Die Zeit des New Leaderships ist gekommen! Oder doch nicht?

Gastbeitrag von | 16.07.2020

Die Begriffe sind nicht mehr neu: Emotionale Intelligenz, agile Führung, Einfühlungsvermögen, Wertschätzung, soziale Kompetenz. Wenn man heutzutage von Führung spricht, darf man die „Soft Skills“ nicht mehr vernachlässigen. Der Wendepunkt in der Führung steht vor der Tür. Ist das wirklich so? Wenn wir genauer hinschauen, stellen wir fest, dass es noch viel zu tun gibt und dass der Wunsch nach emotionaler Führung noch nicht generell erfüllt ist. Aber brauchen wir sie wirklich? Was sind die Kompetenzen, die die Führungskräfte von morgen wirklich mitbringen sollten, um erfolgreich zu sein? Wir sprechen heute Klartext und unterscheiden Traum und Wirklichkeit. Wie funktioniert Führung heute und was muss sich dringend ändern?

Warum brauchen wir eine Wende in der Führung?

Seit fast 20 Jahren erforscht Gallup den Grad der emotionalen Bindung von Arbeitnehmern in Deutschland. Inwieweit ist der deutsche Arbeitnehmer an sein Unternehmen gebunden? Wer ist zufrieden, wer arbeitet nur nach Vorschrift und was steckt dahinter?

Laut der Studie von 2019:

  • 69 % fühlen sich kaum an das Unternehmen gebunden. Sobald ein besseres Angebot auf dem Tisch liegt, würden sie definitiv erwägen, das Unternehmen zu verlassen.
  • 70 % weniger Arbeitsunfälle haben,
  • 17 % produktiver

sind. Nun, wenn ich CEO wäre, würde ich solche Menschen als Mitarbeiter haben wollen.

Ach ja: und wenn es am Ende nur um die Rentabilität gehen sollte, könnten die Ergebnisse auch ein Augenöffner sein: Unternehmen mit emotional hoch engagierten Mitarbeitern schlagen ihre Konkurrenten beim Gewinn pro Aktie um 147 Prozent!²

Was ist New Leadership?

Die Gallup-Studie hat uns gezeigt: Mitarbeiter mit hoher Bindung sind produktiver, präsenter, motivierter, und der Grund, warum sich ein Mitarbeiter nicht an das Unternehmen gebunden fühlt, ist sehr oft „die Führungskraft“. Fazit: Wir brauchen andere Chefs.

Eigentlich entsteht echtes Engagement durch Beziehungen und Emotionen: Die Bindung an eine Person ist stark, die Bindung an einen Gegenstand oder ein abstraktes Konzept oder eine Organisation ist viel schwieriger zu erfassen. Man kann sicherlich eine ähnliche Arbeit in einem anderen Unternehmen finden, aber nicht die gleichen Menschen. Was in diesem Fall entweder ein Vorteil oder ein Nachteil ist. Das Ziel des Managers: eine Arbeitsatmosphäre zu schaffen, die die Menschen emotional bindet.

Führung in der VUCA Welt

Es geht auch darum, dass sich die Arbeitswelt erheblich verändert hat, wodurch sich auch die Anforderungen an Arbeitnehmer und Führungskräfte verschoben haben. Wir leben in der VUCA-Welt (volatility/unbeständig, uncertainty/unsicher, complexity/komplex und ambiguity/mehrdeutig).

Die Digitalisierung und das Internet haben einige Tätigkeiten überflüssig gemacht, vieles lässt sich automatisieren. Man muss sich schnell anpassen, lernfähig und flexibel sein. Es kommt oft vor, dass man in einem Unternehmen mit operativen Tätigkeiten beginnt, aber der Wandel kommt sehr schnell, und um sich weiterentwickeln zu können, kommt die Personalverantwortung sehr schnell mit. Führungskraft von einem Tag auf den anderen …

Aber wer hat an der Universität gelernt, wie Führung funktioniert? Und – es muss schnell gehen. Man muss Erwartungen erfüllen und Ziele erreichen. Der einfachste Weg: einfach Befehle erteilen. Das hat gestern gut funktioniert. Heute kann es sein, dass Mitarbeiter es am Anfang zulassen, bis sie innerlich und dann tatsächlich kündigen. Und das Spiel geht weiter: neue Mitarbeiter kommen ins Spiel und müssen schnell eingearbeitet werden und Leistung zeigen, bevor sie wirklich verstehen, wie man das Spiel in dieser neuen Umgebung spielt. Willkommen in der VUCA-Welt. Für niemanden ist die Situation so befriedigend. Aber sehr oft gibt es an diesem Punkt kein langfristiges Denken, es geht nur darum, die Lücke zu füllen, und das Ergebnis von heute scheint mehr zu zählen als die Möglichkeit, auf lange Sicht bessere Leistungen zu erbringen.

