Effektive Teams durch synchrone Abhängigkeiten
Praktische Techniken und Beispiele für ein Miteinander in der Produktentwicklung
Wenn Teams wachsen und mehrere Teams an demselben Produkt arbeiten, wird die Koordination zu einem entscheidenden Faktor. Koordination muss jedoch nicht zwangsläufig mehr Prozesse oder mehr Management bedeuten. Der Schlüssel liegt darin, Verzögerungen und Missverständnisse durch spontane, informelle und dezentrale Zusammenarbeit zu reduzieren. Die hier vorgestellten Techniken zielen darauf ab, die synchrone Zusammenarbeit, also das gleichzeitige Arbeiten, zu maximieren, und die Komplexität und Verzögerungen bei asynchronen Übergaben zu reduzieren.
Was ist ein (End-to-End-)Feature-Team?
Ein (End-to-End-)Feature-Team ist ein funktions- und komponentenübergreifendes Team, das unabhängig ein komplett kundenorientiertes Feature liefern kann, von der Idee bis zum lieferbaren Produkt. Das bedeutet nicht, dass dasselbe Team über mehrere Sprints hinweg an derselben Feature arbeiten muss. Stattdessen unterstützt die Struktur Flexibilität: Teams können die Arbeit entsprechend den aktuellen Prioritäten und der Verfügbarkeit aufnehmen und fortsetzen, da die erforderlichen gemeinsamen Verständnisse und Integrationspraktiken vorhanden sind.
Feature-Teams verfügen über alle erforderlichen Fähigkeiten, um ohne Übergaben oder externe Genehmigungen einen Mehrwert zu liefern. Sie übernehmen die technische und funktionale Verantwortung und sind so organisiert, dass Verzögerungen durch externe Abhängigkeiten minimiert werden. Wichtig ist, dass ein Feature-Team sich nicht nur auf Features konzentriert, sondern darauf, einen Mehrwert für den Kunden zu liefern, indem es End-to-End-Funktionalitäten implementiert, die zu sinnvollen Ergebnissen beitragen.
Aber selbst gut aufgestellte Feature-Teams arbeiten nicht isoliert.
Wenn mehrere Feature-Teams an demselben Produkt arbeiten, entstehen natürlich gemeinsame Ziele, Überschneidungen und eine gemeinsame Infrastruktur. Dies erfordert eine Koordinierung. Und während asynchrone Abhängigkeiten wie Übergaben oder schriftliche Genehmigungen vermieden werden sollten, müssen sich die Teams auf synchrone Zusammenarbeit verlassen, um schnelles Feedback, direkte Entscheidungen und kohärente Produktergebnisse zu gewährleisten.
Warum synchrone Abhängigkeiten maximieren?
Synchrone Zusammenarbeit umfasst Interaktionen zwischen Personen oder Teams in Echtzeit, z. B. Gespräche, Workshops, gemeinsame Planung oder spontane Chats.
Wenn ich von der Maximierung synchroner Abhängigkeiten spreche, meine ich damit ein zielgerichtetes Verhalten von Teams, denn diese wählen bewusst verwandte Backlog-Elemente aus, idealerweise innerhalb desselben übergeordneten Themas oder Epics, damit sie während desselben Sprints an sich überschneidenden oder miteinander verbundenen Funktionen arbeiten können. Diese Abstimmung schafft natürliche Gelegenheiten für Zusammenarbeit, gemeinsames Lernen und direkte Integration.
Das Ziel ist nicht, die Unabhängigkeit zu verringern, sondern absichtliche Schnittstellen zu schaffen, die das gemeinsame Verständnis und die Anpassungsfähigkeit verbessern. Dies führt zu häufigeren und sinnvolleren Interaktionen, gegenseitigem Lernen und einer besseren Abstimmung.
Feature-Teams möchten die synchrone Zusammenarbeit maximieren, weil sie:
- Kommunikationsverzögerungen und -verzerrungen reduziert,
- die Notwendigkeit von Koordinierungsfunktionen und Vermittlern beseitigt,
- das gemeinsame Verständnis und die gemeinsame Verantwortung fördert,
- das Lernen und die Anpassungsfähigkeit beschleunigt.
Im Gegensatz dazu führt asynchrone Zusammenarbeit wie bei Tickets, E-Mails oder Workflow-Tools zu Übergaben, Wartezeiten, Informationsverlusten und Fehlern.
Synchrone Zusammenarbeit bedeutet nicht mehr Meetings, sondern die richtigen Gespräche zur richtigen Zeit mit den richtigen Personen.
