Klarheit und Orientierung in der Softwareentwicklung
„Ich muss verstehen. Immer.“
Dieses Prinzip habe ich mir vor langer Zeit zu eigen gemacht. Es hat mir in vielen Situationen geholfen, etwa bei schwierigen Themen in der Softwareentwicklung, bei unklaren Anforderungen, bei widersprüchlichen Erwartungen, bei technischen Abhängigkeiten, bei fehlender Priorisierung, bei Konflikten zwischen Teammitgliedern und bei knappen Ressourcen. In all diesen Fällen zeigt sich: Was zählt, ist Klarheit. Diese Klarheit schafft Orientierung und ermöglicht Handeln. Sie hilft Führungskräften und Mitarbeitenden gleichermaßen.
Gerade als Führungskraft können Sie durch eigenes Verstehen den Unterschied machen. Wenn Sie Klarheit gewinnen, schaffen Sie die Grundlage, auf der Ihr Umfeld Entscheidungen trifft, Verantwortung übernimmt und tragfähige Lösungen entwickelt.
Die nachfolgende Anleitung zeigt Ihnen, wie Sie komplexe Situationen sichtbar und greifbar machen. Schritt für Schritt bringen Sie Struktur in Problemstellungen und öffnen den Weg zur Lösung. Sie setzt dort an, wo alles beginnt: bei klarer Sicht und echtem Durchblick.
Anleitung für mehr Durchblick und Klarheit in der Softwareentwicklung
Komplexe Situationen wirken oft chaotisch und unüberschaubar. Die folgende Anleitung hilft Ihnen, Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Sie besteht aus vier Schritten, die bewusst einfach gehalten sind und dennoch tief wirken. Indem Sie Situationen erfassen, Zusammenhänge sichtbar machen, den Kern lokalisieren und systematisch analysieren, schaffen Sie ein gemeinsames Verständnis. Dieses Verständnis ist die Grundlage für Klarheit, Orientierung und tragfähige Entscheidungen.
Schritt 1: Die Situation erfassen
Beginnen Sie mit einem vollständigen Überblick. Machen Sie das Unsichtbare sichtbar, indem Sie alle relevanten Elemente zusammentragen.
- Geben Sie dem Thema einen Namen und schreiben Sie ihn groß auf ein Whiteboard, ein Flipchart oder ein A3-Blatt.
- Stellen Sie die Frage: Wer oder was ist beteiligt. Zum Beispiel Personen, Rollen, Teams, Abteilungen, Objekte oder Komponenten.
- Notieren Sie jedes Element auf einer eigenen Haftnotiz. Ergänzen Sie neben dem Namen auch den Typ, etwa Person, Team, Rolle, Objekt oder Komponente. Optional können Sie ein Symbol hinzufügen, damit der Typ sofort erkennbar ist.
- Prüfen Sie, ob etwas Relevantes fehlt, und ergänzen Sie die Darstellung bei Bedarf.
Schritt 2: Zusammenhänge sichtbar machen
Stellen Sie dar, wie die Elemente zueinander in Beziehung stehen und bringen Sie über die Visualisierung von Abhängigkeiten Ordnung ins Bild.
- Frage: Wie hängen die Elemente zusammen?
- Zeichnen Sie die Verbindungen.
- Beschriften Sie die Verbindungen mit relevanten Details.
- Ordnen Sie die Haftnotizen so an, dass sich möglichst wenige Linien überschneiden.
Schritt 3: Das Thema lokalisieren
Richten Sie den Blick auf den Kern des Problems, in dem Sie die entscheidenden Stellen markieren und das eigentliche Thema greifbar machen.
- Frage: Wo ist das Thema, das Problem oder die Herausforderung in der Visualisierung sichtbar?
- Markieren Sie diese Stellen direkt in der Darstellung.
- Falls Sie das Thema nicht eindeutig markieren können, fehlen vermutlich relevante Elemente. Kehren Sie in diesem Fall zu Schritt 1 zurück und ergänzen Sie.
