Frauen wollen führen – aber unter anderen Vorzeichen
Eine Studie zu Präferenzen von Frauen beim Thema Führung
Kennen Sie die Methode Storylistening? Nein? Ich kannte sie bis vor wenigen Monaten auch noch nicht. Im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Arbeit zu meiner gerade veröffentlichten Studie „Frauen wollen führen – aber unter anderen Vorzeichen“ bin ich sehr intensiv mit ihr in Berührung gekommen.
Storylistening ist eine gute Methode, um tief in die Lebens- und Arbeitsrealität von Menschen einzutauchen und deren Erlebnisse und Erfahrungen in Form ihrer erzählten Geschichten intensiv zu durchdringen.
Ich habe Storylistening nicht in einem unternehmenseigenen Change-Prozess angewendet, zu dem diese Methode gut passt, sondern bei der Entwicklung einer repräsentativen Studie. Mit Hilfe dieser Methode sammelte ich spannende Geschichten, die mir meine Fragen beantworteten, die der Studie zu Grunde lagen.
Hintergrund zur Studie „Frauen wollen führen – aber unter anderen Vorzeichen“
Wenn wir in die Führungsetagen deutscher Unternehmen blicken, dann sehen wir, dass Frauen nicht im gleichen Maße prozentual vertreten sind wie Männer. Trotz rechtlicher Gleichberechtigung gibt es hier in der Geschlechterverteilung offensichtlich ein Ungleichgewicht.
Man hört immer wieder, dass Frauen nicht so gerne eine Führungsposition einnehmen wollen wie Männer und sich das auch weniger zutrauen würden. Sie würden sich vor der Verantwortung eher scheuen und nicht genug Durchsetzungsstärke an den Tag legen, um solch eine Position für sich zu beanspruchen.
Anfang 2021, als über die gesetzlich verankerte Frauenquote in den Vorständen der deutschen börsennotierten Unternehmen sehr kontrovers diskutiert wurde, habe ich mich zum ersten Mal gefragt, wie eigentlich andere Frauen die Arbeitsrealität erleben? Welche Geschichten haben sie erlebt? Und was sagen sie zu den strukturellen und kulturellen Rahmenbedingungen in Unternehmen? Wie attraktiv sind die bestehenden Systeme für Frauen, um eine Führungsposition anzustreben?
Konzeptionelle Grundlagen der Studie
Mich interessierte, was Frauen berichten, die keine C-Level-Position innehaben. Ich wollte mit jungen Frauen sprechen, die perspektivisch für eine Führungsposition infrage kommen, mit Frauen, die sich für eine Führungsposition interessierten, doch enttäuschende Erfahrungen machten, mit Frauen, die sich mit der Frage noch nie beschäftigt haben und mit Frauen, die schon einmal in einer Führungsposition waren, sich jedoch selbstständig gemacht haben.
Um diese Frauen ging es mir, da in der großen Menge derer, die keine Führungsposition (mehr) innehaben, vermutlich die Antworten auf meine Fragen zu finden sind.
Anhand von der Befragung verschiedener Frauen wollte ich herausarbeiten, auf was Frauen Wert legen, um Führungsverantwortung zu übernehmen.
Ziel der Studie
Zuallererst sollen die Erkenntnisse aus der Studie den Dialog zwischen den Geschlechtern zum Thema „Frauen in Führung“ innerhalb der deutschen Wirtschaft weiter anregen und vertiefen sowie zusätzlich die Frage beantworten, warum Frauen derzeit in Spitzenpositionen weniger stark vertreten sind als Männer.
Ziel dieser Studie soll es sein, allen Interessierten Handlungsoptionen aufzuzeigen, um gezielt Frauen in Führungspositionen zu befördern. Denn die Vermutung liegt nahe, dass es eine Quotenregelung allein nicht richten wird. Eine Quote hilft nicht weiter, wenn sich dennoch keine Frauen finden, die eine Führungsposition einnehmen wollen.
Unternehmen sollen mithilfe der Erkenntnisse in der Lage sein, strukturelle und kulturelle Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass talentierte Frauen gerne in Führungsverantwortung gehen.
