Slicing Work – Essentielle Fähigkeit für Agilität
Bei der Planung von großen Vorhaben gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Arten für Slicing Work, also der Aufteilung anstehender Arbeit. Beide Arten der Arbeitsaufteilung sind für ihre jeweiligen Zwecke sinnvoll. Oft fehlt uns aber die Klarheit über diese sehr grundlegenden Zusammenhänge, die für alle Formen von Arbeit relevant sind, ob wir nun viel planen wie im klassischen Projektmanagement oder uns auf iterative empirische Methoden verlassen.
In unserer privaten Kontexten kennen wir die beiden Wege, Arbeit aufzuteilen, und wenden sie intuitiv in der jeweiligen Situation an. Diese Intuition geht uns in großen Projekten häufig verloren. In diesem Beitrag schauen wir uns ein relativ einfaches privates Projekt – die Zubereitung eines Abendessens – an, um die intuitiv klaren Prinzipien zu verstehen und ihre Wirkung in großen Projekten zu untersuchen.
Das private Beispielprojekt: Slicing Work auf zwei verschiedene Arten
Stellen Sie sich vor, Sie haben 20 Menschen zu einem festlichen Abendessen eingeladen und bereiten alle Speisen zu. Sie wollen natürlich, dass sich Ihre Gäste wohlfühlen und die persönlichen Ernährungseinstellungen (vegan, vegetarisch, glutenfrei, low-carb, etc.) erfüllen. Zur Vereinfachung nehmen wir mal an, der Einkauf ist bereits erledigt und Sie haben sich einen vollen Tag Zeit genommen, um alles zuzubereiten. Es ist ein typischer Familiensamstag, und Ihre beiden Kinder gehen und kommen vom Fußballtraining und dem Spieltreffen mit Freunden.
Natürlich könnten Sie einfach hoffen, dass alles irgendwie ohne Planung funktioniert, aber die Menge der Arbeit ist so groß, dass sich eine Planung wahrscheinlich lohnt. Sie entscheiden sich die vor Ihnen liegende Arbeit in kleinere Pakete aufteilen. Dazu gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Wege vorzugehen:
- die vertikale und
- die horizontale Aufteilung der Arbeit.
Die vertikale Aufteilung des Abendessens besteht aus einer Liste von allen probierbaren Ergebnissen der Zubereitung. Es sind die ganzen Gerichte, oder auch einzelne probierbare Teile von Gerichten wie Dips oder Beilagen.
Das geometrische Adjektiv vertikal macht Sinn, wenn wir uns einen mehrschichtigen Kuchen vorstellen: Ein kleines, aber vertikales Stück des Kuchens reicht aus, um ihn zu probieren, während ein noch so großes Stück einer einzelnen Schicht uns nicht die Möglichkeit gibt, den Geschmack des Kuchens zu beurteilen.
So könnte eine vertikale Aufteilung des gesamten Abendessens aussehen:
Vorspeisen
- Griechischer Salat
- Guacamole
- 3 Baguettes
- …
Hauptgänge
- Falafel mit Hummus
- Bratkartoffel
- Wiener Schnitzel
- …
Desserts
- Tiramisu
- Brownies
- …
Die horizontale Aufteilung ist eine Liste aller Tätigkeiten, die notwendig sind, um das Abendessen zuzubereiten. Hier gibt es viel mehr Einträge, weil jedes Gericht meist viele Zubereitungsschritte beinhaltet:
- 2 Salatköpfe waschen und schneiden
- 4 Gurken waschen und schneiden
- 16 Tomaten waschen und schneiden
- 3 kg Kartoffeln schälen, schneiden,
- geschnittene Kartoffeln braten und dabei würzen
- 2 l Wasser aufkochen und mit der Falafel Mischung mixen, 40 Falafel formen
- …
Wenn wir nun Arbeit managen, haben wir gleichzeitig verschiedene Anliegen, bei denen jeweils eine der beiden Listen wertvoller ist. Schauen wir uns das im Detail an:
Übersicht behalten und Umfang steuern
Stellen Sie sich nun vor, Sie möchten kurz prüfen, ob Sie wirklich an alle Bedürfnisse Ihrer Gäste gedacht haben. Dazu brauchen Sie eine kurze Übersicht davon, was alles auf dem Tisch sein wird. Welche Liste ist da nützlicher?
