ROI of Trust – Was ist Vertrauen wert?

Gastbeitrag von | 05.03.2018

„Neue Arbeit“ scheint das Stichwort des Jahrzehnts. Es kommt in vielen Mänteln daher: „digitale Transformation“, „Business Agilität“, „Augenhöhe“, „neue Autorität“. Wir wollen mehr vom Menschen bei der Arbeit einbringen, besser miteinander umgehen. Viele Methoden werben um Aufmerksamkeit, ein Prinzip ist allen gemeinsam: weniger Kontrolle, mehr Vertrauen. Das scheint nett, doch was bringt es?

Return on Invest

„Wie verkaufe ich das meinem Chef?“

„Wie rechtfertige ich einen Vertrauensworkshop beim Kunden?“

„Ich bezahle die Externen doch, damit sie arbeiten, nicht damit sie sich kennenlernen!“

Solche und ähnliche Aussagen höre ich oft, wenn ich mit Menschen rede, die Verantwortung in Unternehmen tragen. Verantwortung dafür, dass die Ergebnisse stimmen, dass wir pünktlich liefern, dass wir alle am Ende des Monats unser Gehalt kriegen und am Ende des Jahres alle noch einen Job haben.

Ich treffe sehr selten Menschen, die es nicht gut, schön, erstrebenswert finden, dass es vertrauensvoller zugeht bei der Arbeit. Leider passiert das nicht durch einen Entschluss allein. Vertrauen braucht Aufmerksamkeit, und Zeit. Aufmerksamkeit und Zeit, die wir nicht fürs „Arbeiten“ verwenden. Wann lohnt sich das? Wie kann ich das rechtfertigen? Was ist Vertrauen wert?

Cost of Delay

Ein nützliches Konzept zur Bewertung von Vertrauen können wir uns bei anderem komplexem Problem abschauen: dem Priorisieren (von Features, Produkten, Projekten). Häufig können wir schlecht vorhersagen, wie viel eine Sache wert ist, wenn wir sie haben – aber wir können leichter abschätzen, was sie uns kostet (was uns entgeht), solange wir sie nicht haben.

Was kostet kein Vertrauen?

Wenn wir uns nicht – oder nicht sehr – vertrauen, hat das Auswirkungen darauf, wie wir kommunizieren und uns verhalten. Es beeinflusst, was wir sagen oder nicht, was wir tun oder nicht, was wir wem mitteilen oder nicht … und wie wir Dinge wahrnehmen, die auf irgendeine Art fremd, anders, ungewohnt sind – es bestimmt, wie wir mit Änderungen oder Neuerungen umgehen.

Fangen wir mit dem offensichtlichsten an:

Zeit

Mangelndes Vertrauen kostet Zeit. Beispiele lassen sich viele finden – bitte bestimmen Sie selbst, wie sehr diese Punkte bei Ihnen zutreffen. Eine einfache Faustformel:

Prozentsatz (schätzen sie einfach) zu dem das Problem bei Ihnen „akut“ ist (z.B. „wir verbringen ca. 20 % unserer Arbeitszeit in Meetings, ohne zum Ergebnis beizutragen“) * Personalkosten = Kosten des mangelnden Vertrauens.

Beispiel: Ihre Personalkosten sind 50.000 € im Monat. Die genannten 20% treffen zu. Dann zahlen Sie im Monat 10.000 € für Mitarbeiter, die in Meetings nur sitzen, weil … Ja, warum eigentlich? Ich könnte in dem Meeting sitzen, weil ich meinen Kollegen nicht traue, dass sie ohne mich eine gute Entscheidung treffen. Weil ich nicht darauf vertraue, dass sie genauso gut wie ich wissen, was sie tun – oder was unsere Kunden brauchen. Weil mein Chef will, dass auf jeden Fall jemand von uns bei diesen Meetings dabei ist – weil er dem Protokoll nicht traut, oder sein Revier markieren möchte …

Häufig ist auch völlig unklar, was eigentlich Sinn und Zweck des Meetings ist – das erzeugt Unsicherheit und reduziert Vertrauen. Oder es ist unklar, was von mir erwartet wird – soll ich zuhören, informieren, entscheiden, gestalten oder bewerten?

