Radikale Akzeptanz

Gastbeitrag von | 24.07.2023

Nicht mehr gegen Windmühlen kämpfen – Radikale Akzeptanz ist der Weg

In einer schwierigen Situation oder gar in einer Krise ist es entscheidend, unsere Aufmerksamkeit auf Dinge zu lenken, die wir wirklich ändern oder zumindest beeinflussen können. Gerade in schwierigen Zeiten neigen wir dazu, ein gemeinsames Klagen anzustimmen. Dabei übersehen wir die Dinge, die wir tun können, um die Situation zumindest leicht zu verbessern.

Um unsere (Team-)Resilienz zu verbessern, ist “radikale Akzeptanz” ein mächtiges Werkzeug.

Was ist radikale Akzeptanz?

Radikale Akzeptanz ist eine innere Haltung, Situationen, Menschen oder Ideen bedingungslos anzunehmen. Es geht darum, eine tiefe und umfassende Akzeptanz für das zu haben, was ist. Hört sich in der Theorie einfach an, aber wie kommen wir in diese Haltung?

Die Resilienz-Forschung hat herausgefunden, dass resiliente Menschen die bemerkenswerte Fähigkeit besitzen, Veränderungen, Rückschläge, Verluste und Krisen schneller zu akzeptieren. Sie betrachten diese Herausforderungen als Teil des Lebens selbst und können so selbst angesichts von Widrigkeiten die Fassung bewahren. Im Gegensatz zu anderen lassen sie sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen, wenn etwas schief läuft, und erholen sich von Rückschlägen schneller.

Wenn uns radikale Akzeptanz als innere Haltung gelingt, können wir ein größeres Gefühl von Frieden, Freiheit und Erfüllung im Leben erfahren.

Grundprinzipien der radikalen Akzeptanz:

  • Radikale Akzeptanz ist die Praxis, die Realität so anzunehmen, wie sie wirklich ist, frei von jeglichem Widerstand oder Ablehnung. Dazu gehört, den gegenwärtigen Moment bewusst zu beobachten und anzuerkennen, ohne zu urteilen oder zu verurteilen.
  • Radikale Akzeptanz fordert uns auf, Widerstände loszulassen, damit wir uns vorwärts bewegen können. Das bedeutet, dass wir das Festkleben an der Vergangenheit aufgeben und erkennen, dass bestimmte Dinge nicht geändert werden können.
  • Radikale Akzeptanz erfordert eine offene Haltung gegenüber neuen Erfahrungen und Möglichkeiten. Es geht darum, sich für verschiedene Perspektiven zu öffnen und die eigene Sichtweise flexibel anzupassen.
  • Radikale Akzeptanz auch auf sich selbst anwenden. Das bedeutet, sich selbst mit all den Stärken und Schwächen anzunehmen und sich nicht durch Selbstkritik runterzuziehen.
  • Radikale Akzeptanz beinhaltet das Entwickeln von Mitgefühl, sowohl für sich selbst als auch für andere. Es geht darum, sich selbst und anderen gegenüber freundlich und mitfühlend zu sein, besonders in schwierigen Situationen.
  • Radikale Akzeptanz beinhaltet die Akzeptanz von unveränderlichen Umständen ohne passiv zu sein. Es geht darum, die Verantwortung für das zu übernehmen, was innerhalb der eigenen Kontrolle liegt, und aktiv Maßnahmen zu ergreifen, um positive Veränderungen herbeizuführen.

Diese grundlegenden Prinzipien dienen als Richtlinien für die Kultivierung einer radikal akzeptierenden Haltung. Sie können nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch in zwischenmenschlichen Beziehungen und im Team effektiv angewendet werden.

Die Umsetzung radikaler Akzeptanz im Team

Im Kontext von Teamarbeit bedeutet radikale Akzeptanz, dass jedes Teammitglied seine Perspektiven, Fähigkeiten und Meinungen einbringen kann und diese anerkannt und respektiert werden, unabhängig von Unterschieden oder Ansichten. Es geht darum, die Vielfalt im Team zu würdigen und anzunehmen, und aktiv eine Kultur der Offenheit und des gegenseitigen Respekts zu fördern. In diesem Sinne sorgt radikale Akzeptanz für mehr psychologische Sicherheit im Team.

