Kein Wunder, dass sich kein Softwareentwickler bei Ihnen bewirbt

Gastbeitrag von | 03.08.2020

Sucht Ihr Unternehmen auch nach Softwareentwickler*innen? Gar nicht so einfach, oder? Der Wettbewerb um Talente oder wechselwillige Mitarbeiter*innen ist groß. Was tun Sie, um diesen Wettbewerb zumindest punktuell für sich zu entscheiden? Wie setzen Sie sich mit Ihrem Angebot gegen andere Firmen durch, die vielleicht renommierter sind, in angesagten Stadtteilen in coolen Großstädten sitzen oder mehr Gehalt zahlen?

Wollen wir ein kleines Experiment machen? Stellen Sie sich vor, ich bin Softwareentwickler. Und ich überlege mir, demnächst meinen Job zu wechseln. Sie wollen mich für Ihr Unternehmen begeistern und mich als neuen Mitarbeiter gewinnen. Was tun Sie? Schalten Sie eine Anzeige bei Stepstone, Monster oder auf einem Portal für Softwareentwickler*innen?

Gute Entwickler benötigen keine Stellenanzeigen

Ich verrate Ihnen ein kleines Geheimnis: Als guter Softwareentwickler suche ich meine Jobs NICHT in einem Job-Portal. Nein, ich frage meine Freunde und Kollegen, die in der IT arbeiten:

  • „Ich überlege mir gerade, den Job zu wechseln. Hast Du einen Tipp für mich?“
  • „Bei welchem Unternehmen würdest Du denn gerne mal arbeiten?“
  • „Sucht Ihr denn nicht auch nach neuen Mitarbeitern?“

Wenn es für mich „normal“ läuft, ist meine Jobsuche bereits beendet, bevor es anstrengend wird. Denn wer was in seinem Beruf kann und ein paar Freunde hat, bekommt meist die Tipps und Hinweise, die er oder sie benötigt. Eine einfache Frage unter Freunden, eine kleine Empfehlung zu Beginn und anschließend eine einfache Kontaktaufnahme mit dem potenziellen Arbeitgeber, mehr braucht es oftmals nicht bei der Suche nach einer neuen Stelle.

Gut, das scheint ein sehr einfaches Experiment zu werden. Machen wir es etwas schwieriger. Ich möchte demnächst umziehen, von einer großen in eine kleine Stadt, oder von einer kleinen in eine große. Und: ich möchte trotz aller Vorteile an keinen Meetups teilnehmen, auch wenn ich dort unkompliziert potenzielle Kollegen und Firmen treffen und kennenlernen könnte. Und ich habe keine Freunde, die gut vernetzt sind und genau die eine offene Stelle kennen, die zu meiner Spezialisierung, meinen Kenntnissen und Interessen passt. In diesem Fall könnte  eine Stellenanzeige doch Sinn ergeben.

Lassen Sie uns also einfach einmal auf ein Portal gehen, bspw. zu Karriere.at. Am 14.07.2020 werden unter dem Suchbegriffe „Software Entwickler, Österreich“ 1.423 Angebote angezeigt. Hossa.

Größer, besser, weiter. Oder: Wir sind so toll!

Meine Mutter hat mir in der Pubertät einen guten Tipp gegeben: „Wenn Du ein nettes Mädchen beeindrucken willst, beginne das Gespräch bloss nicht damit ihr zu erzählen, wie toll Du bist. Es geht nämlich nicht um Dich, es geht um das Mädchen.“

Werfen wir einen Blick auf eine „typische“ Stellenanzeige:

„ABC ist ein eigenständig geführtes Unternehmen in der XYZ Branche. Seit über 160 Jahren ist ABC ein führender Anbieter für 123 und entwickelt sein Portfolio durch Innovationen ständig weiter. Zum Kerngeschäft gehören 456, 789 und 0816, sowie die dazugehörigen Serviceleistungen. Durch die Digitalisierung ermöglicht ABC langjährigen Kunden auf der ganzen Welt, ihre Infrastruktur intelligent zu steuern, um so eine nachhaltige Wertsteigerung über den gesamten Lebenszyklus sicherzustellen. Weitere Informationen finden Sie unter …“

