Design Sprint vs. Design Thinking

Gastbeitrag von | 01.10.2018

Wie ich Design Sprints und Design Thinking in einem Remix verbinde

Produktverbesserung, Innovation und nutzerzentrierte Dienstleistungen sind wichtig für die Entwicklung eines Unternehmens. Die fortschreitende Digitalisierung und die damit verbundenen Chancen und Risiken wirken katalysierend, viele Unternehmen verspüren einen starken Innovationsdruck. Im Spannungsfeld zwischen jungen agilen Wettbewerbern und neuen digitalen Geschäftsmodellen suchen sie gezielt nach passenden Methoden um ihre Produkte zu prüfen und zu verbessern.

Design Thinking und Design Sprint versprechen Lösungen in diesem Kontext. Was verbirgt sich hinter den beiden Begriffen? Wie unterscheiden sich die Ansätze? Wie schnell lassen sich Probleme tatsächlich damit lösen? Ich arbeite als selbstständiger Human Centered Design & Innovation Consultant und unterstütze Unternehmen dabei, über den eigenen Tellerrand zu schauen und bestehende Produkte sowie Strategien zu hinterfragen und zu verbessern. Fast immer involviere ich dabei bewusst relevante Nutzerperspektiven, um interne Hypothesen zu verifizieren und echte Bedürfnisse bei der Lösungsfindung zu berücksichtigen.

In diesem Artikel erläutere ich, was sich hinter den Begriffen Design Thinking und Design Sprint verbirgt, und beschreibe welches Remix-Format ich mit meinen Klienten im deutschsprachigen Raum erfolgreich durchführe.

Design Thinking

Design Thinking ist ein Mindset und Framework, hinter dem sich ein Set an etablierten Methoden aus dem nutzerzentrierten Designprozess verbirgt. Es führt fokussiert und nachvollziehbar in die Denk- und Arbeitsweise ein, die Designerinnen schon seit Jahrzehnten erfolgreich einsetzen, wenn es darum geht, Produkte in Bezug auf menschliche Bedürfnisse zu entwickeln. Eine gute Designerin ist neugierig, empathisch, stellt viele Fragen, verifiziert die Ausgangsfrage gründlich, bevor sie mit der Lösungsfindung beginnt, entwickelt viele Ideen und baut frühzeitig rudimentäre Prototypen, um die Ideen kostengünstig zu testen. Das Vorgehen nach Design Thinking Lehrbuch liest sich ganz ähnlich: Kontext verstehen, Nutzerverhalten erkunden, Problem definieren, viele Lösungen entwickeln, wenige Ideen prototypisch umsetzen, diese mit Nutzern testen.

Hasso Plattner und David Kelley hatten die Vision, diese Denk- und Arbeitsweise auch anderen Disziplinen zugängig zu machen. Aus diesem Grund gibt es Design Thinking im Lehrplan von Stanford und dem HPI in Potsdam. Studenten aller Fachgebiete kommen hier zusammen, um gemeinsam zu lernen, was es bedeutet nicht nur die technischen und wirtschaftlichen Faktoren, sondern den Menschen im Mittelpunkt einer Produktentwicklung zu berücksichtigen. Design Thinking dient im Rahmen dieser Ausbildung als Mittel zur Sensibilisierung für Nutzerbedürfnisse und als Beispiel dafür, dass prinzipiell jeder im Unternehmen kreativ arbeiten kann, wenn für eine offene und inspirierende Arbeitsatmosphäre gesorgt wird. Es bietet vor allem denen überraschende Erkenntnisse, die nie zuvor nutzerzentriert gedacht oder gehandelt haben. Außerdem motiviert es dazu, die eigene Arbeitsweise zu hinterfragen und zu verändern.

