Cultural Hacking. Ein Beitrag zur Kulturveränderung?
So machen wir das hier!
„Culture eats strategy for breakfast“. Diese Aussage wird Peter Drucker zugeschrieben, aber es findet sich tatsächlich keine Quelle dafür. Drucker hat vielleicht Ähnliches gesagt oder geschrieben, vor allem aber könnte Drucker es gesagt oder geschrieben haben. Wir neigen ja dazu, weise Sprüche weisen Menschen in den Mund zu legen. In jedem Fall kommt durch die Aussage zum Ausdruck, dass die Unternehmenskultur bedeutsamer als eine ausgefeilte Strategie ist.
Unternehmenskultur formiert sich – und hier lässt sich die Quelle identifizieren – entlang der sogenannten „Basic Assumptions“: „Ein Muster grundlegender Annahmen – erfunden, entdeckt oder entwickelt von einer vorgegebenen Gruppe, während diese lernt mit den Problemen der externen Adaption und internen Integration umzugehen – die gut genug funktionieren, um (von dieser Gruppe) als gültig angesehen zu werden, und die deshalb neuen Mitgliedern vermittelt werden als richtige Methode der Wahrnehmung, des Denkens und des Fühlens bezüglich dieser Probleme“.1 Andere Autoren fassen Unternehmenskultur noch einfacher zusammen: “This is how we do things around here“.2
So machen wir das hier! Ich denke jeder von uns hat die ausgesprochenen, aber vor allem auch die geheimen Spielregeln in Unternehmen schon ausreichend gut kennengelernt. Kultur bestimmt, wie in Unternehmen Selektionen und Sozialisierungen stattfinden und wie Probleme gelöst werden. Es ist der „weiche Kram“, es sind die „Soft Facts“, die im Intangiblen das Tangible maßgeblich beeinflussen. Und deshalb kommt, wenn Unternehmen sich verändern wollen oder müssen, das Thema Kulturveränderung, der „Cultural Change“, unvermeidbar ins Spiel.
Cultural Change als Mechanik für bessere Ergebnisse
Der Zusammenhang scheint ja auch auf den Hand zu liegen: Kulturelle Werte und Normen prägen das Verhalten und das Verhalten beeinflusst das Ergebnis. Es finden sich deshalb auch Studien, die postulieren, dass „starke“ Unternehmenskulturen z.B. überdurchschnittlich positiv auf das Wachstum und das Betriebsergebnis wirken.3 Mich lässt zwar die Frage, wie „starke“ von „schwachen“ Kulturen konkret zu unterscheiden sind, ein wenig ratlos zurück, aber ich kann mich der solchermaßen suggerierten Korrelation auch nicht ganz entziehen. In jedem Fall bringt diese behauptete Korrelation seit einigen Jahrzehnten Manager, Berater und Trainer auf die Bühne, die Unternehmenskulturen verändern wollen, um die Basis für verbesserte Ergebnisse zu schaffen. Und etliche dieser Cultural Change Programme folgen einer Top-Down- und / oder einer Kampagnen-Logik, mit der eine „Zielkultur“ definiert und die „Ist-Kultur“ über Werte, Leitbilder etc. verändert werden sollen. Soweit, so mechanistisch. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass sich mit Blick auf die Kulturwandelprogramme ein wenig Ernüchterung breit gemacht hat.4
Soziale Systeme sind eben komplexe Systeme und die verändern sich nicht einfach durch eine Ansage oder ein tolles Leitbild. Ein schönes Beispiel, dass Worte das eine, Handeln aber das eigentlich relevante andere ist, zeigt das folgende Bild:
Ich denke, jeder von uns kennt die sinnlosen Appelle, die selbst bei Selbstverständlichkeiten, wie, dass wir den Müll nicht einfach neben die Mülltonne schmeißen, wirkungslos verpuffen. Die injunktive Norm kulturellen Handelns („Müll gehört in die Mülltonne“) wird von der deskriptiven Norm („Das machen doch eh alle, wenn die Mülltonne voll ist“) beherrscht und eine sinnvolle Konsistenz des Verhaltens zum Appell bleibt aus.