Aber was würde an diesem Punkt besser funktionieren, die Mitarbeiter stärker binden, die Personalfluktuation verringern und mehr Seelenfrieden ins Spiel bringen?

Von der Führung mit Zwang zur emotionalen Führung: nur ein Traum?

Bei der Führung durch Zwang steht die Aufgabe im Vordergrund. Es dreht sich alles darum, WAS zu tun ist. WER spielt keine Rolle. Die Hauptsache ist, dass es ohne Widerstand geschieht. Man muss dies und das tun, Punkt, Ende, Schluss.

Mit einem solchen Führungsstil bekommt man WAS man will. Zumindest für eine Weile. Denn heutzutage funktioniert die Peitsche nicht mehr. Was will man tun, wenn der Mitarbeiter „nein“ sagt oder es einfach nicht tut? Kündigen? Ja, aber das braucht Zeit. Und dann wieder einstellen, ausbilden, zwingen und es fängt wieder von vorne an. Herzlichen Glückwunsch, man hat Frustration und Ärger geerntet. Und der Job ist immer noch nicht erledigt.

Der Mensch und seine Bedürfnisse im Vordergrund

Im Mittelpunkt steht nicht mehr WAS zu tun ist, sondern WER es tun soll. Dieselbe Aufgabe wird je nach Mitarbeiter unterschiedlich kommuniziert. Der Mitarbeiter ist sehr unsicher und hat ein Sicherheitsbedürfnis? Man gibt einen Zeitplan und Zwischenschritte vor und er weiß genau, was er zu tun hat. Man gibt dem Mitarbeiter Mut und sagt ihm, dass er das schafft und dass man ihn unterstützt.

Der andere Mitarbeiter braucht Flexibilität und Herausforderung: man gibt ihm einen groben Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann. Er kann entscheiden, wann er die Aufgabe erledigen soll, solange sie bis Tag X zur Zeit Y erledigt wird.

Wie findet man Bedürfnisse heraus? Man hört viel zu. Man lernt die Persönlichkeiten der Menschen kennen. Man schreibt sie auf. Der Mitarbeiter ist einzigartig und man erkennt und schätzt das.

Wertschätzung

Was ist wichtiger: Gehalt oder Wertschätzung?

Laut Statista ist eine schlechte Bezahlung auch ein Hauptgrund dafür, dass Arbeitnehmer heute ihre Arbeit kündigen.³

 

Warum kündigen Beschäftige?
Aber es ist wie bei Huhn und Ei: Was kam zuerst? Warum kippt die Situation? Und ist vielleicht schlechte Bezahlung nichts weiter als ein Zeichen mangelnder Wertschätzung für geleistete Arbeit? „Meine Arbeit hat keinen Wert.“ Vielleicht ist es nicht so, dass man mehr Geld braucht, sondern mehr Anerkennung für die Arbeit erwartet?

Wie geht Wertschätzung? Eigentlich ist es ganz einfach. Danke sagen. Und man sieht Wertschätzung als Voraussetzung für eine gut gemachte Arbeit und nicht als Belohnung.

Aber Vorsicht: Anerkennung kommt immer in einem Kontext: Es geht nicht darum, Lob und Dank ohne Grund auszusprechen, sondern sie müssen immer FÜR etwas sein.

„Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, unser Angebot zu überdenken. Ohne dich hätten wir nicht entdeckt, dass wir einen Fehler gemacht haben. Wenn du das nicht getan hättest, wäre der Kunde verärgert gewesen, und das hätte unsere Kundenbeziehung gefährdet.“

Die Gefahr kommt, wenn die Aufmerksamkeit erwartet wird. Es ist eine Kunst, Mitarbeiter immer wieder zu überraschen. Ein Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenk ist keine Überraschung. Aber sich daran zu erinnern, wann die Zusammenarbeit begann, und am Jahrestag eine Überraschung zu verschenken oder nach Hause zu schicken, wird in Erinnerung bleiben und die Beziehung stärken. Aber bitte keine 0815-Schachtel Pralinen, Blumen oder eine Flasche Wein schicken. Man sollte versuchen, eine Aufmerksamkeit zu machen, die persönlich und überraschend ist.

