Internes Agile Coaching evolved
In meinem Beitrag hatte ich drei Vorgehensweisen für internes Agile Coaching beschrieben und meine persönliche Präferenz dargestellt. Diese drei Vorgehensweisen waren:
- Undefinierte Zuordnung: Agile Coaches sind organisatorisch nicht fest eingebunden und wirken weitgehend nach eigenem Ermessen.
- Permanente Zuordnung: Agile Coaches sind fest bestimmten Organisationseinheiten (in der Regel Teams) zugeordnet und arbeiten auf Dauer mit diesen zusammen.
- Projektmodell: Agile Coaches arbeiten auf Zeit mit konkreten Organisationseinheiten und ziehen dann weiter.
Aus meiner Sicht stellen diese drei Vorgehensweisen nach wie vor die verfügbaren Grundformen der Zusammenarbeit für Agile Coachings dar. Auch die beschriebenen Vor- und Nachteile dieser Zusammenarbeitsformen haben für mich weiterhin Bestand.
2021 habe ich für permanente Zuordnung mit periodischer Auftragsklärung argumentiert. Aus meiner damaligen Sicht lassen sich auf diesem Wege die Vorteile einer permanenten Zuordnung – die große Nähe zum Team und mehr Wissen bzgl. vorhandener Hintergründe – am besten realisieren. Gleichzeitig sollte durch die periodische Auftragsklärung Betriebsblindheit entgegengewirkt werden – dem größten Nachteil einer permanenten Zuordnung.
Die Vereinbarung von Entwicklungszielen und Interventionsstrategien
In den letzten beiden Jahren hatte ich Gelegenheit, die permanente Zuordnung in der Praxis auszuprobieren.
Ein Einsatz führte mich in ein Umfeld mit mehreren crossfunktionalen Teams. In diesem Umfeld agierten zuvor Agile Coaches, deren Modus sich als eine Mischung aus undefiniert und projektorientiert beschreiben lässt. Viele meiner Gesprächspartner waren sehr unzufrieden mit der gelebten Unterstützung.
- Ihnen fehlte die Begleitung, um die Wirkung initialer Impulse zu verankern.
- Auch gab es die Wahrnehmung, dass sich Coaches mit dem Verweis auf “Der Client ist der Experte für die Lösung!” der Verantwortung für den Erfolg entzogen.
Mein Ansatz permanenter Unterstützung stieß unter diesen Bedingungen wenig überraschend auf große Resonanz.
Ich folgte also meinem Modell und vereinbarte auf Grundlage von eigenen Beobachtungen und dezidierter Auftragsklärung Entwicklungsziele und Interventionsstrategien für die jeweiligen Teams.
Der Begriff Auftragsklärung löste dabei initial unerwartete Irritationen aus. Offenbar wurde diese Formulierung mit „sich aus der Verantwortung stehlen“ in Verbindung gebracht. Schön, wenn solche Auseinandersetzungen zu Gelegenheiten werden, um gemeinsam von Erfahrungen zu profitieren.
In der Anwendung des Vorgehens zeigten sich die erhofften Vorteile. Durch die Auftragsklärung war es möglich, die Eigenverantwortung der Teams und Führungskräfte zu zeigen und einer Delegation der Verbesserung an mich als vermeintlichen Experten entgegenzuwirken. Gleichzeitig konnte ich in der konkreten Arbeit gezielt Beziehungen mit den Menschen aufbauen und ein Gefühl von „wir sitzen im selben Boot“ vermitteln.
Interessanterweise kam immer wieder mal die Vermutung in den Teams auf, ich würde sie doch bald verlassen und weiterziehen.
Einige Zeit später bekam ich Unterstützung durch weitere Agile Coaches. Ich habe es als hilfreich erlebt, zu diesem Zeitpunkt mit dem Modell der permanenten Unterstützung mit periodischer Auftragsklärung eine klare Grundlage für eine gemeinsame Arbeitsweise anbieten zu können. Zudem bin ich davon überzeugt, dass mein Modell den Kolleg:innen den Einstieg erleichtert hat. Darüber hinaus wurde durch eine gemeinsame Arbeitsweise der Austausch und die gegenseitige Unterstützung erleichtert.