Storylistening – die Methode
Auf der Suche nach der geeigneten Befragungsmethode tauschte ich mich mit einem Wissenschaftler aus der Arbeits-und Organisationspsychologie aus, mit Prof. Dr. Armin Trost von der Hochschule Furtwangen. Es könne sich lohnen, so seine Ansicht, mit der Methode Storylistening zu arbeiten, um herauszufinden, was die persönlichen und individuellen Gedankengänge und Geschichten der Frauen sind.
Der Unterschied zu einer empirischen Befragung liegt auf der Hand. Viele Fragebögen liefern als Erkenntnisse Zahlenwerte. Die Fragen sind eng gefasst, oft geschlossen gestellt und meist kann man nur mit ja oder nein antworten oder eine Zahl zwischen 1-10 nennen. Selten erfährt man, was die Befragten über die Skalen-Reihen hinaus wirklich denken und fühlen. Was wird im Unternehmenskontext erlebt? Oder in Bezug auf Führung? Oder in Bezug auf die Unternehmenskultur? Freude oder Frustration? Motivation? Sinnhaftigkeit? Welche Probleme tauchen wann auf? Wie gehen die Menschen damit um?
Für die Gedanken, Erlebnisse und Erfahrungen der Mitarbeitenden gibt es in einem vordefinierten Befragungsbogen keinen Raum. Mit Hilfe der Storylistening-Methode dringt man jedoch zum Kern des Problems vor, man erfährt mehr über die individuellen Erlebnisse und die Bedürfnisse der einzelnen Menschen.
Es funktioniert ein wenig wie die Bernsteinsuche an der Ostsee. Wenn man an der richtigen Stelle sucht und im Sand bohrt, dann kann man das glitzernde „Gold des Meeres“ aus dem Sand ans Licht befördern und zum Glänzen bringen. Doch welche Details aus den Geschichten die glänzenden sind, kann man nur spontan während des Gesprächs entscheiden.
Eröffnet wurden alle meine Interviews durch eine identische Einstiegsfrage. Die weitere Gestaltung war frei. Durch diese Vorgehensweise konnten die Frauen ihre eigenen individuellen Antworten zu der Frage formulieren. Die Einstiegsfrage lautete:
Was müsste sein, dass du gerne eine Führungsposition einnehmen würdest?
Ich habe fünfzig Frauen zugehört und ihre Geschichten aus ihrer Arbeitswelt erfahren. Dadurch entstand in meinem Fall in Summe ein realistisches Bild der weiblichen Arbeitsrealität durch die Eröffnung eines Dialog-Raums.
Der Mehrwert von Storylistening im Unternehmenskontext
Unternehmen, die verstehen, dass die Geschichten der Mitarbeitenden in ihrem Unternehmen eine große Rolle für das Funktionieren des Unternehmens spielen, können durch Storylistening ganz neue Perspektiven gewinnen. Sie können viel über sich selbst lernen und Veränderungen einläuten.
Das Ziel sollte sein, möglichst viel über besondere Ereignisse, Erlebnisse und die Emotionen der Mitarbeitende, die im Zusammenhang mit dem Unternehmen stehen, zu erfahren.
Mit Storylistening kann beispielsweise ein Change-Prozess besser gemeistert werden, wenn sich die Mitarbeitenden gesehen und wertgeschätzt fühlen und den Change mit ihrer Geschichte unterstützten dürfen. Es ist eine Methode, die dem Change-Prozess das Bedrohliche nehmen kann, weil zum Dialog eingeladen wird. Das empfinden die Mitarbeitenden in der Regel als sehr positiv. Werden die Geschichten dann miteinander geteilt entsteht Verständnis füreinander und der Zusammenhalt wird gestärkt.
Doch eines gilt es zu beachten: Wenn im Unternehmen die Mitarbeitenden noch nicht bereit sind, in ihr Innerstes schauen zu lassen, weil das nötige Vertrauen in die Geschäftsführung fehlt, dann werden nicht die Geschichten erzählt werden, die das Unternehmen benötigt, um die Veränderung erfolgreich zu gestalten. In einer solchen Situation empfiehlt sich die Begleitung durch externe Berater*innen, denn ihnen gegenüber herrscht deutlich weniger Befangenheit. Richtig angewandt, lassen sich mit dieser Methode die echten Geschichten von Menschen offenlegen, um die Arbeit in Unternehmen zukunftsfähig zu machen.¹
Präferenzen der befragten Frauen
Aus den Interviews lassen sich sieben Hauptpräferenzen von Frauen beim Thema Führung ableiten. Diese zeigen, worauf Frauen in Bezug auf strukturelle und kulturelle Rahmenbedingungen in Unternehmen hauptsächlich Wert legen, wenn sie eine Führungsposition einnehmen würden.
