New Work und Old Work – Ein Gespräch mit Dr. Andreas Zeuch

von | 29.08.2019

Viele Organisation befinden sich im Umbruch. Neue Konzepte für neue Arbeit werden gesucht. Ein Gespräch mit Dr. Andreas Zeuch, Berater für Selbstorganisation und Mitbestimmung, über New Work und Old Work, über Brücken zwischen den Welten und eine Konferenz im März 2020.*

Michael: Hallo Andreas, wir kennen uns schon eine ganze Weile. Du beschäftigst Dich mit Unternehmensdemokratie und Unternehmensdemokraten, bist Buchautor und ein Experte für New Work. Jetzt lese ich, dass Du auch im Kontext von Lean Management unterwegs bist. Wie kommt das?

Andreas: Hallo Michael. Eine gute Frage zum Einstieg. Das kam so: 2016 lernte ich Ralf Volkmer von der heutigen Leanbase auf der NextAct16 kennen. Wir waren uns sofort sympathisch und 2017 war ich das erste mal auf der damaligen Lean Around the Clock #LATC2017 dabei. Das war ein völlig verrücktes Lean-Event mit einem endlos anmutenden Strom von Vorträgen über zwei Tage, denen niemand durchgehend folgen konnte, was auch genau so beabsichtigt war. Mich beeindruckte damals Ralfs gnadenlos persönliche Art, alle rund 170 Teilnehmer*innen persönlich per Handschlag zu begrüßen und allen konsequent auf Augenhöhe zu begegnen. 2018 war ich dann wieder dabei, damals mit bereits 512 Teilnehmer*innen und dieses Jahr mit über 600 Leuten. Ralf kam dann auf unser Team zu und lud uns ein, Lean und New Work zusammen zu denken. Denn da gibt es durchaus diverse Verbindungen und Anknüpfungspunkte, wie auch Franziska Gütle in einer kleinen Serie von drei Artikeln im Blog der Unternehmensdemokraten darlegte. Dieser Einladung konnten wir nicht widerstehen, zumal Ralf auch sehr großzügig alleine ins Risiko geht mit der Anmietung des gesamten Maimarktgeländes in Mannheim. Wir haben nun lediglich die Aufgabe, unsere zweite (Un)Konferenz “Neue Konzepte für Neue Arbeit” in diesem Rahmen umzusetzen.

Das Verständnis von New Work

Michael: Ich war 2019 auch auf der Veranstaltung und wurde zweifach überrascht. Einerseits scheint es immer noch genügend Menschen und Organisationen zu geben, die New Work eher über Äußerlichkeiten definieren, also bspw. den coolen Arbeitsplatz und kostenfreie Getränke. Hast Du auch diesen Eindruck?

Andreas: Nein, überhaupt nicht, die Masse der New Work Gemeinde hat ein tiefgreifendes Verständnis davon, dass es um viel mehr geht, unter anderem um eine tiefgreifende Veränderung der bisherigen EntscheidungsKultur und des althergebrachten EntscheidungsDesigns. Im Ernst: Ich bin da voll bei Dir, geht mir genauso. Was dann noch hinzukommt: New Work oder Agilität soll durch den flächendeckenden Einsatz von entsprechenden Methoden, allen voran Scrum, erreicht werden, indem mal eben schnell entsprechende Trainings durchgeführt und Product Owner sowie Scrum Master ausgebildet werden.

Michael: Ich finde es grundsätzlich nicht verkehrt, Rüstzeug durch Trainings zu erlernen, aber für mich ist oftmals die Intention unklar. Warum will eine Organisation agiler werden? Und was heißt das überhaupt? Schneller am Markt sein? Flexibler auf Kundenbedürfnisse reagieren? Nachhaltige Produkte entwickeln oder eine coole Zeit im Unternehmen verbringen? Abgesehen davon: wer forciert die Veränderung in Unternehmen?

Andreas: Na klar, da bin ich wieder bei Dir – es ist nicht verkehrt, “Rüstzeug durch Trainings zu erlernen”. Selbstverständlich. Aber damit ist es beileibe nicht getan, die Reduktion darauf ist das Problem. Deine Fragen zur Intention teile ich. Aus meiner Erfahrung heraus sind die von Dir genannten Beispiele schon trefflich. Mal steht eher die Reaktionszeit im Vordergrund, noch allgemeiner gesprochen die Anpassungsfähigkeit, ein anderes Mal besserer Kundenservice und so weiter. Wer die Veränderung forciert ist dabei eines. Ich hatte allerdings vor sechs Jahren, als ich anfing, für die Fallbeispiele meines letzten Buchs vor Ort in den Unternehmen zu recherchieren, festgestellt, dass es wichtiger ist, dass die Führungsspitze den Wandel erstens wirklich will und zweitens mit einem guten Beispiel und entsprechender Selbstreflexion dabei ist. Sprich: Ohne das Topmanagement aufrichtig im Boot zu haben, wird aus dem Brückenbau nichts.

