Candidate Journey
„Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben.“ Dieses Sprichwort gilt für Bewerber auf dem Arbeitsmarkt genauso wie für Rucksacktouristen in den Bergen.
Einen neuen Mitarbeiter zu finden, der möglichst gut ins Team passt und lange im Unternehmen bleibt, sich wohl fühlt und Spaß an der Arbeit hat, ist für viele Unternehmen eine große Herausforderung. Auch für einen Bewerber ist es oftmals ein langer und steiler Weg, das für ihn passende Unternehmen und die passende Position zu finden. Die Zeit vakanter Stellen in Deutschland liegt im Durchschnitt bei über 4 Monaten. In diesem Zeitraum begibt sich ein Bewerber auf Reise zum Unternehmen – auf die sogenannte Candidate Journey. Das Ziel des Unternehmens sollte es sein, die Candidate Journey so angenehm wie möglich zu gestalten und beim Bewerber Vertrauen aufzubauen, um ihn für das Unternehmen zu gewinnen. Nur, wenn eine Firma die selbst gesetzten Erwartungen erfüllt, entwickeln Kandidaten Vertrauen. Daher gilt vor allem Ehrlichkeit als oberstes Prinzip, sonst kann es zwar sein, dass ein toller Bewerber aufgrund von bunten Beschreibungen der Tätigkeiten und des Arbeitsplatzes voll hoher Erwartungen einsteigt, aber nach ein paar Wochen kündigt, weil sich der Job als Mogelpackung herausstellt.
Als Unternehmer und Personaler stellen Sie sich jetzt die Frage: Wie locke ich die richtigen Kandidaten schneller an und wie bleiben diese dann auch bei mir? Aber auch Bewerber möchten schnell und gut informiert am Ziel ankommen. Daher hier ein Blick auf beide Seiten der Candidate Journey – der Reise der Kandidaten.
Die Transparenz in der Candidate Journey
Eine ehrliche Kommunikation ist das A und O. Für eine Bergtour gibt es für die noch so kleinen und einfachen Strecken Höhenprofile, Zeit- und Streckenangaben. Hinweise auf Berghütten und Raststätten entlang des Weges dürfen besonders für mehrtägige Touren nicht fehlen. Im Recruiting sollte es genauso laufen, denn, wie bereits erwähnt: Erfüllte Erwartungen schaffen Vertrauen und resultieren in langfristigen Mitarbeitern. Machen Sie also Ihren Bewerbern den Bewerbungsprozess transparent:
- Erklären Sie auf Ihrer Karrierewebsite, welche Schritte für den Bewerber zu erwarten sind.
- Gibt es eine Eingangsbestätigung?
- Wann kann mit der ersten Rückmeldung gerechnet werden?
- Wie viele Interviews werden in welcher Form stattfinden, bis das Vertragsangebot kommt?
- Was erwartet die Kandidaten zwischen Vertragsangebot und Antreten der Stelle?
- Gibt es ein Onboarding?
Das ist ganz leicht mit einem kleinen Flussdiagramm auf der Website darzustellen und zeigt offen, worauf sich der Bewerber einlässt.
Einen besonders positiven Eindruck hinterlassen Sie, wenn Sie erläutern, was denn wirklich in die Unterlagen muss. Denn leider ist die Anweisung, doch bitte alle aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen einzureichen, für viele Leser zu abstrakt. Stellen Sie doch außerdem konkrete Fragen, die ins Motivationsschreiben sollen, damit Sie selbst auch nur lesen müssen, was Sie wirklich wissen wollen oder was Sie am Ende des Tages auch bewerten. Sagen Sie, in jeder einzelnen Stellenanzeige, welche Zeugnisse Ihnen besonders wichtig sind.
Die Frage nach der Zielgruppe
Ganz am Anfang, noch bevor die Stellenanzeige geschrieben und die Karriereseite aufgehübscht werden, stehen zwei Fragen:
- Wen suche ich eigentlich?
- UND was suche ich?
Im Bild unserer Metapher entspricht dies der Suche nach einem Partner für eine Wanderung: Mit welcher Person kann ich mir vorstellen ohne große Schwierigkeiten ein paar Tage zu verbringen? Kommen wir persönlich miteinander aus? Haben wir die gleichen Interessen bei so einer Wanderung – nicht, dass die eine Person nur Klettern und die andere nur auf Hütten möchte.
