Was muss ich wissen, um Bitcoin zu verstehen?

Gastbeitrag von | 06.12.2018

Konzerne, Mittelstand, Start-ups – gefühlt macht aktuell jede zweite Firma „etwas mit Bitcoin“. Überall schlagen dem geneigten Leser das „Innovationspotenzial“ und die „Zukunftsvision“ von allem mit der Kryptowährung entgegen. Von außen betrachtet wirkt das alles wie in großer Hype ohne Substanz, der nun auf die digitale Expertenwelt einprasselt. Aber wie soll man einschätzen, was wirklich nutzbringend und was nur eine große Blase ist? Wie bei allen Bewegungen, digital wie analog, ist Wissen die Grundlage für Entscheidungen.

Hier kommt der Knackpunkt. Die Technologie, die hinter Bitcoin steckt, ist komplex aufgebaut. Sie lässt sich nicht einfach eben mit ein paar Stichworten erklären. Das wirkt für viele Neugierige abschreckend. Nicht ohne Grund tummeln sich in der Krypto-Szene überwiegend Programmierer beziehungsweise solche mit großem technischem Selbstbewusstsein. Von der Frauenquote mal ganz zu schweigen …

Dabei ist es gar nicht so kompliziert wie vielleicht gedacht. Wichtig ist, die grundlegenden Konzepte hinter der Kryptowährung zu verstehen.

Warum jetzt?

Dass Bitcoin im Jahr 2018 in aller Munde ist, hat Gründe. Im letzten Quartal 2017 stieg der Bitcoin-Preis in solche Höhen, dass die Medien an allen Enden und Ecken darüber berichteten. Wer bis dahin noch nichts von der Kryptowährung gehört hatte, wusste spätestens zu diesem Zeitpunkt Bescheid. Seit Anfang 2018 ist ein Großteil der Kryptowährungen auf dem absteigenden Ast. Der plötzliche Hype und darauf folgenden großen Verluste wirken auf Risikoscheue wie der Inbegriff aller negativen Seiten des grauen Kapitalmarkts. Es gibt sogar Stimmen, die das endgültige Platzen der Blase noch vor uns sehen.

Gleichzeitig ist jetzt – 10 Jahre nach dem Beginn des Bitcoins und den ersten Spekulationswellen – die ideale Zeit für Unternehmen, das Potenzial der neuen Technologie auszuprobieren. Die Innovationsbudgets sind angesichts überbordender Konkurrenz aus den Staaten und Fernost gut gefüllt. Es überrascht also nicht, in dieser Stimmung des drohenden technischen Untergangs Deutschlands über Innovationslabs und neue Projekte zu lesen.

Mythen rund um Bitcoin

“Bitcoin” ist im Allgemeinen eine populäre Bezeichnung für alle Kryptowährungen und für die Technologie, die hinter Kryptowährungen steckt, im Spezifischen. Das ist so aber nicht ganz richtig. Um das Konzept wirklich durchzudringen, muss zunächst mit einigen Mythen aufgeräumt werden.

Bitcoin als “die” digitale Währung

Bereits lange vor dem Bitcoin gab es digitale Währungen. Oft als Online-Äquivalente von Belohnungssystemen angelegt, waren und sind sie von einer zentralen Instanz gesteuert. Im praktischen Zahlungsverkehr hat sich keine langfristig durchgesetzt.

Bitcoin ist und bleibt Bitcoin

Mit dem Whitepaper “Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System” begründete Satoshi Nakamoto 2008 nicht nur den Bitcoin, sondern eine neue Technologie, die sogenannte Blockchain. Seitdem wurden bereits unzählige weitere Kryptowährungen auf Basis der Blockchain entwickelt. Darunter sind zum Beispiel Ethereum, Litecoin, IOTA oder Dash.

Bitcoin ist Finance

Den Bitcoin ausschließlich im Bereich Finanzen einzuordnen, ist ein Trugschluss. Zwar begründete sich die neue Währung mit dem Ziel, ein weltweit funktionierendes und vertrauensloses Zahlungssystem zu etablieren. Die Blockchain-Technologie beantwortet aber auch viele Fragen aus anderen Bereichen wie Logistik, Gesundheitswesen, Lizenzierung, Rechtswesen und mehr und wird dort bereits erfolgreich eingesetzt.