Die Brücke zu Lean Management

Michael: Brückenbau ist ein gutes Stichwort, denn Du möchtest ja Verbindungen schaffen. Wenn ich es richtig verstanden habe, zwischen Old Work und New Work. Mich würde ja interessieren, ob es diese Trennung tatsächlich gibt bzw. was sich Ralf und Du auf der einen und der anderen Seite vorstellt. Doch zuvor – und das war meine zweite Überraschung bei der #LATC – möchte ich kurz “Lean” ins Spiel bringen. Unter Lean Management scheint es ja noch weniger Gemeinsamkeiten zu geben?! Die einen sprechen von innovativen Vorgehensweisen und bspw. der Entwicklung von Minimal Viable Products, andere verstehen darunter ein Mindset und dritte bauen eine Fertigungsstraße auf, in der Menschen ihre Schrittfolgen optimieren, um statt acht nur noch sieben Schritte zwischen zwei Arbeitsgängen gehen zu müssen.

Andreas: Es sind nicht nur Ralf mit seinem Team und ich, die Verbindungen schaffen wollen. Es sind auch die Kulturkomplizen Daniela und Stefan Röcker. Gemeinsam wollen wir das Thema vorantreiben.

Das mit Lean stimmt, nehme ich auch so wahr. Aber ist das verwunderlich? Lean ist genauso wenig wie New Work ein mehr oder minder eindeutig definierter Begriff. In der Folge projiziert jeder das dort rein, was ihm oder ihr gerade wichtig ist. Ich maße mir bei Lean noch viel weniger als bei New Work an, die alleinige Deutungshoheit zu haben. Ich finde allerdings viel interessanter, dass die beiden Begriffe und ihre damit verbundenen Welten doch spannende Anschlussstellen aufweisen. Zum Beispiel die Themen Selbstorganisation, Partizipation, gemeinsam Denken und Handeln als kontinuierlichen, nicht enden wollenden Prozess zu verstehen. Denn sowohl die Organisation als auch ihre Umwelt sind nicht statisch, sondern verändern sich fortlaufend. Ergo müssen sich die Organisationen auch immer wieder und wieder anpassen, bzw. deren Akteure in fortlaufender Kommunikation und Interaktion diese Anpassung erarbeiten. Macht das Sinn für Dich?

Michael: Ja, macht es. Tatsächlich steckt in Deiner Herleitung eine beruhigende Botschaft: Veränderung ist für Menschen und Organisationen etwas Normales. Natürlich sollte man – also der einzelne Mensch, Du, ich, wir und die Organisation als Ordnungsrahmen für Menschen – auf Veränderungen achten, vielleicht auch Veränderungen anstreben, aber an sich hat es erst einmal nichts Beängstigendes.

Andreas: Das finde ich spannend, das hast Du schön pointiert. Eben: Im Grunde geht es um etwas Natürliches: lebendige Anpassung und Veränderung. Leben ist nicht statisch. Dem würden wohl auch nicht die hartgesottensten Vertreter von Top-Down widersprechen. Ich hatte das bisher in Bezug auf Unternehmensdemokratie immer so formuliert: Es geht darum, Führung zu dynamisieren. Raus aus der Statik der formal-fixierten Hierarchie. Unternehmensdemokratie, Selbstorganisation, Partizipation und eben New Work heißt keineswegs, dass wir keine Führung mehr haben, oder dass jetzt alle alles entscheiden.

Es geht in Bezug auf Führung nur darum, die starren Strukturen aufzulösen. Die Idee ist im Grunde simpel, der Weg dorthin aber alles andere als trivial. Es geht darum, unsere Organisationen und die dortige Arbeit wiederzubeleben. Natürlich haben sich auch tayloristische Organisationen angepasst – nur eben viel zu langsam für die heutige Veränderungsgeschwindigkeit. Da braucht es, flapsig gesagt, mehr Leben in der Bude. Dabei ist wichtig, wie ich heute einer SAP Mitarbeiterin schrieb, dass wir nicht alles einreißen wollen. Es geht für einen nachhaltigen Brückenbau vielmehr auch darum, herauszufinden, was früher gut war und heute noch sinnvoll ist. Nicht alles aus der alten Welt war Mist. Manches können wir vielleicht noch nutzen, anderes nicht mehr, aber es sollte eine Würdigung erleben. Na ja, und manches dürfen wir getrost entsorgen ohne Pomp und Trara.

