Lernen 4.0: Digitalisierung und lebenslanges Lernen

Gastbeitrag von | 13.08.2018

Die Welt von heute schreit: Digitalisiert euch!

Das ist aber einfacher gesagt als getan. Die Digitalisierung ist schwer zu erfassen, da sie nahezu alle Lebensbereiche beeinflusst – vom Lebensalltag, über die Bildung und die Arbeitswelt, bis hin zum Gesundheitswesen.

Es ist bekannt, dass durch die Digitalisierung viele Arbeitsplätze wegfallen und gleichzeitig neue entstehen werden. Für den Arbeitnehmer gilt, sich neu zu orientieren, sich neue Kompetenzen anzueignen und sich ständig weiterzubilden. Arbeitgeber dagegen stehen vor der Herausforderung, qualifizierte Mitarbeiter für die neuen Aufgaben zu finden bzw. die bestehenden Mitarbeiter für die neuen Aufgabengebiete fit zu machen.

So gilt in der Arbeitswelt 4.0 auch die Weiterbildung und das Corporate Learning auf x.0 umzustellen, denn wie Harald Schirmer, Manager Digital Transformation von Continental, im Interview1 sagt: „Klassische Trainings fliegen nicht mehr richtig“. Was heißt aber digitales Lernen genau? Welche Lernformate gibt es? Welche Tools und Systeme sind relevant?

Was heißt digitales Lernen?

Digitales oder virtuelles Lernen findet im Netz statt und hier gibt es zahlreiche Formate, Methoden und Möglichkeiten – im Folgenden eine kleine Auswahl:

Lernformate

Eines der gängigsten Lernformate der letzten Jahre ist der sog. WBT (Web-Based-Trainings). WBTs sind Online-Lernmodule – also geschlossene Lerneinheiten – die normalerweise mit einem Quiz abschließen. Sie gehören zum formalen Lernen, können individuell konzipiert und mithilfe von Autorensystemen entwickelt werden. Häufig werden grundlegende Themen in einem Unternehmen durch WBTs geschult, wie z.B. Brandschutz oder Compliance – durch das Bestehen eines Abschluss-Quiz erhalten die Lerner ein Teilnahme-Zertifikat.

Eine weitere Form des formalen Lernens sind die VCTs (Virtual Classroom Trainings), oft auch „Webinare“ genannt: Dabei können Mitarbeiter auch an anderen Standorten an einem Kurs teilnehmen, in dem sie sich zu der festgelegten Zeit im VC anmelden. Durch Chat-Funktionen können die Teilnehmer gleich Fragen an den Trainer stellen.

Erklärvideos wie auch Scribbles sind ein beliebtes Lernformat, da sie einfach und kurz ein Thema erklären und durch die Veranschaulichung im Video es auch dem Lerner einfacher machen, zuzuhören und zu verstehen.

Alle genannten Lernformate können z.B. auf einem Lernmanagementsystem (LMS) liegen. Kurz zur Erklärung: LMS oder auch Lernplattformen dienen zum Management der Lerninhalte, der Lerner und der Lernergebnisse. Bereits abgeschlossene Online-Trainings wie auch Fortschritte bei angefangenen Lernprogrammen werden im System dokumentiert. Heutzutage können manche LMS sogar Lohnabrechnung, Rekrutierung und die Personalentwicklung abbilden.

Formen des Lernens

Aktuell im Trend ist das Microlearning, also das „in Häppchen Lernen“. Wenn man z.B. eine Frage googelt oder sich auf YouTube ein Tutorial anschaut und danach was Neues gelernt hat – dann ist das bereits Microlearning. Durch eine Infografik schnell über ein Thema und Zusammenhänge informiert zu sein, auch das ist Microlearning. Wir lernen oft unbewusst und nebenbei. Das macht das Ganze heute noch spannender und vielfältiger.

Bei komplexen Themen stößt man aber an den Grenzen des Microlearning. Manche Themen brauchen mehr Zeit, um erklärt und verstanden zu werden. Hier bietet die Lernmethode des „Blended Learning“ (übersetzt: „gemischtes Lernen“) mit der Kombination von Präsenzseminaren, virtuellen Lernformaten oder Coachings eine Lösung an.

Fakt ist: Digitales Lernen ist flexibel durch seine Orts- und Zeitunabhängigkeit und dies ist in der digitalisierten Arbeitswelt ein großer Vorteil. Interessanter und nachhaltiger wird es, wenn man sich über das Gelernte mit Gleichgesinnten verbinden und austauschen kann. Wie kann aber ein Unternehmen digitales Lernen einführen und worauf sollte man dabei achten?

Digitales Lernen – Einführung im Unternehmen

1. Bedarfsanalyse

Die Digitalisierung im Unternehmen kann erst dann erfolgreich sein, wenn auch die Mitarbeiter davon überzeugt sind. Sie entscheiden durch ihre Nutzung, wie erfolgreich das neue digitale Lernen sein wird – umso wichtiger ist es, sie bei der Entwicklung einer digitalen Lernumgebung im Fokus zu behalten. Die Klärung der Wünsche und Bedürfnisse der Mitarbeiter beim Lernen ist entscheidend, um eine nachhaltige Lösung für das digitale Corporate Learning zu entwickeln. Oft haben Mitarbeiter bevorzugte Kanäle oder Arten wie sie am liebsten lernen und heutzutage verschwinden allmählich die Grenzen zwischen Lernen und Arbeiten: “ (…) many employees are now well ahead of the game! Learning, for them, is something that happens as part of everyday work, when they need it,(…)” so Jane Hart, Gründerin vom Centre for Learning & Performance, auf ihre Website.2 Sehen die Mitarbeiter keinen Nutzen durch das digitale Lernen oder haben keinen Spaß daran, führt es dazu, dass sie das Online-Angebot nicht nutzen.