Bitcoin gleich Blockchain

Das ist an sich richtig. Der Bitcoin hat eine Blockchain (mehr dazu weiter unten). Es gibt aber Kryptowährungen, die andere Technologien nutzen.

Was ist der Bitcoin nun also? Fakt ist: Er war schlicht und einfach die erste Kryptowährung. Er wird als solche bezeichnet, weil in der Anwendung kryptographische Prozesse stattfinden. Das bedeutet nichts anderes, als dass bestimmte Abläufe verschlüsselt sind, wie zum Beispiel der Zugriff auf die eigenen Vermögenswerte. Jede Kryptowährung besteht aus einer (meist endlichen) Anzahl von Coins, sprich Münzen. Sie sind Datenpakete, die ihren Besitzern einen bestimmten „Geld“wert zuschreiben. Coins lassen sich in digitalen Geldbeuteln, den sogenannten Wallets, ablegen. Nur wer den richtigen Schlüssel besitzt, kann die Coins ausgeben.

Mit der Entstehung des Bitcoins nahm eine neue Technologie zur Regulierung von Vertrauen in großen Gemeinschaften ihren Anfang, die Blockchain. Alle Bewegungen der Coins sind auf ihr gespeichert. Sie wiederum fußt auf dem System der Distributed Ledger (DLT), also der “verteilten Kontenbücher”.

Distributed Ledgers lösen die Vertrauensfrage

In unserer Welt läuft vieles über Mittlerinstanzen. Wir gehen zur Bank, um Geld für unsere Leistungen zu verwalten. Über den Telekommunikationsprovider gelangen wir ins Internet. Und wenn wir eine Website einrichten möchten, buchen wir eine Domain und Speicherplatz bei einem Serveranbieter. Nur in den wenigsten Anwendungsfällen kommen wir miteinander ins Geschäft, ohne dass irgendein Dritter dabei ist und verdient.

Warum? In unserem System bilden Garantien und Autoritäten entscheidende Säulen des Vertrauens. Sie leisten für uns Dinge, die wir gar nicht oder noch nicht selbst vermögen.

Die Begründer der heutigen Blockchain-Systeme wurden und werden als Utopisten abgetan. Mit den Distributed Ledgers liefern sie aber die Antwort auf die Frage, wie sich Vertrauen in großen Communities ohne Instanzen wie Staat oder Banken herstellen lässt. Und das geht folgendermaßen:

Anstatt Informationen an einer zentralen Stelle zu horten, auf deren Autorität und Zuverlässigkeit sich alle verlassen müssen, werden sie gleichberechtigt auf alle Individuen eines Netzwerks verteilt. Jeder speichert alle Informationen bei sich lokal ab. Alle können sich gegenseitig auf dem aktuellen Stand halten. Je größer das Netzwerk, je besser vernetzt, desto zuverlässiger ist der Status der Information. Fällt einer dieser Knotenpunkte aus, ist die Information immer noch bei allen anderen Stellen abgespeichert. So erklärt sich auch der Name “verteilte Kontenbücher”. Die dezentrale Ablage macht Sabotage und Manipulation so gut wie unmöglich. Doch wie lassen sich die Informationen am besten für alle Nutzer verpacken? Und wer garantiert, dass auch alles realitätsgetreu gespeichert wird? Hier kommt die Blockchain ins Spiel.

Das Prinzip der Blockchain

Die Blockchain ist nichts anderes als eine lange Kette von aneinandergereihten Blöcken, die aus Daten bestehen. Alle Transaktionen eines Ökosystems sind dort gespeichert. Eine Transaktion kann zum Beispiel die Übertragung von digitalen Münzen (“Coins”) von einem Besitzer zum anderen sein. Möglich sind auch Vertragsabschlüsse oder die Verwaltung von digitalen Identitäten.

Jeder Knotenpunkt (“Node”) ist befähigt, zu überprüfen, ob eine Transaktion valide ist. Sprich es geht darum, zu schauen, ob sie auf diese Blockchain gehört und alle Voraussetzungen für die Einordnung in einen Block erfüllt. Akteure, die keinen Knotenpunkt bilden, verlassen sich auf andere Nutzer, die das für sie übernehmen. Aber wie kommt der Block an die Kette?