Im Projektkontext wird Design Thinking eingesetzt, wenn der Kunde noch kein konkretes Problem, keine spezifische Herausforderung, definiert hat. Mit Hilfe von Design Thinking können grundsätzliche Erkenntnisse über die Kundinnen gesammelt werden, um anschließend auf Basis der ermittelten Bedürfnisse Lösungen zu finden. Wunschziel ist die radikale Innovation, d.h. ein neues und brauchbares Produkt oder eine Dienstleistung. Ein großer Bestandteil des Design Thinking Projektes ist deshalb eine intensive User Research Phase, das Erkunden und Verstehen von Nutzern und ihrem Verhalten.

Grundsätzlich ist Design Thinking also eine Sammlung von Werkzeugen aus dem nutzerzentrierten Design. Bei jedem Projekt besteht die Herausforderung vor allem darin, bewusst die Methoden aus dem Framework auszuwählen, die am besten zum Projektrahmen und den gewünschten Ergebnissen passen. Die Projektlänge und die Workshop-Agenda ist variabel und wird je nach Herausforderung individuell konzeptioniert. Für die Planung von Design Thinking Projekten und die Auswahl der Methoden ist deshalb vor allem Erfahrung nötig. Design Thinking ist keine schnelle Blaupause für die Durchführung von Innovationsprojekten.

Design Sprint

Der Design Sprint ist ein Prozess, eine klare und strukturierte Vorgehensweise, wie man mit einem Expertenteam innerhalb von einer Woche Lösungen für ein spezifisches Problem erarbeitet und diese im letzten Schritt mit echten Nutzern validiert. Im Gegensatz zum Design Thinking ist beim Sprint die Herausforderung sehr präzise. Sie wird zu Beginn im Rahmen der Team-Synchronisation verifiziert und gegebenenfalls modifiziert. Das Handlungsfeld ist oft die Verbesserung oder Weiterentwicklung eines Produktes oder Produktbestandteils. Ziel ist nicht die radikale, sondern eine inkrementelle Innovation. Anders als beim Design Thinking wird keine User Research, z.B. in Form von Nutzerinterviews, zu Beginn des Sprints durchgeführt, die Kunden werden erst am letzten Tag, beim Nutzertest, involviert.

Jake Knapp hat den Design Sprint für Google Ventures entwickelt um firmenintern im Expertenteam schnell, unabhängig und effektiv Lösungen für spezifische Probleme zu entwickeln. Das vorhandene Expertenwissen und die persönliche Erfahrung der Teilnehmer bilden die Handlungsgrundlage für die Überprüfung der Herausforderung sowie die Erarbeitung von Lösungen.

Im Gegensatz zum Design Thinking gibt es bei dem auf fünf Tage limitierten Sprint für jeden Tag eine präzise Agenda. Kürzere Formate sind möglich, wenn Teile des Prozesses komprimiert werden. Der Sprint ist eine nachvollziehbare und klare Workshop-Anleitung mit folgendem Ablauf: Herausforderung verstehen und modifizieren, Lösungsansätze finden, die besten Lösungen auswählen, Prototypen bauen, mit Nutzern testen.

Ein Remix aus beiden Ansätzen

Beide Ansätze haben Stärken und Schwächen, aus diesem Grund nutze ich einen Remix. Bei der Projektplanung und der Agenda orientiere ich mich am Design Sprint. Der Ablauf und die klar definierten Tagesziele helfen mir und dem Projektteam, den eigenen Fortschritt einzuschätzen und mit einem produktiven Gefühl in den Feierabend zu gehen. In vielen deutschen Unternehmen ist es zudem schwierig, ein Expertenteam für fünf Tage am Stück zu mobilisieren, deshalb breche ich das fünftägige Format auf zwei oder drei Wochen auf. Diese Strategie hat einen weiteren Vorteil: das Team kann in den teils mehrtägigen Pausen zwischen den Workshops weiter am Prototyp arbeiten oder Nutzer für den abschließenden Test akquirieren.