Mit der zweiten Frage suche ich nach passenden Fähigkeiten für das Unternehmen (oder auch die Wanderung): Kann meine Partnerin gut mit schwierigen Klettersituationen umgehen? Wie reagiert sie bei plötzlichem Schneefall? Wie viel Kondition hat sie und reicht das für unsere Tour?
Damit man bei Bewerbern an der richtigen Stelle sucht, ist es essentiell zu wissen, was für Fähigkeiten jemand mitbringen sollte. Diese kleine Analyse sollten Sie nicht unterschätzen, denn es erspart Ihnen viele ungewollte Bewerbungen, wenn Sie wissen wen und was Sie suchen. Das können Sie dann sehr konkret in einer Stellenanzeige benennen und diese können Sie wiederum über Kanäle spielen, auf der sich die gesuchte Zielgruppe wirklich befindet.
Informationen auf der Karrierewebsite
Wo suchen Kandidaten nach Informationen zum Arbeitgeber? Richtig: Im Internet. Über den Aufbau und Inhalt von Karrierewebseiten werden ganze Bücher geschrieben. Ich möchte daher nur kurz das wichtigste erwähnen: Der Bewerber möchte Ihr Unternehmen kennenlernen!
Nutzen Sie diese Neugierde und stellen Sie sich bestmöglich als Arbeitgeber vor, ohne dabei zu täuschen.
Was suchen Bewerber also für Informationen auf der Karriereseite?
- Einmal natürlich, welche Jobs es gibt.
- Aber auch wie im zukünftigen Wunschunternehmen gearbeitet wird.
- Welche Benefits gibt es?
- Wie flexibel wird gearbeitet?
- Wo gibt es Mittagessen?
- Wie ist die gelebte Kultur?
- Welche Werte vertritt das Unternehmen wirklich?
- …
Am besten können diese Fragen Ihre Mitarbeiter beantworten! Lassen Sie ein paar Statements mit Bildern von echten Mitarbeitern auftauchen. Zeigen Sie eine echte Arbeitsumgebung, gerne auch per kleinem Video. Lassen Sie Ihre Kollegen sprechen. Das ist authentisch, ehrlich, sympathisch und überzeugt mehr als Floskeln, die man überall lesen kann.
Was gehört in eine Stellenanzeige?
Nun gibt es eine freie Stelle und Sie suchen jemanden für Ihr Unternehmen. Erinnern Sie sich an die Zielgruppe, die Sie bereits definiert haben! Schreiben Sie in die Anforderungen, wen und was Sie suchen. Seien Sie ruhig genau, aber bitte auch hier ehrlich und realistisch. Niemand ist eine eierlegende Wollmilchsau, 25 Jahre alt und besitzt 10 Jahre Berufserfahrung.
Beschreiben Sie auch die Aufgabe genau! Was macht man auf dieser Position täglich? Was ist der Verantwortungsbereich? Wie viel Teamarbeit oder Einzelarbeit ist zu erwarten? Wie viel Kundenkontakt hat die Stelle? Hier möchte ich noch einmal auf die Bergtour zu sprechen kommen. Jeder von uns kann ganz gut einschätzen, ob er besser eine Tour mit leichter Steigung von 3-5 Stunden bewältigen kann oder doch die 2-tägige Wanderung mit Klettersteig und Ausrüstung angehen möchte. Hier beginnt die eigentliche Selbstselektion. Wenn bei der Aufgabe bereits erkennbar ist, dass ich dafür nicht geeignet bin, dann werde ich mich nicht bewerben. Das ist gut für Sie, denn dann haben Sie weniger unpassende Bewerbungen zu sichten und unnötige Interviews zu führen. Das spart allen Beteiligten Zeit und Geld.
Damit die Anzeige nicht riesig lang wird und potenzielle Kandidaten nicht bereits beim ersten Blick abgeschreckt sind, verweisen Sie auf Ihre Karriereseite für weitere Informationen zu Kultur, Werten und Benefits. Nennen Sie einfach die wichtigsten Punkte und verlinken Sie auf die Karriereseite.
Bitte stellen Sie noch eines heraus, denn das wird leider sehr häufig vergessen: Was hat der Kandidat von dem neuen Job? – Was Sie haben ist ganz klar: eine hoch motivierte, gut ausgebildete neue Kollegin. Zumindest suchen Sie danach. Doch was leider meist in Vergessenheit gerät, ist der Mehrwert für die Bewerber. Eine freundliche Aufforderung zur Bewerbung, Kontaktdaten zu einem Ansprechpartner bei Fragen und am besten noch ein kleiner Hinweis, was alles in den Bewerbungsunterlagen erwartet wird und dann online mit der Anzeige.