Natürlich die vertikale Aufteilung. Sie ist quasi Ihr Menü. Die horizontale Liste aller Tätigkeiten erzeugt keine Übersicht, sie ist aufgrund ihrer Details eher erschlagend.
Auf einmal passiert etwas Unvorhergesehenes: Sie bekommen einen wichtigen Anruf und verquatschen sich ein wenig. Und da ein anderes Elternteil kurzfristig ausfällt, müssen Sie Ihre Tochter zum Sportverein fahren. Inzwischen ist Mittag und Sie erkennen, dass Ihnen eine Stunde Zubereitungszeit fehlt. Welche Liste hilft Ihnen jetzt, den Umfang des Abendessens anzupassen, Speisen wegzustreichen und mögliche andere stattdessen aufzunehmen, damit Sie Ihre Gäste wie erhofft verwöhnen können, obwohl Sie weniger Zubereitungszeit haben werden?
Es ist wieder die vertikale Liste.
Beide Anliegen (Übersicht und Steuerung des Umfangs) des privaten Beispiels sind leicht zu verstehen. Im beruflichen Kontext ist das nicht ganz so einfach. Bei der Planung von größeren Vorhaben haben Sie in der Regel sehr viele klare Arbeitspakete (horizontale Aufteilung) und gleichzeitig sehr wenige vorzeigbare Zwischenergebnisse oder nur das eine Endergebnis. Und wenn Sie so tun, dass Ihr großes Projekt aus nur wenigen (aber großen und komplexen) Speisen besteht, dann fehlt Ihnen der Überblick und auch die Fähigkeit, den Umfang zu steuern.
Fragen Sie sich also bei Ihren Projekten: Wann wird etwas vorliegen, dass die Nutznießer des Projekts ausprobieren bzw. beurteilen können? Und wie viele solcher Zwischenergebnisse gibt es?
Die Effizienz als Grund
Bei Ihrem Abendessen gibt es einen festen, nicht verhandelbaren Umfang: 10 Gerichte. Welche Liste hilft Ihnen, diese 10 Speisen mit möglichst wenig Zeitaufwand zuzubereiten?
Hier ist die horizontale Aufteilung wertvoll. Sie hilft Ihnen zu erkennen, wo es sich lohnt, Tätigkeiten zusammenzulegen. So können Sie bspw. die Kartoffeln für alle 3 Gerichte schälen oder in einem Schritt alle Tomaten für mehrere Gerichte waschen und schneiden.
Effizienzgewinne sind häufig der Grund, warum Organisationen eine lange detaillierte Liste von Tätigkeiten erzeugen.
Was passiert aber, wenn es nicht wie am Anfang gedacht zehn Gerichte werden, da Sie doch gezwungen sind, auf zwei von drei geplanten Kartoffelspeisen zu verzichten? Dann haben Sie sehr effizient Kartoffeln geschält, die Sie aber nur zum Teil nutzen werden.
An dieser Stelle erkennen Sie ein sehr wichtiges und grundsätzliches Prinzip von Arbeitssteuerung:
Wenn Sie für höchste Effizienz optimieren, verlieren Sie die Flexibilität.
Das gilt sowohl fürs Abendessen als auch für die Arbeit in großen Organisationen und ist komplett unabhängig davon, ob wir iterativ empirisch oder klassisch arbeiten.
