Low-Code-Plattformen in der dezentralen IT

Gastbeitrag von | 06.08.2018

In zahlreichen Unternehmen gibt es eine Schatten-IT. Damit sind die autonome Beschaffung und die Entwicklung sowie der eigenständige Betrieb von Informationssystemen durch einzelne Mitarbeiter oder einen gesamten Fachbereich ohne die Einbindung der zentralen IT-Abteilung des Unternehmens gemeint. Manche Unternehmen bemühen sich, die Schatten-IT zurückzudrängen, aber das scheint aussichtslos zu sein. Vielfach ist die Eigen-IT der Fachbereiche heute wichtiger als je zuvor, denn schließlich kommen die meisten Bedarfe und Ideen zur immer weitergehenden Digitalisierung aus den Fachbereichen und nicht unbedingt aus der zentralen IT.

Ansätze, etwa nach dem Prinzip ‘Wir machen alles mit SAP’, sind für zentrale, klar geregelte und gut standardisierbare Aufgaben zweifelsfrei sinnvoll. Dies muss aber nicht für die vielen kleinen Besonderheiten der Fachbereiche gelten, über die sie sich ganz bewusst vom Wettbewerb abgrenzen wollen. Zudem sind zentrale IT-Aufgaben durch die sehr ausgereiften ERP-Systeme bereits soweit durchdigitalisiert, dass sich die Frage stellt, was man außer den letzten Lücken, wie etwa der elektronischen Rechnung, noch weiter digitalisieren könnte.

Ganz anders sieht es in den Fachbereichen aus. In den feinen Verästelungen des tagtäglichen Geschäfts ist die Digitalisierung noch ganz am Anfang. Und die Mitarbeiter der Fachbereiche wissen oftmals ganz genau, was man tun müsste, um ihre Prozesse weiter zu optimieren und zu automatisieren. Die unzähligen Ideen aus den Fachbereichen stoßen dabei oft an die Kapazitätsgrenzen der Zentral-IT, und die Fachverantwortlichen verzweifeln an der Langwierigkeit der typischen ERP-nahen klassischen Softwareentwicklung und der damit verbundenen Entscheidungsprozesse. So kommt es, dass allzu viele Potentiale der Digitalisierung nicht genutzt werden.

Kein Wunder also, wenn sich die Fachbereiche großer Unternehmen zunehmend darauf konzentrieren, sich lieber selbst zu helfen. Die Zentral-IT kann und sollte diese Entwicklung als Chance aufnehmen, um diese Entwicklung nicht passiv zu erdulden, sondern selbst zu steuern und aktiv voranzutreiben.

Low-Code-Plattformen, die von der Zentral-IT unterstützt und betrieben werden, können helfen, Licht in die Schatten-IT zu bringen. Deshalb sollten Low-Code-Plattformen einen Platz in der IT-Strategie jedes Unternehmens finden, um die eigene Digitalisierungsstrategie voranzubringen.

„Lieber 98 Prozent schon fertig als 100 Prozent vielleicht irgendwann“

Da bei Low-Code-Projekten die eigentliche Software bereits fertig ist und zur Laufzeit fast nur vorgefertigte Programmkomponenten zum Einsatz kommen, kann man so schnell sichtbare Ergebnisse erzielen. Für besondere Anforderungen können kleine handgeschriebene Programmbausteine ergänzen werden – als niedrigschwelliger Code. Dieser greift direkt auf die automatisch generierten Objekte zu und kann mit diesen all das tun, was das interaktive Klickersystem nicht von Haus aus abdeckt. Einige wenige Produkte verzichten auf diesen Weg, und nennen sich deshalb No-Code-Plattformen, allerdings bleibt zu bezweifeln, ob sich dieser hehre Anspruch auf Dauer aufrechterhalten lässt. Die Praxis zeigt, dass man immer mal wieder an den Punkt gelangt, wo für bestimmte Spezialalgorithmen doch kleine eingebettete Low-Code-Scripts erforderlich sind.

