Wenn die Zukunft an Weihnachten erscheint
Inhaltsverzeichnis zum Aufklappen und eine Zusammenfassung zum Hören
Der Geist der möglichen Zukunft
Der Geist der wünschenswerten Zukunft
Wie wünscht ihr euch eure Zukunft?
Neu: t2informatik Blogcast: Wenn die Zukunft an Weihnachten erscheint – eine Zusammenfassung zum Hören in 2:12 Minuten
Eine Weihnachtsgeschichte mit drei Geistern
23. Dezember 2025, CoolGrill-Firmenzentrale. Karl Meier starrte auf den Bildschirm. Im Geschäftsbericht war er inzwischen auf Seite 47 von 89 angekommen. Wieder eine neue Kennzahl. Wieder eine Fußnote, die drei Absätze erklärte, die früher in einer Zeile standen.
„Humbug”, murmelte er. „Alles Humbug.“
Die Berater hatten ihm versichert, das würde „den Anforderungen genügen”. Natürlich. Für 15.000 Euro Beratungshonorar genügte eben alles. Bürokratie, die niemand las. Compliance, die niemandem half. Hauptsache, die Checkliste war voll.
Draußen wurde es bereits dunkel. Sein Smartphone vibrierte. Lokale Vorwahl: +49 951.
„Meier.”
„Guten Tag, Herr Meier. Hier ist Markus Fischer vom Fränkischen Tag. Wir machen eine Serie über Familienunternehmen und Nachfolge. Ihre Tochter steht ja bereit, oder?”
Karl presste die Lippen zusammen. „Das möchte ich nicht weiter kommentieren.“
Er legte auf. Lisa. Natürlich stand sie bereit. Kompetent, engagiert, voller Ideen. KI hier, Kreislaufwirtschaft da. Als könnte man ein Unternehmen wie CoolGrill einfach umkrempeln!
Draußen begann es zu schneien. So etwas war in den letzten Jahren selten geworden: richtiger Dezemberschnee. Karl klappte den Laptop zu, zog den Mantel an und ging nach Hause. Er fuhr durch leere Straßen nach Hause.
Zu Hause öffnete er den Kühlschrank, nahm eine Flasche Bier heraus und setzte sich auf die Couch.
Morgen war Heiligabend. Früher hatte seine Mutter immer …
Er schüttelte den Kopf. Die Mutter. Vier Jahre tot. Und er führte CoolGrill immer noch, als könnte sie jeden Moment zur Tür hereinkommen und sagen: „Karl, was machst du da?”
Ein kalter Luftzug strich über seinen Nacken. Das Fenster war geschlossen, aber Karl fröstelte. Dann sah er sie.
Sie stand am Fenster, den Rücken zu ihm gewandt. Sie trug das dunkelblaue Abendkleid und die Frisur, wie sie sie immer trug.
Er stand auf. Er ging langsam zum Fenster.
„Mama?“, fragte er.
Sie drehte sich um.
Sein Atem stockte. Ihr Gesicht, ihre Augen. Der Rücken, als sie sich wieder wegdrehte. Ein Tattoo. Ranken, die sich um ihre Schulterblätter wanden und mit Zahnrädern, Kühlrippen und dem alten CoolGrill-Logo verwoben waren.
„Du hattest nie ein Tattoo“, flüsterte er.
„Im Leben nicht.“ Ihre Stimme klang vertraut und fremd zugleich. „Aber jetzt trage ich, was ich geschaffen habe. Die Prägungen, die ich hinterlassen habe.“
Sie berührte seine Schulter.
„Kontrolle war mein Weg“, sagte sie. „Für meine Zeit richtig. Für deine Zeit Gift. Das Unternehmen war mein Kind. Jetzt braucht es Freiheit.“
„Mama, ich …“
„Heute Nacht kommen drei Geister. Hör ihnen zu, Karl. Oder du trägst diese Ketten für immer.“
Sie löste sich auf. Einfach weg. Karl stolperte auf die Couch, nahm einige schnelle Schlucke vom Bier und schlief langsam ein.
Der Geist der wahrscheinlichen Zukunft
Eine Hand rüttelte an seiner Schulter.
„Aufwachen, Karl! Wir haben zu tun.“
Karl schlug die Augen auf. Neben der Couch stand ein Mann Anfang siebzig in einem dunkelblauen Anzug mit millimetergenau gebundener Krawatte. Das Gesicht war ihm bekannt, er konnte es jedoch nicht einordnen.