Die Bewerbung in der Candidate Journey
Jetzt hat sich tatsächlich jemand dafür entschieden, sich bei Ihnen zu bewerben. Doch was soll alles gepackt werden für die Wanderung zum neuen Job-Gipfel?
Besonders steinig und holprig wird der Weg mit Bewerbungsformularen, die über mehrere Seiten gehen und die Kandidaten den Pfad zu Ihnen bereits verlassen, bevor Sie überhaupt losgelaufen sind. Für kleine Unternehmen ist die E-Mail das Bewerbungsmittel der Wahl, welches übrigens auch die Bewerber bevorzugen.
Auch hier ist Transparenz in der Candidate Journey gefragt: Was benötigen Sie wirklich an Unterlagen? Brauchen Sie ein Anschreiben? Und wenn ja, was möchten Sie denn gerne lesen? Stellen Sie doch bereits in der Stellenanzeige konkrete Fragen, die Sie im Anschreiben beantwortet haben wollen. Damit schlagen Sie mehrere Fliegen mit einer Klappe: Sie wissen, ob der Bewerber die Anzeige gelesen hat. Sie wissen, ob er sich mit dem Unternehmen beschäftigt hat und sie müssen keinen Lebenslauf in Prosa lesen. Damit bekommen Sie die Fragen beantwortet, die Sie wirklich brennend interessieren.
Das gilt übrigens auch für alle anderen Unterlagen. So mag das Zeugnis der 10. Klasse für das Recruiting von Azubis relevant sein. Vermutlich sehen Sie es sich bei einer Kandidatin mit 20 Jahren Berufserfahrung nicht einmal an, da es für die heutige Tätigkeit kaum aussagekräftig ist. Dann schreiben Sie doch gern, dass die letzten 2 Arbeitszeugnisse ausreichen. Schreiben Sie ruhig, dass Sie im Lebenslauf erwarten, dass auch die erlernten und angewendeten Programmiersprachen darin enthalten sein sollen und Hobbies gerne weggelassen werden können, wenn Sie diese sowieso nicht lesen oder bewerten.
Hier möchte ich eine kleine Empfehlung für die One-Klick-Bewerbung geben oder die Bewerbung über Whatsapp, die die erste Hürde der Kontaktaufnahme für Bewerber deutlich erleichtert. Die Bewerberin bekundet mit nur einem Klick und der Angabe der E-Mailadresse ihr Interesse an der Stelle und Sie können mit einer freundlichen Mail und den Hinweisen zum Bewerbungsprozess und den geforderten Unterlagen direkt einen positiven Eindruck hinterlassen. Sie schreiben zwar eine Mail mehr, erhalten dafür aber die Unterlagen und Antworten, die Sie wirklich brauchen, um eine Entscheidung treffen zu können (und können sich die Mail zur Nachforderung der Unterlagen sparen).
Damit haben Sie bereits den ersten Kontakt zu Ihrer neuen Kollegin aufgebaut und bleiben in guter Erinnerung. Das gilt natürlich für jegliche Kommunikation bis zur Einstellung oder Absage. Bleiben Sie in Kontakt während des gesamten Prozesses. Geben Sie Rückmeldung – aus Anstand und um empfohlen zu werden – als Arbeitgeber, zuverlässiger Kunde oder Dienstleister oder oder oder… Sie hinterlassen mit einer guten Candidate Journey einen guten Eindruck und machen Werbung für Ihr Unternehmen.
Das Interview als gegenseitige Bewerbung
Der letzte steile Anstieg mit dem Ziel vor Augen wird die ganze Tour zu dem Erlebnis machen, von dem man noch Jahre später seinen Freunden und Kollegen berichtet. Das gilt für positive und negative Erfahrungen bei Bergwanderungen und Bewerbungsgesprächen gleichermaßen.
Bereits die Einladung zum Interview erfreut die meisten Bewerber, doch die Aufregung steigt. Was will das Unternehmen von mir wissen? Hier können Sie ebenfalls ganz raffiniert im positiven Licht dastehen. Schreiben Sie doch ein paar Tage vor dem Bewerbungsgespräch ein paar Fragen an die Kandidatin, damit sie sich vorbereiten kann. Das nimmt die Aufregung, weil klar ist, dass man mindestens in diesen Fragen vorbereitet erscheinen kann. Sie wiederum können sich und der Kandidatin Zeit und unangenehme Stille sparen.
