Keep-Manager: Alles bleibt anders

Gastbeitrag von | 05.12.2024

Keeper sind die Game-Changer der Veränderung.

Als ich vor rund fünf Jahren zum ersten Mal den Begriff des Keep-Managers öffentlich machte, war das Interesse daran groß. Gleichwohl führt er im Vergleich zum Change-Manager auch heute noch ein Schatten-Dasein. Völlig zu Unrecht, denn Unternehmen brauchen ihn heute mehr denn je als stabilisierende Kraft im Fluss des Wandels: „Panta rhei“ – alles fließt. Und gleichzeitig braucht es Festland, um wieder tragenden Boden unter die Füße zu bekommen. Der Keep-Manager sorgt dafür, dass es ausreichend solcher Landungsbrücken, Inseln und anderer tragfähiger Unterbauten gibt. Schließlich würde auch niemand auf die Idee kommen, schwimmend den Atlantik zu durchqueren. Auch ein Schiff ist nichts anderes als der sichere Ort auf dem weiten Meer.

Worauf können wir vertrauen?

Wirtschaftskrise, Corona-Krise, Klimakrise, Migrationskrise, Energiekrise – die Stapelkrisen sind zu einer Poly-Krise geworden. Die einzelnen Krisen beeinflussen sich derart, dass sie sich gegenseitig sogar noch verstärken. Für uns Menschen resultiert daraus in vielen Fällen massiver Stress. Wir sind so programmiert, dass wir auf Defizite, Konflikte, Krisen – also negative Reize – besonders stark reagieren. Das ist evolutionär sinnvoll. Aber unser Alarmsystem springt eben auch dann an, wenn wir an der Situation unmittelbar gar nichts ändern können. Man könnte auch sagen, wir reagieren hoch sensibel auf Überraschungen, positiv wie negativ.

Change-Phasen sind solche Überraschungen. Sie sind zum großen Teil Black-Box-Prozesse, an denen weniger klar als unklar ist. Deshalb ist auch der Begriff des „Managers“ irreführend: Managen können wir nur, was einer Logik folgt und in Ursache-Wirkungszusammenhängen abläuft. Das mag bei technischen Systemen gut funktionieren. Change-Prozesse sind aber in weiten und wesentlichen Teilen „Human-Changes“, also Veränderungen an Denk- und Verhaltensweisen der Mitarbeitenden. Und damit eben hochkomplex und wenig steuerbar. Daraus resultiert ein hoher Grad an Unsicherheiten bei allen Akteuren. Eine wesentliche Aufgabe des Keep-Managers ist es daher wieder „Boden unter die Füße zu schieben“, auch wenn es Schiffsplanken sind auf offener See. Sein Angebot: Psychologische Sicherheit. Die Frage dahinter: Worauf können wir vertrauen?

Vertrauen und Stabilität

Vertrauen ist etwas anderes als Sicherheit. Ich kann Menschen und Dingen vertrauen, auch (und gerade) wenn ich mir nicht ganz sicher bin und ein Risiko besteht. Der Keep-Manager fördert dieses Vertrauen. Er setzt beim Selbstvertrauen an und beeinflusst damit die Selbstsicherheit. Sie kann uns dabei helfen, auch durch unsichere Phasen hindurchzukommen. Die Selbstsicherheit ist ein Mitglied der Familie „Selbst“: Selbstwert, Selbstbild, Selbstwirksamkeit, Selbstregulation … sind dort zuhause.

Unsere Selbstsicherheit ist der Anker in risikobesetzen Lebensphasen. Wir schaffen das, auch wenn wir nicht genau wissen was auf uns zukommt. Wir sind zuversichtlich und kennen unsere Ressourcen. Um in Kontakt zu kommen mit dieser inneren Stabilität braucht es Keep-Phasen:

  • Innehalten,
  • Überblick verschaffen,
  • Hilfreiches von weniger Hilfreichem trennen,
  • konsolidieren.