Abgesehen davon, dass diese Stellenanzeige in der dritten Person formuliert ist und ich mich ernsthaft frage, warum man dies tut und ob ich wirklich gerne mit jemanden sprechen möchte, der so über sich schreibt, was steht in der Stellenanzeige? Das Unternehmen ist Marktführer, agiert international, ist innovativ und hat Kunden. Toll. Und bestimmt alles auch richtig. Natürlich dürfen Unternehmen auf Erreichtes Stolz sein und sich über Marktpositionen, gewonnene Preise und langjährige Kunden freuen. Aber: Ist das der beste Einstieg in die gerade aufkeimende Beziehung zwischen dem Unternehmen und mir? Wo geht es um mich?

Die Aufgabenbeschreibung, die nichts aussagt

Werfen wir einen Blick auf die Aufgabenbeschreibung der Stellenanzeige:

„Folgende Aufgaben erwarten Sie:

  • Entwicklung und Konzeption von Software mit .Net Technologien
  • Erstellung und Validierung von Softwaredesignkonzepten
  • Codereviews und Durchführung von qualitätssichernden Maßnahmen
  • Zusammenarbeit im agilen Team“

Wer hätte das gedacht? Das Unternehmen sucht also tatsächlich Softwareentwickler*innen, die Software entwickeln. Krass. Leider heißt das für mich aber auch direkt: Warum sollte ich dorthin wechseln, wenn ich dort genau dasselbe wie in meinem jetzigen Job mache? Wenn ich eine neue Aufgabe und Herausforderung suche, werde ich nicht zu ABC wechseln – so viel weiß ich bereits.

Die Wischi-Waschi-Qualifikation

Die Unternehmensbeschreibung in dritter Person und mit „typischen“ Informationen versehen, die Aufgabenbeschreibung nichtssagend, vielleicht steht etwas Wesentliches in der Passage zu den geforderten Qualifikationen? Oder anders formuliert: passe ich mit meinen Kenntnissen, Fähigkeiten und Interessen zu dem Unternehmen?

Also schauen wir einmal:

„Ihre Qualifikation – fundiert und adäquat:

  • Abgeschlossene technische, naturwissenschaftliche Ausbildung (HTL/FH/UNI)
  • Erfahrung in objektorientiertem Software-Design
  • Erfahrung in der Programmiersprache C++
  • Grundkenntnisse in agiler Entwicklung
  • Deutsch- und Englischkenntnisse

Erforderliche allgemeine Kompetenzen:

  • Teamfähigkeit
  • Kommunikationsfähigkeit
  • Eigeninitiative
  • Kreativität
  • Lernfähigkeit
  • Analysefähigkeit
  • Motivation und Begeisterung“

Mmh, dieses Unternehmen sucht also jemanden, der eine technische Ausbildung abgeschlossen hat, zumindest einmal im Leben eine Klasse oder Methode in C++ programmiert hat und sich selbst weder für dumm, faul oder asozial hält, sprich jemanden, der teamfähig, lernfähig und kommunikativ ist. Ernsthaft? Diese Art von Qualifikation dürfte wirklich jede Softwareentwicklerin bzw. jeder Softwareentwickler erfüllen. Allerdings stelle mir sofort die Frage: „Wenn das Unternehmen nach Einsteigern sucht, ist es bereit mein Gehalt als Profi zu bezahlen?“. Apropos, was bietet denn das Unternehmen an?

08/15 Commodities

„Wir bieten:

  • Eine anspruchsvolle, interessante und abwechslungsreiche Tätigkeit
  • Gute Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten
  • Umfangreiche Sozialleistungen, Obst, Kaffee, Tee, Softgetränke
  • Flexible Arbeitszeiten mit Gleitzeit
  • Angenehmes Betriebsklima in einem jungen, motivierten, wachsenden Team“

Sorry, aber weniger mit mehr Worten lässt sich schwer sagen, oder? Natürlich sind die Tätigkeiten anspruchsvoll, interessant und abwechslungsreich – aber für wen? Schön, dass es ein angenehmes Betriebsklima gibt, was auch immer das sein soll?! Und gut, dass ich mich auch entwickeln kann – nur wohin?

