Der Schlüssel zur Agilität

Gastbeitrag von | 24.09.2018

Mit dem Schlagwort VUCA (volatile, uncertain, complex, ambiguine) wird das unkalkulierbare, schnelllebige Geschäftsumfeld der letzten Jahre auf den Punkt gebracht. Die meisten Unternehmen haben es heute mit einem VUCA Umfeld zu tun und müssten auf schwankendem Boden Bewährungsproben bestehen. Schneller Wandel, disruptive Ideen, sich gründlich und ständig ändernde Kundenanforderungen machen schnellere interne Prozesse nötig. Gefordert wird „mehr Agilität“ und Menschen, die agiles Arbeiten realisieren. Dabei krankt die agile Transformation und die Diskussionen darum heute daran, dass jeder etwas anderes unter Agilität versteht und dass es falsche Annahmen darüber gibt, wie man Menschen zu Agilität führt.

Falsche Annahme Nr. 1:

Wenn zwei sich über Agilität unterhalten, denken beide an dasselbe

Ein gemeinsames Verständnis davon, was unter Agilität zu verstehen ist, gibt es tatsächlich weder in der Wissenschaft, noch in der Praxis. So kommt es immer wieder zu Unterhaltungen, in denen unbewusst von unterschiedlichen Ebenen auf Agilität geschaut wird. Um einen bewussteren Umgang mit dem Begriff Agilität anzuregen, werden hier die wichtigsten agilen Bedeutungszusammenhänge kurz dargestellt.

In der Wissenschaft taucht der Begriff Agilität erstmals in den 1950er Jahren im Umfeld der Sozialwissenschaften auf. Mit seinem AGIL-Schema identifizierte Parcons vier Aufgaben, die jedes System erfüllen muss, um seine Existenz zu erhalten: die Fähigkeit auf veränderte äußere Bedingungen zu reagieren (Adaptation), die Fähigkeit Ziele zu setzen und durchzusetzen (Goal Attainment), die Fähigkeit Zusammenhalt herzustellen und abzusichern (Integration) sowie die Fähigkeit eine Übereinstimmung der individuellen und systembezogenen Werte und Normen abzusichern (Latency).

Der Grundgedanke des AGIL-Schemas wurde in zahllosen Konzepten aufgegriffen. Treiber der agilen Diskussion war der Druck der Globalisierung und sich immer schneller ändernde Kundenanforderungen. Grob lassen sich vier Entwicklungswellen von Agilität unterschieden:

Agile Manufacturing (Fokussierung auf die Fertigung): ab den 1990er Jahren Ansätze wie Lean Management, Lean Production und aktuell digital unterfüttert Industrie 4.0.

Agile Software Development (Fokussierung auf die Softwareentwicklung): ab den 1990er Jahren auf Basis des Agilen Manifests Einsatz von agilen Methoden wie Scrum oder Kanban.

Agile Organization (Fokussierung auf die agile Gesamtorganisation): auf der Erfolgswelle der Agilen Softwareentwicklung ab Mitte der 1990er Jahren mit vielzähligen Konzepten. In historischer Reihenfolge hier die drei wichtigsten Konzepte agiler Organisationsforschung:

  • klassische (agile) Managementmethoden wie Prozess- oder Qualitätsmanagement
  • neue agile Selbstorganisationsmethoden wie Scrum, Soziokratie oder Holokratie
  • das Konzept des agile Mindset auf Personenebene

Agile Workforce (Fokussierung auf die agile Belegschaft): relativ neue agile Diskussion, die Konzepte der Stress-, Gesundheits- Führungs- und Kompetenzforschung integriert und den Personalstamm sowie die Personalabteilung als Change Agent in Sachen Agile Belegschaft beleuchtet.

Wie man sieht, rückt der Mensch als entscheidender Faktor in der Agilitätsdiskussion immer mehr in den Mittelpunt. Und natürlich wissen wir alle auch aus unserer Erfahrung, dass Menschen erst ein agiles Unternehmen entstehen lassen. Ein Grund mehr, dass wir uns genauer anschauen sollten, unter welchen Voraussetzung Menschen offen werden, agil zu arbeiten.