Schritt 4: Systematisch analysieren
Prüfen Sie nun im Detail und klären Sie Verantwortlichkeiten, Abhängigkeiten und Unsicherheiten, um Ursachen und Ansatzpunkte für Lösungen sichtbar zu machen. Stellen Sie dazu folgende Fragen:
- Welche Aufgaben, Verantwortlichkeiten oder Zuständigkeiten hat dieses Element?
- Welche Tools oder Technologien sind relevant?
- Gibt es Unklarheiten oder Unsicherheiten?
- Sind alle Abhängigkeiten zu und von diesem Element klar benannt und definiert.
Und für jede Verbindung fragen Sie:
- Sind die Details dieser Abhängigkeit geklärt, zum Beispiel zeitliche Anforderungen, Reihenfolge, Daten, Informationen, Kommunikationswege, Protokolle oder verwendete Technologien?
Notieren Sie alle Unklarheiten direkt auf der Visualisierung, denn genau dort liegen oft die wahren Ursachen für Probleme und Konflikte und zugleich die ersten Ansatzpunkte für tragfähige Lösungen.
Beispiel aus der Praxis: Ein Product Owner am Limit
Damit die Methode greifbar wird, schauen wir uns ein Beispiel an. Es zeigt, wie ein überlasteter Product Owner durch die vier Schritte Klarheit gewinnt.
Schritt 1: Die Situation erfassen
Zuerst werfen Sie einen Blick auf das Thema: „Backlog-Chaos und fehlende Planungssicherheit“. Anschließend sammeln Sie alle beteiligten Elemente:
- Product Owner
- Projektleiter für Produkt A, B und C
- Entwicklungsteam
- Plattform
- gemeinsames Backlog
- Backlog Item
Notieren Sie jedes dieser Elemente auf einer eigenen Haftnotiz und ergänzen Sie ein Symbol, damit die Unterscheidung sofort sichtbar wird.
Abbildung 1: Die Situation erfassen
Schritt 2: Zusammenhänge sichtbar machen
Im nächsten Schritt machen Sie die Abhängigkeiten deutlich. Sie zeichnen die Verbindungen und beschriften sie:
- Die Projektleiter A, B und C geben Anforderungen ins Backlog.
- Das Backlog speist die Arbeit für das Entwicklungsteam.
- Der Product Owner priorisiert die Backlog Items.
- Der Product Owner plant die nächsten Versionen und Sprints.
- Das Entwicklungsteam arbeitet an der Plattform und erstellt neue Versionen.
So entsteht ein Bild, das die Zusammenhänge klar macht.
Abbildung 2: Zusammenhänge sichtbar machen
Schritt 3: Das Thema lokalisieren
Nun richten Sie den Blick auf die eigentlichen Problembereiche:
- Eine gemeinsame Priorisierung fehlt, der Product Owner kann und darf nicht allein priorisieren.
- Die Projektleiter stimmen sich nicht untereinander ab. Bevor Anforderungen ins Backlog gelangen, könnten Synergien genutzt und gemeinsame Features für mehrere Produkte definiert werden. Diese Verantwortung darf nicht allein beim Product Owner liegen.
- Die Planung der nächsten Versionen und Sprints ist nicht mit den Projektleitern abgestimmt. Sie wissen nicht, wann ihre Wünsche und Features umgesetzt werden.
Auf diese Weise heben Sie die kritischen Punkte hervor und schaffen eine klare Basis für die anschließende Analyse.
Abbildung 3: Thema lokalisieren
Schritt 4: Systematisch analysieren
Im letzten Schritt gehen Sie ins Detail und prüfen die einzelnen Elemente:
- Product Owner: Welche Verantwortung trägt er, wie entscheidet er über die Priorisierung und mit wem stimmt er sich ab.
- Projektleiter A, B und C: Welche Verantwortung haben sie, wie beeinflussen sie die Priorisierung und wie sichern sie die Umsetzung ihrer Anforderungen.
- Entwicklungsteam: Wie gehen sie mit unterschiedlichen Wünschen um und wie stellen sie sicher, dass Projektanforderungen in Plattform-Features umgesetzt werden.