„Wer …“
„Friedrich. Ihr Reisebegleiter für heute Nacht. Los jetzt, wir haben keine Zeit zu verlieren. Solide Arbeit wartet nicht.“
Der Mann sprach schnell, energisch, beinahe cholerisch. Karl rappelte sich hoch.
„Wo gehen wir hin?“
„Dezember 2028, Karl. Ihre wahrscheinliche Zukunft.“
Karl runzelte die Stirn. „Zukunft? Beim letzten Mal ging es doch in die Vergangenheit. Das ist doch die klassische Reihenfolge: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft.“
Friedrich lächelte jovial. „Ach, Karl. In der Zukunft kann man auch in die guten alten Zeiten zurück. Bewährtes bleibt bewährt. Kommen Sie.“
Vor Karls Haus stand ein Auto. Friedrich öffnete Karl die Beifahrertür.
„Steigen Sie ein, mein Lieber«, sagte Friedrich. „Hocheffizienter Verbrenner aus deutscher Produktion.“
Sie fuhren durch die ihnen vertrauten Straßen in Richtung der CoolGrill-Zentrale. Kurz darauf standen sie in seinem Büro. 23. Dezember 2028. Durch die Scheibe sah Karl sich selbst: älter und grauer. Mit am Tisch saßen seine Tochter und der Produktionsleiter.
„Die Chinesen haben ihre Dark Factories hochgefahren”, sagte die Tochter. „Wir müssen jetzt in Robotik investieren, Papa. Sonst …“
„Zu teuer“, unterbrach Karl-2028. „Wir fahren erst die neue Produktlinie hoch, dann sehen wir weiter.“
Die Tochter schwieg. Sie nickte. Sie klappte ihren Laptop zu.
Friedrich neben ihm strahlte. „Sehen Sie? Sie hören ihr zu und geben ihr Verantwortung. Aber am Ende entscheiden Sie. Der erfahrene Firmenlenker. Genau richtig.“
Karl spürte Stolz. Und gleichzeitig etwas anderes.
„Kommen Sie.“ Friedrich fasste seinen Arm. „Ich zeige Ihnen noch mehr.“
Plötzlich standen sie auf dem Firmenparkplatz. Karl-2028 saß im Auto und hatte das Smartphone am Ohr. Friedrich öffnete die Beifahrertür und schob Karl hinein. Lautlos und für den älteren Karl unsichtbar.
„Was? Komplett stillgelegt?“ Die Stimme am anderen Ende klang verzweifelt. Es war sein Geschäftspartner Wagner. „Seit drei Wochen steht die Produktion still. Lieferketten. Ich kann nicht mehr, Karl. Ich gebe auf.“
„Die Politik muss endlich …“
„Ist mir egal. Ich bin raus.“
Stille. Karl-2028 starrte durch die Windschutzscheibe. Er sagte nichts mehr. Er legte auf.
Friedrich lehnte sich zurück. „Tja, so ist das eben. Manche schaffen es, manche nicht. Sie haben durchgehalten, Karl. Solide Stabilität zahlt sich aus.“
Wagner war ein guter Unternehmer gewesen. Und jetzt war er einfach weg.
Karl wollte etwas sagen, aber Friedrich war schon wieder aufgesprungen. „Noch eine Station. Wichtig.“
Sie gingen zu Fuß. Dunkle Straßen, Schnee unter den Schuhen. Friedrich redete pausenlos. Industriestrompreis, Bürokratieabbau, solide Werte. Karl hörte kaum zu.
Dann blieb Friedrich vor einem Haus stehen. Hier wohnte Lisa.
Durch das erleuchtete Fenster sah er sie. Auf dem Küchentisch lag eine Blisterpackung. Sie nahm zwei Tabletten und spülte sie mit Wasser hinunter. Dann legte sie den Kopf in die Hände.
Karl ging einen Schritt auf das Fenster zu.
„Die jungen Leute wollen nicht mehr arbeiten! Und dann die Quoten, kein Wunder, dass …“
„Das ist meine Tochter.“ Karls Stimme schnitt scharf durch die Luft.
Friedrich verstummte. Er räusperte sich. „Natürlich. Entschuldigung. Aber Sie sehen ja, Überarbeitung passiert. Das gehört zum Unternehmertum dazu.“
Karl starrte durch das Fenster. Seine Tochter. Allein. Erschöpft.
