Frauenförderung in Unternehmen
Von einer Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Genau gesagt 202 Jahre, wenn es im derzeitigen Tempo weitergeht, so errechnete das Weltwirtschaftsforum in seinem „Global Gender Gap Report 2018“.¹ „Frauenförderung“ – schon das Wort wirkt stigmatisierend und löst bei vielen Männern spontane Ängste und Abwehr aus, und selbst bei Frauen hinterlässt es einen bitteren Beigeschmack. Denn gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht. Immer mehr von demselben macht es auch nicht besser. In ihrer jetzigen Form verstärkt Frauenförderung die alten Rollenbilder eher noch.
Das Phänomen der gläsernen Decke
Die Arbeitswelt wurde über Jahrhunderte von Männern geprägt und strukturiert, nach ihrem vorwiegenden Verständnis funktioniert sie bestens und kann so bleiben. Das Phänomen der gläsernen Decke entsteht daher durch drei bei Männern in Entscheidungspositionen überwiegend vertretene Haltungen, die Frauen den Weg in Spitzenpositionen verbauen:
- Die konservative Haltung: Frauen werden in „Männerkreisen“ grundsätzlich abgelehnt. Sie hätten zwar die höhere Sozialkompetenz, verhielten sich aber unter dem Druck der höheren Verantwortung härter als ein Mann, verlören so ihre Sozialkompetenz und seien damit auch nicht mehr authentisch und glaubwürdig. Außerdem müssten sie nun einmal die Kinder bekommen und der Spagat Familie-Beruf sei einfach eine unlösbare Überforderung.
- Die emanzipierte Haltung: Im mittleren Management sollten Frauen und Männer gleich vertreten sein, doch für höhere Ebenen fehle es Frauen einfach an Durchsetzungsvermögen. Da gehe es um Effizienz und knallharte Umsatzzahlen, das benötige viel mehr Härte … weiter siehe oben.
- Der radikale Individualismus: Es komme einzig und allein auf die individuelle Kompetenz an, Rollenbilder hätten keine Bedeutung mehr, wir hätten doch alle die gleichen Chancen. Allerdings gäbe es bei den Frauen leider zu viele Defizite, sie wählten die falschen Berufe und würden meist selbst gar nicht in verantwortungsvolle Positionen wollen. So gäbe es einfach zu wenig fachlich geeignete, authentische und flexible Frauen für Top- Positionen.
Erfüllt eine Frau dennoch eine der von Männern genannten Anforderungen für Führungspositionen (Härte im Widerspruch zum althergebrachten Frauenbild, Durchsetzungsfähigkeit in männlichen Machtstrukturen, Fachlichkeit plus Authentizität und Flexibilität), steht sie damit immer gleichzeitig im Widerspruch zu den anderen beiden. Eine Frau, die trotz allem die gläserne Decke überwunden und es in eine Spitzenposition wie Vorstand oder Aufsichtsrat geschafft hat, braucht einen verständnisvollen Partner, der bereit ist, seinerseits zurückzustecken und ihr den Rücken freizuhalten. Sonst müsste sie auf eine eigene Familie verzichten, was wiederum ihrem Ansehen schadet. Davon berichten viele Frauen, die sich zu dieser kleinen Elite zählen dürfen. Keine Frage, sie haben bewiesen, dass Frauen in Spitzenpositionen überzeugen können, und verdienen Achtung und Respekt. Doch hier werden die Rollenbilder einfach nur umgekehrt. Ansonsten bleibt alles beim Alten.
Frauenförderung stärkt althergebrachte Strukturen
Frauenförderung, wie sie bislang überwiegend umgesetzt wird, folgt der männlichen Argumentation und setzt an den vermeintlichen Defiziten der Frauen an.
Angeboten werden besonders häufig Seminare, in denen Frauen lernen, im männlich geprägten Arbeitsumfeld zurechtzukommen und „mitzuspielen“. Also Kommunizieren, Entscheidungen treffen und Führen wie Männer, sich in den vorhandenen Strukturen bewegen können. So bleiben sie stets unter Beweisdruck, dass sie ebenso gut oder gar besser sind als Männer. Gleichzeitig schaffen sie selbst bei hohem Frauenanteil in der Belegschaft nur relativ selten den Schritt durch die gläserne Decke in eine Spitzenposition. Das gilt als Scheitern der Frauen und ist Wasser auf den Mühlen der Gegner von Frauen in Führungspositionen und Frauenquoten, wobei selbst viele Frauen in diesem Sinne argumentieren („Ich hätte lieber einen Chef als eine Chefin.“, „Ich will keine Quotenfrau sein.“). Das System erhält sich selbst. Frauenförderung ist Teil dieses Systems.