Falsche Annahme Nr. 2:

Der Mensch ist rational und handelt agil, weil ich es ihm sage

In der Wirtschaft sagt uns unser Verstand oft, was für das kluge Analysieren und Planen gut und richtig ist. Allerdings nicht für die Motivation des „Gefühlstiers“ Mensch. Seit Jahrhunderten ist unsere Auffassung vom Menschen als Homo Oekonomicus, der immer rational handelt, Befehle wie eine Maschine ausführt, verinnerlicht. Je turbulenter das Umfeld, desto weniger erreichen wir aber mit der Einstellung. Die Neurobiologie hat in den letzten 20 Jahren einen großen Schritt gemacht und kann uns heute wertvolle Informationen geben, wie wir wirklich „funktionieren“, wann wir blockieren und wann wir positiv kooperieren. Es sind die sogenannten genetischen Grundbedürfnisse des Menschen, die man als Führungskraft heute kennen und ansteuern muss. Auch wenn es ungewöhnlich erscheint, aber für das Verstehen der Grundbedürfnisse, muss ich Sie einmal in die Urzeit mitnehmen:

Was sind also die psychologischen Grundbedürfnisse?

Aufgrund Jahrmillionen genetischer Prägung hat der Mensch, der im Anzug oder Kostüm, in Jeans oder T-Shirt ganz modern um die Ecke kommt, ganz archaische Bedürfnisse, die er jeden Tag, jede Stunde und jede Minute befriedigen möchte und auch muss. Wir werden für Agilität geöffnet, wenn wir diese Bedürfnisse befriedigen können, was ganz gefühls- nicht verstandesgemäß gesteuert wird. Wenn sie nicht befriedigt werden, bocken wir, werden unproduktiver, langsamer, weniger kreativ, weniger mutig und vieles mehr.

Folgende Grundbedürfnisse muss eine Führungskraft heute kennen:

Bedürfnis nach soliden sozialen Kontakten.
Man nennt das auch das Bedürfnis nach Bindung. Warum? Weil wir im Schutz des Clans früher bessere Überlebenschancen hatten. Weil sich die Gene langsamer verändern als die Lebensumstände ist das Bedürfnis mit dem Chef, dem Kollegen, den Mitarbeitern und anderen eine gute, verständnisvolle und vertrauensvolle Beziehung zu haben, ungemein wichtig.

Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle.
Wenn wir in der Steinzeit nicht genau wussten, was um uns herum passiert, konnte es uns in der nächsten Minute den Kopf kosten. Heute noch mögen wir das Gefühl gar nicht, wenn jemand z.B. in unserem Rücken steht oder wir auf der Arbeit nicht wissen, was als nächstes mit der Abteilung geschieht oder Gerüchte aufkommen oder widersprüchliche Meldungen. Orientiert zu sein und das Gefühl von Kontrolle zu haben, ist von unfassbarer Wichtigkeit.

Bedürfnis von Wert zu sein.
Leistung war in Urzeiten die Voraussetzung für das Überleben. Auch im Clan war man nützlicher, wenn man mit einer Leistung beitrug. Aus diesem Grunde brauchen wir heute noch das Gefühl, etwas zu können und die Resonanz, dass andere uns wertschätzen, als Person und vor allem für das, was wir tun.

Wenn es uns um ein agiles Mindset unserer Mitarbeiter geht, dann müssen wir uns also eigentlich immer nur daran erinnern, dass wir die Steinzeitgene in unseren Mitarbeitern respektieren müssen. Die sorgen dafür, dass sie mit Widerstand und Starrheit reagieren, wenn diese Grundbedürfnisse nicht befriedigt werden. Umstände und Personen, die die Grundbedürfnisse verletzen, meiden oder bekämpfen wir (Flucht- und Kampfreflexe sorgen für alles, aber nicht für Agilität) und solche, die sie befriedigen helfen, suchen oder unterstützen sie.

Falsche Annahme Nr. 3:

Da kann man nichts machen – die sollen sich nicht so anstellen

An den VUCA-Umständen können wir nichts ändern. Aber wir können lernen, neu damit umzugehen. Das vielbeschworene agile Mindset ist auch in VUCA Zeiten möglich. Hier ein paar Hinweise:

#1 Formuliere eine Projektvision
Das menschliche Gehirn braucht Orientierung. Die klassische Unternehmens- oder Projektplanung (Wasserfallplanung) gab das. Man wusste, was man am Ende abliefern sollte und das gab Sicherheit. Aber die Anforderungen ändern sich heute im laufenden Tagesgeschäft zu stark, als dass man es i.d.R. noch von Beginn an durchplanen könnte. Wie kann man also trotzdem Orientierung geben? Als hilfreich empfinden Menschen tatsächlich eine Projektvision.