Das ist die Aufgabe von Minern oder Stakern. Sie sind User im Netzwerk, die eine bestimmte Voraussetzung mitbringen. Beim Mining von Bitcoin ist das eine große Rechenpower. Beim Staking geht es eher um den Anteil, den der einzelne Nutzer hält. Hat jemand zum Beispiel viele Münzen in seinem Portmonnaie, bekommt er eher den Vorzug. Diese Miner oder Staker konkurrieren untereinander darum, den Anschluss eines Blocks an die Kette bestätigen zu dürfen. Als Belohnung erhalten sie eine vordefinierte Summe an Coins pro Block. Das sind bei Bitcoin beispielsweise aktuell 12,5.

Das technische Konzept, das sich hinter dem Mining verbirgt, heißt Proof of Work. Es ist ein sogenanntes Konsensverfahren, weil dadurch Einigung über die Anordnung und Hinzufügen von Transaktionen in Blöcken definiert wird. Um einen Block hinzuzufügen, müssen Miner mit ihren Rechnern Rätsel lösen. Der Gewinner erhält den Zuschlag für den Block und streicht die Belohnung in Coins ein.

Andere Verfahren heißen bezeichnenderweise Proof of Stake, Proof of Burn oder Proof of Brain.

Über Bitcoin und Blockchain hinaus

Wer über Distributed Ledger Technologien redet, muss im gleichen Atemzug mit Bitcoin eigentlich Ripple und IOTA nennen. Diese Ökosysteme haben andere Herangehensweisen an die verteilten Kontenbücher entwickelt.

Ripple beispielsweise leitet Zahlungen bei fehlender direkter Beziehung der Geschäftspartner über die Knotenpunkte, die zwischen ihnen liegen.

IOTA ist ein System, in dem jeder Knotenpunkt beim Absenden der eigenen Transaktion mehrere andere Vorgänge bestätigt. Es wird primär für das Internet der Dinge entwickelt, sodass Maschinen problemlos interagieren können.

Wirtschaftliches Potenzial von Bitcoin

Das Netzwerk, das auf der Blockchain aufbaut, ist vertrauenslos. Das heißt, die Akteure müssen einander nicht vertrauen, um ins Geschäft zu kommen – durch die Nodes gibt es unzählige “Zeugen”.

Die Möglichkeiten, die sich dadurch ergeben, sind revolutionär. Zum Beispiel können zwei Parteien einen Vertrag ohne Bestätigung durch den Notar schließen. Die Informationen, die auf der Blockchain ankommen, sind unabänderlich. Einmal gestartet, läuft der Vertragsvorgang ohne Störungen ab. Nicht ohne Grund tragen solche automatisierten Vorgänge den Namen “Smart Contract”.

Eine andere Variante ist das Initial Coin Offering (ICO). Ähnlich einem Börsengang verkauft ein Unternehmen damit Anteile an zukünftigen Projekten. Käufer setzen auf das wirtschaftliche Potenzial des Produktes oder der Lösung. Da ICOs bisher kaum reguliert und die ausgegebenen Anteile (“Tokens”) frei handelbar sind, eröffnen sie komplett neue Wege. Startups, die sonst nur schwerlich an Finanzierung kamen, haben nun eine Alternative. Selbstverständlich ist das Risiko für Investoren ohne Vorab-“Prüfung” durch Institutionen wie Banken sehr hoch. Eingesetztes Kapital kann komplett verlorengehen. Sind Tokens auf der Basis großer und starker Blockchains ausgegeben, schafft das Netzwerk eine gewisse Vertrauensgrundlage. Die Masse schlägt die einzelne, womöglich mutwillig handelnde Institution.

Kein System ist ohne bestimmte Schwachstellen. Bei der Blockchain besteht das Risiko, dass Knotenpunkte ausfallen. Gibt es zu wenige aktive Knoten, oder werden sie feindlich übernommen, scheidet damit auch das Vertrauen. Geht man bei Unternehmen von internen Ökosystemen aus, so erfüllen nur sehr große Unternehmen und Konzerne diese Voraussetzung.

Aus Prozesssicht ist sicherlich die fehlende Skalierung ein großes Problem. Prozesse rund um Blockchains sind teilweise langwierig und schwerfällig: Die zweitwichtigste Kryptowährung Ethereum schafft aktuell nur weniger als 15 Transaktionen pro Sekunde. Überraschenderweise gehört gerade der Bitcoin zu den eher “langsameren” Währungen. Zur Behebung gibt es verschiedene vielversprechende Ansätze.