Selbst die bei Arbeitgebern beliebten Auszeichnungen und Zertifikate für Frauenförderung im Unternehmen sind kontraproduktiv, solange sie nur auf Quoten und Angebote für Frauen z.B. zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf ausgerichtet sind. Zum einen zementieren sie alte Rollenbilder. Zum anderen geht es nicht nur darum, wie und wie viele Frauen in Führungspositionen kommen, sondern wie wirksam sie im Unternehmen mitgestalten können, um Strukturen nachhaltig zu verändern.
Frauenförderung an sich ist ein Denkfehler
„Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind“, hat es Einstein bereits auf den Punkt gebracht.
Im 21. Jahrhundert kann es nicht mehr der Weg sein, Frauen an ein System anzupassen, das in jeder Hinsicht auf das Karrierebild von Männern in hierarchischen Organisationen ausgerichtet ist und in dem die Beurteilung von Kompetenz und Leistung stets nach einheitlichen, von Männern für Männer geschaffenen Kriterien erfolgt. Daran ändern auch Frauenquoten oder Mixed Leadership nichts, selbst wenn diese die öffentliche Diskussion fördern und mehr Frauen ermutigen. Frauen brauchen keine Nachhilfe und müssen auch nicht beweisen, dass sie mit Männern in der Arbeitswelt mithalten können. Das ist keine Frage. Es bleibt dabei zu viel Potenzial auf der Strecke. Es ist nichts falsch an den Frauen, der Wurm liegt im System.
Das System den Menschen und ihrer Diversität anpassen
Was Frauen wirklich brauchen sind gleiche Chancen, eine Anerkennungskultur und mehr Offenheit für andere Perspektiven und Ideen. Und das Selbstbewusstsein, eigene, weibliche Fußspuren setzen zu können und zu wollen. Dazu muss sich einiges in den Strukturen der Organisationen und Köpfen der Menschen verändern – parallel zu einander und nicht erst nacheinander.
Impulse für die Struktur:
- Den Rahmen bildet ein kluges Diversity Management in enger Verzahnung mit einer Transformationstrategie für eine neue Arbeitswelt und Leadership 4.0. Eine kluges Diversity Management sorgt nicht nur für Vielfalt in der Belegschaft allgemein und in den Führungsebenen im Besonderen. Es sorgt auch dafür, dass die unterschiedlichen Menschen wirklich mitreden und mitgestalten können. Außerdem fördert es verschiedene Lösungsmöglichkeiten, die parallel gelebt werden können, sei es bei der Flexibilität von Arbeitszeit und Arbeitsort oder Laufbahngestaltung, der Wahl von Kommunikationswegen und – mitteln oder Wegen der Entscheidungsfindung. Der Wandel für eine neue Arbeitswelt fördert ein neues Verständnis von Führung/Macht, Kommunikation und Transparenz – entscheidende Faktoren für eine neue Micropolitik (Wer kommt wie in bestimmte Positionen, wer hat wie viel Einfluss, wie werden Entscheidungen getroffen etc.) im Unternehmen.
- Statt Frauenförderung den Fokus richten auf Talentförderung, individuelle Personalentwicklung und lebensphasenorientierte Laufbahngestaltung. Je mehr auch hier Diversität in den Formen der Umsetzung gefördert und nutzbar gemacht wird, umso mehr profitieren Menschen und Unternehmen davon.
- Größtmögliche Flexibilisierung von Arbeitsort und Arbeitszeit wäre ein echter Fortschritt. Präsenzstunden sagen nichts aus über Leistung. Stattdessen stabilisiert die Präsenzkultur alte Rollenbilder und Aufgabenzuschreibungen.
