Vom Umgang mit Veränderung

Gastbeitrag von | 11.02.2021

“Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber soviel kann ich sagen: es muss anders werden, wenn es gut werden soll.” – Georg Christoph Lichtenberg

Ein hervorragendes Zitat zum Einstieg in ein Thema, welches uns ein Leben lang begleitet. Ganz gleich ob beruflich oder privat. Das Leben ist voller Abschiede und voller Neustarts und man könnte meinen, es ist Bestandteil unseres Lebens und wir müssten geübt darin sein, Veränderungen zu erleben. Jedoch vermeiden viele von uns diese oder erleben Veränderungen zumindest als äußerst anstrengend. In Zeiten des digitalen oder auch kulturellen Wandels, sich in diesem Zuge verändernder Tätigkeiten, der Globalisierung und damit verbundener Mobilität, werden wir mit so zahlreichen Veränderungsprozessen konfrontiert, dass es lohnenswert erscheint, an der eigenen Veränderungskompetenz zu arbeiten.

Genau darum soll es in diesem Artikel gehen: wie kann ich meine Resilienz, also meine Widerstandsfähigkeit im Umgang mit Krisen und Veränderungen ausbauen? Was ist zudem hilfreich, wenn ich im Arbeitskontext Veränderungsprozesse auslöse und z.B. in der Rolle einer Führungskraft Veränderungsprozesse begleite?

In meinen Vorträgen zum Thema starte ich meist mit Klassikern aus dem Bereich des Change Managements, verschiedenen Modellen, die typische Abläufe von Veränderungsprozessen darstellen und damit unsere eigenen oder die Emotionen und Verhaltensweisen der anderen erklären.

3-Phasen-Modell nach Kurt Lewin

Ein recht reduziertes und oft zitiertes Modell ist jenes der drei Phasen von Kurt Lewin

Phase 1: Unfreezing (Auflockern)
Phase 2: Moving (Verändern)
Phase 3: Freezing of Group Standards (Stabilisieren)

Lewin hat dieses nach Ende des 2. Weltkriegs entwickelt und es ist als “Model of Change” bekannt geworden¹. Das Modell wird häufig auf Veränderungen in Organisationen übertragen. Organisationen müssten zunächst aufgetaut werden, um sie bereit für die Veränderung zu machen und um dann im Anschluss wieder eingefroren zu werden.

8-Stufen-Modell nach John Kotter

Kotter setzte in den 90er Jahren auf das Modell von Lewin auf. Im Ursprung beschrieb er 1994 in einer Ausgabe des Harvard Business Review sein unter Betriebswirten bekanntes 8-Stufen-Modell. Bekannt wurde Kotter insbesondere durch sein Buch “Leading Change – Wie Sie Ihr Unternehmen in acht Schritten erfolgreich verändern” (1996).

Die 8-Stufen der Veränderung nach Kotter:

  1. Ein Gefühl der Dringlichkeit erzeugen
  2. Eine Führungskoalition aufbauen
  3. Vision und Strategie entwickeln
  4. Die Vision des Wandels kommunizieren
  5. Mitarbeiter*innen auf breiter Basis befähigen
  6. Schnelle Erfolge erzielen
  7. Erfolge konsolidieren und weitere Veränderungen einleiten
  8. Neue Ansätze in der Kultur verankern

 

8 Stufen Modell - Blog - t2informatik

Der Prozess des Sterbens von Elisabeth Kübler-Ross

Bei der Beschreibung von Modellen zum Ablauf einer Veränderung darf Elisabeth Kübler-Ross nicht fehlen. Die Psychiaterin veröffentlichte 1969 ihr Buch „Interviews mit Sterbenden“ (Originaltitel: „On Death and Dying“). Dafür unterhielt sich die in der Schweiz geborene US-Amerikanerin mit zahlreichen Schwerstkranken und Trauernden. Kübler-Ross unterteilte den Prozess des Sterbens in fünf Phasen:

  1. Leugnen
  2. Zorn
  3. Verhandeln
  4. Depression
  5. Annahme

Später erweiterte Kübler-Ross das Modell und zeigte die emotionale Reaktion von Menschen im Verlaufe einer Veränderung auf. Menschen, die mit bedeutenden persönlichen Lebensereignissen konfrontiert waren, die einen Verlust oder eine Veränderung mit sich brachten – wie zum Beispiel den Verlust des Arbeitsplatzes, Tod eines geliebten Menschen, Scheidung usw.