Überblick der Techniken für die teamübergreifende Zusammenarbeit
Technik | Beschreibung |
Ein Sprint (für alle Teams) | Alle Feature-Teams arbeiten im gleichen Sprint-Rhythmus mit gemeinsamer Planung, Reviews, Retrospektiven und Lieferung. |
Sprint-Planung (Teil 1) | Die Teams stimmen sich zu Beginn des Sprints ab: Wer wählt was aus, welche Abhängigkeiten bestehen und wie werden Überschneidungen gehandhabt? |
Verfeinerung des Produkt-Backlogs durch mehrere Teams | Die Feature-Teams verfeinern gemeinsam die Items: Sie klären das Verständnis, schätzen den Aufwand und teilen die Arbeit auf. |
Communitys | Freiwillige teamübergreifende Gruppen zu Themen wie Testing, UX oder Architektur zum Lernen, zur Abstimmung und zur gemeinsamen Verbesserung. |
Direkte teamübergreifende Kommunikation | Die Teammitglieder sprechen direkt miteinander ohne Eskalationsketten, persönlich, per Chat oder in Mob-Sessions. |
Ein gemeinsames Produkt-Backlog | Alle Teams greifen maximale Transparenz und priorisierte Zusammenarbeit auf ein einziges Backlog zu. |
Werfen wir einen kurzen Blick auf die einzelnen Techniken der Zusammenarbeit:
Ein Sprint (für alle Teams)
Alle Teams haben einen gemeinsamen Sprint mit demselben Start- und Enddatum. Dies ermöglicht eine abgestimmte Planung, eine gemeinsame Überprüfung und integrierte Inkremente.
Typische Themen:
- Eine gemeinsame Retrospektive am Ende des Sprints
- Eine Sprint-Überprüfung für alle Teams am Ende des Sprints
- Gemeinsame Planung von Backlog-Elementen mit hoher Priorität für alle Teams
Sprint-Planung (Teil 1)
Die Teams treffen sich zu Beginn des Sprints, um Elemente aus dem Backlog zu ziehen, sich auf Ziele zu einigen und Transparenz darüber zu schaffen, woran jedes Team arbeiten will, insbesondere in Bezug auf Backlog-Items mit hoher Priorität. Die Koordination der Verantwortlichkeiten ist nicht das Ziel dieses Meetings, stattdessen ergibt sich die Koordination ganz natürlich während des Sprints, wenn Teams Überschneidungen oder Abhängigkeiten feststellen und direkt miteinander kommunizieren.
Typische Themen:
- „Wer übernimmt die Zahlungsintegration?“
- „Team A und Team B benötigen beide die neue API – wer fängt an und wie bleiben wir synchron?“
- „Wie können wir uns gegenseitig helfen, vor allem in Bezug auf das Lernen?“
Verfeinerung des Produkt-Backlogs durch mehrere Teams
Mehrere Teams verfeinern gemeinsam die Elemente des Produkt-Backlogs; sie teilen Elemente auf, klären deren Zweck und vertiefen das gemeinsame Verständnis des Geschäftsbereichs. Das Ziel besteht darin, Wissenslücken zu verringern und die Anpassungsfähigkeit zu erhöhen, indem mehr Teams mit einem breiteren Spektrum an Backlog-Items in Kontakt kommen. Dies umfasst häufig die direkte Interaktion mit Kunden oder Fachexperten.
Typische Themen:
- „Welches Problem muss gelöst werden? / Was ist das gewünschte Ergebnis?“
- „Wie könnten wir diese Funktion aufteilen?“
- „Was ist der schnellste Weg, um frühzeitig einen Mehrwert zu erzielen?“
Communitys
Teamübergreifende Gruppen treffen sich regelmäßig zu gemeinsamen technischen oder fachlichen Themen (z. B. Testautomatisierung, Architektur, UX), in erster Linie zum Lernen und Wissensaustausch. Ihr Hauptzweck besteht darin, die Erforschung zu fördern, das Verständnis zu vertiefen sowie das kollektive Fachwissen zu erweitern und nicht darin, Entscheidungsgremien zu werden.
Typische Themen:
- Lernen neuer Teststrategien anhand von Teambeispielen
- Austausch von Erfahrungen aus kürzlich erfolgten Architekturänderungen
- Erkundung von DevOps-Praktiken, die in verschiedenen Teams angewendet werden
- Einladung interner oder externer Experten zu Wissenssitzungen
Direkte teamübergreifende Kommunikation
Teammitglieder nehmen mittels bspw. mittels Ad-hoc-Gesprächen, Pairings oder Gruppen-Debugging Kontakt auf, ohne Rollen oder Hierarchien zu durchlaufen.