Hacking in sozialen Systemen
Und hier setzt jetzt ein neuer Begriff an, der des „Cultural Hacks“, den ich zuerst bei Scheller5 gelesen habe. Neugierig geworden, bin auf eine interessante Publikation, herausgegeben von Düllo und Liebl6, gestoßen. In dem Sammelband, der verschiedene Autoren und Beispiele aus ganz unterschiedlichen Disziplinen (Politik, Germanistik, Kunst, Werbung etc.) versammelt, wird recht schnell klar, dass es vielleicht eher kleinere Irritationen sind, die eine Kultur zunächst herausfordern und anschließend auch verändern können. Dabei kommt der Begriff „Hack“ gar nicht aus der Computerszene, wie ich auch fälschlicherweise angenommen habe, sondern aus dem Journalismus: „Ein Hack war ursprünglich ein Ausdruck für journalistisches Arbeiten mit unorthodoxen Mitteln“7 und hat erst dann den Weg in die IT gefunden. „Hacking is a form of exploring and manipulating that not only learns how a specific system behaves but also discovers how to employ its tools and procedures against and in excess of the necessary limitations of its own programming”.8
Es sind also die Hacker, die in ein System eindringen, es kennenlernen und Wege der Umcodierung finden. Dabei gehen sie iterativ, nach Versuch und Irrtum vor und schaffen experimentelle Anordnungen für eine kleine, aber kalkulierte und präzise Intervention ins System. In jedem Fall werden dadurch die etablierten, oft unsichtbaren Deutungsmuster sichtbar und manchmal geradezu lächerlich gemacht. Das System ist jetzt mit den konkreten eigenen Mustern konfrontiert und damit herausgefordert. Und dieser irritierende Impuls kann dann potenziell mehr bewirken, als die x-te Top-Down-Ansage. Auch hier zeigt ein Bild, wie einfach und gleichzeitig wohl kalkuliert ein Cultural Hack sein kann, in dem die Geschlechterrollen konfrontiert werden:9
- Es gibt nur zwei Geschlechter.
- Jedes der beiden Geschlechter braucht einen getrennten Raum für den Toilettengang.
- Die Darstellung der Icons zeigen die stereotypen Vorstellungen von „männlich“ und „weiblich“.
Mit wenigen Handgriffen lässt sich hier ein Cultural Hack vornehmen, der uns mit unseren Annahmen sehr wirkungsvoll konfrontiert:10
Ich denke, damit sollte klar sein, was ein Cultural Hack leisten kann und wo seine Grenzen liegen. Aber was heißt das jetzt für den Unternehmenskontext?
Cultural Hacking im Unternehmenskontext
So wie beim Computer Hacking meint das Cultural Hacking im Unternehmenskontext das Verändern der „Software“, also unserer kulturellen Annahmen, von innen heraus. Und dabei wird nicht das gesamte soziale System anvisiert, sondern „nur“ eine und hier meist eine „schwache“ und damit gut angreifbare Stelle im sozialen System. Der Anspruch ist also nicht mehr das Verändern „der Kultur“ insgesamt, sondern einzelner, ggf. auch nur kleiner Anteile der kulturellen Annahmen. Dabei wird – auch das ist ein gravierender Unterschied von bislang geübten Cultural Changes – durch konkrete Aktionen (!) und nicht durch Appelle das System dazu angeregt, sich zu verändern und anders zu agieren. Ein deutlich bescheidenerer Anspruch, der aber auch der Komplexität und inhärenten Stabilität von sozialen Systemen besser gerecht wird.
Eine solide Vorbereitung der Hacks ist dabei wichtig, gleichzeitig aber auch kein Hexenwerk. Entscheidend ist zunächst, dass es keine überoptimistischen und zu konkreten Ergebniserwartungen gibt und schon gar keine Versprechungen, die zum x-ten Mal nicht eingelöst werden können. Dann sollte in einem kleinen Kreis – am besten cross-funktional und hierarchieübergreifend – an Themen gearbeitet werden, wo die „größte Lust“ zu einer Veränderung bzw. ein „richtiger Schmerz“ im Alltag besteht. Dabei sollte prinzipiell jedes Thema angesprochen werden können, es sollte keine Tabus und keine „heiligen Kühe“ geben. Schließlich ist wichtig, dass im eigenen „Circle of Influence“ gearbeitet wird, also dort, wo in der nächsten Stunde, am nächsten Tag sofort eine wirksame Umsetzung des Hacks erfolgen kann. Trotzdem bleiben Hacks immer Experimente, es gibt keine Erfolgsgarantie für eine wirksame Veränderung.