Wo Licht ist…
Es wäre jetzt natürlich verlockend, ausgehend von diesen positiven Erfahrungen, diese Vorgehensweise als optimal zu betrachten und dabei zu bleiben. Aus drei Gründen funktioniert dies aber in der Praxis nicht so einfach:
1. Zunächst einmal ist eine permanente Betreuung teuer. Als Daumenregel lässt sich ggf. ableiten, dass ein erfahrener Agile Coach drei, möglicherweise vier Teams permanent betreuen kann. Und das gut zu machen, ist dann schon anspruchsvoll. Arbeitet eine Organisation mit einer größeren Anzahl von Teams, benötigt sie auch ein entsprechend großes Team von Agile Coaches. Diese Coaches sind erst einmal gar nicht so einfach zu finden. Und der Aufbau sowie die Führung eines solchen Teams kommt mit seinen eigenen Herausforderungen. Es besteht gerade bei Agile Coaches eine konkrete Gefahr, sich in fachlichen Grabenkämpfen und Selbstbeschäftigung zu verlieren.
Bis ein Team mit Agile Coaches in angemessener Größe aufgebaut ist, muss entschieden werden, welche Teams Unterstützung erhalten und welche nicht. Diese Entscheidung ist nicht einfach. Insbesondere, wenn Kenntnisse von Problemen in Teams vorhanden sind, kann diese Triage persönlich sehr belastend sein, da es sich so anfühlt, als würde man Menschen in Not Hilfe vorenthalten.
2. In der Praxis lässt sich beobachten, wie die Arbeit mit Teams über einen längeren Zeitraum fast automatisch zu einem Distanzverlust führt. Einfach formuliert: Die Menschen wachsen einem ans Herz. Daraus ergibt sich aber eben auch, dass ich als Coach die Welt und vor allem den Rest der Organisation aus der Brille der Teams sehe, mit denen ich arbeite. Diese Verzerrung beeinträchtigt meine Allparteilichkeit in Bezug auf die Organisation.
3. Selbst wenn es gelingt, ein wirksames Team mit Agile Coaches aufzubauen und alle Teams der Organisation zu betreuen, ist damit noch nicht sichergestellt, dass die Organisation insgesamt agiler arbeitet. Neben der Agilität einzelner Teams und dem Zusammenspiel der Teams sind zahlreiche weitere Faktoren relevant. Die Bearbeitung verschiedener Themen erfordert in der Regel sehr unterschiedliche Herangehensweisen und Kompetenzen. Leider sind die Coaches mit den Teams bereits so ausgelastet, dass für diese Arbeit oftmals keine Zeit bleibt.
Die Evolution beim internen Agile Coaching
Die beschriebenen Probleme mögen einleuchtend klingen, doch ich brauchte einen Auslöser, um sie wahrzunehmen. Die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage war dieser Auslöser. Damit einher ging die Einsicht, dass es in absehbarer Zeit nicht gelingen würde, die angestrebte Betreuung aller Teams mit dem bestehenden Modell zu ermöglichen. Zudem war die Auslastung der vorhandenen Coaches bereits so groß, dass auch eine Veränderung des Betreuungsschlüssels nicht funktionieren konnte. Und da für mich klar war, dass ich den Anspruch nachhaltiger, effektiver Agilität nicht aufgeben würde, kamen aufgrund ihrer Nachteile die anderen Grundformen der Arbeit mit internen Agile Coaches ebenfalls nicht in Betracht.
Es dauerte eine ganze Weile, um meine Perspektive von der bisherigen Denkweise zu lösen und mich für andere Konzepte zu öffnen.
Der entscheidende Funke entsprang der Beschäftigung mit den teamübergreifenden, inhaltlichen Schwerpunkten des Agile Coach Teams und der Erkenntnis, dass vor einer sinnvollen Interventionsplanung eine Bestandsaufnahme erfolgen musste. Um diese Bestandsaufnahme mit den verfügbaren Kapazitäten und der Menge der Teams zu bewältigen, war ein effizientes Diagnoseformat erforderlich. Es zeigte sich, dass ein solches Diagnoseformat nicht nur bei der Bestandsaufnahme aller Teams hilft, sondern auch als Grundlage für eine systematische, anfrageunabhängige Auftragsklärung dienen kann.
