Mein Winterschlaf
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Mit den Jahren ist er zu einer Selbstverständlichkeit geworden: Mein alljährlicher Winterschlaf.
Zwischen Mitte Dezember und Anfang bis Mitte Januar ziehe ich mich zurück und versuche so gut wie keine Termine zu haben. Mein Umfeld hat sich inzwischen daran gewöhnt. Auch geschätzte Kund:innen und Klient:innen fragen bereits im November nach, bis wann ich noch zu erreichen sei und ab wann mein Winterschlaf in diesem Jahr beginne. Das finde ich schön und freut mich sehr.
Wie kannst du als Selbstständige so lange Pause machen?
Zu Beginn habe ich mich selbst hinterfragt: kann ich es mir leisten, ein paar Wochen nicht erreichbar zu sein und eine Erholungspause zwischendurch einzubauen? Ehrlich gesagt, diese Investition in Produktivität und Gesundheit ist es mir wert.
Ähnlich sehe ich es übrigens auch in Bezug auf meine Erreichbarkeit im beruflichen Alltag. Des Öfteren gab es Irritationen, wenn ich Kolleg:innen erzählte, dass ich nicht permanent telefonisch erreichbar bin. „Du könntest doch einen Auftrag verlieren. Hast du davor gar keine Angst?“
Ich habe vor allem Angst, dass ich (wieder) ausbrenne und die Qualität meiner Arbeit leidet, wenn ich durchgehend und ohne Pausen meinen Aufgaben nachgehe. In der Selbstständigkeit und zudem als buntes Zebra wäre das grundsätzlich überhaupt kein Problem. Es gibt zahlreiche Ideen und Projekte, die auf Umsetzung warten. Auf die Frage „Was möchtest du für ein Mensch sein?“, die ich in meinen Vorträgen, Seminaren und Coachings anderen gern stelle, möchte ich nicht antworten, dass ich auf eine rastlose, umherrennende Person blicke. Ich kann nicht Vorträge zu Stressmanagement, Achtsamkeit und mentaler Gesundheit halten und gleichzeitig „on the rush“ sein.
Insbesondere zum Ende des Jahres auf die eigenen beruflichen Aktivitäten zurückzublicken, aufzuräumen, Projekte gedanklich abzuschließen, Dinge neu zu planen, hat einen unendlich hohen Wert. Ich richte mich immer wieder neu aus. Und genau diese Pause und auch diesen Prozess, der dann stattfindet, brauche ich, um meinen Werten gerecht zu werden und meinen Wünschen und Zielen, wie ich meine Lebens- und Arbeitswelt gestalten möchte, nahe zu kommen.
Spielregeln für einen tiefen Winterschlaf
Über Abwesenheit frühzeitig informieren
Winterschlaf bedeutet für mich, dass ich kurz vor Start eine Abwesenheitsnachricht einrichte, ab und an erwähne, dass ich mich nun zurückziehe und ich in den nächsten Wochen nicht erreichbar sein werde. Das genügt zur Kommunikation nach außen. Für mich nach innen habe ich mir das Versprechen gegeben, mich an meine eigene Vereinbarung zu halten. Das klingt vielleicht alles ganz leicht und strukturiert, ich finde es selbst jedoch nicht immer leicht, hier konsequent zu bleiben. Ich erinnere kurz an den zuletzt auf den t2informatik erschienenen Artikel „Nein“1 und das darauffolgende Podcast-Interview mit Dierk Söllner „Die Kunst des Nein sagens“2.
Social Media Pause
Es gibt gewisse Spielregeln oder Leitlinien, die ich dazu über Jahre intuitiv definiert habe. Auf den Kanälen unseres Systemischen Netzwerks3 haben wir ganz klar die Vereinbarung, dass wir unseren Winterschlaf ankündigen und danach ausschließlich in der Story auf Instagram immer mal wieder ein Bild posten, auf unsere Pause hinweisen und eine schöne Weihnachtszeit und einen schönen Jahreswechsel wünschen. Dem Algorithmus der Social Media Kanäle hat es bisher nicht geschadet, dass wir wochenlang keine Beiträge posten. Auf meinen eigenen Kanälen gestalte ich die Beiträge, Storys und Co grundsätzlich intuitiv und versuche mich von Algorithmen loszulösen. Das heißt, hier gilt die Vereinbarung, wenn ich Lust habe, etwas zu teilen, mache ich das. Wenn nicht, dann nicht.
