Die Entwicklung von Kompetenzen
Vor kurzem besuchte ich einen Workshop auf der #ZP19 in Köln: “HR im Wandel: Digitale Kompetenzen, kontinuierliches Lernen und Weiterentwicklung – DGFP-Studie zu digitalen Kompetenzen in der Personalentwicklung”. Der Workshop beinhaltete die Kompetenzen, die Personalentwickler/-innen im Zeitalter der Digitalisierung benötigen. Er war nur einer von vielen Informationsveranstaltung, der sich auf die Kompetenzen in der Arbeitswelt 4.0 bezieht. In den sozialen Medien, in der Literatur und in Studien werden die zukünftigen Kompetenzen eingehend untersucht, beschrieben und diskutiert.
In nahezu allen privaten und öffentlichen Unternehmen bzw. Organisationen und Institutionen spielen Kompetenzen eine zunehmend entscheidende Rolle. Selbstverständlich haben nach wie vor die fachlichen und methodischen Kompetenzen eine wichtige Bedeutung, jedoch werden sie insbesondere im Personalauswahlprozess oder bei Beförderungen als gegeben bzw. selbstverständlich angesehen. Der Fokus liegt demnach zunehmend auf personalen, aktivitätsbezogenen und sozial-kommunikativen Kompetenzen. Doch neben der Diskussion um die Bedeutung und der Richtung von Kompetenzen spielt meines Erachtens auch das Wissen um die Entwicklung von Kompetenzen eine wichtige Rolle.
Von vorne: Was sind Kompetenzen?
Was verstehen wir genau unter Kompetenzen, ohne nun alle Wortdefinitionen haargenau zu beleuchten? Als Kompetenzen verstehen wir Selbstorganisationsfähigkeiten, also die Fähigkeit, sich selbst zu organisieren. Sie umfassen dabei alle Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bedingungen, die von Menschen, Teams oder einer Organisation benötigt werden, “um sich in bestimmten Situationen an veränderte Bedingungen anzupassen, eigene Verhaltensstrategien zu ändern und erfolgreich umzusetzen”. (Heyse & Erpenbeck, 2009)
Wie kommt es zur Kompetenzentwicklung?
Nach Heyse & Erpenbeck können Kompetenzen, die für bestimmte Tätigkeiten und Funktionen erforderlich sind,
- in Grenzen trainiert und angeregt werden und
- nur in Grenzen trainiert und angeregt werden.
Wichtig ist erstmal festzuhalten, dass man Kompetenzen nicht im herkömmlichen Sinne lernen kann, wie beispielsweise unser Informationswissen in der Schule oder Universität.
Anders als das Fachwissen müssen Kompetenzen und auch die damit verbundenen Regeln, Werte und Normen erfahren und verinnerlicht werden – d. h. erlebt, erfühlt und selbst erprobt werden, sodass wir von einem „emotions- und motivationsaktivierenden“ Lernprozess sprechen.
Kompetenzen können auch nicht gerade Mal kurzfristig aufgebaut werden, sondern müssen über einen längeren Zeitraum (weiter-)entwickelt werden.
Ergo: Es müssen Situationen geschaffen werden, in denen Mitarbeiter/-innen durch ihr geistiges und physisches Handeln die eigenen Kompetenzen (weiter-) entwickeln können!
Möchte ich beispielsweise, dass mein Mitarbeiter Mats Muster seine Konfliktfähigkeiten ausbaut, so übertrage ich diesem die Aufgabe, in einem Team mit überwiegend Teilzeitkräften einen Urlaubs- oder Spätdienst auszuarbeiten.
Beschäftigte können dabei aber nur jene Kompetenzen entwickeln, die die Situation oder im Allgemeinen ihr Anforderungsprofil auch hergeben! Es kann also nicht erwartet werden, dass beispielsweise Kundenberater/-innen an ihrem Arbeitsplatz Führungskompetenzen entwickeln, wenn ihr Anforderungsprofil bzw. die geschaffenen Situationen es nicht hergeben. Und dennoch können sie über Führungskompetenzen verfügen – durch andere Lernorte, wie z. B. durch das Ehrenamt.