#2 Sei als Mensch authentisch
Mitarbeiter wollen authentische Vorgesetzte. Warum? Weil sie dann wissen, woran sie sind. Sie bekommen Orientierung. Schlecht ist, wenn man als jemand gilt, der eine doppelte Agenda hat, jedem etwas anderes erzählt, keine klaren Botschaften sendet und sprunghaft ist. Am besten ist natürlich, wenn andere einen als sympathisch und berechenbar einschätzen. Dann bedient man die ersten beiden Grundbedürfnisse in einem. Wirken Sie nicht authentisch, wird man Sie meiden.

#3 Sorge für klare Rollen
Investieren Sie Zeit, die Projektrollen der einzelnen Teammitglieder sauber zu definieren. Das vermeidet Doppelarbeit, schafft Klarheit und Orientierung. Wenn man seinen Job gut macht und Leistung bringt, steigt auch das Selbstwertgefühl. Wenn man nicht weiß, wofür man zuständig ist, schwimmt man und dieses Gefühl nagt am Selbstwert. Weil wir unseren Selbstwert schützen, möchten wir diesen Zustand wieder regulieren – aus diesem Grund kündigt ein Projektmitarbeiter vielleicht sogar oder bittet darum, aus dem Projekt genommen zu werden.

#4 Lobe und gib Feedback
„Nichts gehört ist Lob genug“ – das ist eine alte Redensart, die noch funktionierte, als in früheren Zeiten starre Richtlinien für das Mitarbeiterverhalten in Unternehmen gesetzt wurden und Chefs den Tag mit Kontrolle und Korrektur verbrachten. Heute, wo man immer selbstverantwortlicher handelt, braucht man die Orientierung. Wenn also etwas gut gelungen ist, sagen Sie dies unbedingt; wenn etwas besser laufen könnte, sagen Sie es auch, wenn möglich natürlich konstruktiv vorgetragen.

#5 Binde ein und tausche Dich aus
Wenn man in Entscheidungen eingebunden wird, bekommt man das Gefühl, dass man Kontrolle über die Umstände hat. Das bedient unser Bedürfnis nach Orientierung. Außerdem ist es ein Zeichen von Wertschätzung und Verbundenheit, wenn die Führungskraft Teammitglieder einbindet. Gleiches gilt, wenn man Informationen teilt. Gehen Sie raus; Sprechen Sie mit Ihren Leuten über Entwicklungen, Stände, Risiken, Möglichkeiten. Holen Sie ihre Meinungen ein.

Fazit

Für Erfolg in der Zukunft ist Umdenken nötig! VUCA fordert neue Kompetenzen ein, von denen wir hier einen kleinen Ausschnitt beleuchtet haben. Agile Arbeitsweisen können helfen, mit der VUCA-Welt umzugehen. Diese kommen aber nicht von allein. Fördern Sie das Mindset Ihrer Mitarbeiter und begeben Sie sich gemeinsam auf einen Weg, der unsere Umgebung und unsere Gene wieder vereinbar macht.

 

Hinweise:

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Dr. Monika Burg
Dr. Monika Burg

Dr. Monika Burg ist Professorin an der International School of Management. Ihr Spezialgebiet ist Führung in der Neue Wirtschaft. Der Forschungsschwerpunkt der Dortmunderin sind die neuen und alten Kompetenzen, die Fach- und Führungskräfte brauchen, um die Herausforderungen der sich wandelnden Wirtschaftswelt erfolgreich zu meistern. Dabei greift Monika Burg auch auf die Erfahrungen ihre eigene Zeit in der Wirtschaft zurück. Sie war vor der Hochschulzeit u.a. Konzernpersonalleiter der Douglas Holding AG sowie Direktor HR und Mitglied der Geschäftsführung der C&A Mode KG. Als Führungskräftecoach, Speaker und Beirat ist sie der Praxis heute noch eng verbunden.