Methodisch arbeitet der Keep-Manager mit Werkzeugen aus dem Coaching und der Moderation. Auch im Coaching steht am Anfang einer spürbaren (und oft nicht selbst initiierten) Veränderung: Stabilisieren, stabilisieren, stabilisieren. Veränderung braucht eine starke, belastbare und eben „sichere“ (weil vertrauensvolle) Beziehung.

Erst wenn der Boden beschaffen ist, kann der Veränderungsweg beschritten werden. Dieser trittsichere Boden besteht aus Ressourcen- und Wertearbeit, Ritualen, Rollenklärungen, Klärung der Unternehmenskultur, Timeline-Arbeit, Vermeidung von Zielkonflikten, Sicherung von Wissen und Best-Practices sowie transgenerationaler Wissenstransfer.

Der Keep-Manager als neugieriger Traditionalist

Zur psychologischen Sicherheit in Wandelprozessen gehört der souveräne Umgang mit Gefühlen, insbesondere Ängsten und den dahinterliegenden Sorgen und Zweifel. Das beinhaltet, dass ich Ängste und Bedenken äußern darf und diese Berücksichtigung finden im Diskurs. Die stigmatisierten „Bremser“ (die Ewiggestrigen, die Konservativen, die Alten, die Gewohnheitstiere, das Winning-Team, die Abwarter …) bekommen durch den Keep-Manager eine Stimme.

Zugegeben: In unseren Zeiten verkauft sich Wandel leichter als Bestand. Wer sich als „Dauer-Typ“ outet, braucht eigentlich schon Minderheitenschutz und eine Quote. Keep-Manager sind aber all das und noch mehr. Unternehmen brauchen neben einem wertschätzenden progressiven Part auch einen neugierigen Traditionalisten. Sie ergänzen sich komplementär und sind kein Widerspruch. Ambiguitätstoleranz ist gefordert und das gleichzeitige Spielen mit zwei Händen: Sowohl-als-auch statt Entweder-Oder.

Die Führungskraft als eierlegende Wollmilchsau

Um noch einmal auf das Bild der Seefahrt zurückzukommen: Ein „Keep“ ist in der Seemannssprache eine Rille oder Kerbe, die dem Tau in der Führung Halt gibt (z.B. am Mast). Ein gutes „Ablaufen“ und „Ent-Wickeln“ braucht also gleichzeitig eine sichere Führung.

Gut begleitete Change-Prozesse fordern neue Akzente in der Führung. War sie in der Vergangenheit geprägt als Richtungs- und Zielgeber, Vorweg-Geher und Mitreißer, ist heute das Rollenspektrum ein viel differenzierteres. Die moderne Führungskraft erinnert ein bisschen an die eierlegende Wollmilchsau. Heute ist sie Wandler und Bewahrer (und vieles andere) in Personalunion. Wichtig finde ich, dass Change- wie Keep-Manager und die Leitungskräfte als Rollenmodelle dienen. Wie gehen sie mit eigenen Unsicherheiten und Fehlern um? Wie gut gelingt es ihnen, die eigene psychologische Sicherheit herzustellen und als Vorbild zu wirken?

Die einseitige Ausrichtung auf Change-Manager und ihre Folgen

Da Systeme selbstregulierend eine Homöostase, also ein inneres Gleichgewicht schaffen, ist die Notwendigkeit von Keep selbsterklärend. Auch biologische Systeme wie unser Körper arbeiten mit Agonist und Antagonist, mit Sympathikus und Parasympathikus, mit Wach- und Schlafrhythmus.

Hinter jeder Organisation steht ein System aus Menschen, die eben menschlichen und nicht technischen Gesetzmäßigkeiten folgen. Mit der jahrzehntelangen einseitigen Ausrichtung auf den Change-Manager hat man dieser menschlichen Komponente viel zu wenig, der technischen Steuerbarkeit von Change-Prozessen viel zu viel Bedeutung beigemessen: „Ist schon kompliziert genug, warum jetzt auch noch komplex werden“ könnte der Gedanke dahinter lauten.