Konstruktives Feedback

Bitte nicht missverstehen: Emotionale Führung bedeutet nicht „Frieden, Freude, Eierkuchen“ und dass man keine Kritik mehr äußern darf! Es geht vielmehr darum, WIE man Feedback und Kritik geben sollte.

Wenn etwas schlecht läuft, sollte sich der Manager zunächst fragen, was das Problem ist. Wenn er es nicht weiß, fragt er! Es geht darum, hinter die Fassade zu schauen und zu hinterfragen, ob man alle Informationen zur Hand hat, bevor man ein Urteil fällt.

Das Feedback ist immer auf die Zukunft gerichtet. Was hat es für einen Sinn, dem Mitarbeiter vor einem vollen Team zu sagen, dass seine Präsentation schrecklich war. Es macht mehr Sinn, zu der Person persönlich zu gehen und ihr einen Tipp zu geben, was sie beim nächsten Mal anders versuchen könnte, und ihr das WARUM zu sagen. Damit können Sie

  1. sicherstellen, dass das Feedback akzeptiert werden kann: „Möchtest du von mir eine kleine Rückmeldung zu deiner Präsentation erhalten?“
  2. klar und präzise sein. Die Kritik richtet sich an die Sache und nicht an die Person. „Um nicht an Glaubwürdigkeit zu verlieren, solltest du beim nächsten Mal versuchen, deine Folien auf Rechtschreibfehler zu überprüfen. Es ist einfach schade, wenn deine Kollegen wegen dieser kleinen Ablenkung nicht mehr auf den Inhalt schauen.“
  3. Verständnis zeigen: „Ich weiß, dass es diesmal einfach zeitlich schwierig war.“
  4. Wertschätzung zeigen: „Ich weiß es zu schätzen, dass du dein Bestes getan hast, um es so kurzfristig zu erledigen.“
  5. Vertrauen ausdrücken: „Ich habe Vertrauen in dich, dass deine nächste Präsentation alle beeindrucken wird.“

Sinnstiftung

Natürlich gibt man dem Team keine Aufgaben, wenn diese nicht notwendig sind. Was einem logisch erscheint, verstehen die Mitarbeiter nicht unbedingt. Wichtig ist, dass die Mitarbeiter den Sinn hinter der Aufgabe verstehen. Aber noch wichtiger: dem Mitarbeiter erklären, warum ER wichtig ist. Warum es sinnvoll ist, dass ER die Aufgabe erledigt. Der Mitarbeiter sollte nicht den Eindruck haben, dass er durch irgendjemanden ersetzt werden könnte. Es sollte verstehen, warum ER am qualifiziertesten ist, dies jetzt zu tun, und warum es ohne ihn nicht möglich wäre. Man muss die Perspektive in der Kommunikation ändern: Mensch an erster Stelle, Aufgabe an zweiter.

Ist das Manipulation? Der Manager erkennt die Bedürfnisse und gestaltet seine Kommunikation so, dass man sich angesprochen und verstanden fühlt und das tut, was er von einem erwartet.

Man könnte es Manipulation nennen, aber es könnte auch Marketing oder Erziehung sein. Man könnte es alles Mögliche nennen. Der Unterschied: wie wir uns entscheiden, es zu betrachten. Am Ende zählt nur das: wie sich die Mitarbeiter fühlen. Und wenn der Mitarbeiter das Gefühl hat, verstanden zu werden und eine sinnvolle Arbeit zu leisten, dann hat man als Führungskraft wirklich gute Arbeit geleistet.

„Emotionale Führung ist nur im Silicon Valley möglich“, habe ich vor einiger Zeit gehört. „Für ein Google ist das alles einfach, eine Edeka-Filiale kann ich so nicht betreiben!“

Der Irrglaube ist weit verbreitet, dass man in einigen Branchen nur durch Zwang und Befehle führt, denn ernsthaft: wer sollte es motivierend finden, an einer Kasse zu stehen oder Regale zu säubern? Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass auch der Kassierer motiviert seiner Aufgabe nachgehen kann. Ich habe jahrelang ein Einzelhandelsgeschäft geführt und dachte seinerzeit, dass es oft nur mit konkreten Aufgaben und Befehlen funktioniert. Das tut es nicht. Denn, um ehrlich zu sein, einen Mitarbeiter an der Kasse zu haben, der das nur tut, weil er muss und sich langweilt und überhaupt keine Lust hat, hier zu sein, ist nicht zielführend. Man möchte viel lieber einen Mitarbeiter, der die Kunden freundlich begrüßt, sich über die Kunden freut, lächelt und mit Leidenschaft dabei ist.

Der Unterschied zwischen Mitarbeiter A und B liegt in der Führungskraft und ihre Art, wie sie die Aufgabe kommuniziert.

