Ist New Work nur Business Theater?
Seit Jahren kursieren viele Beiträge zu New Work im Netz und in einschlägigen Zeitschriften und Büchern. Alle diese Beiträge stellen die Hoffnung in den Vordergrund, dass Menschen doch endlich wieder Erfüllung in der Arbeit finden und damit der Entfremdung entkommen.
Ich werde mit diesem Beitrag eine Argumentationskette vorlegen, dass das Ansinnen hinter New Work gut gemeint und ehrenwert ist, ich es gar durchaus begrüße, allerdings in der derzeitigen Umsetzung einen großen blinden Fleck erkenne, weshalb alle derzeitigen Initiativen im Sande verlaufen: Die Strukturen in den Organisationen, die Menschen zu einem bestimmten Denken und Handeln konditionieren.
Meine Beobachtungen rund um New Work
Welche Thesen höre ich in Verbindung mit New Work häufig?
- Menschen sollten Erfüllung bei der Arbeit finden.
- Menschen sollten das tun, was sie wirklich wollen und können.
- Menschen sollten sich einbringen können.
- Menschen sollten wissen, warum sie überhaupt da sind und welchen Wert sie generieren.
- Menschen sollten sich weiter entwickeln und lernen können.
- Menschen sollten ihre Arbeit gerne ausführen.
Sie finden sicherlich noch eine ganze Reihe weiterer positiv besetzter, menschenzugewandter Punkte. Diese Inhalte teile ich auch voll und ganz, da sie für mich so unglaublich logisch klingen. Ich finde nicht einen der oben aufgeführten Punkte, wo ich guten Gewissens das Gegenteil behaupten könnte. Die Inhalte sind für mich also banal.
Die Erdung für diese Validierung hole ich mir übrigens regelmäßig zu Hause, bei meinen beiden Kids, die noch nicht im System „Wirtschaft“ unterwegs sind. Wann immer ich in der Vergangenheit zu Hause erzählt habe, worüber wir im Kontext Arbeit häufig sprechen, werde ich schmal angeschaut. Meine Kids fragen dann häufig, warum wir über Sachen sprechen, die doch so klar sind.
Einen Großteil unserer Lebenszeit verbringen wir mit Arbeit. Und dann besprechen wir solche Banalitäten. Es ist, als würden wir uns stetig darüber unterhalten, ob es sinnvoll wäre, Nahrung zu uns zu nehmen. Wir verspüren Hunger und es liegt Essen vor uns, wir unterhalten uns aber darüber, wie wir das Besteck wohl in den Händen halten sollten und ob das Besteck auch glänzend genug ausschaut.
Wir reden immer wieder über Inhalte, weil wir merken, dass diese Inhalte nur unzureichend umgesetzt werden. Ein stetes Wiederholen dieser Inhalte macht die Sache aber nicht besser. Ich stelle mir eher die Frage, warum so unglaublich richtige scheinende und auch von vielen Menschen geteilte Ideen nicht umgesetzt werden. Dafür muss es einen Grund geben. Und den finde ich in den herrschenden Strukturen im System „Wirtschaft“.
Das eigentliche Ansinnen hinter New Work
Doch bevor ich auf die von mir beobachteten Gründe zu schreiben komme, möchte ich mich dem Begriff „New Work“ historisch zuwenden. Frithjof Bergmann hat diesen Begriff in den 70-iger Jahren des letzten Jahrhunderts erfunden und mit Inhalten ausgeprägt. Er erkannte, dass das „Job-System“ am Ende sei und nahm das als Basis, zu ergründen, ob wir Menschen uns von der „Knechtschaft der Lohnarbeit“ befreien können. Für diese Befreiung waren seiner Meinung Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an Gemeinschaft die zentralen Werte dieser „Neuen Arbeit“. Er teilte Arbeit in 3 Bereiche ein:
- Erwerbsarbeit („smart consumption“)
- Selbstversorgung auf höchstem technischem Niveau („High-Tech-Self-Providing“)
- „Arbeit, die man wirklich, wirklich will“
Möchten Sie gerne mehr zu seinen Ideen erfahren, empfehle ich dieses Interview, in dem Bergmann sehr ausführlich über sein Leben und seine Ideen berichtet.
Ich glaube, dass wir mittlerweile einen Fortschritt erreicht haben, in dem der von Bergmann genannte 3. Teil der „Neuen Arbeit“, Arbeit, die wir wirklich, wirklich wollen, mehr als früher überwiegen kann. Das höre ich auch in vielen Diskussionen des derzeitigen New Work Hypes heraus, siehe die von mir am Anfang dieses Beitrags genannten Thesen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob die Diskutanten Bergmann und sein Hauptwerk „Neue Arbeit, Neue Kultur“ überhaupt kennen. Andreas Zeuch hat das Buch im Rahmen seiner Buchtipps rezensiert.
Mittlerweile gibt es auch einige Erweiterungen der Ideen von Bergmann, um die heutigen neuen gesellschaftlichen Einflüsse adäquat zu berücksichtigen. An dieser Stelle möchte ich Markus Väth mit seiner New Work Charta erwähnen. Ich schätze Markus sehr für diese Initiative, die ich auch selbst unterschrieben habe.
Fünf Prinzipien von New Work Unternehmen (Auszug aus New Work Charta)
- Warum schaffen wir es nicht, diese doch so guten menschenzugewandten Ideen umzusetzen?