Dabei ist es wichtig zu beachten, dass radikale Akzeptanz nicht bedeutet, dass man mit allem einverstanden sein muss oder dass es keine Konflikte gibt. Es bedeutet vielmehr, eine Haltung der Offenheit und des Respekts zu kultivieren, um ein förderliches Umfeld für effektive Kommunikation, Zusammenarbeit und Lösungsfindung zu schaffen.

Den “Circle of Influence” im Team nutzen

Das Modell “Circle of Influence”¹ von Stephen R. Covey bietet einen wertvollen Rahmen für die Bewertung unserer Einfluss- und Akzeptanzbereiche. So können wir leicht feststellen, was wir ändern können und was wir akzeptieren müssen. Dieses Modell dient als praktisches Instrument zur Beurteilung des aktuellen Stands der Dinge.

"Circle of Influence" von Stephen R. Covey

Die Idee hinter dem Circle of Influence ist es, die Aufmerksamkeit und Anstrengungen auf die Dinge zu lenken, die man tatsächlich beeinflussen kann, anstatt sich auf diejenigen zu konzentrieren, die außerhalb des Einflussbereichs liegen. Durch die Fokussierung auf den Circle of Influence kann eine Person und ein ganzes Team die Wirksamkeit erhöhen, Selbstempowerment entwickeln und positive Veränderungen in der beruflichen oder sozialen Umgebung bewirken.

Dieses Modell kann ein ganzes Team befähigen, die Kontrolle über ihr gemeinsames Denken und Handeln zurückzugewinnen. Ein Team kann sich mit diesem Instrument von einem Zustand der Hilflosigkeit und Abhängigkeit lösen. Das Team lenkt gemeinsam seine Aufmerksamkeit auf die Dinge, die es beeinflussen und im besten Fall sogar selbst gestalten kann. So entsteht ein Raum für proaktives Engagement.

Wenn ein Team auf Dinge fixiert ist, die sich seiner Kontrolle entziehen, führt dies unweigerlich zu einer Abwärtsspirale aus Frustration und kollektivem Gejammer. Dies wirkt sich negativ auf den Teamgeist aus und das Gefühl, hilflos und der Situation ausgeliefert zu sein, verstärkt sich und alle fühlen sich noch mehr ausgeliefert.

Gelingt es einem Team, radikale Akzeptanz zu entwickeln, dann hört es auf, gegen Windmühlen zu kämpfen. Es tun sich neue Gestaltungs- und Handlungsmöglichkeiten auf. Denn das Team konzentriert sich auf das, was es im gegenwärtigen Moment tun kann. Auch wenn es nur kleine Schritte sind, erweitert das Team seinen Einflussbereich. Der erweiterte Einflussbereich stärkt die Wirksamkeit eines Teams und es erlebt wieder mehr Effektivität. Das steigert letztlich die Zufriedenheit und die Widerstandsfähigkeit des Teams.

Stolpersteine bei der Entwicklung von radikaler Akzeptanz

Eine Herausforderung bei der radikalen Akzeptanz ist, dass sie mit unter ein zeitaufwändiger Prozess sein kann. Es ist völlig normal, dass es uns nicht sofort gelingt, schwierige Situationen zu akzeptieren. Ein überstürzter Einstieg in den Akzeptanzmodus kann leicht dazu führen, dass die damit verbundenen Gefühle unterdrückt werden. Während einer Krise sind wir oft mit negativen und widersprüchlichen Emotionen konfrontiert, und es ist wichtig, diese Gefühle auf gesunde Weise anzuerkennen und sich ihrer bewusst zu sein.

Deswegen ist eine offene und ehrliche Kommunikation wichtig. Es braucht einen sicheren Raum, in dem alle Bedenken und auch negativen Gedanken geäußert werden dürfen. Auch diese Gefühle wollen wahrgenommen und ausgesprochen werden dürfen. Ebenso wichtig ist es jedoch, dass das Team dann in einen Gestaltungsmodus wechselt, in dem sich das Team darauf konzentriert, Lösungen zu finden und voranzukommen. Auch kleine Lösungsschritte sollten wahrgenommen und gewürdigt werden.

