgabe.
Die Eins ist die einsamste Zahl der Welt
Ist man die einzige Frau in einer Management-Runde, kann ein Gefühl der Einsamkeit entstehen. Frauen fühlen sich in männerdominierten Runden oft wie ein Alien unter Menschen.
Männer können dies gut nachvollziehen, wenn wir die Situation einmal herumdrehen: Nach vielen Sitzungen weiß ich, dass sich auch Männer nicht besonders wohl fühlen, wenn sie alleine an einer weiblichen Runde teilnehmen. Es fallen leicht nervös-wirkende Anmerkungen wie: „Bin ich heute der Hahn im Korb?“ Oder auch: „Kommen denn noch ein paar Männer dazu?“ Das zeigt sehr deutlich, dass auch hier ein Gefühl von Unwohlsein existiert.
Ja, die Eins ist die einsamste Zahl der Welt und das trifft genau auch dann zu, wenn man die einzige Person des eigenen Geschlechts im Meeting oder bei einem Event ist. Man darf wissen, dass Frauen in der Regel etwas anders denken, fühlen und kommunizieren als Männer. Und dass sie meist auch nach anderen Kriterien Entscheidungen treffen. Und dieses anders sein stößt oft auf Unverständnis in reinen Männerrunden.
Frauen bekommen häufig vermittelt: Du kannst bei uns mitmachen, doch bitte sei so wie wir! Sie dürfen also dann mitmachen, wenn sie sich an die anderen anpassen. Und das erzeugt kein gutes Gefühl. Denn um das eigene Potenzial voll entfalten zu können, braucht es ein Umfeld, das einem vermittelt: Du bist ok, so wie du bist. Es braucht ein Umfeld, in dem man als Bereicherung wahrgenommen wird und nicht als Störfaktor, der nicht so recht ins Bild passt.
Und weil Frauen in ihrem anders sein oft nicht als Bereicherung wahrgenommen werden, vereinsamen sie in männerdominierten Führungsrunden. Und haben keine Freude daran, hier mit ihren Kompetenzen zu wirken.
Frauen präferieren einen anderen Führungsstil
Ein dritter Punkt kommt hinzu: Frauen bevorzugen als Führungsstil den Servant Leadership-Ansatz. Und das ist in der Regel nicht der Führungsstil, der in den meisten Organisationen gefördert und gelebt wird. Viele Frauen, die ich für meine Studie und mein Buch² befragt habe, wollen Servant Leadership praktizieren, weil sie finden, dass es ihrer weiblichen Natur entspricht. Sie haben aber nicht das Gefühl, dass sie diesen Führungsstil unkommentiert und kritiklos praktizieren können.
Der Servant Leadership Ansatz beinhaltet Folgendes:
Man stellt die Bedürfnisse der Mitarbeiter vor die eigenen und dient dem Team. Man fördert ihr Wachstum, selbstständiges Arbeiten und Entscheiden, um die Zufriedenheit aller Mitarbeitenden und die Teamleistung zu steigern. Dieser Ansatz erfordert viel Einfühlungsvermögen seitens der Führungskraft. Er betont aktives Zuhören und die Förderung eines gemeinschaftlichen, unterstützenden Arbeitsumfelds.
Wenn Frauen in Unternehmen nicht die Möglichkeit haben, einen solchen Führungsstil zu praktizieren, lehnen sie die Führungsaufgabe ab; sie wollen sich keinen patriarchalischen oder hierarchisch-dominanten Führungsstil aneignen.
Was können Personal- und Führungskräfte tun, um Frauen für Führungsaufgaben zu gewinnen?
Um mehr Frauen für Führungspositionen zu finden und zu begeistern, muss intern gearbeitet werden. Und dafür habe ich drei handfeste Tipps im Gepäck.
1. Ein Vielleicht ist ein Ja
In dem Moment, in dem eine Frau ein „Vielleicht mache ich das“ im Kopf hat, denkt sie bereits über den Job nach. Sie überlegt und schläft eine oder mehrere Nächte darüber. Sie wägt ab, was alles mit dem Job zusammenhängt. Frauen überlegen, ob sie genug Respekt bekommen, ob sie als kompetent angesehen werden, ob sie Fehler machen dürfen, ohne gleich als unfähig zu gelten. Und sie denken auch darüber nach, wie sie die Führungsaufgabe mit ihrem Privatleben vereinbaren können.
Und genau hier sind Personalabteilung und Management gefragt: Sprechen Sie mit Ihrem weiblichen Talent. Ermutigen Sie sie, die Führungsrolle zu übernehmen. Sagen Sie ihr, dass Sie sie in der Rolle sehen und ihr die Aufgabe zu 100 Prozent zutrauen.