Delegation und Verantwortung
Stellen Sie sich nur vor, Sie fühlen sich unter Druck und möchten, dass Ihnen andere Menschen möglichst selbstständig bei der Arbeit helfen. Welche Aufgabe aus welcher Liste könnten Sie einem Freund übertragen, der gut und selbständig kochen kann? Und welche Aufgabe könnten Sie an Ihre 8-jährige Tochter delegieren?
Sicherlich wäre es eine Hilfe, wenn der Freund ein ganzes Gericht z.B. Bratkartoffeln (vertikaler Listeneintrag) übernimmt. Wenn Ihre Tochter aber nicht gerade bei Top Chef Jr. aufgetreten ist, werden Sie wahrscheinlich ihr den Kartoffelschäler geben und sie bitten, sich über die Spüle zu stellen, damit keine große Sauerei passiert. Und auch dann Sie die Qualität der geschälten Kartoffeln kurz kontrollieren und ggf. Feedback geben. Wir delegieren intuitiv abhängig von der Kompetenz, die wir der Person oder Gruppe zusprechen, an die wir delegieren.
Das hat lang- und kurzfristig weitreichende Konsequenzen, die wir uns bewusst sein sollten.
Hier ist eine mögliche kurze Küchenunterhaltung (aus meinem Haushalt), die den wichtigsten Zusammenhang klar macht:
A: „Kannst Du bitte Tomaten für die Hamburger schneiden?“
B: „Wie dünn möchtest Du sie haben?“
A: „Du hast es doch schon selbst oft gegessen. Wie dünn magst Du sie denn?“
Der Punkt ist, wenn man einzelnen Menschen oder ganzen Teams horizontale Tätigkeiten zu tun gibt, lädt man sie automatisch nicht dazu ein, beim gesamten Ergebnis mitzudenken, es mit zu verantworten. Verantwortung entsteht aber automatisch, wenn jemand sich eines ganzen Ergebnisses annimmt.
Wenn eine Organisation auf die Selbstorganisation von Teams oder Individuen setzt, ist es absolut unverzichtbar, dass vertikale Aufgaben an diese delegiert werden.
Und worin verbessert sich jemand, dem eine vertikale bzw. eine horizontale Aufgabe übertragen wurde?
Wenn Ihre Tochter immer wieder hilfreiches Feedback erhält, wie die Kartoffeln besser geschält werden können, wird sie darin besser. Sie wird eine bessere Kartoffelschälerin. Das ist schon gut, aber egal wie gut sie wird, sie wird dadurch nicht zu einer Person, die selbstständig Bratkartoffeln zubereiten kann.
Wenn Ihr Freund dagegen immer wieder Bratkartoffeln zubereitet und dazu Feedback erhält, hat er ganz andere kreative Freiheiten – er kann experimentieren mit den Gewürzen oder beim Anbraten, um eigene, perfekte Bratkartoffeln zu kreieren. Er verbessert seine Kochkünste ganzheitlicher.
Was auch immer Feedback erhält, verbessert sich, aber auch nur das.
Diese Zusammenhänge sind besonders für Manager wichtig, die den Eindruck haben, ihre Mitarbeiter denken nicht mit und wollen, dass man ihre Arbeit ständig koordiniert. Um aus dieser Mikromanagement-Falle zu entkommen, muss man anfangen, vertikale Arbeitsergebnisse zu delegieren und damit rechnen, dass erst nach einigen Versuchen die Kompetenz zur Selbstorganisation entsteht.
Messen von Fortschritt
Wie unterscheiden wir, ob wir wirklich vorankommen in unserer Arbeit oder einfach nur beschäftigt sind, ohne dass dabei wirklich etwas Wertvolles rumkommt?
Stellen Sie sich vor, Sie bereiten das Tiramisu zum allerersten Mal zu. Sie nutzen ein Rezept – eine Liste von zehn horizontalen Arbeitsschritten – und machen Häkchen neben den bereits erledigten Aufgaben. Acht von zehn Schritten sind erledigt. Heißt das, Sie haben schon Fortschritt gemacht? Und wenn die jeweiligen Arbeitsschritte ungefähr gleich viel Zeit einnehmen, würden Sie behaupten, Sie wären zu ungefähr 80 % fertig?