Michael: Wenn ich Dich richtig verstehe, gibt es also weder eine Blaupause, die für alle Unternehmen passt, noch ein “wir machen jetzt alles einfach anders”. Und jetzt? Wie entscheide ich denn als Organisation, was ich tun, verändern, belassen soll? Darüber hinaus bringst Du mit “Führung” einen neuen Begriff in unser Gespräch ein – ist Führung vielleicht das Brückengelände, dass den Rahmen für die Veränderung vorgibt? Oder anders gefragt: Überschneiden sich New Work und Lean beim Thema Führung?

Andreas: Exakt. Blaupausen, oder im Business Speak: Best Practices, die einfach nur per Copy-Paste zu übertragen sind, halten wir für eine naive Illusion. Dafür hat aber, wer “einfach alles anders machen will”, ein tolles Rezept gefunden, um ordentlich gegen die Wand zu fahren. Das Ganze könnte dann noch beschleunigt werden, indem alles gleichzeitig verändert werden soll.

Zur Führung: Ja, ich sehe da Überschneidungen. Im Lean stellt beispielsweise Gemba ein wichtiges Prinzip dar. Verbesserungen sind weniger fernab der Produktion von irgendeinem Managementbüro aus zu leisten, als vielmehr vor Ort. Will heißen: Management by walk around, die Arbeiter vor Ort sind diejenigen, die das relevante Know-how haben und wir sollten sie einbinden, fragen, mitdenken lassen. Es ist leicht ersichtlich, dass das ein demokratisches Element ist. Darum soll es unter anderem gehen: Was können wir von den je anderen Konzepten lernen, wo gibt es relevante Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Und wie können wir beide Rahmenkonzepte nutzen, um diese “verdammte Brücke” zu bauen.

Michael: “Verdammt” wie in “verdammt notwendig”?

Andreas: Da müsstest Du Ralf fragen. Ich habe das so verstanden: Es wird verdammt noch mal Zeit …

Michael: … Zeit, Veränderung gemeinsam in die Hand zu nehmen und zu initiieren. Kannst Du schon verraten, was ihr euch für die beiden Veranstaltungstage überlegt habt?

Was passiert bei “Neue Konzepte für Neue Arbeit”?

Andreas: Gerne. Wir machen diesmal ein paar Sachen anders als bei der Auftaktkonferenz #NKNA18. Wir reagieren damit auf die Kritik, die wir neben viel Lob zu hören bekamen:

  • Erstens haben wir nun zwei Tage Zeit statt nur einen.
  • Zweitens sind die Workshops und Sessions nun doppelt so lang, nämlich 90 Minuten.
  • Drittens haben wir noch einen wichtigen vierten gesellschaftlichen Sektor bei den Keynotes mit reingeholt: Die Wissenschaft.
  • Viertens haben wir einen der Teilnehmer 2018 dazu eingeladen, am zweiten Tag eine Zukunftskonferenz innerhalb der #NKNA20 durchzuführen. Wir wollen damit den Transfer in den Arbeitsalltag nach dem Event erleichtern.
  • Fünftens und letztens haben wir diesmal auch noch mehr Zeit zwischen den Workshops und Sessions, damit mehr Luft zum Atmen, sacken lassen, netzwerken und dergleichen mehr ist.

Michael: Gibt es denn wieder pro Themenbereich – also Kunst, Politik, Wirtschaft und jetzt neu Wissenschaft – eine Keynote? Es klingt für mich fast so, als wolltet ihr nicht nur zwischen Old Work und New Work und Lean Management eine Brücke schlagen, sondern auch zwischen wesentlichen gesellschaftlichen Bereichen?

