Intrapreneurship neu definiert

Gastbeitrag von | 10.05.2021

“Healthy growth requires a smattering of intrapreneurs”.    (R. Branson)

Bereits 2011 machte Richard Branson auf den Begriff “Intrapreneur” aufmerksam, den er in seinem Artikel „Richard Branson on Intrapreneurs – The business icon talks about empowering employees to break the rules”¹ auf NBCNews so definierte: “an employee who is given freedom and financial support to create new products, services and systems, who does not have to follow the company’s usual routines or protocols”.

Er hob hervor, wie essenziell Intrapreneur:innen für die Entwicklung eines Unternehmens sind. Ohne sie wäre Virgin nicht zu dem gewachsen, was es ist. Denn sie erforschen, entwickeln und treiben neue Projekte, neue Ideen, neue Ausrichtungen an. Damit sorgen sie aus seiner Sicht für Innovationen und für das Schaffen von neuen Geschäftschancen. Dabei sind sie keine „executives “, sondern „employees“. Sie kommen also nicht aus der Chefetage, sondern aus der Mitte des Unternehmens.

In seinem Artikel appellierte Branson insbesondere an CEOs, sich der Wirkung von Intrapreneur:innen bewusst zu werden und eine Rolle als Förderer, als chief enabling officer, einzunehmen. “What if that CEO’s primary role were to nurture a breed of intrapreneurs who would grow into tomorrow’s entrepreneurs?” Er hatte dies bei Virgin implementiert, so dass ausgesuchte Mitarbeiter:innen den Freiraum und das Budget bekamen, um als Intrapreneur:innen agieren zu können.

Doch wie aktuell sind Bransons Gedanken? Treffen sie auf die heutige Realität von Unternehmen zu?

Intrapreneurship heute

10 Jahre nach dem Erscheinen von Bransons Artikel geht es mehr denn je um die Innovationskraft von Unternehmen. Ohne Innovation kein Überleben. Der Bedarf an Innovationen und Veränderungen ist also ungebrochen.

Dabei sind sowohl technologische als auch soziale Innovationen relevant. „Die Notwendigkeit des Gleichschwungs von technologischer und sozialer Innovationskraft ist mehr denn je mein Mantra“, sagt Thomas Sattelberger.² Möchten Unternehmen innovativ sein, müssen sie also nicht nur ihre Produkte kontinuierlich verbessern oder gar erneuern, sondern auch ihre Organisation.

Auch die Ergebnisse der Befragung, die Guido Bosbach im Frühjahr 2019 zur Zukunft in Unternehmen durchgeführt hat, sind deutlich: etwas mehr als 200 Teilnehmer:innen aus seinem Netzwerk beantworteten seine Fragen und sahen die größten Zukunftschancen für ihr Unternehmen sowohl in der Ent- und Weiterentwicklung von Produkten als auch in der Zusammenarbeit und den Organisationsstrukturen

Nur wer bewirkt diese Veränderungen?

Die meisten Unternehmen haben heute Labs oder ähnliche Abteilungen etabliert, um technologische Innovationen zu generieren. Und soziale Innovationen werden in der Regel über Change Projekte umgesetzt, das heißt über unternehmensweite Projekte mit großem Planungsvorlauf und einem Top-Down-Ansatz. Zurzeit werden allerdings diese Strukturen und ihre Wirksamkeit in Frage gestellt.

Während Branson Intrapreneurship in Unternehmen institutionalisiert hat, beobachten wir heute, dass Mitarbeiter:innen nicht darauf warten, Top-Down ausgesucht zu werden, um zu agieren, sondern dass sie von sich aus, intrinsisch, Veränderungen anstoßen.

„Geht man in traditionellen Organisationsmodellen davon aus, dass das Monopol auf die organisatorische, strategische oder auch kulturelle Gestaltung im Unternehmen als zentrale Steuerungsaufgabe bei der Unternehmensleitung liegt, also nur diese die Macht, das Recht, ja auch natürlich die Kompetenz aufweisen, Veränderung im Unternehmen anzustoßen, so belehrt uns die Praxis heute eines Besseren“, so Sabine und Alexander Kluge. Die Autoren analysierten das Phänomen der Graswurzelbewegung und dokumentieren ihre Erfahrungen mit solchen Initiativen in ihrem Buch „Graswurzelinitiativen in Unternehmen: ohne Auftrag – mit Erfolg!“, das im August 2020 erschienen ist.

Mitarbeiter:innen möchten ihr Unternehmen mitgestalten

In Unternehmen finden sich „Mitarbeitende, die aus Unzufriedenheit mit den Verhältnissen oder der schlichten Einsicht, dass es so nicht weitergehen kann, selbsttätig die Initiative ergreifen“ (Sabine und Alexander Kluge). Auch in der Befragung von Guido Bosbach gaben etwa 70% der Teilnehmer:innen an, bereit zu sein, die Veränderungen selbst anzugehen, auch ohne Auftrag und ohne Budget.

Sabine und Alexander Kluge stellen fest, dass Megatrends wie die Demokratisierung in Unternehmen und Digitalisierung diese Entwicklung begründen, so wie auch praktische Punkte:

  • Das Management erkennt die Probleme nicht, denn es ist weit weg von Kunden, Markt und Mitarbeiter:innen. Diese hingegen erleben den Kunden, den Markt und die Kolleg:innen direkt und tagtäglich. Sie sind nah an den Problemen dran.
  • Und es gibt Probleme, für die das Management keine Lösung anbietet, zum Beispiel, weil es in alten Strukturen festhängt.

Dies führt dazu, dass Graswurzelbewegungen „von Menschen mit einem definierten Anliegen aufgebaut werden, um Systemveränderungen zu bewirken“ (Sabine und Alexander Kluge).