Im Prinzip bedeutet das – und das ist m. E. erstaunlich – dass wir immer, wenn wir handeln, Kompetenzen entwickeln! Meist eher unbewusst. Manche von ihnen können wir für unser Leben gut gebrauchen, andere wiederum sind eher hinderlich, wie z. B. ängstliches Verhalten.
In meinem Blogbeitrag Familienkompetenzen – Ganz konkret gebe ich Bespiele für informell erworbene Kompetenzen aus privaten Lernorten und die Übertragung auf den Arbeitsplatz. Diese Kompetenzen sind zukunftsweisend.
Kompetenzen kommen nie alleine
Durch unsere Erfahrungen, ob im Arbeitskontext oder an privaten Lernorten, erwerben und verinnerlichen wir noch viel mehr als “nur” Kompetenzen: Wir eignen und verinnerlichen Werte, Normen und Regeln.
Immer wenn wir eine Problemsituation erleben, die wir so noch nicht kennen und demnach auch auf keine Kompetenzen zurückgreifen können, wird diese in uns Stress, Spannungen und Ängste auslösen.
Wir nehmen uns dann bekannten Werten, Regeln und Normen an, um zu entscheiden und zu handeln. Waren wir erfolgreich mit unserer Entscheidung und Handlung, so wird diese nun in uns emotional verankert und steht bei der nächsten ähnlichen Situation zur Verfügung. Erst dann ist man kompetent und kann „kompetent handeln“.
Das emotionale Erlebnis – auch emotionale Labilisierung genannt – ist für die Kompetenzentwicklung daher eine Grundvoraussetzung.
Lernformate
Wir halten also fest, dass Kompetenzen nur durch das Erleben bzw. durch die Erfahrungen (weiter-)entwickelt werden können. Das widerspricht vielen gängigen Weiterbildungen.
Die Entwicklung von Kompetenzen benötigt demnach eine eigene Vermittlung.
Um die „richtige“ Art der Kompetenzvermittlung zu ermitteln, sollten vorab ein paar Fragen geklärt werden:
Welche Kompetenzen sollen entwickelt werden? Handelt es sich um Grundkompetenzen, wie personale, aktivitätsbezogene, fachlich-methodische oder sozial-kommunikative Kompetenzen (näheres hier: Messbarkeit von Kompetenzen) oder um übergreifende, alle Einzelkompetenzen berührende Kompetenzen, wie z. B. die interkulturelle Kompetenzen oder Führungskompetenzen? Gibt es eine Organisationsstrategie, aus der die relevanten gegenwärtigen und zukünftigen Anforderungen an die Beschäftigten definiert wurden?
Wer soll diese Kompetenzen entwickeln? Handelt es sich um alle Mitarbeiter/-innen oder nur um einen bestimmten Kreis?
Wozu sollen die Kompetenzen entwickelt werden? Welches Ziel wird bei der Kompetenzentwicklung verfolgt?
Wo sollen die Kompetenzen entwickelt werden? Betrifft die Kompetenzentwicklung einen bestimmten Bereich, z. B. den Kundenservice oder ein bestimmtes Projekt?
Womit sollen die Kompetenzen entwickelt werden? Hier betrachten wir drei grundsätzliche Kompetenzentwicklungsstufen:
- Die Praxisstufe: Mitarbeiter/-innen stellen sich selbstintendiert neuen Problemsituationen, an denen sie ihre Erfahrungen emotional verankern und Kompetenzen entwickeln können oder das Unternehmen organisiert die systemische Konfrontation mit neuen Herausforderungen (z. B. Job-Rotation) fremdintendiert.
- Die Coachingstufe: “Das Coaching lässt sich als eine methodisch fundierte Vorgehensweise zur selbst- und fremdintendierten individuellen Kompetenzentwicklung, zuweilen auch zur teambezogenen oder organisationalen Kompetenzentwicklung verstehen.” (Heyse & Erpenbeck, 2009).
