Servant Leadership unter der Lupe
Inhaltsverzeichnis zum Aufklappen und eine Zusammenfassung zum Hören
Ist der Diener wirklich die Führungskraft?
Die 6 Rollen des Host Leaderships
Fazit: Servant Leadership unter der Lupe
Neu: t2informatik Blogcast: Servant Leadership unter der Lupe – eine Zusammenfassung zum Hören in 1:41 Minuten
Ist Servant Leadership ein unvollständiges Konzept?
James: Good evening, Miss Sophie, good evening.
Miss Sophie: Good evening, James.
James: You are looking very well this evening, Miss Sophie.
Miss Sophie: Well, I am feeling very much better, thank you, James.
James: Good, good.
Miss Sophie: Well, I must say that everything looks nice.
James: Thank you very much, Miss Sophie, thank you.
Miss Sophie: Is everybody here?
James: Indeed, they are, yeah. Yes…They are all here for your anniversary, Miss Sophie.
Miss Sophie: All five places are laid out?
James: All laid out as usual.
Miss Sophie: Sir Toby?
James: Sir Toby, yes, he’s sitting here this year, Miss Sophie.
Miss Sophie: Admiral von Schneider?
James: Admiral von Schneider is sitting here, Miss Sophie.
Miss Sophie: Mr. Pommeroy?
James: Mr. Pommeroy I put round here for you.
Miss Sophie: And my very dear friend, Mr. Winterbottom?
James: On your right, as you requested, Miss Sophie!
Miss Sophie: Thank you, James. You may now serve the soup.
James: The soup, thank you very much, Miss Sophie, thank you. They are all waiting for you. Little drop of mulligatawny soup, Miss Sophie?
Miss Sophie: I am particularly fond of mulligatawny soup, James.
James: Yes, I know you are.
Miss Sophie: I think we’ll have sherry with the soup.
James: Sherry with the soup, yes… Oh, by the way, the same procedure as last year, Miss Sophie?
Miss Sophie: Same procedure as every year, James.
James: Same procedure as every year, James…
Miss Sophie: Is that a dry sherry, James?
James: Yes, a very dry sherry, Miss Sophie… very dry. Straight out of the cellar, this morning, Miss Sophie.
Miss Sophie: Sir Toby!
James: Cheerio, Miss Sophie!
Miss Sophie: Admiral von Schneider!
James: Ad… Must I say it this year, Miss Sophie?
Miss Sophie: Just to please me, James.
James: Just to please you. Very good, yes, yes… Skol!
Miss Sophie: Mr. Pommeroy!
James: Happy New Year, Sophie!
Miss Sophie: And dear Mr. Winterbottom!
James: Well, here we are again, old lovely…
Miss Sophie: You may now serve the fish.
James: Fish. Very good, Miss Sophie. Did you enjoy the soup?
Miss Sophie: Delicious, James.
James: Thank you, Miss Sophie, glad you enjoyed it. Little bit of North Sea haddock, Miss Sophie.
Miss Sophie: I think we’ll have white wine with the fish.
James: White wine with the fish? The same procedure as last year, Miss Sophie?
Miss Sophie: The same procedure as every year, James!
Wer kennt sie nicht, die beiden – Miss Sophie und James aus „Dinner for One“? [1] Die gepflegte alte Dame, die sich weigert, ihren 90. Geburtstag ohne ihre bereits verstorbenen Freunde zu feiern und James, den trinkfreudigen, tollpatschigen Butler, dessen Weg zwischen Tisch und Buffet wir keinen Moment aus den Augen lassen.
Vor einigen Tagen las ich einen Bericht über die Entstehung dieses Silvesterklassikers. Darin stand unter anderem, dass er 1961 in den Hamburger Studios des NDR aufgezeichnet wurde und dass der Komiker Freddie Frinton wegen seiner Kriegserfahrungen ursprünglich gar nicht nach Deutschland reisen wollte. Wenige Stunden später stieß ich auf einen Beitrag über „Servant Leadership“, also die Führungskraft als Diener. Und sofort fragte ich mich: „Ist das eigentlich noch zeitgemäß?“
Während ich mich vorher mit dem Begriff, der seit den 70er Jahren als Gegenpol zu der weit verbreiteten „beherrschenden Führung“ schnell an Popularität gewonnen hat, immer wohl gefühlt habe, löste der Kontext zu „Dinner for one“ jetzt unmittelbar ein Störgefühl aus.