2. Überprüfung der aktuellen Prozesse und Strukturen

Im zweiten Schritt ist es wichtig, die bereits bestehenden Prozesse und Strukturen für das Lernen im Unternehmen zu klären. Wie ist der aktuelle Stand des Corporate Learning, sind es einzelne Maßnahmen, ist es ein kontinuierlicher oder sogar ein selbstgesteuerter Prozess? Welche Strukturen sind im Unternehmen bereits vorhanden? Gibt es ein ESN (Enterprise Social Network), ein Intranet? Daraus kann man auch ableiten, inwiefern das Unternehmen bereits eine digitale Lernkultur entwickelt hat oder nicht. Wie auch die Unternehmenskultur, muss in diesem Fall die Lernkultur weiterentwickelt und an das neue digitale Lernen angepasst werden – ein Change-Prozess.

3. Infrastruktur für neues Lernen schaffen

Nachdem die Prozesse und Strukturen geklärt und die Bedürfnisse entsprechend analysiert wurden, fehlt noch die Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur für das digitale Lernen. Welche Kanäle, Tools und Plattformen sind für das Unternehmen und die Mitarbeiter geeignet? So ist z.B. ein LMS für die Einführung digitaler Lernformate im Unternehmen nicht zwangsläufig notwendig. Dies kommt ganz darauf an, welche Systeme das Unternehmen schon hat und wie das Lernen gesteuert werden soll und selbstverständlich wie die Mitarbeiter bevorzugt lernen wollen. Wie im Prinzip 70:20:103 beschrieben: 70% des Lernens passiert on-the-job und im täglichen Doing, 20% ist informell durch sozialem Austausch mit Kollegen und nur 10% des Gelernten stammt aus formalen Lerneinheiten³. Daraus folgt, dass man das informelle Lernen auf jeden Fall bei der Konzeption des digitalen Lernens miteinbeziehen muss: Die Vernetzung der Lerner z.B. über ein ESN bietet viele Vorteile für alle Beteiligten. Falls der schnelle Zugang zu Wissen gefordert wird, kann die Erstellung eines Wissensportals mit den gesammelten nötigen Informationen die geeignete Lösung sein. Wenn diese Informationen entsprechend für jede Zielgruppe aufbereitet werden, kann sich jeder durch einfaches Nachschlagen schnell informieren. Jane Hart schildert zum Beispiel in ihrem Artikel „The future of learning technologies“ wie stark Lernen mittlerweile durch Kollaboration und Austausch passiert.4

Lernen 4.0 = Arbeiten 4.0

Wie schon erwähnt, die Grenzen zwischen Arbeiten und Lernen verschwinden – es wird heute on-the-job gelernt, zusätzlich durch den Austausch mit Kollegen und Gleichgesinnten. Die Community motiviert den Einzelnen zum Lernen. Wichtig hierbei ist auch immer, dass der Lerner auch den Nutzen der Inhalte erkennt und seine Begeisterung für das Lernen nutzt. Falls die Motivation zum dauerhaften Lernen doch noch fehlen sollte, können Ansätze wie z.B. Gamification oder Serious Games bei der Konzeption vom digitalen Lernen den fehlenden „Schub“ bringen. Durch einen spielerischen Ansatz können die Mitarbeiter abgeholt und für das Lernen motiviert werden. Wichtig für das Unternehmen ist immer die Perspektive des Lerners einzunehmen, um ihn besser zu verstehen und so die entsprechenden Entscheidungen zu treffen.

Fazit

Bei der Einführung von digitalem Lernen im Unternehmen ist es wichtig alle Aspekte zu analysieren und diese bei der Entwicklung einer digitalen Lernumgebung zu berücksichtigen. Aber es geht nicht nur um die Lernarchitektur und die Inhalte. Es geht vor allem um die Einstellung und das Zulassen neuer Denk-, Führungs- und Arbeitsweisen, um eine nachhaltige und zukunftsfähige Entwicklung anzustoßen. Hier kann zum Beispiel das Learning & Development Canvas von perspektive3 den zukünftigen Bedarf des Unternehmens in der Personalentwicklung klären und erste Ansätze einer nachhaltigen Lernstrategie zu entwickeln – denn nicht alles was digital und neu ist, ist auch passend für jedes Unternehmen.

 

Hinweise:

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[1] Harald Schirmer im Interview: https://newmanagement.haufe.de/skills/klassische-trainings-fliegen-nicht-mehr-richtig
[2] Jane Hart, Grenzen zwischen Leben und Arbeiten: https://modernworkplacelearning.com/magazine/modern-ld-more-than-organising-and-managing-e-training/
[3] Das Prinzip 70:20:10: https://en.wikipedia.org/wiki/70/20/10_Model_(Learning_and_Development)
[4] Jane Hart, Lernen durch Kollaboration: https://modernworkplacelearning.com/magazine/the-future-of-learning-technologies/

Astrid Tietgens
Astrid Tietgens

Astrid Tietgens hat perspektive3 2005 gegründet, um Unternehmen und Organisationen bei der Konzeption und Entwicklung wirksamer Corporate Learning Lösungen zu beraten. Sie ist eine erfahrene Beraterin und Unternehmerin und hat bereits zahlreiche Workshops zu strategischen und konzeptionellen Fragestellungen moderiert und für mittelständische und große Unternehmen umgesetzt. Eine digitale Transformation des Corporate Learning kann ihrer Meinung nach nur erfolgreich sein, wenn es gelingt, die technischen Möglichkeiten mit den Interessen und Bedürfnissen der Beteiligten in Einklang zu bringen.