- Backlog: Wie ist es strukturiert.
- Backlog Item: Welche Informationen enthält ein Element, ist es umsetzungsbereit, und wie werden ähnliche Anforderungen aus verschiedenen Projekten sichtbar.
Auch die Abhängigkeiten nehmen Sie in den Blick:
- Gibt es Regeln, wie Items ins Backlog aufgenommen und priorisiert werden.
- Sind Kriterien für die Auswahl der Arbeit des Entwicklungsteams definiert, etwa Definition of Ready oder Priorität.
- Wie werden Versionen geplant.
Notieren Sie alle Unklarheiten direkt auf der Visualisierung.
Fazit aus dem Beispiel
Die Analyse legt die zentralen Blockaden offen:
- Ein Backlog ohne klare Verantwortlichkeiten
- Kein verbindliches Verfahren für die Priorisierung
- Projektleiter, die Anforderungen abgeben und Transparenz verlieren
- Eine Plattformentwicklung, die fast ausschließlich beim Product Owner und beim Entwicklungsteam liegt, obwohl es die Sicht der Projekte für gemeinsame Features und Varianten braucht
Mit den beschriebenen vier Schritten schaffen Sie die Grundlage, um gezielt Verbesserungen einzuleiten: Rollen klären, Priorisierungsprozesse festlegen, Anforderungen und Varianten systematisch managen und die Planung der Plattformversionen transparent gestalten. Gut, oder?
Schlussgedanken zu Klarheit und Orientierung
Das Beispiel stammt aus einer organisatorischen Situation eines Product Owners, doch die Anleitung mit den vier Schritten eignet sich genauso für andere Rollen oder Verantwortungsbereiche, für Designfragen, Architekturentscheidungen oder schwer nachvollziehbare Bugs. Überall dort können Sie als Führungskraft unterstützen, Orientierung geben und Klarheit schaffen.
Klarheit ist der Schlüssel: Sie macht Zusammenhänge sichtbar, reduziert Unsicherheiten und eröffnet Wege zu sinnvollen Lösungen. Wenn Sie sich das Prinzip „Ich muss verstehen. Immer.“ zu eigen machen, gewinnen Sie nicht nur selbst an Durchblick, sondern ermöglichen auch Ihrem Umfeld, wirksam zu handeln und bessere Entscheidungen zu treffen. Probieren Sie es aus.
Hinweise:
Mit steigender Vielfalt, Dynamik und Vernetzung nimmt die Komplexität von Projekten insbesondere Projekte mit Software immer weiter zu. Mitarbeiter mit unterschiedlichsten Voraussetzungen müssen effektiv zusammenarbeiten, um die Projektziele zu erreichen. Es wird zunehmend schwieriger, die Übersicht zu behalten.
Matthias Künzi unterstützt Sie gerne dabei, Struktur, Systematik und Klarheit in Ihre Vorhaben zu bringen. Sprechen Sie ihn bei Interesse einfach an. Und wenn Sie für reibungslose Softwareentwicklung und gut konstruierte Software interessieren, dann lohnt sich auch ein Blick in den Blog von visuellklar.
Und wenn Sie noch mehr Durchblick gewinnen wollen, dann empfehlen wir Ihnen gerne den Führungszirkel Software-Navigator.
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Matthias Künzi hat zwei weitere Beiträge im t2informatik Blog veröffentlicht:

Matthias Künzi
Matthias Künzi (Dipl. El. Ing. HTL, Dipl. Software Ing. FH, Systemischer Coach) hat in den letzten 30 Jahren als Softwareentwickler, Software- und Systemarchitekt sowie als Führungskraft viel Erfahrung in der Entwicklung und Organisation von Softwaresystemen im Embedded- und kommerziellen Umfeld gesammelt. Mit seiner Firma „visuellklar“ unterstützt er Softwareunternehmen bei der Optimierung ihrer Organisation und Produktentwicklung. Sein Ziel ist es, Komplexität zu beherrschen und Unternehmen systematisch zu einer reibungslosen Softwareentwicklungsmaschinerie zu entwickeln.
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