Intrapreneurship ist eine Haltung

Die Teilnehmer:innen der Befragung von Guido Bosbach kamen aus unterschiedlichen Hierarchiestufen. Auch die Autoren Sabine und Alexander Kluge beobachten Initiativen, die von Mitarbeiter:innen mit oder ohne Führungsmandat ins Leben gerufen werden. Auch Beruf oder Qualifikation spielen keine Rolle. Intrapreneurship ist somit nicht gebunden an spezifischen Funktionen oder Positionen in Unternehmen. Intrapreneurship wird von den Menschen selbst geprägt.

Intrapreneur:innen haben eine Haltung, die von jeder und jedem im Unternehmen eingenommen werden kann. Diese Haltung kann mit 5 Hauptmerkmalen charakterisiert werden. Intrapreneur:innen haben

  • einen ausgeprägten Drang nach Innovation,
  • die Absicht mit ihrer Arbeit etwas Positives für ihr Unternehmen zu bewirken,
  • einen großen Wunsch an Selbstbestimmung und Spielraum,
  • ein starkes Selbstbewusstsein für die Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit und
  • den Wunsch mit Gleichgesinnten etwas Neues zu erschaffen.

Intrapreneur:innen sind in gewisser Maßen auch Rebellen, denn sie starten ihre Aktionen durchaus auch ohne Zustimmung und unter dem Radar. Doch agieren sie im Sinne des Unternehmens. Sie arbeiten für das große Ganze, sie wollen das große Ganze weiterbringen. Sie setzen sich zum Beispiel für eine bessere Zusammenarbeit und Kultur ein. Die Autoren Sabine und Alexander Kluge berichten in ihrem Buch über solche Initiativen und zeigen, wie sehr die Initiator:innen mit ihrem Unternehmen verbunden sind, auch emotional.

Intrapreneur:innen sorgen also für Innovationen. Dadurch, dass sie aus der Mitte des Unternehmens kommen, wissen sie, welche Veränderungen notwendig sind und auch wie und mit wem sie sie umsetzen können. Sie sind so intrinsisch motiviert, dass sie bereit sind, zu mindestens am Anfang ohne Auftrag und unbemerkt zu agieren, und nicht selten zunächst ihre privaten Ressourcen einzusetzen, wie zum Beispiel ihre Freizeit.

Intrapreneurship fördern

“How to unleash the power of intrapreneurs?” Richard Branson beantwortet diese Frage so: “The key is to enable them to pursue their vision.” Auch Guido Bosbach rät dem Management, Mitarbeiter:innen mehr Freiraum zu gewähren und durch Dialog und Partizipation für mehr Beteiligung an Entscheidungen zu sorgen.

In einem Online-Talk haben Martina Baehr und ich mit über 40 Teilnehmer:innen über die Rolle von Intrapreneur:innen diskutiert und festgestellt, dass sie sich ihrer Selbstwirksamkeit sehr bewusst sind. Sie sehen durchaus die Möglichkeiten, in ihrem Unternehmen zu agieren, und bauen dabei auf ihre eigenen Eigenschaften und Fähigkeiten auf.

Um wirksam zu sein, brauchen Intrapreneur:innen in erster Linie:

  • ein starkes Ich mit viel Durchhaltevermögen, Eigeninitiative und Motivation,
  • starke Fähigkeiten wie Kooperation und Überzeugungskraft,
  • ein starkes Netzwerk mit Begleitern wie Peers und Sponsoren.

Sie brauchen also die Möglichkeiten, sich selbst zu entwickeln, um Kompetenzen zu erwerben oder zu vertiefen und um ihre Stärken auszubauen. Und sie brauchen die Möglichkeiten, sich zu vernetzen, um Gleichgesinnte und Mitstreiter:innen zu finden, um sich zu ihren Ideen auszutauschen und diese validieren zu können.

Fazit

Richard Branson stellte schon 2011 die Rolle heraus, die Intrapreneur:innen für die Entwicklung von Unternehmen spielen, denn sie sichern ihre Innovationskraft. Heute 10 Jahre später ist diese Rolle aktueller denn je: Technische und soziale Innovationen entstehen vielfach aus der Mitte heraus und nicht Top-Down. Mitarbeiter:innen, die mitgestalten möchten, haben die Kraft, ihr Unternehmen zu verändern. Diese Intrapreneur:innen sind intrinsisch motiviert, dem Unternehmen verbunden, haben das Wissen über die Probleme, die es zu lösen gibt, und besitzen eine starke Selbstwirksamkeit. Sie brauchen die Möglichkeiten zur Selbstentwicklung und zur Vernetzung, um ihr Potential zu entfalten.

Hinweise:

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[1] Richard Branson on Intrapreneurs
[2] Sabine und Alexander Kluge: Graswurzelinitiativen in Unternehmen: Ohne Auftrag – mit Erfolg!, erschienen im Franz Vahlen Verlag
[3] Die Zukunft des Unternehmens. KEIN Thema fürs Management?!

Guénola Langenberg hat einen weiteren Beitrag im t2informatik Blog veröffentlicht:

t2informatik Blog: Intrapreneurship braucht Empowerment und Ownership

Intrapreneurship braucht Empowerment und Ownership

Guénola Langenberg
Guénola Langenberg

21 Jahre lang widmete sich Guénola Langenberg leidenschaftlich dem Projekt- und Prozessmanagement in der Automobilindustrie im internationalen Kontext.

Als freiberuflicher Agile Coach und Intrapreneurship Coach unterstützt sie heute Menschen und Organisationen, Innovationen und Transformationsvorhaben umzusetzen. Sie setzt sich besonders für eine werte-orientierte und co-kreative Zusammenarbeit in Organisationen und Projekten ein.