Raus aus dem Labor – rein ins echte Leben!

Gastbeitrag von | 04.03.2019

Haben Sie das auch schon erlebt? Etwas Neues soll seinen Weg in die Organisation finden. Und damit es sich richtig entfalten kann, wird ein besonderer Erprobungsraum eingerichtet. Ein „Lab“ oder Labor oder irgendetwas mit „Space“ oder „Tank“ am Ende – auf die Bezeichnung kommt es gar nicht so sehr an. Die Idee: Im abgesteckten Raum gelten ganz besondere Rahmenbedingungen. „Hier dürfen wir mal so richtig Tabula rasa machen und uns auf der grünen Wiese ganz neu erfinden!“ Das ist natürlich ein wunderbares Versprechen. Und ein nicht minder hehres Ziel. Aber lässt es sich so überhaupt erreichen? Helfen uns Laborumgebungen bei der Transformation unserer Unternehmen?

Was wollen wir mit einem Labor erreichen?

Die Idee klingt erst einmal gut: Wenn wir Rahmenbedingungen schaffen, die dem Neuen – unserem Vorhaben – den richtigen Nährboden bieten, dann kann es wachsen und gedeihen. Dazu können Labore einiges beitragen, zum Beispiel:

  • Einen vom Rest der Organisation abgegrenzten Raum schaffen
  • Neues in seiner „reinen Form“ ermöglichen
  • Jene Einflüsse ausschließen, die für das Vorhaben hinderlich sein könnten
  • Solche Bedingungen schaffen, die für das Vorhaben förderlich sind

Labore bieten spezielle Voraussetzungen, die in dieser Form und in diesem Zusammenspiel bisher noch nicht im Unternehmen vorhanden sind. In ihnen können sich dann Innovations- und Transformations-Teams ausprobieren und Experimente wagen ohne Auswirkungen auf und für die restliche Organisation. Labore fixieren also auf Basis getroffener Annahmen die Bedingungen entsprechend der zu prüfenden These. Sie schließen Faktoren und Varianten aus und fokussieren bestimmte Aspekte. Genau hierin liegt die Crux: Wie übertragbar sind Ergebnisse aus dem „Reinraum“ in die echte, laut „VUKA“ unberechenbare Welt? Und haben wir überhaupt die richtigen Annahmen getroffen?

Natürlich gibt es Erfolgsgeschichten, bei denen die Übertragung aufs gesamte Unternehmen funktioniert hat. Wenn der Sprung aus dem Labor ins echte Leben gelingt, dann darf man sicher auch freudig „Q.E.D.“ darunterschreiben. Aber dass es sich dabei nicht um ein steuerbares und wiederholbares Ergebnis handelt, gesteht man vielleicht nur in den engsten Kreisen ein.

Es scheint doch eher so zu sein: Was unter Laborbedingungen gelingt, muss draußen in der echten Welt noch lange keinen Bestand haben. Prognosen sind mit Vorsicht zu genießen oder sollten mit der strikten Forderung nach Schaffung der gleichen Bedingungen einhergehen. Denn hierin liegt die weitaus größere Aufgabe: Nicht die Neuerung als solche bringt die Organisation an ihre Grenzen, sondern die Anpassung der Rahmenbedingungen als Grundlage für das unter Laborbedingungen erprobte Neue stellen sie vor mitunter gewaltige Herausforderungen.

Woran scheitert das Labor?

Vielleicht zäumen wir mit diesem Vorgehen das Pferd bisher von hinten auf. Viel Geld, Zeit und Energie wurde schon aufgewendet, weil in solchen Transformationsprojekten Idealwelten beschrieben und in Laboren eingerichtet wurden, um dann die dort optimierte Lösung auf das Unternehmen loszulassen. Was eben noch wie geschmiert lief, wurde ganz unverhofft zum Rohrkrepierer. Doch eigentlich ist uns dieses Phänomen gar nicht so fremd.

Ein ganz bekanntes Beispiel für diese Diskrepanz zwischen Labor und realer Welt war der durchschnittliche Kraftstoffverbrauch, mit dem Automobilhersteller ihre Fahrzeuge bewarben. Dieser wurde in einer Idealwelt auf standardisierten Strecken mit idealisierten Fahrweisen ermittelt. War das hilfreich? Nein, denn wir alle wussten, dass die Prospektangaben nicht stimmten und mussten unsere eigenen Erfahrungen erst mithilfe einiger Fahrten machen. Für manchen gab es dabei eine große Überraschung. Mittlerweile wurde hier aber nachgezogen: Die Werte werden nun aus echten Nutzungsdaten ermittelt und liegen viel näher an den tatsächlichen Verbrauchsdaten. Auch hier ergeben sich immer noch Differenzen, aber nicht mehr in den Größenordnungen, die durch die frühere Idealisierung entstanden.

Wie können Labore dennoch helfen?