Friedrich legte ihm die Hand auf die Schulter. „Sie machen das gut, Karl. Wirklich. Weiter so.“
Dann war er weg. Karl stand wieder in seinem Wohnzimmer. Er ging in die Küche. Er öffnete den Kühlschrank. Noch ein Bier. Das brauchte er jetzt.
Der Geist der möglichen Zukunft
Das Licht flackerte. Der Smart-TV sprang an. Dann stand sie plötzlich da, als wäre sie aus dem Bildschirm getreten. Eine Frau mit glatter Haut wie Glas, deren Augen schwach bläulich leuchteten.
„Hallo Karl.“
„Wer zum Teufel …”
»Katie. Eine Humanoide. KI-basiert, falls das nicht offensichtlich war.“
Sie hielt ihm eine Brille hin.
„Dezember 2028. Kommst du mit?“
Karl nickte und setzte sich die Brille auf. Was sollte er auch sonst tun?
Die Welt um sie herum löste sich in Pixel auf und rekonstruierte sich neu. Es war wie bei einem Videospiel, das eine neue Ebene lädt.
Sie standen in der CoolGrill-Produktion. Aber die Maschinen standen still. Auf jedem Bildschirm erschien der gleiche Text: „Your data is ours. Pay or lose everything.“
Karl-2028 stand hilflos zwischen den Reihen. Neben ihm stand Lisa mit aufgeklapptem Laptop, ihre Finger flogen über die Tastatur.
„Wie viel wollen sie?”, fragte Karl-2028.
„Egal. Ich begrenze den Schaden.“ Ihre Stimme klang angespannt und konzentriert. „Das Backup ist sauber. Wir können in zwei Tagen wieder hochfahren.“
Karl-2028 nickte. Er sagte nichts. Er stand nur da.
Katie flüsterte ihm zu: »Siehst du? SIE kann mit uns. Du nicht.“
Lisa klappte den Laptop zu. Sie nahm ihr Smartphone und scrollte kurz. Auf dem Display erschien ein App-Symbol: ein stilisierter Kopf mit Zahnrädern.
„Was ist das?“, fragte Karl-2028.
„Meine Therapeutin. KI-gestützt. Sie hat mir nach dem Burnout geholfen.“ Sie steckte das Handy weg. „Ich investiere in das Start-up. Gute Sache.“
Karl-2028 starrte sie an. „Eine Maschine als Therapeut?“
Sie zuckte die Schultern. „Besser als nichts.“
Karl spürte, wie fremd ihm all das war. Diese Welt. Diese Tools.
„Komm.“ Katie zog ihn am Arm. „Lass uns weitergehen.“
Sie verließen das Gebäude. Draußen regnete es. Es war nicht der kalte Dezemberregen, den Karl kannte. Es war warm. Fast tropisch. Der Schnee von vor drei Tagen war längst geschmolzen.
„Steig ein“, sagte Katie.
Vor ihnen stand kein Auto. Ein Boot. Mitten auf dem Parkplatz, wo das Wasser knöchelhoch stand. Katie stieg ein und startete den Motor.
„Kippunkt erreicht. Anfang Dezember Schnee ohne Ende, jetzt Hitze und Starkregen. Willkommen in der neuen Normalität.“
Karl starrte sie an. „Dieser Humbug soll aufhören. Das ist unrealistisch. Panikmache.“
„Ich zeige dir eine mögliche Zukunft. Basierend auf Daten aus dem Jahr 2025.“
Ihre Stimme klang kühl und analytisch. „Du vertraust deinem Bauchgefühl, Karl. Obwohl das seit Jahren falsch liegt. Ich habe die Daten. Du ignorierst sie.“
Sie fuhren durch überflutete Straßen. Karl erkannte die Gegend. Das war die Innenstadt. War mal die Innenstadt. Katie steuerte auf ein Gebäude in klimaresilienter Bauweise zu. Vor dem Gebäude standen Menschen, die Kisten schleppten.
„Florian“, sagte Katie.
Sein Neffe. Karl sah, wie er Essen in Mehrwegbehälter füllte und an Helfer verteilte. Das Boot legte an. Karl stieg aus und ging zu ihm.
„Florian!“
Sein Neffe drehte sich um.
„Onkel? Jetzt nicht, sorry. Wir haben die halbe Stadt zu versorgen.“
„Das konnte doch keiner kommen sehen!“
Florian und Katie antworteten unisono: „Doch.“
Florian wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Katie zog Karl zurück ins Boot.