Mit Hilfe dieses Diagnosewerkzeugs ist es möglich, gemeinsam mit einzelnen Teams auf verschiedene Aspekte ihrer Arbeitsweise zu schauen. Und auf dieser Grundlage lässt sich besprechen, bei welchen Themen welche Unterstützung sinnvoll ist.
Wird der Prozess der Diagnose regelmäßig wiederholt (und kompetent ausgeführt), ergibt sich ein aussagekräftiges und vergleichsweise schlankes Raster, mit dessen Hilfe Bedarfe ermittelt werden können. Zudem hilft der Prozess, den Kontakt zwischen den Coaches und Teams aufrechtzuerhalten und den Beziehungsaufbau zu vertiefen.
Darüber hinaus ermöglicht das standardisierte Vorgehen den vereinfachten Wechsel zwischen Coaches. Es ist vergleichsweise unproblematisch, dass die Diagnose durch einen Coach erfolgt und die Umsetzung der sich ergebenden Maßnahmen durch ein anderes Mitglied des Agile Coach Teams. Diese Flexibilität unterstützt dabei auch das Lernen voneinander.
Das beschriebene Verfahren wäre meines Erachtens zu Beginn meines Einsatzes nicht möglich gewesen. Voraussetzung für diese Form der Diagnose ist, dass die Coaches in den Teams bekannt sind und Vertrauen in die guten Absichten der Coaches besteht.
Ganz konkret besteht bei Formaten dieser Art immer die Gefahr, dass sie als ein Mittel des Managements verstanden werden, um Teams zu beurteilen und abhängig von den Ergebnissen Sanktionen zu verhängen. Coaches müssen Gelegenheit haben, ihre Unabhängigkeit zu demonstrieren, um nicht als Erfüllungsgehilfen vermeintlich dunkler Absichten wahrgenommen zu werden.
Fazit
Der weiterentwickelte Arbeitsmodus stellt eine Evolution der permanenten Begleitung von 2021 dar:
Permanente Begleitung mit periodischer Bedarfsklärung
- Teams erhalten weiterhin dauerhaft Unterstützung.
- Es werden langfristige Verbindungen geknüpft, die als Grundlage einer wirksamen Coachingbeziehung dienen.
- Coaches sind dicht genug an den Teams dran, um tieferliegende Muster erkennen und bearbeiten zu können.
- Die Teams und ihre Führungskräfte können sich darauf verlassen, Unterstützung bei ihren Herausforderungen zu bekommen. Und diese Unterstützung erfolgt nicht nur punktuell, sondern partnerschaftlich bis zum gemeinsamen Erfolg.
- Grundlage der Zusammenarbeit ist eine periodisch wiederholte Diagnose – gemeinsam mit dem Team.
- Die Art und Intensität der Unterstützung richtet sich nach den erkannten Handlungsfeldern.
- Durch den gezielteren Mitteleinsatz können mehr Teams betreut werden.
Und zu guter Letzt: Es gibt bei der Organisation von internem Agile Coaching keine dauerhaft richtige Lösung. Die Ansätze gehören immer wieder auf den Prüfstand; vielleicht schreibe ich 2025 wieder hier im Blog über neue Erkenntnisse…
Hinweise:
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Peter Rubarth freut sich sehr über jeden Gedankenaustausch. Gerne können Sie sich auch mit ihm darüber unterhalten, wie er Sie beim Thema „Agile Potentialentfaltung“ unterstützen kann. Sprechen Sie ihn dazu einfach auf LinkedIn an.
Hier finden Sie den erwähnten Blogbeitrag aus dem Jahr 2021 und zwei weitere Artikel von Peter Rubarth im t2informatik Blog:
Peter Rubarth
Peter Rubarth ist Systemischer Agile Coach und als Senior Agile Coach für die solarisBank AG tätig. Großartige Teams sind seine Leidenschaft. Seit nun mehr als 14 Jahren unterstützt er Teams und Organisationen dabei, sich zu finden, Hindernisse zu beseitigen und das volle Potential agiler Konzepte für sich zu realisieren.