Wo findet DLT Anwendung?

In der Auseinandersetzung mit dem Potenzial der Technologie fällt oft der Satz: „Aber wo wird das denn bisher erfolgreich umgesetzt?“ Die Frage ist nicht unberechtigt. Beispiele für gute Ansätze und Ideen gibt es zuhauf. Der rasante Anstieg und darauf folgende Abstieg des Bitcoin-Kurses hat die Nutzer aber verschreckt. Bitcoin ist synonym geworden mit Spekulation, Geldverlust und Panik. Demgemäß ist eine breite Akzeptanz und Nutzung in naher Zeit unwahrscheinlich.

Aufgabe der Blockchain-Innovatoren ist es nun, das Vertrauen in diese Technologie – die ironischerweise für mehr Vertrauen sorgt – wiederherzustellen.

Distributed Ledger Technologie hilft beispielsweise Akteuren entlang der Supply Chain, Waren nachzuverfolgen. In vernetzten Systemen, in denen Lieferanten und Weiterverwerter an unterschiedlichen Stellen sitzen, bildet die Blockchain eine Brücke.

Digitale Identitäten lassen sich über dezentrale Speicherung ebenso verwalten wie Software- oder Musiklizenzen. Die Rechte an einem Lied sind so unmissverständlich an eine bestimmte Person gebunden.

Erste Wahlen wurden ebenfalls bereits über dezentrale Speicherung durchgeführt. Bisher gelang das nur in kleinem Umfang wie Kommunalwahlen. In Ländern, in denen Korruption weit verbreitet ist, kann eine Blockchain-basierte Wahl die Demokratie stützen und so für mehr Gerechtigkeit sorgen.

Die aktuell wichtigste Anwendung von DLT ist jedoch der digitale, weltweite Geldfluss. In vielen Ländern ist der Zugang zu Online-Finanzsystemen nur über Handy möglich. Anbieter, die das weltweite Versenden von Geld auf anderen Wegen übernehmen, verlangen dafür oft horrende Gebühren. Die Servicegebühren der meisten Kryptowährungen sind vergleichsweise gering (und oft noch geringer, wenn der Nutzer bereit ist, ein bisschen zu warten).

Wie bereits bei ICOs weiter oben beschrieben, verlassen sich auch und gerade junge Unternehmen auf diese Art der Kapitalspritze. Aus Europa in ein Start-up in Asien investieren? Wird so zum Kinderspiel.

Bei all der Freude darf man nicht vergessen, dass verteilte Kontenbücher im Kern eine Bewegung weg von zentralisierten Stellen ist – und das sind Unternehmen in sehr vielen Fällen. Erst vor kurzem wurde Amazon heftig dafür kritisiert, eine BaaS-Lösung („Blockchain as a service“) so zu bewerben, als würde der Konzern alles kontrollieren. Ob er das tut oder nicht, ist irrelevant. Sobald eine Organisation den mehrheitlichen Anteil an einer Sache hat, ist das hehre Ziel von DLT verfehlt. Das kann im Umkehrschluss aber eine große Chance sein: Wer Nutzer von Blockchains & Co. mit gutem Service rund um das Thema unterstützt, hat jetzt die beste Chance zur Innovation.

Fazit

Distributed Ledger Technologien und Anwendungen stecken (noch) in den Kinderschuhen. Das Auf und Ab in den Kursen hat die aufkeimende Hoffnung auf revolutionäre Umsetzungen eher gebremst als befördert. Trotz oder gerade wegen dieser Tatsache ist der Ausblick vielversprechend. Jetzt ist ein idealer Zeitpunkt, um mehr über Bitcoin & Co. zu lernen und sich auszuprobieren. Bringen Sie sich in Stellung, denn wenn die Kurse wieder ansteigen, können Sie richtig von der Aufschwungstimmung profitieren.

 

Hinweise:

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Franziska Hauck
Franziska Hauck

Franziska Hauck ist Consultant für Developer Relations und Community-Strategie. Als Redakteurin bloggte sie bei blockchaincenter.net zu Bitcoin & Co. Mehr Tipps von ihr gibt es unter fh-digital.org und auf ihren sozialen Kanälen.