Einen Überblick dazu liefert folgende Abbildung:
Abbildung: Präferenzen weiblicher Führungskräfte
Ausführlich können Sie die Präferenzen der Frauen und viele O-Töne in meiner Studie nachlesen.²
Handlungsempfehlungen für Unternehmen
Die Geschichten der fünfzig Frauen und die daraus abgeleiteten Präferenzen können helfen, sich besser in Frauen hineinzuversetzen und ihre Bedürfnisse verstehen zu lernen. Um dann Jobs mit Führungsverantwortung anzubieten, zu denen Frauen gerne „Ja“ sagen.
Konkret bedeutet das, dass Unternehmen zunächst das Problem näher einkreisen sollten, um anschließend ihre strukturellen und kulturellen Rahmenbedingungen zu betrachten. Und dann kann, in einem dritten Schritt, über konkrete Lösungsansätze nachgedacht werden.
Eine Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen kann z.B. dann als Problem verstanden werden, wenn etwa Führungspotenziale ungenutzt bleiben, Führungspositionen also extern besetzt werden, obwohl das Potenzial intern vorhanden wäre. Häufiger ist feststellbar, dass sich der Frauenanteil in Führungsnachwuchsprogrammen in der Besetzung von Führungspositionen durch weibliche Führungskräfte nicht widerspiegelt. Deshalb sollten die Präferenzen von Frauen dann genauer betrachtet werden, wenn weibliche Potenzialträgerinnen zwar Führungsverantwortung übernehmen könnten, aber aufgrund gegebener Rahmenbedingungen nicht wollen.
Weiter empfiehlt es sich, die strukturellen und kulturellen Rahmenbedingungen entsprechend den genannten Präferenzen der Frauen systematisch zu untersuchen. Hier helfen Gespräche und Workshops mit den betroffenen Frauen im Unternehmen. Die zentrale Leitfrage ist identisch mit der in dieser Studie gestellten Frage: Was müsste sein, damit Sie gerne eine Führungsposition einnehmen würden?
Dann sollten die strukturellen und kulturellen Hürden, die die Frauen benennen, näher analysiert und bewertet werden.
Anschließend geht es an die Entwicklung und Umsetzung geeigneter Lösungen. Es empfiehlt sich, mit der Überwindung der Hürden zu starten, die stark ins Gewicht fallen und gleichzeitig auch veränderbar sind. Verschiedene Lösungsansätze finden Sie ebenfalls in der Studie.
Unternehmen, die sich auf den Weg machen, Geschlechtergerechtigkeit zu etablieren und individuelle Lebensentwürfe zu unterstützen, werden vermutlich früher oder später erfahren, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer entsprechende Veränderungen begrüßen werden.
Hinweise:
[1] Gerne unterstützt Sie Frau Gehrke-Vetterkind, wenn Sie mit Ihren Mitarbeitenden in einen Dialog einsteigen und Storylistening als Methode nutzen wollen. Vereinbaren Sie einfach ein kostenloses Erstgespräch.
[2] Hier können Sie sich die Studie herunterladen.
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Lilian Gehrke-Vetterkind hat einen weiteren Beitrag im t2informatik Blog veröffentlicht:
Lilian Gehrke-Vetterkind
Lilian Gehrke-Vetterkind ist Diplom-Betriebswirtin mit über 20 Jahren Praxiserfahrung im Finanzvertrieb, sowie der Personalentwicklung und Erwachsenenbildung. Sie ist ausgebildete Systemische Beraterin für Organisationsentwicklung und Change-Management, Kommunikationsberaterin nach Schulz von Thun, Trainerin und Moderatorin sowie LINC Personality Profiler Coach
Seit Mitte 2021 Jahren berät sie als Unternehmensberaterin ihrer eigenen Beratungsboutique Gehrke & Vetterkind Consultants Unternehmen zu Diversity, Inclusion und Unternehmenskultur. Sie ist Kooperationspartnerin der Haufe Akademie bei der Diversity & Inclusion Master Class, die sie mitkonzipiert hat. Außerdem ist sie Initiatorin des Young Female Leadership Program und begleitet hier Frauen auf ihrem Weg zur Führungskraft.