Typische Themen:
- „Können wir bei der Aktualisierung der CI-Pipeline zusammenarbeiten?“
- „Lasst uns die API-Änderung abstimmen, sie betrifft uns beide.“
- „Wir arbeiten am selben Modul. Wollen wir uns zusammentun?“
Ein gemeinsames Produkt-Backlog
Keine separaten Team-Backlogs. Ein einziges Produkt-Backlog mit einem Product Owner bietet eine gemeinsame Sicht auf Prioritäten und Ziele.
Typische Themen:
- „Sollten wir das Onboarding für Mobilgeräte im Backlog nach oben verschieben und passt das zu unserem aktuellen Produktziel?“
- „Passt diese Funktion zu unserer Multi-Markt-Strategie?“
- „Sind dies die wertvollsten Initiativen in diesem Quartal, basierend auf den aktuellen Prioritäten des Product Owners?“
(Wichtig: Die Verantwortung für die Priorisierung liegt immer beim Product Owner. Teams können und sollten Vorschläge machen oder Erkenntnisse einbringen, die die Reihenfolge im Backlog beeinflussen, aber die Entscheidung trifft der PO.)
Fragen und Antworten zur Zusammenarbeit von Feature-Teams
Hier finden sie einige Fragen und Antworten aus der Praxis zur Zusammenarbeit von Feature-Teams:
Wo diskutieren wir Verbesserungen an der Continuous-Integration-Pipeline?
Verbesserungen lassen sich in überall thematisieren, bspw. beim Austausch in einer DevOps-Community (falls vorhanden) oder bei der gemeinsamen Retrospektive.
Tipp: Bei Bedarf können Verbesserungen durch Hinzufügen zum Product Backlog weiterverfolgt werden.
Wo werden Teststrategien für verschiedene Code-Bereiche (Komponenten) besprochen?
Auch hier gilt: Überall ist in Ordnung! Am häufigsten werden sie in relevanten Communities besprochen, bspw. in der Testing Community (sofern vorhanden) oder der jeweiligen Component Community.
Wer entscheidet über technische Standards wie Logging-Frameworks oder API-Konventionen?
Diese Themen können in relevanten technischen Communitys (z. B. Architektur oder Backend) diskutiert werden. Um jedoch sicherzustellen, dass sich die Communitys weiterhin auf das Lernen konzentrieren und nicht zu Entscheidungsgremien werden, ist es vorzuziehen, Entscheidungen an anderer Stelle zu treffen. Im Idealfall aktualisiert eine kleine Gruppe von Personen aus verschiedenen Teams die Dokumentation der technischen Standards ad hoc und kommuniziert die Änderungen an andere.
Wo klären wir, ob mehrere Teams dieselbe Datenbankstruktur ändern wollen?
Wenn ein Team die Notwendigkeit erkennt, eine gemeinsame Datenbankstruktur zu ändern, kann es die Entscheidung selbst treffen und die anderen Teams informieren. Wenn es sich unsicher ist, kann es mit Mitgliedern anderer Teams zusammenarbeiten, bspw. durch Pairing, direkte Kommunikation oder Community-Diskussionen, und anschließend die Ergebnisse und Aktualisierungen mit anderen teilen.
Tipp: Ein gemeinsames Backlog Refinement kann helfen, solche Änderungen frühzeitig aufzudecken, aber die Lösung erfordert keine formelle Koordination.
Wo diskutieren wir die Verzweigungsstrategie für unsere Repositorys?
Verzweigungsstrategien können überall dort diskutiert werden, wo sich direkt beteiligte Personen treffen. Während eine Community (z. B. DevOps oder Engineering) ein hilfreiches Forum zum Lernen und zum Austausch von Optionen sein kann, können Entscheidungen auch durch informelle Zusammenarbeit, Pairing oder gemeinsame Diskussionen getroffen werden.
Tipp: Wichtig ist, dass die Verzweigungsstrategie transparent ist und gut kommuniziert wird.
Wo wird die gemeinsame Definition of Done gepflegt oder aktualisiert?
Änderungen an der Definition of Done lassen sich auf verschiedene Arten vornehmen, bspw. in Retrospektiven, durch Verbesserungsinitiativen oder umfassendere organisatorische Anpassungen. Da die Definition of Done letztendlich ein Messinstrument ist, stammen Aktualisierungen oft aus Verbesserungsdiskussionen oder vom Management. Die Dokumentation kann dort erfolgen, wo sie am sichtbarsten und nützlichsten ist; ein bestimmtes Forum ist nicht erforderlich.
Wie gehen wir mit Fehlern in einer bestimmten Komponente um?