Wenn Grenzen verschwimmen
Eine kleine Herausforderung ist manchmal der WhatsApp-Kanal. Ich nutze mein Handy beruflich wie auch privat. Grenzen verschwimmen bei mir ganz gerne mal, was grundsätzlich kein Problem darstellt, solange ich ausreichende Kommunikationspausen integrieren kann. Auf Anfragen beruflicher Art reagiere ich meist freundlich mit dem Hinweis, dass ich offiziell gerade im Winterschlaf bin. Wenn ich Lust habe, antworte ich auf Fragen, wenn nicht, dann nicht. Termine, auch zu beruflichen Coffee-Dates und ähnlichem, werden erst wieder im neuen Jahr nach Erwachen aus dem Winterschlaf abgestimmt. Terminkoordination stresst mich gelegentlich und genau das möchte ich vermeiden.
Organisation, Planung und Kommunikation
Eine Herausforderung in den letzten Jahren war bisher noch die Betreuung meiner Studierenden. Im Januar stehen Präsentationen und Prüfungen an. Da steigt der Pegel der Rückfragen und die Aufregung. Auch hier habe ich in diesem Jahr angekündigt, dass ich drei Wochen lang nicht zu erreichen sein werde. Die Anmeldefristen zu den Prüfungen werden entsprechend angepasst. Wirklich dringende Rückfragen dann nur per WhatsApp und nicht per Mail beantwortet. Bei mir persönlich sind Mails eher Stressfaktoren als WhatsApp-Nachrichten. Daher ziehe ich in diesem Fall eher den WhatsApp-Kanal vor. Was übrigens nicht heißt, dass ich – wie auch sonst – sofort antworte. Ich schätze den Filter „nach ungelesenen Nachrichten suchen“ sehr. So kann ich sehen, welche Nachrichten ich noch beantworten möchte und dies dann gesammelt tun.
Flexible Konsequenz
„Darf“ ich während des gesamten Winterschlafes arbeiten? Gewiss, denn meine Arbeit stärkt mich, sie nährt mich und ich gewinne durch meine Aufgaben Energie. Jedoch gehe ich meinen Aufgaben ohne getrieben zu sein, ohne Deadlines hinterherzurennen nach. Einfach das zu tun, worauf ich Lust habe und die Projekte endlich voranbringen, die warten mussten. Zudem mag ich gern aufräumen, digital und analog. Dateien löschen, neue Ordnerstrukturen anlegen, Mails durchgehen, löschen, um damit meinen Jahresrückblick zu unterstützen. Gern nutze ich diese Zeit übrigens, um mich digital zu verschlanken, das heißt, mich von allen irrelevanten Newslettern abzumelden, aus digitalen Gruppen auszutreten, Gruppen aufzulösen etc.
Mir tut mein Winterschlaf sehr gut und für mich fühlt sich diese Jahreszeit immer besonders an. Insbesondere der Zeitraum zwischen Weihnachten und Silvester bedeutet für mich Rückzug pur. Ich liebe Menschen und ich liebe es, mit Menschen in Kontakt zu sein. In dieser Zeit jedoch wird alles auf stumm gestellt. Es wird still. Silvester wird es dann wieder bunt und laut und dann darf das neue Jahr beginnen.