Ist der Diener wirklich die Führungskraft?
Ist Butler James wirklich die Führungskraft im Raum? Welche Aspekte seines Verhaltens ließen sich überhaupt als „Führung“ bezeichnen? Und wie passt Miss Sophie als Gastgeberin in dieses Bild? Servant Leadership erschien mir bislang erstaunlich widerspruchsfrei – warum wird dieses Konzept eigentlich so selten hinterfragt? Und schließlich: Was davon versuche ich eigentlich den Menschen zu vermitteln, die zu mir kommen, um sich „systemischer Führung“ zu nähern?
Hier, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, vier Aspekte:
1. Systemische Führung arbeitet an Rahmenbedingungen
Führung bedeutet, nicht im System, also an den Menschen, zu arbeiten, sondern am System: an Strukturen, Abläufen und Regeln. Es geht nicht darum, Verhalten vorzuschreiben, sondern Bedingungen zu gestalten, unter denen das gewünschte Verhalten entstehen kann und für die Beteiligten sinnvoll ist.
Diese Rahmenbedingungen setzt in „Dinner for One“ eindeutig Miss Sophie. Die Einladung geht von ihr aus, sie hat die Gäste bestimmt, die Speisefolge gewählt und den Ablauf festgelegt. „The same procedure as every year, James“ ist von ihr vorgegeben. Sie schafft den Rahmen für den Abend ihres 90. Geburtstags, und aus diesem Rahmen entfaltet sich das gesamte Stück.
2. Wo Entscheidungen gefragt sind, ist Führung gefordert
Verantwortung bedeutet, Entscheidungen zu treffen. Wer führt, entscheidet dort, wo das System ohne diese Entscheidung stillsteht.
„We will have white wine with the fish, James.“ Die Getränkeauswahl ist offenbar nicht strukturell festgelegt, sie wird von Miss Sophie spontan entschieden. Ohne diesen Impuls würde es nicht weitergehen, denn James selbst übernimmt diese Verantwortung nicht.
3. Unwahrscheinliche Kommunikation möglich machen
In Organisationen, die aus Effizienzgründen in Abteilungen, Bereiche und Teams aufgeteilt sind, wird Kommunikation schnell gehemmt. Das Problem ist weniger das Denken, sondern das Silo selbst. Eine zentrale Führungsaufgabe ist es daher, den Austausch zwischen diesen Einheiten immer wieder anzustoßen.
Auch in „Dinner for One“ ermöglicht Miss Sophie Kommunikation, wo eigentlich keine mehr stattfinden kann. Sie prostet ihren längst verstorbenen Gästen zu und reagiert gelassen auf jeden noch so schrägen Trinkspruch „Huuuh, I’ll kill that cat“ von Mr. Winterbottom. Diese ritualisierte Form des Austauschs, in Unternehmen oft „Jour fixe“ oder „Führungsgespräch“ genannt, hält das Geschehen am Laufen. Den Rest übernimmt James.
4. Mitarbeitende nicht überstrahlen, sondern ihnen das Licht geben
Simon Sinek beschreibt das treffend mit „Leaders eat last“. Eine gute Führungskraft stellt sich nicht in den Mittelpunkt, sondern schafft Raum, damit andere wirken können.
Jeder Lacher gehört James. Wir verfolgen sein Stolpern, seine Unsicherheit, seine Pflichtbewusstheit. Miss Sophie bleibt im Hintergrund, und genau das macht ihre Führung so wirkungsvoll.
Betrachtet man all das, wird deutlich: Miss Sophie ist die eigentliche Führungskraft in diesem Stück, die Gastgeberin, nicht der Diener.
Die 6 Rollen des Host Leaderships
Miss Sophie führt nicht, indem sie dient, sondern indem sie den Rahmen gestaltet, Entscheidungen trifft und das Geschehen in Gang hält. Sie ist präsent, ohne sich in den Mittelpunkt zu stellen. Ihr Verhalten erinnert an ein anderes Führungsverständnis, das diese Balance viel treffender beschreibt.