Wie sollte das Interview nun ablaufen? Ganz einfach: Es ist ein Gespräch zwischen Menschen auf Augenhöhe. Sie bewerben sich bei Ihrer potenziellen neuen Kollegin und sie bewirbt sich bei Ihnen. Der Gastgeber bietet ein Getränk an, man beginnt mit Smalltalk. Wie wäre es mit einem kleinen Gastgeschenk? Block und Kugelschreiber mit Firmenlogo liegen bereits vor dem Gespräch im Raum und dürfen selbstverständlich mitgenommen werden. (Wenn es in Ihrem Büro noch Papier gibt.) Dazu könnten Sie eine Tasse oder ein anderes kleines Präsent Ihrer Firma anbieten? Das bleibt mindestens so sehr in guter Erinnerung wie ein kurzes Feedback am Ende des Gesprächs und die Hinweise, wie der Prozess jetzt weiter geht. Eine kleine Führung durch das Büro und das Vorstellen des möglichen zukünftigen Teams runden das Gespräch ab und ermöglichen einen freundlichen Abschluss ohne jemandem das Gefühl zu geben, rausgeschmissen zu werden.
Inhaltlich sollten alle Gesprächsteilnehmer gut vorbereitet sein. Damit Sie mehrere Bewerber besser vergleichen können, sollten Sie einige Fragen bereithalten, die Sie allen Kandidaten stellen. Für manche Berufe eignen sich auch kleine Aufgaben, die die Kandidatin entweder zu Hause vorbereiten kann oder ganz spontan lösen soll. Wichtig ist vor allem, dass Sie sich vorher die Frage stellen: Was wollen Sie für Ihr Unternehmen haben und welche Fragen muss ich stellen, um herauszufinden, ob ein Kandidat das kann und weiß?
Das Angebot und Onboarding
Das Ziel ist erreicht, der Gipfel erklommen, ein Angebot zum neuen Job wurde ausgesprochen. Da die meisten Bewerber Kündigungsfristen haben, ist es recht selten, dass jemand am nächsten Tag startet. Jetzt zeigt sich, dass eine Bergtour auch wieder in die Basisstation führen muss. Hier kann die Kandidatin ganz unsanft über die Klippe in die Realität gestoßen werden und mit einer klaren Anweisung zum ersten Arbeitstag berufen werden. Es geht aber auch freundlicher. Wie wäre es mit einem Kollegen als Ansprechpartner, der bereits vor dem ersten Arbeitstag mit der neuen Kollegin in Kontakt tritt und dann die Einarbeitung ab dem Starttag weiterführt. Ein kleines Willkommenspaket, ein eingerichteter Arbeitsplatz, ein kleiner Plan für die ersten Wochen und natürlich das Mitnehmen zum Mittagessen sind nur Kleinigkeiten und erleichtern den Einstieg in ein Unternehmen enorm. Wenn Sie diese Informationen zwischen Angebot und erstem Arbeitstag in kleinen wöchentlichen oder monatlichen E-Mails oder Telefonaten zukommen lassen, dann fängt Ihr Traumkandidat tatsächlich bei Ihnen an.
Denn was ist schlimmer, als den perfekten Kandidaten im letzten Moment in die Hütte des Konkurrenten abbiegen zu sehen?
Hinweise:
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Gerne unterstützt Sie Madeleine Kern beim Entwurf einer Candidate Journey, die zu Ihrem Unternehmen passt. Bei Fragen zu den Themen Personalmarketing, Recruiting, Employer Branding oder andere Themen rund um die Personalgewinnung melden Sie sich einfach bei Ihr unter mk@personalmarketing-kern.de.
Diesen Beitrag finden Sie auch im kostenlosen Blogpaper Mitarbeitergewinnung – Sieben Perspektiven zu Mitarbeitergewinnung.
Hier finden Sie ein Gespräch mit Madeleine Kern im t2informatik Blog über Stellenanzeigen.
Und hier finden Sie „lustige“ Anti-Tipps für Anforderungsprofile als Download.
Madeleine Kern
Madeleine Kern unterstützt IT-Unternehmen bei der Personalgewinnung. Hierbei ist ihr am wichtigsten, die Stärken des Unternehmens für potenzielle Kandidaten sichtbar zu machen. Sie erarbeitet mit den Unternehmern und Mitarbeitern alle Schritte der Candidate Journey und hilft bei der Umsetzung in kleinen und großen Schritten.