- Mehr Projektaufgaben, eine Selbstverständlichkeit von Führung auf Zeit (unabhängig von Vollzeit) und ein Mix aus Arbeits- und Lernformen (in Präsenzform ebenso wie mit digitalen Tools) können weiter dafür sorgen, dass Menschen ihre Potenziale bestmöglich im Unternehmen einsetzen. Angebote, die das Netzwerken und kollegiale Unterstützung intern und über den Tellerrand des Unternehmens hinaus unterstützen, sind weitere Pluspunkte.
- Alle Angebote sollten natürlich nicht nur im Rahmen von Frauenförderung sondern ausdrücklich für alle Beschäftigten gelten, unabhängig von Geschlecht und Elternschaft, Alter, Stundenumfang und Befristung des Arbeitsvertrages usw. Nur so trägt die Diversity-Strategie des Unternehmens zum Wandel in den Köpfen der Einzelnen bei.
Impulse für die Köpfe:
- Wichtig ist ein Bewusstmachen und Aufbrechen der Gender-Stereotype, z.B. durch Gender Trainings, bis hin zu der Frage, wie sich Gender Mainstreaming in der täglichen Arbeit intern und je nach Branche auch in der Arbeit für den Kunden umsetzen lässt. Intern kommen so z.B. Recruiting, Aufgabenzuschnitte und Kompetenzanforderungen, Beurteilungssystematiken und Auswahlverfahren auf den Prüfstand ebenso wie Präsenzkultur, Meeting-Gewohnheiten uvm. Auch das Sichtbar-Machen von Frauen und ihren Leistungen ist ein wichtiger Beitrag dazu. Profitieren können davon nicht nur Frauen, sondern alle im Unternehmen.
- Die besten Angebote nützen nichts, wenn Frauen sie nicht annehmen. Für sie gilt: Selbst mitgestalten und sichtbar bzw. hörbar werden statt auf eine Aufforderung zu warten. Außerdem Chancen nutzen, egal ob als „Quotenfrau“, wegen der Kompetenz oder sonst etwas. Männer fragen auch nicht, wie sie eine Chance bekommen haben, sondern greifen zu und setzen im Zweifelsfall auf Learning-on-the-job. Und sie tun gut daran.
- Schluss mit dem unnötigen Männer-gegen-Frauen/Frauen-gegen-Männer-Gerede. Es gibt eine große Zahl an Frauen, die mit beiden Beinen im Berufsleben stehen und verantwortungsvolle Jobs auch in Spitzenpositionen übernehmen können. Genauso gibt es viele Männer, die nicht immer nur Job und Karriere an erste Stelle setzen wollen, um einem veralteten Rollenbild zu entsprechen, sondern sich längst andere Prioritäten setzen und genauso Familienaufgaben wahrnehmen wollen. Die das Potenzial von Frauen und Vielfalt in der Arbeitswelt erkannt haben und sich für Chancengleichheit einsetzen – nicht nur bei der Kampagne #HeForShe.
Wenn Plan A nicht funktioniert, dann sollte man einen Plan B haben, statt Plan A einfach nur zu recyceln. Das gilt auch für die Frauenförderung. Lassen Sie uns über Plan B reden.
Hinweise:
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[1] „Global Gender Gap Report 2018 als Download: https://www.weforum.org/publications/the-global-gender-gap-report-2018/
Birgit Schiche hat im t2informatik Blog weitere Beiträge veröffentlicht, u. a.
Birgit Schiche
Birgit Schiche war selbst lange Zeit Führungskraft, bevor sie sich für einen anderen Berufsweg entschied. Als Changemanagement Consultant bei Daimler und später als Senior Consultant einer Hamburger Unternehmensberatung begann sie Organisationen und Führungskräfte in Veränderungsprozessen zu unterstützen. Als Beraterin und Coach mit „Plan B. Schiche – Personalstrategie & Führung“ wirkte sie ab 2010 als Wegbereiterin für eine neue Arbeitswelt.
Inzwischen übt sie diese Tätigkeit nebenberuflich aus, im Hauptberuf baut sie nun den Bereich Learning & Development in einem schnell und auch international wachsenden Unternehmen strategisch auf. Ihr Grundsatz: Auch noch so kleine Schritte zur Veränderung lohnen sich – Hauptsache es kommt etwas in Bewegung. Kommunikation und Führungsverständnis sind dabei Schlüsselfaktoren.