Andreas: Ja, es gibt pro gesellschaftlichen Sektor wieder je eine Keynote. Und ja: Genau, wir wollen auch das wieder zusammenbringen, was im Alltag nur allzu oft getrennt ist. Ich gehe davon aus, dass der Brückenbau nachhaltig und vor allem breitflächig nur gelingt, wenn wir auch diese Sektoren verbinden, uns von den je anderen inspirieren lassen und voneinander lernen. Deshalb heißt die #NKNA20 ja auch “transsektorale (Un)Konferenz”. Ist etwas sperrig, aber ein zentraler Aspekt, den ich so konsequent auch nirgendwo sonst kenne, wenn es um die Zukunft der Arbeit geht.

Michael: Tja, die Zukunft der Arbeit. Wie wird sie wohl aussehen? Wird es eine große Gemeinsamkeit wie vielleicht früher mit dem Taylorismus geben oder werden sich unendlich viele Variationen von zukünftiger Arbeit entwickeln? Was glaubst Du?

Andreas: Ich würde vermuten, dass es viele Varianten geben wird, eine Art post-postmoderne Zersplitterung, so wie wir das in anderen Sektoren auch beobachten. Wir haben schon lange nicht mehr nur drei Fernsehsender, sondern unzählige TV/Streaming-Medien, was übrigens durchaus auch ein gesellschaftliches Problem ist. Aber das ist eine andere Geschichte. Es wird natürlich weiterhin tayloristische Unternehmen geben, zumindest noch eine ganze Weile. Und daneben werden sich – hoffentlich – zunehmend mehr Unternehmen breit machen, die grundlegend anders sind hinsichtlich ihrer unternehmerischen Grundannahmen und Kultur und damit auch der jeweiligen Organisationsform sowie Ablauforganisation.

Michael: Gibt es denn etwas, was Du Dir von den Teilnehmern wünschst? Und vielleicht auch etwas, worüber Du Dich freuen würdest, wenn Teilnehmer es “mit nach Hause” nehmen?

Andreas: Oh, Wunschkonzert, das klingt gut. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Teilnehmer, sowohl von “unserer” #NKNA20 als auch von der #LATC2020 mal in die jeweils andere Veranstaltung gehen und sich auch dort inspirieren lassen. Hat man und frau ja nicht so oft, dass gleich zwei spannende (Un)Konferenzen parallel in einem Veranstaltungsort laufen und das Ticket es auch erlaubt, an beiden teilzunehmen. Wäre eben super, wenn die New Work Interessierten bei Lean reinschnuppern und umgekehrt.

Last but not least wäre es schön, wenn unsere Gäste sowohl ein paar konkrete Ideen mitnehmen als auch die gesellschaftliche Dimension sehen, die mit der großen Transformation der Arbeit verbunden ist. Wir werden auf jeden Fall beides bieten und gegen Ende kommt dann ja noch die bereits erwähnte Zukunftskonferenz, um einen besseren Transfer in den Arbeitsalltag zu ermöglichen.

Michael: Auf den Transfer in den Arbeitsalltag freue ich mich schon. Danke für das Gespräch.

Andreas: Gerne. Und wir danken Dir für die Möglichkeit, hier bei Euch über die #NKNA20 zu sprechen.

 

Hinweise:

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Dr. Andreas Zeuch hat im t2informatik Blog einige Beiträge veröffentlicht, u. a.

t2informatik Blog: Intuition im Projektmanagement

Intuition im Projektmanagement

t2informatik Blog: Hybride Organisationen – Lösung oder Problem?

Hybride Organisationen – Lösung oder Problem?

t2informatik Blog: Demokratie bei strategischen Entscheidungen

Demokratie bei strategischen Entscheidungen

Dr. Andreas Zeuch
Dr. Andreas Zeuch

Dr. Andreas Zeuch ist als freiberuflicher Berater, Trainer, Speaker und Autor tätig. Er begleitet Unternehmen auf ihrem Weg zu mehr Mitbestimmung und Unternehmensdemokratie. Seine Bücher „Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten“ und „Feel it!: So viel Intuition verträgt Ihr Unternehmen“ sind Bestseller und liefern viele praktische Beispiele.

Michael Schenkel
Michael Schenkel

Leiter Marketing, t2informatik GmbH

Michael Schenkel hat ein Herz für Marketing - da passt es gut, dass er bei t2informatik für das Thema Marketing zuständig ist. Er bloggt gerne, mag Perspektivwechsel und versucht in einer Zeit, in der vielfach von der sinkenden Aufmerksamkeitsspanne von Menschen gesprochen wird, nützliche Informationen - bspw. hier im Blog - anzubieten. Wenn Sie Lust haben, verabreden Sie sich mit ihm auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen mit ihm; mit Sicherheit freut er sich darauf!