„Doch, Karl. Die Signale waren da. Klimadaten, Kipppunkt-Modelle, Wetterextreme. Man hätte es sehen können, wenn man sie beachtet hätte. Doch für dich war das alles nur Humbug.“
Sie fuhren weiter in ein Viertel, das Karl gut kannte. Im Jahr 2025 war es noch bürgerlich und gepflegt. Heute sieht man zerstörte Schaufenster und Graffiti an den Wänden. Menschen, die misstrauisch zum Boot schauten.
„Zu gefährlich für dich“, sagte Katie. „Wir bleiben hier.“
Auf der Straße half eine Frau Florians Team dabei, Essen zu verteilen. Karl erkannte sie. Er hatte die Produktionsmitarbeiterin im Dezember 2025 entlassen müssen.
„Sie hatte Glück“, sagte Katie. „Sie hat bei einem Sozial-Hackathon mitgemacht. Florian hat sie eingestellt. Sie hat eine Arbeit mit Sinn gefunden. Die Ausnahme.“
Karl sah, wie die Frau lächelnd einer alten Frau eine Bowl reichte.
„Und die anderen?“, fragte er leise.
Katie hielt ihm das Tablet hin. Social Media. Die Beiträge trieften vor Wut, Hass und Verschwörungstheorien. „Deine ehemaligen Mitarbeiter. Die blaue Partei steht bei 67 Prozent. Misstrauen an allen Ecken und Enden.“
Sie wischte weiter. Ein Video zeigte vermummte Menschen, die Roboter zerstörten. „Maschinenstürmer. Angriffe auf automatisierte Fabriken.“
Katie schaute auf das Video. Für einen winzigen Moment sah Karl etwas in ihren Augen. Keine Kühle, sondern Angst.
„Ich könnte die Lösung berechnen“, sagte sie leise. „Aber niemand hört zu. Und dann zerstören sie uns.“
Karl war bleich. Das Wasser klatschte gegen das Boot. Alles war zu viel. BANI. Brüchig, ängstlich, nicht-linear, unverständlich.
„Bring mich nach Hause“, flüsterte er. „Zu 2025.“
Die Welt verschwamm. Karl stand in seiner Küche. Das Bier stand immer noch auf dem Tisch. Er ließ sich auf den Stuhl fallen. Er atmete schwer.
„Noch einer“, murmelte er.
Der Geist der wünschenswerten Zukunft
Als er aufblickte, sah er eine Frau am Wasserkocher stehen. Sie war im mittleren Alter, trug einen Hoodie und hatte eine entspannte Haltung. Sie machte Tee.
„Atme erst einmal tief durch, Karl. Magst du auch einen?“
Er nickte stumm. Sie brachte zwei Tassen und setzte sich neben ihn an den Tisch. Nicht zu nah, aber präsent.
„Ich bin Frederike. Ja, noch ein Geist. Der letzte für heute Nacht.“
Karl schluckte. Der dritte Geist. Beim letzten Mal hatte dieser Geist ihm Angstschweiß auf die Stirn getrieben. Doch Katie hatte ihm gerade eine Zukunft gezeigt, die ihm den Boden unter den Füßen weggezogen hatte.
„Was jetzt?“ Seine Stimme war brüchig. „Noch schlimmer? Zeigst du mir, wie alles komplett zusammenbricht? Wie ich …“
„Nein.“ Sie lächelte sanft. „Ich lade dich ein zu einer Reise zu dem Christmas, das du dir wünschst.“
Karl starrte in seine Tasse. Might want. Wünschenswert. Das Wort fühlte sich fremd an.
„Na los. Bringen wir es hinter uns.“
„Was fühlst du gerade?“
Die Frage traf ihn unvorbereitet. Was fühlte er? Überwältigt. Hilflos. Wütend. Er war traurig wegen der Tochter. Angst vor … allem.
„Ich weiß nicht“, sagte er schließlich.
Frederike nahm seine Hand. „Dann lass uns gemeinsam schauen. Welche Zukunft wünschst du dir, Karl?“
Er starrte sie an. Wünschte er sich etwas? Zukunft passierte. Man reagierte darauf. Man kontrollierte, was man konnte. Aber wünschen?
„Ich … weiß nicht, wie ich das beantworten soll.“
„Denk an deinen Ausflug mit den vorherigen Geistern. Was hat dich da berührt?“
Wagner. Der Geschäftspartner, der aufgegeben hatte. Karl hatte Respekt vor seiner Entscheidung gespürt. Aber er wollte nicht aufgeben. Wegen der Menschen. Wegen dessen, was er aufgebaut hatte.
„Ich will nicht aufgeben“, sagte er leise.
