Wie sich Unternehmenskultur messen lässt …

Gastbeitrag von | 17.11.2025

… und warum Zahlen allein nichts aussagen

„Kultur ist nicht messbar.“ Diesen Satz höre ich in meiner Arbeit immer wieder, meist mit einem Achselzucken, als wäre Unternehmenskultur etwas Diffuses, das man zwar fühlen, aber nicht greifen kann. Gleichzeitig investieren Unternehmen viel Zeit und Geld in Umfragen, Engagement-Scans oder Employer-Branding-Maßnahmen, um eben diese Kultur zu erfassen.

Doch das eigentliche Problem liegt selten in den fehlenden Tools, sondern in der Frage, was wir überhaupt messen wollen. Kultur besteht nicht aus Zahlen, sondern aus Verhalten. Und Verhalten lässt sich beobachten, deuten und verändern, wenn man weiß, worauf man achten muss.

In Zeiten hybrider Zusammenarbeit und Fachkräftemangel ist das Verständnis von Kultur wichtiger denn je. Denn sie entscheidet darüber, ob Menschen sich langfristig mit einem Unternehmen identifizieren oder innerlich kündigen. Wer Unternehmenskultur nicht versteht, verliert nicht nur Talente, sondern auch Innovationskraft.

Was Unternehmenskultur nicht ist

Viele Unternehmen verwechseln Kultur mit Stimmung oder Zufriedenheit. Sie messen, ob Mitarbeitende sich wohlfühlen, und schließen daraus, die Kultur sei gut. Doch das ist, als würde man die Temperatur messen und daraus auf das Wetter schließen.

Unternehmenskultur ist mehr als das Ergebnis einer Befragung. Sie ist kein Feelgood-Projekt, kein Obstkorb, kein Afterwork-Event und auch nicht das, was auf der Website steht.

Unternehmenskultur ist das, was passiert, wenn niemand hinschaut: wie Entscheidungen getroffen werden, wie mit Fehlern umgegangen wird und wie Menschen über andere sprechen, wenn sie nicht im Raum sind.

Wenn Sie Kultur verstehen wollen, sollten Sie sich weniger für die Werte an der Wand interessieren, sondern für die Muster im Alltag. Unternehmenskultur zeigt sich in Routinen, Kommunikation und Verhalten, nicht in Marketingbotschaften.

Ein weiterer Irrtum: Kultur lässt sich nicht „installieren“. Sie ist keine Software, die man einmal aufspielt und dann läuft. Sie entsteht aus dem täglichen Zusammenspiel von Menschen, Strukturen und Entscheidungen, und verändert sich permanent.

Was Unternehmenskultur wirklich ist

Unternehmenskultur ist das unsichtbare Betriebssystem einer Organisation. Sie bestimmt, wie Menschen miteinander arbeiten, kommunizieren und Entscheidungen treffen. Man kann sie nicht direkt sehen, aber ihre Wirkung spüren.

Wenn ein Team zögert, Verantwortung zu übernehmen, steckt dahinter oft kein fehlender Wille, sondern ein kulturelles Muster: „Lieber nichts falsch machen als auffallen.“ Wenn Konflikte immer wieder unter den Teppich gekehrt werden, ist das kein Zufall, sondern Ausdruck einer Kultur, die Harmonie über Ehrlichkeit stellt.

Diese Muster sind der eigentliche Messpunkt. Denn Kultur manifestiert sich in Verhalten, und Verhalten ist beobachtbar. Kultur ist also nicht das, was Unternehmen über sich sagen, sondern das, was sie tun, und was sie zulassen.

Eine starke Unternehmenskultur erkennt man daran, dass Menschen Klarheit darüber haben, was gewünscht und was unerwünscht ist. Sie schafft Orientierung in Phasen der Veränderung und stärkt die Handlungsfähigkeit von Teams. Eine schwache Kultur hingegen zeigt sich in Verunsicherung, Silodenken und Konfliktscheue.