Ja, ich weiß, ich bin hart. Irgendetwas muss da ja stehen. Aber: das Unternehmen bietet mir nichts, was ich nicht längst schon habe. Vielleicht bieten sie wenigstens ein bisschen mehr Gehalt?

Das unklare Gehalt

„Das monatliche Mindestgehalt beträgt gemäß IT-Kollektivvertrag € 2.392,-. Gerne passen wir Dein Gehalt an Deine Qualifikation und Erfahrung an.“

Nach meiner Erfahrung kennen Softwareentwickler*innen das monatliche Mindestgehalt gemäß Kollektivvertrag. Und die Formulierung in der Stellenanzeige sagt indirekt, dass das Unternehmen nicht erwartet, dass der Bewerber für diesen Betrag seine Tätigkeit aufnimmt. Was aber unklar bleibt, ist die Höhe des Gehalts. 

Natürlich wollen Unternehmen flexibel bleiben und nicht alle Karten auf den Tisch legen. Aber: die eine Frage, die den Bewerber interessiert, wird nicht beantwortet. Dabei wäre es so einfach, denn durch die Angabe einer Gehaltsrange erhält die Bewerberin bzw. der Bewerber eine Indikation und das Unternehmen eine gewisse Flexibilität. So aber wird die Frage nach dem Gehalt schlicht nicht beantwortet.

Fazit

Die Anzeige ist zu Ende. Mein Experiment auch. Würden Sie sich bei einem solchen Unternehmen bewerben?  Mich als fiktiven Softwareentwickler begeistert die Stellenanzeige nicht. Ich würde keine Zeit investieren, um mich auf diese Position zu bewerben.

Tatsächlich schauen Softwareentwickler*innen viel seltener nach Stellenanzeigen, als vielleicht allgemein angenommen. Und wenn sie sich Stellenanzeigen anschauen, dann vermutlich gerne solche ohne PR-Texte, nichtssagenden Tätigkeitsbeschreibungen, unspezifischen Anforderungen, 08/15 Commodities und einem unklaren Gehalt.

Was passiert in der Realität, nachdem sich eine Bewerberin oder ein Bewerber eine solche Anzeige angeschaut hat? Sie oder er bleibt einfach dort, wo sie oder er gerade ist. Nach einer Umfrage aus dem Jahr 2020 interessieren sich 55% der Entwickler*innen für Jobangebote, aktiv nach einem neuen Job suchen aber lediglich etwas mehr als 10%.¹ Wenn Sie sich um die Softwareentwickler*innen bemühen, die aktiv nach einer neuen Beschäftigung suchen, dann bitte nicht mit einer solchen Stellenbeschreibung. Bei einer solchen Stellenbeschreibung ist es kein Wunder, dass sich nicht diejenigen bei Ihnen bewerben, mit denen Sie gerne Ihr Team verstärken wollen.

 

Hinweise:

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[1] Entwickler*innen 2020 – Motive und Zahlen

Alex Rammlmair hat im t2informatik Blog zwei weitere Beiträge veröffentlicht:

t2informatik Blog: Wer braucht schon langfristige Ziele?

Wer braucht schon langfristige Ziele?

t2informatik Blog: Warum ich heute meinen Klienten von agiler Softwareentwicklung abrate

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Alex Rammlmair
Alex Rammlmair
Alex Rammlmair hilft IT-Unternehmen, Wachstum gezielt und strategisch aufzubauen. Er ist Geschäftsführer der AX-XO GmbH und bietet mit Umsatzsprung eine Dienstleistung, durch die Unternehmen ihre Lead-Pipeline füllen, einen zuverlässigen Verkaufsprozess etablieren und ein skalierbares Geschäftsmodell entwickeln. Er mag es, anderen den Spaß am Verkaufen zurück zu geben und er hat gerne einen Plan B in der Tasche.