Mitarbeiter A  wurde die Aufgabe so vermittelt: „Komme um 7:00 Uhr, setze dich an die Kasse, kassiere bis 15:00.“

Mitarbeiter B wurde an die Aufgabe mit emotionaler Führung herangeführt. In praktischer Hinsicht könnte es so aussehen:

  • Bedürfnisse: „Wie geht es dir heute? Deine Tochter war letzte Woche krank, geht es ihr besser?“
  • Wertschätzung: „Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du heute hier bist und nach jemandem gesucht hast, der sich um deine kranke Tochter kümmert. Das ist nicht selbstverständlich.“
  • Feedback: „Ich habe bemerkt, dass du dir einen Trick ausgedacht hast, um XY schneller zu bekommen. Kannst du es mir und dem Team zeigen? Das würde all unsere Arbeit erleichtern.“
  • Verständnis: „Ich verstehe, dass Kassieren nicht die aufregendste Aktivität ist. Aber eigentlich ist es die Haupttätigkeit, denn durch dich können Kunden ein tolles Einkaufserlebnis haben.“
  • Sinnstiftung: „Weißt du, Kunden können eigentlich unsere Produkte überall bekommen, aber was sie nicht bekommen können, ist dein besonderer Empfang und deine Beratung. Deine Anwesenheit kann den Tag für viele unserer Kunden besser machen. Du bist der Grund, warum sie immer wieder zu uns zurückkommen.“

Natürlich investiert die Führungskraft deutlich mehr Aufwand in Mitarbeiter B. Aber: braucht man wirklich eine Führungskraft, wenn es am Ende nur darum geht, Aufgaben und Befehle zu erteilen? Eine App oder ein Computer könnte das auch tun. Wertschätzung, Empathie, Anerkennung kann der Computer (noch) nicht verteilen. Deshalb werden meiner Meinung nach in Zukunft soziale Kompetenzen in der Führung eine immer wichtigere Rolle spielen. Sie sind unersetzlich und der Treibstoff für Motivation und letztlich für Leistung.

Fazit

Im Grunde geht es bei New Leadership um emotionale Führung und bessere Kommunikation. Es geht darum, dem Menschen verständlich zu machen, warum wir mit ihm in eine Richtung gehen möchten. Und es geht darum, in einer VUCA-Welt Halt und Sinn zu geben, damit er sich besser orientieren kann und sich nicht mehr verloren fühlt. Dafür ist es wichtig, die konkreten Bedürfnisse des Menschen in den Vordergrund zu stellen, verständnisvoll zu sein, konstruktives Feedback zu geben und seine Leistung wertzuschätzen. Gelingt dies, verstärkt sich die Bindung der Mitarbeiter an Unternehmen, und Produktivität und Gewinne steigen. New Leadership wird Wirklichkeit.

Wer ist die Führungskraft von morgen?

Der Wegweiser, der Sinnstifter, der Motivator.

Idealerweise ist er es bereits heute!

 

Hinweise:

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[1] von Rundstedt befragt hierzu gemeinsam mit dem Marktforschungsinstitut INNOFACT AG rund 1.000 Männer und Frauen. Die Stichprobe entspricht nach Alter, Geschlecht und Region der repräsentativen Verteilung der deutschen Bevölkerung. Die unabhängige Online-Erhebung fand im April 2018 statt.
[2] https://www.gallup.com/q12/
[3] https://de.statista.com/infografik/19457/warum-beschaeftigte-kuendigen/

Marie Bockstaller
Marie Bockstaller

Marie Bockstallers Werdegang ist ein Klassiker: Bachelor in Psychologie, dann Master in Neurowissenschaften und dann kam die Doktorarbeit. Gegen Ende ihrer Dissertation beschloss sie, ihr Leben zu ändern. Sie wurde über Nacht zum Teammanager eines Teams von 20 Personen. Sie entdeckte die Kraft der emotionalen Führung und entwickelte ihr Führungsstil: respektvoll, aufmerksam, motivierend, wertschätzend. Sie beschloss dann, einen Schritt weiter zu gehen und ihr Unternehmen die Modern Bakery zu gründen. Mit Ihrer Firma wollte sie endlich Geschäftsgeschenke schaffen, die echte Wertschätzung für Mitarbeiter ausstrahlen. Es ging auch hier um emotionale Führung. Das Produkt war ein Mittel zu diesem Zweck. Da es um die Botschaft ging, beschloss sie, ihr Gehör zu verschaffen und startete zusätzlich mit dem Podcast „Leading with…“.