Letztlich kommt man nicht umhin zuzugeben, dass der Low-Code-Ansatz an sich in seinen Möglichkeiten endlich ist, gewissermaßen ein 98-Prozent-Ansatz. Während man theoretisch alles nur Denkbare programmieren kann, wird man hier immer mal wieder an Grenzen stoßen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass man bei der Entwicklung kundenspezifischer Softwarelösungen sowieso immer an Grenzen stößt. Oftmals ist es weit weniger schmerzhaft, auf das eine oder andere Luxus-Feature technologiebedingt zu verzichten, als wenn ein theoretisch perfektes Programm niemals fertig wird und Termine und Budgetgrenzen letztlich weitaus härtere Restriktionen mit sich bringen. Es lässt sich daher wie folgt zusammenfassen: „Lieber 98 Prozent sofort fertig als 100 Prozent vielleicht irgendwann”.

Gängige Erweiterungen von Low-Code-Plattformen

Da Low-Code-Plattformen auf einem Fertigsoftware-Ansatz beruhen, können sie eine große Menge an Funktionalität standardmäßig mitbringen, deren Entwicklung im Einzelfall zu teuer wäre: Features, die nur gelegentlich benötigt werden, die man dann aber sehr zu schätzen weiß.

Beispielsweise bringen viele Produkte gleich ihre eigene Test-, Freigabe- und Deployment-Umgebung mit. Andere wiederum punkten mit integrierten Reengineering-Werkzeugen oder mit einer ‘mit einem Mausklick’ zuschaltbaren Vollhistorisierung aller Änderungen in der Datenbank, mit eingebauten intelligenten Ad-hoc-Reportingwerkzeugen, eingebetteten Analysefunktionen oder vorimplementierten Webservice-Schnittstellen zu gängigen ERP-Produkten. Die Vielfalt an Möglichkeiten, was noch alles ‘out of the box’ mitgeliefert werden kann, ist grenzenlos.

Gängige Erweiterungen von Low-Code-Plattformen sind zum Beispiel einfach bedienbare Schnittstellengeneratoren, die direkt auf die Metabeschreibungen der Plattform abgestimmt sind, sowie leistungsfähige Systeme zur Output-Generierung, etwa zur Generierung von Microsoft Word-, Excel- und PowerPoint-Dokumenten, HTML-Dateien, E-Mails und vieles mehr.

Besonderheit: Kombination aus Sach- und Geodaten

Ein besonderes Highlight unter den Features ist die mehr oder weniger umfangreiche Ausweitung des Low-Code-Ansatzes auf den Umgang mit Geodaten. Dies ist sehr sinnvoll, weil heutzutage nahezu alles einen Geodatenbezug hat, und die Nutzer es im Alltag gewohnt sind, mit einem Klick zu sehen, welche Restaurants und Hotels sich in der Nähe befinden, wo der Bus abfährt, oder wo das nächste Carsharing-Auto geparkt ist. Dies mit händischer Programmierung im Datenbank-Einzelprojekt äquivalent umzusetzen, erscheint aus Kostengründen fast unmöglich. Dass man normalerweise zwei verschiedene Programme braucht, hat historische Gründe, denn GIS-Systeme waren in Unternehmen anfangs vor allem für Kartographen und andere Geodatenspezialisten da und dienten meist nur dazu, thematische Karten für unterschiedliche Zwecke zu entwickeln. Da sie sich völlig eigenständig von der sonstigen PC- und Browser-Welt entwickelten, funktionieren sie auch anders, und sind für gelegentliche, ungeübte Nutzer oftmals nur schwer zu beherrschen.

Deshalb sind Low-Code-Produkte heute vielleicht der aussichtsreichste Weg zu bezahlbaren kombinierten und zufriedenstellenden Sach- und Geodaten-Anwendungen, ohne auf hochspezialisierte IT- und Geo-Experten angewiesen zu sein, die in beiden Welten zuhause sind.