Anzeichen der Unternehmenskultur

Es gibt keinen einzelnen Wert, der Unternehmenskultur objektiv abbildet. Aber es gibt Anzeichen, die sich erfassen und deuten lassen, wenn man sie im richtigen Kontext betrachtet. In meiner Arbeit mit Organisationen hat sich ein dreistufiger Blick bewährt:

Strukturelle Indikatoren: Fluktuation, Krankheitsquote, Time-to-Hire, Onboarding-Erfolg oder Innovationsgeschwindigkeit, all das liefert Hinweise, aber keine Ursachen. Zahlen sind der Ausgangspunkt, nicht das Ziel. Ergänzend können qualitative Indikatoren wie interne Kommunikation, Meetingstrukturen oder Feedbackprozesse betrachtet werden. Sie zeigen, ob Strukturen eher Vertrauen oder Kontrolle fördern.

Verhaltensmuster: Wie werden Konflikte angesprochen? Wer spricht in Meetings, wer nicht? Wird Feedback gesucht oder gemieden? Hier wird sichtbar, wie sicher sich Menschen fühlen und wie offen das System tatsächlich ist. Ein hilfreiches Instrument ist das “Behavior Mapping“: Es dokumentiert, welche Verhaltensweisen in Teams dominieren, beispielsweise Verantwortungsübernahme, Fehleroffenheit oder Entscheidungsgeschwindigkeit. Diese Daten geben Aufschluss über implizite Normen und Tabus.

Wahrnehmung und Sinn: Fühlen sich Mitarbeitende gesehen, gehört und ernst genommen? Dieses Erleben lässt sich mit qualitativen Interviews, Fokusgruppen oder Pulse Checks erfassen. Entscheidend ist aber, die Ergebnisse zu deuten, im Dialog, nicht im Excel-Sheet. Kultur entsteht dort, wo Menschen Bedeutung in ihrer Arbeit finden. Eine hohe Identifikation mit dem Unternehmenszweck ist oft ein stärkerer Indikator für gesunde Kultur als jede Zufriedenheitskennzahl.

Unternehmenskultur durch Anzeichen erfassen und deuten

Abbildung: Unternehmenskultur über Anzeichen erfassen und deuten

Der größte Fehler: Messen ohne Kontext

Viele Organisationen messen, ohne vorher zu klären, wofür. Dann entstehen beeindruckende Dashboards, aber keine Veränderung.

Kulturmessung ist kein Kontrollinstrument, sondern ein Spiegel. Und dieser Spiegel nützt nur, wenn man hineinschaut, um zu verstehen, nicht um zu bewerten.

Ein Beispiel: Ein Unternehmen stellte nach einer Messung fest, dass der Faktor „Teamwork“ niedrig bewertet wurde. Statt Ursachen zu erforschen, wurden Teamtrainings angeordnet, ohne Wirkung. Der Grund: Die Kultur förderte individuelles Silodenken. Erst als dies offen angesprochen wurde, begann Veränderung.

Ein weiteres Beispiel: Ein Startup nutzte Kulturmessung als Frühwarnsystem. Es stellte fest, dass Konflikte nicht offen angesprochen wurden. Durch begleitende Reflexionsformate veränderte sich die Gesprächskultur, die Produktivität stieg messbar.

Kulturmessung ohne Kontext erzeugt Zahlen. Kulturmessung mit Dialog erzeugt Erkenntnis, und diese Erkenntnis ist der erste Schritt zur Entwicklung.

Unternehmenskultur als kontinuierlicher Prozess

Unternehmenskultur ist kein Projekt mit Enddatum. Sie entwickelt sich über Zeit, durch Führung, Strukturen und alltägliche Entscheidungen. Wer sie messen will, braucht Geduld und die Bereitschaft, auch Unbequemes zu sehen.

Wenn eine Befragung zeigt, dass Vertrauen in Führung fehlt, reicht es nicht, ein Coaching zu starten. Vertrauen entsteht nicht durch Trainings, sondern durch Übereinstimmung von Worten und Taten. Kulturarbeit bedeutet, Führung erlebbar zu machen.

Deshalb ist Kulturmessung kein HR-Projekt, sondern eine Führungsaufgabe. Führung schafft die Rahmenbedingungen, in denen Unternehmenskultur sichtbar und lebbar wird. Langfristig lohnt sich dieser Ansatz: Unternehmen mit bewusst gestalteter Kultur sind nachweislich innovativer, widerstandsfähiger und attraktiver für Fachkräfte.

