Achtsamkeit als Erfolgsrezept für innovative Teams
Warum Achtsamkeit ein vielversprechender Ansatz für Teams ist, die nach innovativen Lösungen suchen
Für grundsätzlich skeptische Menschen sind Trends oft ein Auslöser, um Gegenargumente zu sammeln. So ging es mir zunächst auch mit dem Thema Achtsamkeit. Aber dann hat die tiefere Auseinandersetzung dafür gesorgt, dass sich mein Bild geändert hat: Achtsamkeit kann Teams tatsächlich erfolgreicher und innovativer machen. Dieser Artikel stellt die Argumente vor, die mich schließlich überzeugt haben.
Eine Lösung für viele Organisationen: Teamarbeit
Um nicht vom Wettbewerb abgehängt zu werden, müssen sich Organisationen flexibler anpassen. Innovationen müssen schneller konzipiert werden, die technologische Basis der Produkte muss modernen Anforderungen genügen. Dazu müssen komplexe Fragestellungen z.B. in der Produktentwicklung oder im Vertrieb vernetzt bearbeitet werden. Prozesse und Strukturen müssen eine schnellere und agilere Nutzung von Veränderungen im Umfeld ermöglichen. Kundinnen und Kunden müssen für ein permanentes Feedback eingebunden werden. Diese Liste lässt sich mühelos verlängern
Die Praxis setzt dabei zunehmend auf Gruppen, die sich durch Vielfalt auszeichnen. Immer seltener sind es klassische Fachabteilungen, sondern funktionsübergreifende Teams, die diese Arbeit leisten. Vielfältige Teammitglieder, flache Hierarchien, agile Methoden, kurze Zeitzyklen (z.B. Sprints), virtuelle und hybride Zusammenarbeit etc. sollen dabei zu mehr Leistung und höherer Innovationskraft führen.
Der Schlüssel zum Erfolg liegt im Umgang mit der Vielfalt der Teammitglieder
Zahlreiche Berichte aus der Praxis zeigen: Die meisten Teams schöpfen ihr Potenzial nicht aus! Ob es die Forderung nach mehr Geschlechtervielfalt in Führungsteams ist, die Hoffnung auf altersgemischte Teams, in denen alle voneinander lernen, oder dass abteilungsübergreifende Teams innovative Ergebnisse garantieren – so einfach, wie oft versprochen, ist es leider nicht.
Metastudien belegen: Unter dem Strich gibt es kaum einen positiven Zusammenhang zwischen erhöhter Vielfalt und Ergebnissen. Den Vorteilen von Vielfalt im Team, wie mehr Erfahrung, breitere Perspektiven oder größere Netzwerke nach innen und außen, stehen Nachteile wie Vorurteile oder Kommunikationsprobleme gegenüber. Daher stellt sich die Frage: Wie können die unbestrittenen Vorteile eines vielfältigen Teams besser genutzt werden?
Konflikte steuern
Eine größere Vielfalt im Team führt zu mehr gegensätzlichen Perspektiven und Positionen. Beziehen sich diese auf die Problemlösung bzw. auf die Art und Weise, wie das Ziel erreicht werden kann, spricht man auch von inhaltlichen Konflikten. Sachkonflikte können die Teammitglieder dazu anregen, weitere Argumente für Handlungsalternativen zu sammeln und neu zu kombinieren. Dies erhöht die Chance auf innovative Problemlösungen.
Das Dilemma besteht darin, dass Diversität von vornherein das Risiko von Beziehungskonflikten im Team erhöht. Diese beziehen sich auf die Wahrnehmung von zwischenmenschlichen Spannungen oder Reibungen, Abneigungen zwischen Teammitgliedern und Gefühlen wie Ärger, Frustration und Irritation. Die betroffenen Teammitglieder nehmen diese Konflikte oft sehr emotional wahr, so dass die Zusammenarbeit, das Gruppenklima und letztlich die Teamleistung darunter leiden.
In der Praxis setzen manche Führungskräfte stark auf eine einseitige Förderung von Sachkonflikten nach dem Motto “Möge sich die beste Idee durchsetzen”. Dies führt jedoch häufig zu einem sogenannten aggressiven Interaktionsstil, bei dem ich meinen Machtstatus einsetze, um meine Meinung durchzusetzen. Die Teamsituation wird dann eher als kompetitiv denn als kooperativ empfunden – und führt in der Folge zur Zurückhaltung der anderen und zu Frustration im Prozess.
Noch häufiger ist aus meiner Sicht ein passiv-vermeidender Interaktionsstil zu beobachten, bei dem Konflikte von vornherein vermieden werden, um das Teamklima nicht zu gefährden. Ideen werden schnell akzeptiert und einer sich abzeichnenden Mehrheit im Team wird ohne Diskussion nachgegeben. Ergänzende oder konträre Meinungen werden zurückgehalten, um das Ergebnis und die Stimmung in der Gruppe nicht zu gefährden.
Beide Strategien führen zu allenfalls suboptimalen Lösungen, da die Ressourcen der Teammitglieder nicht genutzt werden. Darüber hinaus führt die Tatsache, dass die Entscheidungen nicht von allen innerlich mitgetragen werden, zu deutlich weniger Engagement bei der Umsetzung.