- Die Trainingsstufe: Die Trainingsstufe ist eine besondere Art der selbst- und fremdintendierten Kompetenzentwicklung; es handelt sich um eine weitgehend umgedeutete oder umfunktionierte Wirklichkeit. Die Kompetenzentwicklung kann also durch unterschiedliche Lernformen geschehen. Diese Lernformen unterscheiden sich in Bezug auf den Grad der Intentionalität und der Formalisierung bzgl. der Struktur und Organisation von Lernort, -zeit und -inhalt.
Wir unterscheiden demnach formales, non-formales und informelles Lernen.
Formales Lernen ist geplant, strukturiert und organisiert mit einem klaren Lernziel. Hierzu gehört z. B. das training-off-the-job. Allerdings ist es dabei notwendig, den Transfer auf den Arbeitsplatz sicherzustellen, da sonst keine Kompetenzen entwickelt werden können.
Das informelle Lernen ist dagegen weder organisiert, noch eine bewusste Handlung. Jedoch kann das informelle Lernen, wie z. B. durch die Elternzeit, die Pflege von Angehörigen oder die Tätigkeiten im Ehrenamt, Berücksichtigung im Kompetenzmanagement gefunden werden.
Ein Zwischending aus formalem und informellem Lernen ist das non-formale Lernen. Es findet unmittelbar im Arbeitsprozess statt, wie z. B. training-in-the-job oder training-near-the-job. Das non-formale Lernen ist zielgerichtet, d. h. die Maßnahmen basieren auf ein Kompetenz-Lern-Ziel. Die Beschäftigten machen dabei ihre Erfahrungen, reflektieren diese und erhalten ein Feedback.
Eine nachhaltige Kompetenzentwicklung erhält man, wenn alle drei Lernformen – formales, informelles und non-formales Lernen – kombiniert werden.
Fazit
Die Entwicklung bzw. Weiterentwicklung von Kompetenzen sind für die Arbeitswelt 4.0 entscheidend. Wir verstehen darunter Selbstorganisationsfähigkeiten, die nicht durch pure Wissensvermittlung erworben werden. Vielmehr ist es notwendig, dass sich Kompetenzen und die damit verbundenen Regeln, Werte und Normen in neuen Situationen erfahren und verinnerlicht werden. Sofern wir in diesen neuen Situationen mit unserer Entscheidung und Handlung erfolgreich gewesen sind, wird diese emotional verankert und steht bei der nächsten ähnlichen Situation zur Verfügung. Wir sprechen jetzt von „Kompetenz“.
Für die Kompetenzentwicklung ist es wichtig zu wissen, welche Ziele wir wie, wo und mit wem erreichen wollen. Auf Basis der Antworten können Vermittlungsstrategien aus einem Mix aus formalen, non-formalen und informellen Lernen entwickelt werden.
Hinweise:
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Heike Rosenberg
Heike Rosenberg studierte Linguistik und Volkswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin. In dieser Zeit absolvierte sie Praktika im journalistischen Bereich und verbrachte ein Semester in Houston, Texas, USA als Praktikantin im Bereich Personal. Seit 2006 arbeitet sie hauptberuflich bei der IKK Südwest. Zunächst als Projekt- und Teamleiterin für die Bürokommunikation und seit 2008 als Personalreferentin. Frau Rosenberg leitet u. a. den Fachkreis „IKK, meine Familie & ich“ und das Projekt „Einführung der digitalen Personalakte und Workflow“. Sie ist ausgebildete Trainerin, systemischer Management-Coach, Pflege-Lotsin und ProfilPASS-Beraterin. Seit Dezember 2018 arbeite sie nebenberuflich als Beraterin, Referentin und Trainerin. Frau Rosenberg engagiert sich ehrenamtlich im BPW Saarbrücken, hat zwei Kinder und lebt heute in St. Ingbert, Saarland.