Wie reif sind Low-Code-Plattformen bereits?

Sind Low-Code-Plattformen schon ausgereift oder sind das erst die Anfänge? Die Antwort lautet: sowohl als auch. Die Vorreiter der Low-Code-Idee sind schon viel länger auf dem Markt als der Begriff existiert. Einige sind schon über zehn Jahre erfolgreich im Echteinsatz und gehen auf zum Teil noch viel länger zurückliegende Entwicklungs- und Pilotierungsphasen zurück.

In den USA gibt es bereits seit geraumer Zeit sehr viel Erfahrung mit von Endanwendern selbst zusammengeklickten Kleinstanwendungen, die dann in der Regel auch nur in der Cloud, also völlig losgelöst von der Zentral-IT,-betrieben werden, oder die sich um cloudbasierte CRM-Lösungen herumranken. In Deutschland setzen die frühen Anbieter eher auf die Kooperation zwischen zentraler und dezentraler IT, und können auf zum Teil beeindruckende, komplett mit Low-Code-Technologien umgesetzte Großprojekte als Referenz verweisen. Solche Lösungen werden dann zumeist on-premise in den Rechenzentren der Kunden installiert, und sie werden dafür auch als generierter Programmcode frei von Runtime-Komponenten ausgeliefert.

Die Eignung der Low-Code-Technologie als Digitalisierungs-Motor, sowohl für Klein- und Kleinstanwendungen als auch für große und kritische IT-Projekte, ist längst bestätigt. Auch der Nachweis, dass die Versprechungen hinsichtlich Schnelligkeit und Flexibilität, Anwenderzufriedenheit und Projektsicherheit tatsächlich erfüllt werden, ist erbracht. Die wirtschaftliche Vernunft spricht massiv für den flächendeckenden Einsatz von Low-Code-Plattformen für dezentral entwickelte Fachanwendungen, dass es verwundert, wieviel Vorbehalte es immer noch gibt.

Seit der Namensgebung für die Technologie durch Forrester Research und den damit verbundenen atemberaubenden Umsatzprognosen überschwemmen immer mehr Start-ups mit neuen Low-Code-Produkten den Markt. Dutzende neue Anbieter, zumeist mit viel Venture Capital ausgestattet, beleben die Szene auf beeindruckende Weise. Welche sich davon am Markt behaupten werden, und welche die Technologie insgesamt weiter vorantreiben werden, bleibt abzuwarten. Die Low-Code-Technologie als solche ist ausgereift, aber durchaus noch offen für weitere Innovationen.

 

Hinweise:

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Weitere Informationen zum Thema Low-Code finden Sie unter https://www.scopeland.de/home.

Karsten Noack hat im t2informatik Blog weitere Beiträge veröffentlicht, u. a

t2informatik Blog: Was sind Low-Code-Plattformen?

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t2informatik Blog: Zentral-IT versus Schatten-IT

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t2informatik Blog: Eine Alternative zu Scrum bei Auftragsprojekten

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Karsten Noack
Karsten Noack

Karsten Noack ist Gründer und CEO der Scopeland Technology GmbH. Als Visionär entwickelte er bereits Mitte der 90er Jahre die Grundlagen der Technologie, die heute als Low-Code und als Schlüsseltechnologie der Digitalisierung bekannt ist. Er verfügt über umfassende Erfahrungen im Einsatz von Low-Code-Plattformen in großen Unternehmen und Behörden und sieht sich nicht nur als Geschäftsführer im üblichen Sinne, sondern viel mehr als Motor der Produktentwicklung und als Visionär, und irgendwie auch als Evangelist für ein neues Denken in der IT-Industrie. Karsten Noack engagiert sich im Hauptvorstand des BITKOM sowie in mehreren Unternehmernetzwerken in der Berliner Region.