Mit aktiv-offener Interaktion die richtige Balance finden
In Forschung und Praxis hat sich ein aktiv-offener Interaktionsstil als erfolgversprechend erwiesen. Die Teammitglieder diskutieren ihre fachlichen Informationen zur Problemlösung offen und auch hitzig, hinterfragen sich gegenseitig, entwickeln Alternativen und kombinieren Perspektiven. Die oben genannten Sachkonflikte werden so aktiv offengelegt. Gleichzeitig muss die Führungskraft dafür sorgen, dass alle angemessen einbezogen werden und eine wertschätzende Grundhaltung herrscht. Die Personen trauen sich, ihre Zweifel zu äußern, ohne Sanktionen durch andere oder die Teamleitung befürchten zu müssen. Dies reduziert die oben beschriebenen Beziehungskonflikte. Verschiedene Studien belegen, dass die so gefundenen Lösungen das Potenzial des Teams wesentlich besser ausschöpfen.¹
Wie Achtsamkeit zur Balance im Team beiträgt
Diese Balance herzustellen und immer wieder neu zu tarieren, kostet viel Energie. Deshalb ist es eine gute Nachricht, dass Achtsamkeit diese Balance maßgeblich unterstützt! Team-Achtsamkeit ist die “gemeinsame Überzeugung der Teammitglieder, dass Teaminteraktionen durch Bewusstheit und Aufmerksamkeit für das, was gerade geschieht, und durch eine erfahrungsorientierte, unvoreingenommene Verarbeitung von Erfahrungen innerhalb des Teams gekennzeichnet sind.”²
Diverse Teams profitieren auf vier verschiedenen Ebenen, wie verschiedene Studien zeigen:
- Team-Achtsamkeit stärkt die Akzeptanz der Unterschiedlichkeit von Menschen als wichtige Ressource. Dadurch entstehen von vornherein weniger Beziehungskonflikte.
- Team-Achtsamkeit trägt dazu bei, dass die Mitglieder aktiver diskutieren und sich weniger der Illusion hingeben, bereits einen Konsens erreicht zu haben.
- Die Eskalation von notwendigen Sachkonflikten in unerwünschte Beziehungskonflikte wird gemildert, da unvoreingenommener miteinander umgegangen wird.
- Zudem wird die virtuelle und hybride Zusammenarbeit durch Achtsamkeitstechniken verbessert.
Gerade die Tatsache, dass diese Effekte parallel auftreten, wirkt sich sehr positiv auf die Nutzung der vielfältigen Ressourcen im Team aus. Das hat mich wirklich überzeugt. Insofern ist es eine sehr empfehlenswerte Strategie für Führungskräfte in der Praxis, gerade in Teams, die sich durch eine hohe Diversität der Mitglieder auszeichnen, auf Achtsamkeit zu setzen!
Hinweise:
[1] In eine ähnliche Richtung geht auch die von Amy Edmondson beschriebene Team Psychological Safety
[2] Lingtao Yu und Mary E. Zellmer-Bruhn, Introducing Team Mindfulness and Considering its Safeguard Role Against Conflict Transformation and Social Undermining, 2017, S. 326
Wie Sie als Teamleader die beschriebene Balance erreichen können, beschreibt das Buch “Erfolgsformel Achtsamkeit. Gewusst führen, nachhaltig gewinnen“. 18 Autoren und Autorinnen aus der Wissenschaft und der Industrie beschreiben, wie Einzelpersonen, Mitarbeitende und Führungskräfte von Achtsamkeit profitieren können. Es erläutert auch, was Achtsamkeit im Kontext des neuen und hybriden Arbeitens bedeutet und wie bewusste Führung aussehen kann.
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Dr. Johannes Kirch
Dr. Johannes Kirch ist Professor für Personalmanagement und Unternehmensführung an der privaten bbw Hochschule in Berlin.
In 10 Jahren als Unternehmensberater für Personalarbeit bei Kienbaum und Manager in der Personalabteilung bei EY sowie 10 Jahren in Forschung und Lehre hat er sich auf die Untersuchung und Verbesserung der Kooperation spezialisiert. Dabei ging es ihm immer um die Frage: Wie kann die Zusammenarbeit sowohl innerhalb der eigenen Organisation als auch mit anderen Menschen außerhalb der Organisationsgrenzen so gefördert werden, dass innovative Ergebnisse erzielt werden? Er ist sich sicher: Ohne ein funktionierendes (Kern-)Team ist jede dieser Initiativen zum Scheitern verurteilt. Dafür spielt der achtsame Umgang mit den verfügbaren Ressourcen eine große Rolle.
Neben der Lehre und Forschung bildet Johannes moderne Personalprofis in der Wirtschaft aus. Darüber hinaus ist er als Teamcoach in verschiedenen organisationsübergreifenden Netzwerkprojekten an der Schnittstelle von Wissenschaft und Wirtschaft tätig und berät Unternehmen und Bildungsinstitutionen bei der Entwicklung von Trainings- und Lehrangeboten.
Erdung erfährt Johannes durch die Familie, Entspannung beim Eintauchen in den Wald.