Nichtsdestotrotz müssen Sie Ihre Labore nicht gleich schließen. Sie können durchaus sinnvoll sein und Sie bei Ihren Veränderungsvorhaben unterstützen. Nur sollten wir hierbei anders als bisher vorgehen. Dann können Labore weiterhin wichtige Funktionen wahrnehmen:

Als Übungsraum

Eine abgegrenzte Umgebung mit geänderten Bedingungen kann vor allem dann sinnvoll sein, wenn wir uns etwas völlig Neuem erst nähern wollen. Die meisten von uns haben vermutlich in einem kleinen Schwimmbecken oder am ruhigen Ufer eines Sees das Schwimmen gelernt. Dort hatten wir die Chance, uns erst einmal nur auf unser Vorhaben, das Schwimmen, zu konzentrieren. Große Wellen, Boote, Algen etc. – viele mögliche Störfaktoren hatten wir ausgeschlossen. Und vielleicht hatten wir sogar Hilfsmittel wie Schwimmflügel dabei. Erst als wir uns sicher genug fühlten, wagten wir den Schritt in andere Gefilde wie die Mitte des Sees, belebte Badestellen oder das wellenschlagende Meer. Ob wir wirklich schwimmen konnten, haben wir erst dort erfahren. Und natürlich haben wir unsere Technik verbessert, Erfahrungen gesammelt und uns angepasst, um unter realen Bedingungen zu bestehen.

Zu Übungszwecken kann ein Labor sehr nützlich sein. Dort können Sie mit Methoden, Formaten, Technologien u.v.m. experimentieren. Denken Sie nur immer daran, dass dies nur eine Vorstufe sein kann für die anschließende Erprobung unter echten Bedingungen. Nehmen Sie das Labor stattdessen eher als Befähigungsmöglichkeit wahr, denn was Sie hier lernen, das nehmen Sie in jedem Fall mit.

Als Testraum

Ein weiterer sinnvoller Anwendungsfall für Labore ist die Durchführung von Tests mit Echtdaten im abgegrenzten Raum. Dabei übernimmt das Labor eine Pilotierungsfunktion, um Neues zwar in der realen Welt zu testen, aber nur in einem klar separierten Stück davon. Es ist ein bisschen so, wie wenn wir erst einmal nur einen Teil der Wiese umpflügen, um uns der Anpflanzung von Gemüse zu nähern. Auf dem abgegrenzten Stück können wir testen, ob es wächst, oder ob wir noch einmal etwas anpassen sollten – die Sorte, den Zeitpunkt, den Abstand, die Erde. Oder ob wir sogar feststellen, dass es nicht der passende Platz war.

Solche Erfahrungen können wir nur mit Echtdaten machen, mit Experimenten in der realen Welt und kurzen Iterationen, um zu reflektieren und nachjustieren zu können. Mit diesen Tests erlangen wir belastbare Erkenntnisse fürs Unternehmen, ohne Anpassungsaufwände und mögliche Risiken gleich auf die gesamte Organisation auszuweiten. Dabei sollten wir natürlich immer im Blick behalten, dass auch innerhalb einer Organisation nicht alles überall gleich ist. Als solide Basis für eine unternehmensweite Einführung unseres Vorhabens dienen unsere Ergebnisse aus dem Labor hierbei dennoch.

Was heißt das nun für künftige Vorhaben?

Trauen Sie sich! Probieren Sie sich in der echten Welt aus. Wenn Sie eine Veränderung anstreben, dann betrachten Sie diese nicht losgelöst vom restlichen Geschehen, Umfeld und Kontext. Beziehen Sie Kunden, Partner und Lieferanten ein, wagen Sie sich heraus und erhalten Sie dafür echtes Feedback und verwertbare Erkenntnisse. Sie werden staunen, wie schnell Sie Erfahrungswerte sammeln, Resonanz bewirken und sich Veränderung verbreiten. Denn die Grenze des Labors fällt weg oder wird zumindest durchlässig.

Dafür ist es unabdingbar, ein gemeinsames Verständnis und eine experimentierfreudige Kultur zu schaffen, in der es erlaubt ist und durchaus erwünscht, dass man sich von Dingen auch wieder verabschiedet. Weil sie nicht so wirken wie gewünscht, so passen wie erwartet oder schlichtweg nicht mehr sinnvoll sind. Das ist nicht nur OK, das ist sogar sehr gesund und essentiell für Ihre Zukunftsfähigkeit.

Als Belohnung winkt die Chance, dass Ihre Transformation besser gelingt, nachhaltiger wirkt und auf höhere Akzeptanz stößt. Und wenn Sie einmal nicht sicher sind, ob Sie es so angehen können, fragen Sie sich Folgendes: Ist es sicher genug es auszuprobieren? Und was passiert, wenn wir es nicht versuchen?

 

Hinweise:

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Christina de Vries hat einen weiteren Beitrag im t2informatik Blog veröffentlicht:

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Christina de Vries
Christina de Vries

Christina de Vries begeistert Menschen und Organisationen für moderne Zusammenarbeit. Nach dem sie 9 Jahre bei der itacs GmbH aktiv war und 1,5 Jahre für Microsoft gearbeitet hat, ist sie seit 2022 als Senior Customer Success Manager bei Adobe tätig.