Cultural Hacking Beispiel
Ein Beispiel? In einem Unternehmen ergab ein Hacking Workshop folgende Problembeschreibung:
„Fast alle Meetings beginnen zu spät, mit unvollständigem Teilnehmerkreis. Dadurch beginnen wir das Meeting immer wieder neu und verschwenden Zeit. Während des Meetings herrscht ein ‘Kommen und Gehen’ und die Meetings enden letztlich vor der eigentlich verabredeten Zeit, weil die meisten Teilnehmer schon wieder früher weg müssen. Das Meetingergebnis wird deshalb nicht von allen tatsächlich geteilt und führt später zu weiteren Abstimmungsschleifen. Das zieht sich im Prinzip durch alle Meetings, in allen Funktionen und in allen Hierarchieebenen. Am schlimmsten ist es bei cross-funktionalen und hierarchieübergreifenden Meetings.“
Und das, obwohl in jedem Meetingraum Spielregeln für genau diesen Punkt aushängen (wie beim „Parkplatz sauber halten“ Beispiel oben), es immer wieder Appelle zur Beachtung gibt und letztlich jeder die injunktive Norm („pünktlich sein“) für beachtenswert hält. Was also tun? Die Workshop Teilnehmer, in dem auch einer der Geschäftsführer vertreten war, vereinbarten, jeder in seinem Circle of Influence:
„Mit dem offiziellen Beginn des Meetings wird die Tür von innen versperrt. Wer nicht pünktlich ist, bleibt draußen. Wenn wir das vor allem in den Meetings von und mit der Geschäftsführung machen, wird das Zeichen ganz schnell durch die Organisation gehen und die Aufmerksamkeit für unsere unproduktive Meetingkultur richtig groß.“
Letztlich hat uns das schon ein Bibelzitat gelehrt: „Nicht an ihren Worten, an ihren Taten sollt ihr sie erkennen!“ (1. Johannes 2,1-6)
Hinweise:
Interessieren Sie sich für weitere Tipps aus der Praxis? Testen Sie unseren wöchentlichen Newsletter mit interessanten Beiträgen, Downloads, Empfehlungen und aktuellem Wissen.
[1] Edgar H. Schein: Organizational Culture and Leadership. A Dynamic View, San Francisco etc. 1985, S. 9
[2] D. Bright / B. Parkin: Human Resource Management – Concepts and Practices, 1997, S. 13
[3] vgl. z.B. Why companies should look at culture’s impact on profit
[4] vgl. Kotter, Leading Change – Why Tranformation Efforts Fail oder Martin Smith, Changing an organisation’s culture: Correlates of success and failure. Leadership & Organization Development Journal. 24. 249-261.
[5] vgl. Scheller, Culture Hacking – Knacken Sie die Unternehmenskultur!
[6] Cultural Hacking. Kunst des strategischen Handelns, Wien 2005
[7] Düllo / Liebl, Cultural Hacking – Kunst des Strategischen Handelns, S. 13
[8] Gunkel, Hacking Cyberspace, Boulder 2011, S. 6
[9] und [10] vgl. dazu https://kulturshaker.de/cultural-hacking/
Die change factory, für die Dr. Schüppel aktiv ist, wurde auch 2021 als eine der besten Unternehmensberatungen Deutschlands ausgezeichnet.
Dr. Jürgen Schüppel hat einen weiteren Beitrag im t2informatik Blog veröffentlicht:
Dr. Jürgen Schüppel
Dr. Jürgen Schüppel hat Betriebswirtschaftslehre und Organisationspsychologie in München studiert und sein Promotionsstudium in St. Gallen abgeschlossen. Nach seiner Tätigkeit als Leiter der Abteilung Managemententwicklung am Institut für Betriebswirtschaft der Universität St. Gallen sowie als Trainer und Berater einer Unternehmensberatung übernahm er 1997 eine Professur für Betriebswirtschaft und gründete gemeinsam mit Partnern die change factory, ein Consulting- und Trainingsunternehmen, dessen geschäftsführender Gesellschafter er bis heute ist. Arbeitsschwerpunkte sind u.a. die Begleitung von Change-Management-Projekten, sowie die Konzeption und Durchführung von Leadership Development Programmen.