Entscheidungen

Je weniger Vertrauen wir haben, desto länger brauchen wir für Entscheidungen. Jeder muss informiert werden, will gefragt worden sein, möchte die Richtung mitbestimmen… Und: ohne Vertrauen gibt es kein wirkliches Commitment, ich trage Entscheidungen von anderen nicht so mit, dass sie zu Erfolgen werden – außer, ich vertraue darauf, dass das umgekehrt auch passiert! Wie oft ist unser Engagement halbherzig, weil wir nicht vertrauen?

Gefahren

Mangelndes Vertrauen macht ein Unternehmen halb taub und halb blind – wie ein Organismus, der seinen Sinnen nicht traut. Zu diesem Effekt tragen viele kleine Verhaltensweisen bei: Ich sage nicht gleich, wenn mir etwas auffällt. Ich gebe Fehler oder Verzögerungen nicht oder zu spät zu. Ich bitte nicht oder zu spät um Hilfe. Ich gebe Informationen nicht unmittelbar weiter. Risiken und Chancen werden nicht oder später erkannt, Handlungsmöglichkeiten dadurch vielleicht verpasst, oder teurer.

Fluktuation

Wenn es am Arbeitsplatz an Vertrauen mangelt, werden Mitarbeiter gehen. Vielleicht führt dies auch zu einer größeren Fluktuation. Oder – was vielleicht noch schlimmer ist – sie kündigen innerlich und bleiben. Zudem werden sich neue Kollegen weniger schnell zurechtfinden, brauchen länger für die Einarbeitung.

Was bringt Vertrauen?

Mit mehr Vertrauen wird unsere Kommunikation schneller, effizienter und effektiver. Wir haben und nutzen mehr und bessere Ideen – Neues wird offener gesagt und dann direkter kritisiert und verbessert. Falls Innovation und Kreativität für unser Business wichtig ist, kann dieser Vorteil die Qualität und den Wert unserer Ideen um ein Vielfaches verbessern.

Wertschöpfung erfordert Zusammenarbeit. Vertrauen ermöglicht, dass wir zusammenarbeiten, wo es passt und Sinn ergibt – nicht nur wo es geplant und vorgesehen ist. Die Flexibilität und Resilienz unseres Unternehmens erhöht sich mit mehr Vertrauen.

Lösungen komplexer Probleme brauchen verschiedene Perspektiven. Vertrauen macht bessere Integration von mehr Diversität möglich – wir können besser damit umgehen, was „anders“ ist als wir.

Insgesamt entsteht so mehr Verantwortung fürs Ganze in der Fläche. Wir müssen auf die Mitarbeiter nicht mehr aufpassen: Das Management wird vom Tagesgeschäft entlastet – es entsteht Freiraum für mehr und bessere strategische Arbeit. Die potenziell größte Wirkung hat mehr Vertrauen wahrscheinlich auf der Führungsebene: Unsere Strategie wird besser, wenn sich alle fürs Ganze statt jeder für seinen Teil einsetzt.

Die Investition in Vertrauen

Wie viel macht Vertrauen im Endergebnis aus? Das hängt davon ab, wie wichtig all diese Faktoren für Ihr Business sind: Innovation, Kreativität, Reaktion auf Risiken und Änderungen, Flexibilität… In manchen Kontexten können Vorteile in diesen Bereichen die Produktivität verzehnfachen oder mehr – in anderen, „langweiligeren“ Kontexten ist das möglicherweise nicht der Fall.