Frederike nickte. „Loslassen ist nicht gleich Aufgeben. Komm, ich zeige dir etwas.“
Die Welt um sie herum verschwamm und wurde zu Formen ohne Substanz. Alles um Karl herum war weiß wie Nebel.
„Was soll das werden?“, fragte Karl.
„Deine Zukunft. Aber du musst sie gestalten. Wie soll es nicht sein?“
„Nicht aufgeben wie Wagner. Nicht die Dystopie von Katie.
„Und stattdessen?“
Karl überlegte. „Ich will, dass das Unternehmen überlebt. Aber nicht so, dass meine Tochter daran zerbricht.“
Die Umrisse materialisierten sich. CoolGrill-Produktion, Dezember 2028: Karl-2028, seine Tochter und der Produktionsleiter standen vor einer neuen Fertigungslinie. Es herrschte ein geschäftiges Treiben von KI-gesteuerten Robotern.
Karls Handy klingelte.
„Meier.“
„Hier ist Kaufmann. Wir haben ein massives Qualitätsproblem. Ihre neue Linie wurde fehlerhaft produziert. Was soll das?“
Das Team ging instinktiv in Deckung. Bei Karl-2025 hätte es einen Ausbruch gegeben.
Karl-2028 hingegen atmete tief durch. Er reichte das Telefon an seine Tochter. „Mach du. Ich unterstütze dich, falls nötig.“
Die Tochter nahm das Telefon und ging zur Seite. Karl war innerlich zerrissen, seine Hände waren verkrampft. Loslassen fiel ihm auch im Jahr 2028 noch schwer.
Frederike sagte neben ihm: „Siehst du? Das Experiment ist schiefgegangen. Aber du hast nicht kaputtgemacht, was ihr gemeinsam aufbaut. Auch in wünschenswerten Zukünften gibt es Fehler. Lernen ist wichtig.“
Karl nickte langsam.
„Komm.“ Frederike zog ihn sanft mit. „Weiter.“
Sie verließen das Gebäude. Draußen regnete es. Warm und sintflutartig. Überschwemmung.
„Auch hier?!“ Karl erschrak.
„Auch in der wünschenswerten Zukunft kannst du nicht alles kontrollieren, Karl.“
Karls Handy klingelte. Florian.
„Onkel, ich brauche Hilfe. Die Notfallversorgung schaffen wir nicht alleine. Könnt ihr helfen?“
„Moment, Florian. Lisa ruft auch gerade an. Da muss ich ran.“ Karl drückte auf „Annehmen“.
„Lisa?“
„Papa, wir haben das Qualitätsproblem immer noch nicht gelöst. Und jetzt machen die Roboter auch noch komische Dinge. Sie produzieren plötzlich Wasserfilter-Komponenten und Pumpengehäuse. Was soll ich dem Kunden sagen?“
„Macht weiter damit. Ich kümmere mich um den Kunden.“
Er legte auf und wählte Kaufmanns Nummer. Karl stand hinter seiner Tochter, nicht vor ihr. Er nutzte seine Stärke, die Kundenbeziehung, um ihr Innovation zu ermöglichen.
„Siehst du, loslassen ist nicht gleich aufgeben«, sagte Frederike leise. „Die Weihnachtsfeier steht übrigens an. Was wünschst du dir?«
„Eine klassische Weihnachtsfeier“, sagte Karl sofort. „Normalität. Ein bisschen gute alte Zeit.“
Frederike lächelte. „Okay.“
Sie standen in Florians Firma. Karl-2028 füllte allein Essen in Schalen ab. Helfer holten sie ab und brachten sie zu betroffenen Menschen.
Sein Handy vibrierte. Sprachnachricht. Von Lisa. Er verdrehte die Augen. Er hörte sie trotzdem ab.
„Papa, danke für heute. Dass du mir vertraut hast. Das bedeutet mir viel.“
Frederike verdrehte ebenfalls die Augen. „Sprachnachrichten. So 2025.“
Beide lachten.
Auf einem Bildschirm an der Wand lief ein Nachrichtensender. Im Interview war die ehemalige Mitarbeiterin zu sehen, die er 2025 entlassen hatte. Offensichtlich war sie jetzt zweite Bürgermeisterin.
„Unternehmen wie CoolGrill haben in der Krise Verantwortung übernommen. Dafür bin ich dankbar.“
Karl-2028 lächelte. Stolz.
„Wo geht’s jetzt zur Weihnachtsfeier?“, fragte er.