Kübler-Ross-Modell

Insbesondere die folgende Abbildung dürfte vielen bekannt sein, die sich mit Veränderungen auf psychologischer Ebene bereits beschäftigt haben:

Kübler-Ross Theory - 5 stages of grieving

Transformationskurve nach Virginia Satir

Es gibt neben dem Modell von Kübler-Ross ein ähnliches Modell der systemischen Familientherapeutin Virginia Satir. Der Unterschied zur Kurve von Kübler-Ross liegt vor allem darin, dass Kübler-Ross auf der vertikalen Achse das sich verändernde Selbstwertgefühl in den Blick nimmt, während Satir die vertikalen Achse mit der Fähigkeit oder Leistungsfähigkeit der von der Veränderung betroffenen Person beschreibt.

Transformationskurve nach Virginia Satir

Angelehnt an den Ablauf einer therapeutischen Begleitung sind im Satir-Modell folgende Phasen zu benennen²:

Phase 1: Status quo
Phase 2: Einführung eines fremden Elements (Herstellen von Kontakt, Untersuchung von Erwartungen, Untersuchung von Barrieren, Widerständen, Widerstand in Richtung Würde umdeuten)
Phase 3: Chaos (Angst und Furcht normalisieren, Offenlegen der Familienregeln)
Phase 4: neue Wahlmöglichkeiten und Integration
Phase 5: Umsetzung
Phase 6: Der neue Status quo – gesünderes Gleichgewicht

Die 7 Phasen der Transformation nach Kübler-Ross/Satir

Zur Erklärung von Emotionen in Veränderungsprozesses und zur Ableitung kommunikativer Maßnahmen wird häufig das 7-Phasen-Modell genutzt.

Auf der vertikalen Achse zeigt sich die Ausprägung der wahrgenommenen Kompetenz, die Möglichkeit der Einflussnahme der von einer Veränderung betroffenen Person im zeitlichen Verlauf.

Veränderungskurve nach Kübler-Ross
Bildquelle: Sandra Brauer, Twitter, Juni 2018: https://twitter.com/brauer_sandra/status/1012653286548279298/photo/1

Angefangen beim Schock durch eine kommunizierte Veränderung zeigt das Modell, dass darauf häufig Ablehnung der Umstände oder ausgelebter Widerstand folgt bis hin zum Begreifen der Realität, der Verabschiedung des Vergangenen, Akzeptieren des Neuen und dann der Übergang in Richtung der neuen Welt, des Experimentierens bis hin zum neuen Normal.

Keine Veränderung ist wie die andere

Die Kritik an diesen Modellen ist die Starrheit des jeweiligen Modells. Dennoch habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es Menschen hilft, zu wissen, dass andere Menschen in ähnlichen Situationen ähnliches erleben und vor allem fühlen. Wir reden in der systemischen Beratung, im Coaching von der Normalisierung eines Umstands, einer Situation. Es entsteht ein Gefühl des Nicht-Alleinseins und sich mit anderen verbunden fühlen.

Dennoch lässt sich keine Reaktion auf eine anstehende Veränderung wirklich voraussagen. Weder bei einem persönlich, noch bei den Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen. Es kommt stets auf die Art der Veränderung an, auf die Beteiligten und den jeweiligen Kontext.

Wenn ein Team beispielsweise in der Vergangenheit eine Einführung in das agile Arbeiten erhalten, jedoch schlechte Erfahrungen dabei gemacht hat, dann hat eine weitere Ankündigung eines neuen agilen Projekts häufig weitaus schlechtere Chancen. Hat sich das Team jedoch gewandelt, sind alte Teammitglieder gegangen, andere neu dazugekommen, verwendet der agile Coach zudem noch die für den Moment passenden Worte, könnten die angekündigten Veränderungen gleich weitaus mehr Erfolg haben.

Durch Leid entsteht Veränderung – oder doch eher umgekehrt?