Betrachten Sie das Nachdenken nicht als Schwäche oder als „Keinen-Bock-Haltung“. Frauen stehen bei solchen Entscheidungen vor ganz anderen Hürden als Männer. Gehen Sie also die Extrameile, suchen Sie das Gespräch und geben Sie ihnen Sicherheit und Vertrauen.
2. Es steht und fällt mit Ihrer Unterstützung
Unterstützen Sie die Frau in ihrem Frausein. Und beurteilen Sie sich nicht nach alten Rollenbildern. Machen Sie sich bewusst, dass Frauen meist nach überwiegend männlichen Verhaltensmustern bewertet werden. Und im Moment haben wir in vielen Unternehmen die Schieflage, dass männliches Führungsverhalten als höherwertig angesehen und bewertet wird als weibliches Führungsverhalten. Das mag daran liegen, dass männliches Führungsverhalten schon viel länger bekannt ist, weil es in der Vergangenheit nur sehr wenige weibliche Führungskräfte gab. Aber nicht alles, was länger da ist, ist automatisch besser oder richtig.
Wenn Sie authentisch vermitteln können, dass weibliches Führungsverhalten genauso wertvoll und wichtig ist, stärken Sie Ihre weiblichen Talente und schaffen ein Umfeld, in dem eine Führungskraft nicht nach alten Rollenmustern beurteilt wird. So leben Sie Diversity wirklich, denn alles andere ist Gleichmacherei.
3. Frauen wollen anders führen
Respektieren Sie, dass Frauen ein Führungsumfeld brauchen, in dem ihre Fähigkeiten und Kompetenzen voll anerkannt werden. Sie brauchen ein Umfeld, in dem sie ihren Führungsstil – und das ist in den meisten Fällen Servant Leadership – praktizieren können. Und in dem sie nicht täglich kritisch beobachtet und negativen Kommentaren ausgesetzt sind.
Schaffen Sie also die Rahmenbedingungen in Ihrem Unternehmen, damit Frauen ihren bevorzugten Führungsstil auch leben können. Geben Sie ihnen dafür maximale Freiheit. Und damit machen Sie den Weg frei für den „female way of leadership“.
Wir wollen Frauen finden, weil…
Wie ging eigentlich meine Eingangsgeschichte weiter?
Mit dem Unternehmen, das mehr Frauen in Führungspositionen bringen wollte, um schrittweise Parität im Management zu erreichen, habe ich alle Punkte erarbeitet und vertieft. Wir haben nicht nur intensiv über Zahlen, Daten und Fakten diskutiert, die Vertreter der Geschäftsleitung, der Personalabteilung und der Führungskräfte haben sich auch darauf eingelassen, die Bedürfnisse von Frauen in Bezug auf Führungspositionen konkret zu erforschen. Dabei haben wir auch den Satz „Wir finden einfach keine Frauen“ umformuliert.
Ihr Fazit lautete: „Wir wollen Frauen finden, weil wir wissen, dass sie führen können. Jetzt setzen wir alles daran, dass Frauen bei uns auch führen wollen.“
Hinweise:
Gerne unterstützt Sie Lilian Gehrke-Vetterkind auf Ihrem Weg zu Gender Diversity. Vereinbaren Sie einfach ein kostenloses Erstgespräch.
[1] Hier können Sie sich die Studie herunterladen.
[2] „Frau kann Chef. Mit Freude und Gelassenheit in Führung gehen“ heißt das lesenswerte Buch von Frau Gehrke-Vetterkind.
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Lilian Gehrke-Vetterkind hat einen weiteren Beitrag im t2informatik Blog veröffentlicht:
Lilian Gehrke-Vetterkind
Lilian Gehrke-Vetterkind ist Diplom-Betriebswirtin mit über 20 Jahren Praxiserfahrung im Finanzvertrieb, sowie der Personalentwicklung und Erwachsenenbildung. Sie ist ausgebildete Systemische Beraterin für Organisationsentwicklung und Change-Management, Kommunikationsberaterin nach Schulz von Thun, Trainerin und Moderatorin sowie LINC Personality Profiler Coach
Seit Mitte 2021 Jahren berät sie als Unternehmensberaterin ihrer eigenen Beratungsboutique Gehrke & Vetterkind Consultants Unternehmen zu Diversity, Inclusion und Unternehmenskultur. Sie ist Kooperationspartnerin der Haufe Akademie bei der Diversity & Inclusion Master Class, die sie mitkonzipiert hat. Außerdem ist sie Initiatorin des Young Female Leadership Program und begleitet hier Frauen auf ihrem Weg zur Führungskraft.