- Oder, was muss passieren, damit wir diese Ideen umsetzen können?
Es geht immer wieder nur um Inhalte. In meinen Augen sollten wir uns nicht darauf konzentrieren, noch eine 7., 8. oder 9. inhaltliche Dimension zu finden, um New Work zu definieren. Wir sollten eher ergründen, welche Grundbedingungen geschaffen werden sollten, um diese Inhalte umsetzen zu können. Darüber schreibe ich nun.
Warum sind wir derzeit noch meilenweit von New Work entfernt?
Was sind eigentlich die Bindungskräfte zwischen Menschen und Unternehmen? Was bringt Menschen dazu, sich formal einem Unternehmen anzuschließen? In meiner Beobachtung überwiegt diesbezüglich Angst. Die Angst, aus dem System ausgeschlossen zu werden, beobachte ich immer wieder bei Menschen. Verlieren Menschen ihren Job, verdienen sie kein Geld mehr, was dazu führt, dass ihre Lebensfähigkeit geschwächt wird. Wie sollen dann Miete, laufenden Kredite, die Ausbildung der Kinder, Lebensmittel etc. bezahlt werden?
Auf Basis von Angst lässt sich schlecht kreativ sein. Angst führt auch nicht unbedingt dazu, dass Menschen sich wirklich verwirklichen wollen oder Fortschritt befeuern. Menschen mutieren im Rahmen der Arbeit zu Erfüllungsgehilfen. Hier kommt mir das Sprichwort „Beiße nie die Hand, die Dich füttert!“ in den Sinn.
Ich glaube, wir sollten an genau diesen Bindungskräften ansetzen, um eine Basis zu schaffen, die Ideen rund um New Work umzusetzen. Angst muss hier anderen Gefühlen weichen. Besser wäre, wenn Menschen nur dann Mitglied in einem Unternehmen sind, wenn sie es wirklich wirklich wollen. Die Hürden für Ein- und Austritt dürfen nicht allzu hoch sein. Lebensfähigkeit der Menschen sollte davon weniger tangiert werden. Damit wird die Durchlässigkeit von Unternehmen erhöht, was dazu führt, dass Unternehmen wieder ihren eigentlichen Aufgaben nachgehen können, Verringerung von Knappheit in Gesellschaft, womit sie dann einen Wert generieren würden.
Mit dieser beschriebenen Durchlässigkeit wird nicht nur die Macht der Unternehmen in Richtung Menschen verringert (Drohung mit Arbeitslosigkeit und damit Ausschluss), sondern auch die Macht der Unternehmen in Richtung Politik (Drohung mit vielen Arbeitslosen). Beispiele für das Ausspielen dieser Macht lassen sich immer wieder beobachten, siehe Abwrackprämie der Automobilhersteller oder staatliche Hilfe für Lufthansa. Die großen Unternehmen können in Krisen, und nicht nur dann, die Politik „erpressen“. Läuft das Business schlecht, besteht die Gefahr, dass viele Menschen arbeitslos werden, weshalb diese Unternehmen systembedingt gar nicht untergehen dürfen.
Da macht es in meinen Augen überhaupt keinen Sinn, die Manager dieser Unternehmen zu kritisieren. So lange unsere Strukturen die Möglichkeit hergeben, auf so einfache Art und Weise Geld zu „verdienen“, wird es auch weiterhin geschehen.
Mit dieser Durchlässigkeit schaffen wir Strukturen, in denen Unternehmen sich ausschließlich auf Basis ihrer Wertgenerierung für Gesellschaft ihre Lebensfähigkeit sichern müssen, und nicht einzig und allein auf Basis ihrer Größe. Wie lässt sich das erreichen? Eine Möglichkeit finde ich mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen und damit mit einer Zweiteilung des Gehalts. Diese Zweiteilung des Gehalts befeuert auch die von Bergmann vorgesehene Dreiteilung der „Neuen Arbeit“. Details dazu finden Sie in diesem Paper.
Innerhalb der jetzigen Strukturen ist New Work nicht nur Business Theater, oder mehr “Schein als Sein”. Nein, es ist in meinen Augen auch menschenverachtend. Menschen wird immer wieder suggeriert, dass sie sich doch einbringen und verwirklichen könnten, was die Strukturen aber nicht befeuern, sondern eher im Gegenteil. Sie müssten, um das zu tun, den Mut aufbringen, sich gegen die Strukturen aufzulehnen, was ich persönlich aber niemals von Menschen verlangen werde.
Ohne Etablierung neuer Strukturen, in denen Unternehmen Macht genommen wird, bleibt das Streben nach New Work bestenfalls Business Theater.
Hinweise:
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Conny Dethloff hat im t2informatik Blog einen weiteren Beitrag veröffentlicht:
Conny Dethloff
Nachdem er von Mitte 2020 bis Ende 2023 für borisgloger consulting GmbH tätig war, arbeitet er seit Anfang 2024 als Organisationsdesigner für die emergize GmbH & Co. KG und hilft Menschen in Organisationen dabei, passfähige Strukturen und Prozesse im Kontext Wertgenerierung zu finden und zu etablieren.
Erkenntnisse, die er im täglichen Arbeitsleben generiert, reflektiert er seit 2009 in seinem Logbuch Reise des Verstehens.