Viele Menschen lehnen grundsätzlich Veränderung ab. Wir streben in unserem Ursprung nach Sicherheit. Dies ist eines unserer psychologischen Grundbedürfnisse³. Läuft unser Leben in geordneten Bahnen ab, in festen Strukturen, vermittelt dies uns eben genau jene Form der Sicherheit. Zudem sparen Strukturen und feste Abläufe Ressourcen unseres Gehirns. Jede Veränderung ist für unser Gehirn eine neue Baustelle. Die Straße muss quasi erst einmal neu angelegt werden, um später rasch befahren zu werden. Je nachdem wie unsere Persönlichkeit gestrickt ist, lernen wir uns rascher auf neuen Straßen zu bewegen als andere oder wir empfinden dies eher als herausfordernd als beängstigend und erkunden gern neue Wege.

Sind wir uns zudem unserer eigenen (Veränderungs-) Kompetenz bewusst, können wir uns dieser bedienen, wirkt eine Veränderung auf uns weniger herausfordernd und damit bewältigbar.

In der Arbeitswelt ist der Umgang mit Veränderung häufig eine große Herausforderung, vor allem für Führungskräfte oder Initiatoren von Veränderungsprozessen. Es bedarf guter Vorbereitung und Kommunikation einer anstehenden Veränderung, sowie ein empathischer, achtsamer Umgang mit möglichen aufkommenden Emotionen und Verhaltensweisen aller Beteiligten. Hier hilft es weitere psychologische Grundbedürfnisse von uns Menschen mit in den Blick zu nehmen. Nach Klaus Grawe streben wir stets nach Autonomie. Daher wird in sämtlichen Foren stets dafür geworben, Mitarbeitende an den Veränderungsprozessen zu beteiligen. Haben Menschen das Gefühl, sie können ihre Situation beeinflussen, sie können selbstwirksam werden, fühlen sich nicht ausgeliefert und können sich eher in Richtung Akzeptanz, Lösung und Zukunft bewegen. Nicht nur ein weiteres Grundbedürfnis sondern auch ein wichtiger Resilienzfaktor ist dazu die Existenz eines stabilen sozialen Gefüges. Wie oft hören wir den Ausspruch, dass Arbeitsumstände beinahe unerträglich seien, aber das Miteinander, die Kollegen sind es wert zu bleiben. Nehmen wir in Zeiten von Veränderung dies in den Blick, werden wir eine Veränderung oder auch eine Krise möglicherweise so manches Mal als weniger belastend empfinden.

Resümee

Oftmals hilft es Menschen zu verstehen, wie typische Reaktionen auf Veränderungen ablaufen können, welche Gründe es für diese gibt und dass sie damit nicht allein sind.

Mal ganz abgesehen von den beschriebenen Modellen, die uns eben diese typischen Abläufe und Reaktionsweisen in Veränderungsprozessen aufzeigen, sowie die aufgezählten Einflussfaktoren wie eine Veränderung gelassener zu erleben sein könnte, möchte ich hier noch auf die Resilienzforschung verweisen. Das relativ junge Forschungsfeld (Beginn der Forschung in den 1960er Jahren) ist sich sicher, dass sich unsere Widerstandsfähigkeit gegenüber Veränderungen und Krisen aus- und aufbauen lässt. Somit lernen wir von erlebter Veränderung zu erlebter Veränderung dazu und können auch auf diese Weise einen immer entspannteren Umgang mit Veränderungen entwickeln. Dazu dann gern noch einmal mehr in einem nächsten Beitrag.

 

Hinweise:

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[1] 3-Phasen-Modell von Kurt Lewin
[2] Satir-Modell
[3] Psychologische Grundbedürfnisse

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Sandra Brauer
Sandra Brauer

Sandra Brauer – Veränderungsbegleitung mit System – ist als systemische Beraterin und Trainerin für Stressmanagement, Achtsamkeit und Entspannung im Einsatz. Die studierte Betriebswirtin begleitet Unternehmen und Einzelpersonen in Veränderungsprozessen. Ihre Schwerpunkte sind dabei die Begleitung von Digitalisierungsvorhaben und Veränderungsprojekten, vor allem im Zuge des kulturellen Wandels. Sandra Brauer kann für Workshops, Teamreflexionen, Einzelberatung und -coachings, Moderation von Podiumsdiskussionen sowie Impulsvorträgen gebucht werden.