Jake Knapp beschreibt Faktoren, die entscheidend für das Gelingen eines Workshops sind: Am wichtigsten ist die Auswahl der Teilnehmer. Es sollten Mitarbeiter involviert werden, die an verschiedenen Stellen mit dem Produkt in Kontakt kommen und so vielseitige Perspektiven einbringen. Ergänzend ist die Teilnahme von 1-2 Designern für die Realisierung von überzeugenden und testtauglichen Prototypen wichtig. Falls intern keine Designerinnen zur Verfügung stehen, weil es z.B. keine Designabteilung gibt, empfehle ich die Akquise von geeigneten Freelancern.

Nach der Team-Synchronisation involviere ich, mit Hilfe von Design Thinking Methoden, Kunden des Unternehmens, um die internen Hypothesen und die definierte Herausforderung zu prüfen. Das ist ein wichtiger Erkenntnismoment, der die eingeschlagene Richtung bestätigt oder in Frage stellt. Bisher hat diese Projektphase immer zu wertvollen Erkenntnissen geführt, vorausgesetzt es handelt sich um echte Kunden, und nicht um oberflächlich durch eine Marktforschungsagentur akquirierte Probanden. Das Team führt z.B. Live- und Telefoninterviews durch, oder ausgewählte Stakeholder führen Tagebuch, die anschließend im Workshop ausgewertet werden. Wenn am Ende des Prozesses Prototypen gebaut und Nutzertest durchgeführt werden, ergänze ich den Sprint nochmals um passende Methoden aus dem Design Thinking. Im Anschluss an den Workshop entsteht eine nachvollziehbare Dokumentation mit allen Erkenntnissen aus der User Research Phase sowie dem qualitativem Testergebnis und klaren Handlungsempfehlungen für das weitere Vorgehen.

Fazit

Je diffuser eine Herausforderung ist, desto stärker lohnt sich die Einbindung von User Research Elementen, wie sie im Design Thinking Framework enthalten sind. Ist das Projektziel präziser, dann ergibt eine stärkere Orientierung am Design Sprint Sinn. Es kann ausreichen, die Nutzer erst im abschließenden Test zu involvieren, sollen jedoch interne Hypothesen geprüft werden, oder ist das Projektziel eine radikale Innovation, empfiehlt sich der frühzeitige Dialog mit ausgewählten Nutzerinnen, um den eigenen Horizont zu erweitern und neue Erkenntnisse zu sammeln.

Ein fundiertes Grundwissen über beide Ansätze bietet eine solide Basis für die Planung von kurz- und langfristigen Produktverbesserungs- und Innovationsprojekten. Nutzen Sie dieses Wissen als Inspirationsquelle für die Konzeption von eigenen Formaten. Kombinieren Sie je nach Projektrahmen und internen Möglichkeiten, die für Sie passenden Elemente zu einem Remix, und validieren Sie das Format. Es gibt kein generisches Erfolgsrezept für die Konzeption eines Workshops oder die Entwicklung von Innovationen. Ich lerne bei jedem Projekt dazu und optimiere meine Vorgehensweise nach jedem Workshop. Falls Sie auf der Suche nach Unterstützung bei der Durchführung Ihres Innovationsprojektes sind, dann freue ich mich über Ihre Nachricht.

 

Hinweise:

Interessieren Sie sich für weitere Tipps aus der Praxis? Testen Sie unseren wöchentlichen Newsletter mit interessanten Beiträgen, Downloads, Empfehlungen und aktuellem Wissen.

Weitere Informationen zu Steffen Sommerlad, seinem Portfolio, zu Konzepten und Downloads finden Sie unter https://steffensommerlad.de/

Steffen Sommerlad
Steffen Sommerlad

Steffen Sommerlad ist ein sehr bekannter Experte für menschzentriertes Design, Produktverbesserung und Innovationsentwicklung. Unter anderem konzeptioniert, berät und moderiert er im Kontext von Innovationsprojekten und Kreativ-Workshops. Als studierter und erfahrener Kommunikations- und Interface Designer arbeitet er mit einem besonderen Fokus auf Usability und die User Experience.