Nun, wenn es Ihnen dabei so wie mir ergeht, werden Sie die Erfahrung machen, dass beim neunten Schritt – Löffelbiskuit in Kaffee tunken – alles kaputt gehen kann, was Sie in den vorherigen acht Schritten zubereitet haben. Alles ist vollgesogen und matschig, statt einem Tiramisu ist eine weiche Masse entstanden, die Ihre Freunde und Familie vielleicht essen, aber ein externer Kunde niemals bezahlen würde.
Wenn Sie etwas Neuartiges und damit Unvorhersehbares machen, ist es wichtig zu verstehen, dass Fortschritt erst dann gesichert ist, wenn das Ergebnis der Arbeit vorliegt. Wenn Sie also bei unvorhersehbaren Vorhaben Fortschritt messen möchten, brauchen sie dazu viele kleine vertikale Arbeitsergebnisse.
Das ist anders, wenn Sie etwas zum zehnten Mal machen. Dann kennen Sie alle möglichen Überraschungen. Wenn ich heute ein Tiramisu zubereite, kann ich nach acht fertigen Schritten sicher sein, dass ich fast fertig bin. Bei bekannten Projekten können wir uns auf fertige horizontale Arbeitsschritte als Maß für Fortschritt verlassen.
Wenn nun in einer Organisation nur wenige Zwischenergebnisse oder ein vertikales Endergebnis des Projekts definiert sind, tappen alle Beteiligten sehr lange im Dunkeln oder verlassen sich auf Fake-Messungen (oder wie im Lean-StartUp gesagt wird: vanity metrics) des Fortschritts der auf fertiggestellten horizontalen Aufgaben beruht. So werden wichtige Entscheidung im Projektverlauf übersehen und unangenehme Überraschungen sind am Ende vorprogrammiert.
Zusammenfassung: Slicing Work
Arbeit kann auf zwei verschiedene Arten aufgeteilt werden: horizontal und vertikal.
Beide Aufteilungen sind hilfreich. Je nach dem, was wir erreichen wollen, brauchen wir eine der beiden Aufteilungen. Die vertikale Aufteilung hilft uns dabei
- die Übersicht zu behalten und den Umfang der Arbeit zu steuern
- Verantwortung zu delegieren
- Selbstorganisation zu ermöglichen und kreatives Wachstum unserer Mitarbeitenden zu fördern
- den Fortschritt beim Bearbeiten von Aufgaben zu messen, wenn wir mit Überraschungen oder Unvorhersehbarkeit rechnen müssen.
Die horizontale Aufteilung hilft uns vor allem bei der Optimierung der Effizienz unserer Arbeit.
Hinweise:
Wollen Sie sich mit Anton Skornyakov über Slicing Work oder über Selbstorganisation und Anpassungsfähigkeit unterhalten? Dann nehmen Sie einfach Kontakt über seine Website auf. Und wollen Sie mehr über das Thema lesen? Dann lohnt sich ein Blick in das Buch The Art of Slicing Work, How to Navigate Unpredictable Projects von Anton Skornyakov.
2025 soll das Buch in deutscher Sprache erscheinen.
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Anton Skornyakov
Anton Skornyakov ist ein Certified Scrum Trainer® und Agile Coach aus Berlin. Als ehemaliger Serien-Gründer und diplomierter Physiker und Mathematiker hilft er heute Organisationen auf dem Weg zur Anpassungsfähigkeit und Selbstorganisation. Anton brennt für die Anwendung der Werkzeuge aus der agilen Welt in der öffentlichen Verwaltung, in Nonprofits und in anderen Bereichen außerhalb der Produktentwicklung.