Jedes Team kann einen Fehler in einer Komponente beheben, unabhängig davon, ob es diese ursprünglich entwickelt hat. Wenn ein Team einen Fehler bemerkt und beheben kann, sollte es dies auch tun und so auch mehr über die Komponente lernen.
Tipp: Ist die Verantwortung oder Zuständigkeit unklar, können die Teams dies direkt untereinander oder während des Refinements klären. In beiden Fällen sollte der Fehler im Product Backlog sichtbar gemacht werden, um Transparenz und mögliche Folgemaßnahmen zu unterstützen.
Sind das nicht zu viele Meetings?
Durch die Vermeidung asynchroner Abhängigkeiten sparen Feature-Teams Zeit und Energie, indem sie Folgendes eliminieren:
- Nacharbeiten aufgrund von Missverständnissen,
- Eskalationen und Fehlausrichtungen,
- Verzögerungen durch das Warten auf Antworten,
- Verwirrung durch fragmentierte Informationen.
Anstelle von umfangreicher Planung oder nachträglichen Korrekturen sorgen synchrone Techniken für schnelles Feedback und gemeinsame Verantwortung. Sie ersetzen viele unproduktive Statusbesprechungen, Berichte und Management-Schleifen.
Was sollten wir bei der teamübergreifenden Zusammenarbeit vermeiden?
Es gibt einige Punkte, die sollten Organisationen bei der Zusammenarbeit von Feature-Teams vermeiden:
- Team-spezifische Product Owner: Führt zu isolierten Backlogs und Koordinationsproblemen.
- Separate Team-Backlogs: Verursacht Prioritätskonflikte und mangelnde Fokussierung.
- Koordinierungsfunktionen (Projektmanager, Teamleiter): Behandeln die Symptome, nicht die Ursachen.
- Koordination über Tickets: Verzögert die Kommunikation und Verantwortlichkeit.
- Komponententeams: Erzwingen Übergaben und verzögern die Integration und das Lernen.
Fallen Ihnen noch weitere Punkte ein?
Fazit
Ob mehrere Feature-Teams gemeinsam erfolgreich sind, hängt weniger von zusätzlichen Prozessen oder Rollen ab, sondern von ihrer Art der Zusammenarbeit. Wo Übergaben, Tickets und lange Wartezeiten dominieren, entstehen Reibungen und Verzögerungen. Wo dagegen Menschen direkt miteinander reden, spontan Ideen austauschen und gemeinsam Lösungen entwickeln, wächst Geschwindigkeit, Verständnis und Qualität. Deshalb lohnt es sich, synchrone Abhängigkeiten bewusst zu maximieren und asynchrone Reibungen konsequent zu minimieren. So entsteht echte Zusammenarbeit, die Produkte schneller und besser voranbringt.
Hinweise:
Robert Briese ist gespannt auf Ihre Meinung und freut sich über weitere Gedanken zur Verbesserung der teamübergreifenen Zusammenarbeit. Wenn Sie an weiteren Erkenntnissen von ihm interessiert sind, melden Sie sich für den Lean Sherpas LeSSons Learned newsletter.
Wollen Sie als Multiplikatorin oder Meinungsführer über die Zusammenarbeit von Feature-Teams sprechen? Dann teilen Sie diesen Beitrag gerne in Ihrem Netzwerk.
Robert Briese hat drei weitere Beiträge im t2informatik Blog veröffentlicht:

Robert Briese
Robert Briese ist Coach, Berater und Trainer für agile und Lean-Produktentwicklung sowie Gründer und Geschäftsführer der Lean Sherpas GmbH. Als einer von nur 22 zertifizierten Large-Scale Scrum (LeSS) Trainern weltweit arbeitet er mit Einzelpersonen, Teams und Organisationen an der Einführung von Praktiken für agile und schlanke Entwicklungen sowie der Verbesserung der organisatorischen Agilität durch kulturellen Wandel.
Robert Briese hat mit (realen) Startups (Penta), Corporate Start-Ups (Ringier, Yello) und auch großen Organisationen (SAP, BMW, adidas) gearbeitet, um ein Organisationsdesign zu schaffen und Praktiken einzuführen, die schnelleres Kundenfeedback, Lernen und eine größere Anpassungsfähigkeit für Veränderungen ermöglichen. Er ist ein häufiger Sprecher auf Konferenzen und gibt regelmäßig Trainings in Large-Scale Scrum (LeSS).
Im t2informatik Blog veröffentlichen wir Beträge für Menschen in Organisationen. Für diese Menschen entwickeln und modernisieren wir Software. Pragmatisch. ✔️ Persönlich. ✔️ Professionell. ✔️ Ein Klick hier und Sie erfahren mehr.