Hinzu kommt, dass in einem Team die Mitglieder oft ein unterschiedliches Maß an Akzeptanz haben. Einige neigen dazu, sich zu beschweren und fühlen sich hoffnungslos, während andere es vorziehen, sich nicht zu beschweren, sondern sich sofort auf die Suche nach Lösungen zu konzentrieren und an die Arbeit zu gehen. Diese Personen sind in der Regel die proaktiven Macherinnen und Macher im Team, die darauf bedacht sind, negative Gefühle zu überwinden und schnell zu handeln. Von diesen Teammitgliedern fühlen sich häufig diejenigen, die noch etwas Zeit brauchen, überrumpelt.

Grundsätzlich gilt, dass ein Team, in dem die Tendenz zum Jammern herrscht, mehr Probleme hat, Krisenzeiten gut zu meistern. Dies liegt daran, dass ein erheblicher Teil der Ressourcen des Teams für das Beschweren aufgewendet wird und wenig Raum für die Entwicklung von Lösungen bleibt. Aus systemischer Sicht sind die Folgen des Jammerns nicht unbedeutend; sie beeinflussen auch die anderen Teammitglieder.

Es erfordert ein feines Gefühl dafür, den Sorgen, dem Stress und den Emotionen Raum zu geben, bevor es in den Lösungsraum geht. An diesem Punkt ist häufig die Aufgabe der Führungskraft, diesen Prozess geschickt zu steuern und ein bewusstes Akzeptanzmanagement zu etablieren.

Die Fähigkeit, verschiedene Sichtweisen im Circle of Influence zu verstehen, zu steuern und wirksame Lösungen zu finden, ist entscheidend.

Fazit

Radikale Akzeptanz schafft eine offene und inklusive Atmosphäre im Team, in der sich die Mitglieder frei äußern können, ohne Angst vor Ablehnung oder negativen Konsequenzen zu haben.

Wenn Teammitglieder radikal akzeptiert werden, fühlen sie sich wertgeschätzt und respektiert. Dies schafft eine positive Teamdynamik und verbessert die Zusammenarbeit. Die Mitglieder sind eher bereit, sich gegenseitig zu unterstützen, Ideen auszutauschen und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.

Durch die radikale Akzeptanz werden individuelle Unterschiede und vielfältige Perspektiven der Teammitglieder anerkannt und geschätzt. Dies fördert die Innovation, da verschiedene Blickwinkel und Erfahrungen zu neuen Ideen und Lösungsansätzen führen können.

Und radikale Akzeptanz erleichtert die Konfliktlösung im Team. Wenn Konflikte auftreten, können die Mitglieder offen und ehrlich miteinander kommunizieren, ohne die Angst vor negativen Reaktionen. Dadurch können Missverständnisse schnell geklärt und Konflikte effektiv gelöst werden.

 

Hinweise:

[1] Stephen R. Covey: The 7 Habits of Highly Effective People

Brigitte Hettenkofer hat ein interessantes Buch geschrieben: Team Resilienz: Das Geheimnis robuster, optimistischer und lösungsorientierter Teams. Sehr empfehlenswert!

Brigitte Hettenkofer: Team Resilienz
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Brigitte Hettenkofer
Brigitte Hettenkofer

Brigitte Hettenkofer (Dipl. Theologin) hilft leidenschaftlich gerne Menschen, ihre innere Kraft und Resilienz zu entfalten. Seit zwanzig Jahren bietet sie mit ihrem Unternehmen NeuroResilienz Beratung, Training und Teamentwicklung an und hilft Menschen und Teams, resilient und psychisch belastbar zu bleiben.

Ihr Fokus liegt darauf, Teams zu inspirieren und zu ermutigen, um gestärkt durch herausfordernde Phasen zu navigieren. Um ihre Vision zu verwirklichen, hat sie das Team-Resilienz-Rad entwickelt, ein Instrument, das Teams hilft, ihr Resilienz-Potenzial zu erkennen und auszubauen: Gemeinsam stärker werden.