In meiner Erfahrung ist es völlig „normal“ (d.h. in den meisten Unternehmen üblich), dass Mitarbeiter mehr als eine Stunde Ihrer Arbeitszeit mit Dingen verschwenden, die mit mehr Vertrauen nicht nötig wären. Wenn wir nun also einen Tag in einen Vertrauensworkshop investieren und in der Folge beispielsweise nur noch halb so viel Zeit verschwendet wird, hätten wir die Investition sehr schnell wieder raus. Und: wir können es messen.

Vertrauen entsteht vor allem dort, wo gezielt Beziehungen aufgebaut und ein klarer Rahmen für wachsende Beziehungen geschaffen wird. Vereinbarungen für Verhaltensweisen („working agreements“) können ein Anfang sein, Check-Ins am Morgen oder zu Beginn von Meetings.

Ich verwende gerne Awareness Maps, um Beziehungen aufzubauen. Zum Einstieg bieten sich Themen an, wie das Mapping der Kontexte, in denen wir arbeiten, oder die Visualisierung von Vertrauen, wie es bei uns in der Firma oder im Team gerade gesehen wird.

Ein Trust Canvas hilft zu klären, was Vertrauen für uns überhaupt bedeutet – und liefert Ideen für Maßnahmen und Messgrößen.

Retrospektiven gezielt zum Thema, helfen Bewusstsein zu schaffen und klare Aktionen zu identifizieren.

Ich empfehle, bei jeder Aktion immer mitzuplanen, woran wir erkennen, dass sie etwas nützt und die gewünschte Wirkung hat. Erstens gibt uns das einen klareren Sinn von Fortschritt, und zweitens können wir so jederzeit nachvollziehen, ob unsere Investitionen Früchte tragen und es sich weiter lohnt, unser Vertrauen zu erhöhen.

Vertrauen lohnt sich

Bestimmte Dinge können wir quantitativ messen: wie viele Meetings finden statt, wie viele Menschen nehmen teil, wie lange braucht es von einer Idee zur Entscheidung, von der Entscheidung zur Umsetzung und so weiter. Andere Dinge können wir qualitativ erfragen: wie viele deiner Meetings profitieren von deiner Teilnahme? Wie einfach ist es, Fehler zuzugeben oder auf ein Risiko hinzuweisen?

Entscheidend ist, diese Ziele und Indikatoren regelmäßig anzupassen. Während sich die Kultur, in der wir arbeiten, verändert, müssen wir ändern, worauf wir achten. Setzen Sie für jede Messung oder Frage eine Frist, nach der diese auf Sinnhaftigkeit überprüft wird – wie ein Mindesthaltbarkeitsdatum.

Regelmäßige Reflexion kann helfen: Wir schauen uns zum Beispiel einmal im Quartal an, wie viel wir in Vertrauen investiert haben (Workshops, Meetings für Beziehungen, …) und ob dieses sich lohnt, ob wir alle der Meinung sind, dass das Vertrauen steigt und dass es uns voranbringt.

Eine externe Perspektive einzubeziehen ist hilfreich: Meine wesentliche Wertschöpfung als Coach besteht darin, den Menschen und dem System einen Spiegel vorzuhalten, in dem Dinge klarer sind als aus der Innensicht. Jetzt liegt es an Ihnen: Legen Sie los, es lohnt sich!

 

Hinweise:

Interessieren Sie sich für weitere Tipps aus der Praxis? Testen Sie unseren wöchentlichen Newsletter mit interessanten Beiträgen, Downloads, Empfehlungen und aktuellem Wissen.

Auf https://trustartist.com finden Sie weitere Anregungen zum Loslegen von Olaf Lewitz.

Olaf Lewitz hat einen weiteren Beitrag im t2informatik Blog veröffentlicht:

t2informatik Blog: Die virale Transformation

Die virale Transformation

Olaf Lewitz
Olaf Lewitz

Olaf Lewitz ist Trust Artist und Certified Enterprise Coach der Scrum Alliance. In der TrustTemenos Leadership Academy bietet er Trainings und Workshop zu Führung mit Absicht, Vertrauen, Mentoring und Coaching an.