„Das war die Weihnachtsfeier.“
Karl brauchte einen Moment. Dann verstand er. Verbundenheit. Stolz auf Erreichtes. Genau das sollte eine Weihnachtsfeier leisten.
„Und das Essen von Florian hat mich nichts gekostet“, grinste er.
Frederike schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Wer hat behauptet, dass Ökonomie und Soziales ein Widerspruch sind?”
Die Welt löste sich auf. Karl saß wieder am Küchentisch. Allein. Neben ihm lag ein Buch. „Entfache den Zukunftsgeist in dir.“
Auf der ersten Seite stand handschriftlich: „Wünsch dir was. Dann tu was. – F.“
Völlig übermüdet schlurfte Karl zur Couch und fiel sofort in einen tiefen Schlaf.
Wie wünscht ihr euch eure Zukunft?
Rums. Karl fuhr hoch. Auf seiner Smartwatch sah er, dass es der 24.12.2025, 6:23 Uhr war. Zurück aus der Zukunft. Frederike war weg. Alle drei waren weg. Hatte er das etwa nur geträumt?
Am Boden lag ein Buch. Die Handschrift auf der ersten Seite war noch da. Echt. Er griff zum Handy. Er starrte auf den Namen seiner Tochter. Drei Sekunden. Fünf. Dann wählte er.
„Papa? Es ist halb sieben.“
„Ich weiß.“ Seine Stimme klang brüchiger als gewollt. „Können wir reden? Heute?“
Stille.
„Ernsthaft? Es ist Heiligabend. Mann, lass doch wenigstens heute mal die Firma gut sein.“
„Nicht über die Firma. Über die Zukunft.“
„Ich bin ab 9 Uhr bei Florian zum Weißwurstfrühstück. Komm vorbei. Okay?“
Zwei Stunden und 50 Buchseiten später machte sich Karl auf den Weg zu Florian. In der Wohnung im Herzen der Altstadt vermischte sich der Duft von Weißwürsten, Brezeln und süßem Senf. Florian goss gerade Kaffee ein. „Guten Morgen, Onkel. Du siehst aus, als hättest du mal wieder Geister gesehen.“
Karl lachte leise. „Könnte man so sagen. Ich bin selbst voller Zukunftsgeist. Sagt mal, wie wünscht ihr euch eigentlich die Zukunft?“
Lisa beobachtete ihren Vater. Sie sah, wie sein Blick zwischen ihr und Florian hin und her wanderte. Sie lehnte sich zu Florian und flüsterte: „Meint er das ernst?“
„No way. Onkel Karl und an Heiligabend über die Zukunft reden statt über die Zahlen des vierten Quartals?« Florian grinste. „Die Sicherungen sind wohl komplett durch.“
Florians Handy vibrierte. Er griff danach. „Sprachnachricht. Moment.“
Karl verdrehte die Augen. „Sprachnachrichten. So 2025.“
Lisa prustete los. Florian schaute zwischen den beiden hin und her, das Handy noch in der Hand. Karls Finger trommelten auf dem Tisch. „Egal. Hört ihr mir jetzt zu oder nicht?“
Lisa lehnte sich zurück. Ihr Lächeln war noch da, aber ihre Augen suchten sein Gesicht. Sie prüften, ob es echt war.
„Okay, Papa. Wir hören zu.“
Karl atmete aus. „Also … Wie wünscht ihr euch die Zukunft?“
Hinweise:
Tobias Leisgang ist Moderator und Begleiter für Unternehmen, die mutig neue Wege gehen wollen. Wenn das Loslaufen immer noch schwer fällt, dann schauen Sie gerne auf seiner Website vorbei oder kontaktieren Sie ihn auf LinkedIn für ein paar gemeinsame erste Meter. 😉
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Tobias Leisgang
Heute hilft er kleinen und mittelständischen Unternehmen, nachhaltige Geschäftsmodelle zu entwickeln - mit viel Weitblick und einem Schuss Pragmatismus. Denn zwischen guten Ideen und ihrer Umsetzung stehen oft viele Entscheidungen - und genau da kommt Tobias ins Spiel: In „Kopf & Bauch - Der Podcast der Entscheidungen“ gibt er spannende Einblicke, wie man sie trifft.
Und weil Stillstand für ihn keine Option ist, setzt Tobias seine Reise als Zukunftsgestalter fort - natürlich nicht im schicken Anzug, sondern als Student im Studiengang Zukunftsdesign. Denn wer sagt, dass man nie genug lernen kann?
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