Den Winterschlaf so auszukosten, soll übrigens nicht bedeuten, dass ich nicht auch während des Jahres Pausen einbaue. Jedoch macht es für mich einen Unterschied, ob ich immer mal wieder Pausen unter der Woche, am Wochenende, während des Urlaubs genieße oder drei Wochen am Stück mich zurückziehe. Meine Empfehlung für danach, also nicht nur nach dem Winterschlaf, sondern allgemein nach dem Urlaub oder auch intensiven arbeitsfreien Wochenenden wäre immer, langsam wieder zu starten. Nicht dass wir unter dem Post-Holiday-Syndrom4 leiden. Das wäre schade. Ich für meinen Teil handele auch hier intuitiv. Die Abwesenheitsnotiz bleibt noch einen Tag länger aktiviert, während die ersten Termine bereits wieder stattfinden. Termine werden mit ausreichend Abstand geplant.
Selbst und ständig
Im Allgemeinen versuche ich nicht, dem Mantra „selbst und ständig“ zu folgen. Ich bin nicht ständig verfügbar und im Einsatz, weil ich selbstständig bin. Termine werden bei mir am liebsten von Dienstag bis Donnerstag geplant, montags und freitags nur in Ausnahmefällen. Die Randzeiten nutze ich für Konzeptionelles, Abstimmungen und ruhige Arbeiten. Zudem entscheide ich, wann es störungsfreie Zeit gibt, das heißt, wann das Handy auf lautlos gestellt ist, das E-Mail-Postfach und die Slack-Kanäle geschlossen sind.
Meine Ziele beim Winterschlaf
Für mich hat der Winterschlaf mehrere Ziele, die als gleichwertig zu betrachten sind. Einerseits mag ich es, stets und ständig meine Abläufe und damit meine Produktivität zu optimieren. Andererseits möchte ich meine Gesundheit erhalten. Meine mentale Balance liegt mir sehr am Herzen. Nur physisch und mental in Balance kann ich meinen Job gut machen. Genau das ist mir wichtig. Natürlich, da ich dadurch mein Einkommen erwirtschafte, aber vor allem auch weil ich meinem Wert und Handlungsmotiv der Wirksamkeit treu bleibe.
Ein weiterer Aspekt ist zudem, dass ich durch mein Handeln und das Ausleben meiner Werte vielleicht eine Anregung zu einer Veränderung bei anderen platzieren kann. Ich folge hier auch in der Selbstständigkeit dem New-Work-Gedanken. Arbeiten darf mich stark machen und ich tue nur das, was ich wirklich wirklich will. Ich beuge mich nicht gesellschaftlichen Normen, sondern „mache mir die Welt, wie sie mir gefällt“. Und ja, ich darf das und ich mag andere einladen, mir zu folgen. Vielleicht nicht mit dem gleichen Konzept, gern aber so, dass die individuellen Bedürfnisse in Lebens- und Arbeitswelten Berücksichtigung finden und diese ausgelebt werden können.
Hinweise:
[1] Ein „Nein“ zu einer Sache, kann ein „Ja“ zu eigenen Bedürfnisse sein. Wie gelingt es Mitarbeitenden in Organisationen, häufiger „Nein“ zu sagen? Antworten gibt es im Blogbeitrag Nein!
[2] Business Akupunktur – der Podcast von Dierk Söllner: Die Kunst „Nein“ zu sagen
[3] Systemisches Netzwerk – das Online-Magazin von und für Systemiker:innen
[4] Post-Holiday-Syndrom
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Sandra Brauer hat im t2informatik Blog weitere Beiträge veröffentlicht, u. a.:
Sandra Brauer
Sandra Brauer - Veränderungsbegleitung mit System - ist als systemische Beraterin und Trainerin für Stressmanagement, Achtsamkeit und Entspannung im Einsatz. Die studierte Betriebswirtin begleitet Unternehmen und Einzelpersonen in Veränderungsprozessen. Ihre Schwerpunkte sind dabei die Begleitung von Digitalisierungsvorhaben und Veränderungsprojekten, vor allem im Zuge des kulturellen Wandels. Sandra Brauer kann für Workshops, Teamreflexionen, Einzelberatung und -coachings, Moderation von Podiumsdiskussionen sowie Impulsvorträgen gebucht werden.