Ein Schlüssel zum Erfolg ist Konsistenz. Wer regelmäßig misst, erkennt Entwicklungen frühzeitig. Wer Unternehmenskultur hingegen nur einmalig überprüft, riskiert, Veränderungen zu übersehen, oder Symptome zu bekämpfen, statt Ursachen zu verstehen.

Praktische Wege, Unternehmenskultur sichtbar zu machen

Es gibt einige nützliche Wege, um Kultur in Unternehmen sichtbar zu machen:

  • Kultur-Reviews: Teams reflektieren regelmäßig, was sie stärkt oder bremst.
  • Beobachtungsinterviews: Statt Checklisten zählen reale Situationen.
  • Storytelling: Welche Geschichten kursieren über Erfolg oder Scheitern?
  • Feedback-Schleifen: Ergebnisse werden offen diskutiert, nicht versteckt.
  • Kultur-Spaziergänge: Führungskräfte sprechen direkt mit Menschen, nicht nur über sie.
  • Leadership Pulse Checks: Kurze, wiederkehrende Stimmungsabfragen zu Vertrauen, Klarheit und Zusammenarbeit.

Ein weiterer Ansatz sind Kultur-Dialoge: bereichsübergreifende Workshops, in denen Führungskräfte und Mitarbeitende gemeinsam Muster reflektieren. Diese Methode fördert Verständnis und stärkt Eigenverantwortung.

Messung ist nur der Anfang. Entscheidend ist, was danach geschieht, ob Ergebnisse in konkrete Maßnahmen übersetzt werden und ob Führung bereit ist, selbst Teil des Veränderungsprozesses zu sein.

Fazit: Unternehmenskultur ist messbar, aber nicht in Zahlen allein

Unternehmenskultur lässt sich messen, wenn man weiß, wonach man sucht, nicht durch isolierte KPIs, sondern durch das Zusammenspiel aus Daten, Verhalten und Dialog. Zahlen zeigen, was passiert. Geschichten zeigen, warum. Erst beides zusammen ergibt ein vollständiges Bild.

Kulturmessung ist Bewusstseinsarbeit. Sie erfordert Mut, Offenheit und Reflexion. Die wichtigste Frage lautet nicht, wie man Kultur misst, sondern was man aus den Ergebnissen lernen will, und ob man bereit ist, danach wirklich etwas zu verändern.

Eine gesunde Kultur erkennt man nicht an Charts, sondern an Momenten: wenn Menschen Verantwortung übernehmen, Konflikte ansprechen oder sich gegenseitig unterstützen. Dort wird sichtbar, ob Werte gelebt werden oder nur formuliert sind.

Unternehmen, die Kultur ernsthaft messen, tun mehr als Daten sammeln. Sie schaffen Klarheit und Vertrauen, und legen die Grundlage für langfristigen Erfolg. Wer Muster erkennt, kann bewusst gestalten. Führung, die Kultur versteht, führt anders: mit Haltung, Transparenz und echter Verantwortung.

Am Ende bleibt eine zentrale Frage: Wie mutig sind wir, wirklich hinzuschauen? Unternehmenskultur ist kein Zustand, sondern ein Spiegel unserer Führung und Zusammenarbeit. Vielleicht ist jetzt der richtige Moment, diesen Spiegel zu nutzen, nicht zur Kontrolle, sondern zur Entwicklung.

 

Hinweise:

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Im t2informatik Blog finden Sie weitere Beiträge zu Unternehmenskultur:

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Elisabeth Fabian
Elisabeth Fabian

Elisabeth Fabian ist Leadership-Expertin, Speakerin und Gründerin von Leadership OS. Nach rund acht Jahren in Führungs- und Beratungsfunktionen weiß sie, wie entscheidend klare Strukturen und eine gesunde Führungskultur für Wachstum und Mitarbeiterbindung sind.

Mit ihrem Leadership OS unterstützt sie Tech-KMUs dabei, aus überforderten Führungskräften souveräne Leader zu machen, die mit Klarheit, Haltung und Vertrauen führen, und so Teams entwickeln, die bleiben. Sie glaubt fest daran, dass gute Führung kein Zufall ist, sondern das Ergebnis klarer Strukturen, ehrlicher Kommunikation und gelebter Kultur.

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