Der Sinn von Change- und Keep-Manager

Warum brauchen Organisationen aber überhaupt Change- und Keep-Manager, wenn doch alles Leben sowieso Veränderung ist? Schließlich hat die Natur ja auch keine „Manager“ – sie könnte getrost auf uns Menschen verzichten. Was wir an der Natur managen, hat bisher viele Probleme erzeugt. Es gibt aber zwei bedeutende menschliche Eigenschaften, die professionelle Prozessbegleitung rechtfertigen und erklären können:

Erstens: Wir Menschen haben keine Zeit. Zumindest erleben das viele so und versuchen deshalb ihre Zeit zu managen oder irgendwo zu sparen. Der Zeitforscher Karlheinz Geißler nannte uns deshalb den „Uhrzeit-Menschen“, weil wir nach der Uhr leben und oft nicht die Zeit im Hier und jetzt erleben. Die Natur hingegen hat Zeit. Sie braucht keinen Change-Plan, der die natürliche Entwicklung beschleunigt: „Time is cash“ – Change im Unternehmen hat immer eine ökonomische Dimension, zu der eben auch die Zeitökonomie gehört. Change- und Keep-Manager haben also einen „Plan“ von der Zukunft, der aus der Vergangenheit gespeist wird. Aus Soll-Ist-Differenzen ergeben sich Gestaltungsbedarfe im Kontext der Zeit.

Zweitens: Wir Menschen bewerten ständig. Die Natur verzichtet darauf. In der Natur ist ein schrumpeliger Apfel ein schrumpeliger Apfel. Für uns Menschen ist er B-Ware oder Ausschuss. Aus dieser sich ständig ändernden Bewertung ergeben sich fortlaufend Veränderungsnotwendigkeiten. Manche scheinen völlig überflüssig, während andere zu hervorragenden Innovationen führen. Ohne diese andauernden Bewertungen und Werte-Verschiebungen gäbe es wesentlich weniger Veränderungen. Man könnte sagen: Neu-Bewertung ist immer auch Veränderung.

Ein finaler Gedanke zum Schluss

Zu guter Letzt: Keeper gibt es nicht nur auf See. Auch im Mannschaftssport sind die Keeper wichtige Teammitglieder. Sie sorgen dafür, dass keine fremden und eigenen Bälle ins Netz gehen. (Richtig gehört: So mancher Change-Prozess war schon ein Eigentor. Ganz nach dem Motto „Jetzt wo ich die Lösung kenne, will ich mein Problem zurück“). Vielleicht sollten wir den Manager ganz weglassen und uns auf Keeper und Changer reduzieren. Damit würde das Spiel womöglich flüssiger. Keep it simple.

 

Hinweise:

Manche Menschen und Organisationen ziehen das bekannte Leid der unbekannten Lösung vor. Sie sehen sich als Opfer der Umstände, des Wettbewerbs, der Familie oder der Politik. Hier kann Horst Lempart als „Persönlichkeitsstörer“ erstaunliche Wirkung erzielen. Sprechen Sie ihn einfach über seine schöne Website oder auf LinkedIn an. Und werfen Sie bei Interesse gerne auch einen Blick auf die erstaunliche Liste an Büchern, die Horst Lempart veröffentlicht hat.

Gerne empfehlen wir wir auch die Podcastfolge Keep Management – Die andere Seite von Change, in der Dierk Söllner mit Horst Lempart über Veränderungsmüdigkeit und -überforderung und die stabilisierende Wirkung von Keep Management spricht.

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Horst Lempart
Horst Lempart

Horst Lempart arbeitet und lebt als systemischer Coach, Supervisor, Speaker und Autor in Koblenz. Am liebsten ist er in seiner Rolle als „Der Persönlichkeitsstörer“ mit liebevollen Irritationen und hilfreichen Provokationen unterwegs. Sein Motto: wertschätzend zum Menschen, respektlos zum Problem.