Das dazu passende Konzept heißt „Host Leadership“ und wurde von Mark McKergow und Helen Bailey Anfang der 2010er Jahre entwickelt. [2] Es beschreibt sechs Rollen des Gastgebers oder der Gastgeberin:
- den Initiator, der den Rahmen festlegt,
- den Inviter, der Einladungen ausspricht,
- den Space Creator, der den Raum gestaltet und während des Geschehens einen Schritt zurücktritt,
- den Gatekeeper, der Grenzen zieht und bei Überschreitungen reagiert,
- den Connector, der Beziehungen aufbaut und darauf achtet, dass niemand allein bleibt,
- sowie den Co-Participant, der Teil der Gemeinschaft ist, mal führend, mal dienend.
Der Gastgeber soll den Gästen, also den Mitarbeitenden, dienen und ihnen einen erfolgreichen Abend oder Arbeitstag ermöglichen. Gleichzeitig braucht er Macht und Mittel, um Rahmenbedingungen zu gestalten und Regeln durchzusetzen. Ein Balanceakt, der in der Rolle des Dieners nur zur Hälfte sichtbar wird. Ein guter Gastgeber zu sein bedeutet offensichtlich mehr, als ein guter Diener zu sein.
Warum sich dieses starke Bild bis heute nicht stärker durchgesetzt hat, lässt sich nur vermuten. Es klingt weniger radikal und provokant als „Servant Leadership“ und ist daher schwerer zu vermarkten. Es wurde zur Zeit seiner Entstehung von der agilen Welle überrollt. Und es verlangt, sich mit der ganzen Komplexität von Führung und ihren Widersprüchen auseinanderzusetzen.
Es lohnt sich, „Host Leadership“ genauer zu betrachten und Modelle, die auf den ersten Blick widerspruchsfrei erscheinen, immer wieder zu hinterfragen.
Fazit: Servant Leadership unter der Lupe
Führung ist kein Entweder oder zwischen Dienen und Gestalten. Gute Führung verbindet beides: Sie schafft Räume, gibt Orientierung und ermöglicht Entwicklung, ohne die eigene Verantwortung zu verleugnen. In diesem Sinne passt das Bild der Gastgeberin besser als das des Dieners. Miss Sophie zeigt, dass Führung bedeutet, den Rahmen zu setzen, Entscheidungen zu treffen und zugleich anderen die Bühne zu überlassen.
Ist Servant Leadership also ein unvollständiges Konzept? Vielleicht eher ein einseitiges. Es beschreibt eine wertvolle Haltung, übersieht jedoch zentrale Aspekte von Gestaltung, Macht und Verantwortung, die Führung ebenso prägen. Host Leadership erweitert diesen Blick, weil es das Zusammenspiel von Dienen und Leiten stärker in den Mittelpunkt stellt.
Kleiner Disclaimer zum Schluss: Natürlich sind mir viele Bestandteile des „Servant Leadership“ nicht unsympathisch. Besonders der oft zitierte „Dienst am Mitarbeitenden“ ist für mich ein wichtiges Merkmal guter Führung. Ich möchte das Modell also keineswegs schlechtreden. Ich glaube nur, dass es ein anderes gibt, das Führung vollständiger beschreibt, eines, das die Balance zwischen Verantwortung, Gestaltung und Dienen besser erfasst.
Oder, um es mit Miss Sophie zu sagen: „Another procedure than every year, James.“
Hinweise:
Wollen Sie als Multiplikatorin oder Meinungsführer über Servant Leadership bzw. Host Leadership diskutieren? Dann teilen Sie diesen Beitrag in Ihrem Netzwerk.
Und wenn Sie sich mit Nicolas Korte darüber austauschen wollen, besuchen Sie einfach seine Webiste: https://nicolaskorte.de/.
[1] Dinner for One with Freddie Frinton and May Warden
[2] Host von Mark McKergow und Helen Bailey
Hier finden Sie einen Blogbeitrag zum Thema: Warum Unternehmensberater Servant Leaders sein sollten.
Nicolas Korte hat drei weitere Beiträge im t2informatik Blog veröffentlicht:

Nicolas Korte
Nicolas Korte ist ein „Verbündeter für Veränderung“ und unterstützt Unternehmen und Menschen auf ihrem Transformationsweg. Und das ist weitaus mehr, als er sich am Anfang seiner persönlichen Transformationsgeschichte erwartet hatte.
Im t2informatik Blog veröffentlichen wir Beträge für Menschen in Organisationen. Für diese Menschen entwickeln und modernisieren wir Software. Pragmatisch. ✔️ Persönlich. ✔️ Professionell. ✔️ Ein Klick hier und Sie erfahren mehr.


