Die 4-Tage-Woche bringt die 3-Tage-Freizeit
Was macht ihren Reiz aus?
Zwei Regeln stehen bei der 4-Tage-Woche fest. Sie verbinden alle Modelle:
- 3-Tage-Freizeit in einem Vollzeit-Job.
- Volles Gehalt wie vor Einführung der 4-Tage-Woche.
Die genaue Verteilung, an welchen Tagen und wie lange gearbeitet wird, wird von Betrieben unterschiedlich umgesetzt: 39, 38, 36, 35, 34, 32 und 30 Wochenstunden. Viele schließen freitags komplett zu. Andere Betriebe lassen intern wählen, ob montags oder freitags frei ist. Im Handwerk haben mehrere Betriebe ein Montags-frei-Team und ein Freitags-frei-Team. Diese wechseln sich monatlich ab, so hat man 26-mal im Jahr 4 Tage frei.
Andere halten es völlig flexibel, monatlich kann zwischen einer 4- und 5-Tage-Woche gewählt werden, wie es gerade besser passt.
Rocco Funke, der im Bautrocknungs-Handwerk in Nordthüringen tätig ist, hat das Motto: „Mentale Gesundheit vor Gewinnen.“ In seinem Betrieb werden 32 statt 40 Stunden bei vollem Lohn gearbeitet. Umsatz und Gewinn sind 2022 gestiegen.
Timo Gökeler von der GOEKELER Messtechnik südöstlich von Stuttgart sagt: „Wir machen das schon seit 2020, und es rockt. Wir haben es geschafft, Prozesse so zu verschlanken, dass wir dafür weniger Arbeitszeit benötigen.“ Die gewonnene Zeit bekommt sein Team: Vollzeit sind 34 Stunden Arbeitszeit an 4 Tagen bei vollem Lohn. Das Unternehmen spielt weltweit in der Top 3 seiner Branche mit.
Die Wahrnehmung und Realität der 4-Tage-Woche
„Aber im Handwerk und in der Produktion geht die 4-Tage-Woche nicht“, höre und lese ich häufig. Während das faktenfrei behauptet wird, machen es andere längst. Dabei erleben sie eine Reihe an positiven Effekten: Fluktuation und Krankenstand sinken, die Zahl der Bewerbungen, die Produktivität, der Umsatz und Gewinn steigen.
Mein Buch „4 TAGE WOCHE“ zeigt 151 Praxis-Beispiele in Deutschland, Österreich und der Schweiz, darunter sind 75 Handwerksbetriebe, 17-mal Hotellerie/Gastronomie, 13-mal Produktion und 46-mal Steuerberatung, Agenturen, Software, Pflege. Diese Praxis-Beispiele belegen einige interessante Erkenntnisse, die ich nachfolgend kurz beschreibe.
Erholung und Gesundheit
Mehr Erholung führt zu mehr Gesundheit. Im Leistungssport wissen wir, wie wichtig die Ruhephasen für den Muskelaufbau sind. Im Kontext der Arbeit findet dieses Wissen noch wenig Einsatz.
Die Kosten durch Krankheit und Ausfälle in Unternehmen fließen viel zu wenig in die Debatte um Arbeitszeiten ein. Alle Pilotprojekte zur 4-Tage-Woche weltweit zeigen eine extreme Steigerung gesunder Menschen im Unternehmen. Und das steigert Produktivität, Umsatz und Gewinn.
Beim Maschinenbaubetrieb Wenzel Group in Wiesthal hat sich der Krankenstand seit Einführung der 4-Tage-Woche halbiert. „Das ist phänomenal gut“, findet Personalleiter Daniel Eisler, dessen Erwartungen deutlich übertroffen wurden. „Den Leuten merkt man es an – sie sind viel entspannter!“, erzählt Betriebsratsvorsitzender Heiko Reinosch.
Die gesteigerte Erholung durch die längeren Wochenenden ist in der Firma ETH Elektrotechnik Hacker & Hammerschmid GmbH messbar: 2022 gab es unter den vierzehn Angestellten keinen einzigen Krankentag. Die Kollegen sind besser gelaunt als früher, und sie bringen sich mehr ein. Die gute Stimmung macht die Arbeit für alle angenehmer.
Der Krankenstand in der GOEKELER Messtechnik GmbH liegt bei 0,5 %. Aus Wien berichtet Thomas Meyer, Gründer des Wiener Büros für Interaktion: „Die Leute sind fitter und sie sind glücklicher. Das lässt sich sehen und auch in Zahlen messen. Wir haben de facto kaum Krankenstände.“
Besonders unter Köchen ist der Krankenstand seit Einführung der 4-Tage-Woche im 25hours Hotel in Köln stark gesunken, freut sich die General Managerin Grit Pauling. Beim Sanitärbetrieb Schmauser in Bayern gingen die Krankheitstage nach dem Start der 4-Tage-Woche gegen null, die Motivation dafür nach oben, berichtet die WirtschaftsWoche.²
Menschen und Recruiting
In allen Gesprächen zur 4-Tage-Woche hat mich der klare, ernst gemeinte Fokus auf den Menschen beeindruckt. Sie stehen im Mittelpunkt:
- „Wie kann ich dafür sorgen, dass die Angestellten zufrieden sind und im Betrieb bleiben?“
- „Mehr Lohn kann ich nicht zahlen, aber mehr Freizeit kann ich ihnen bieten.“
- „Wie baue ich den Stress und die Überlastung ab?“
- „Unsere Angestellten gehen auf dem Zahnfleisch, wir wollen dafür sorgen, dass sie gesund bleiben.“
Diese Haltung, Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, zieht an. Malermeisterin Jessica Hansen in Schleswig-Holstein sagt: „Fachkräftemangel ist bei uns gestrichen.“ Noch im April 2022 hatte sie nur vier Gesellen, aber Aufträge für mindestens doppelt so viele. Nur ein halbes Jahr später beschäftigt sie 20 Fachkräfte und hat eine lange Warteliste. Diverse Medien haben die guten Arbeitsbedingungen bei ihr aufgegriffen und verbreitet.
Auch das Team von Aflexio gewinnt mit ihrem Motto „3F: 3 freie Tage“ mehr Bewerbungen: „Nach zwei Monaten mit dem neuen Modell ist unsere Einstellungsquote besser als in den acht Jahren zuvor.“
Nachhaltigkeit und Geschlechter-Gerechtigkeit
Eine Baufirma in Österreich hat von März bis Dezember 2022 160.000 Euro gespart an Fahrt- und Energiekosten und 72 Tonnen CO2. Viele Handwerks- und Produktionsbetriebe sparen 20 Prozent des Energiebedarfs, wenn die Firma einen Tag länger geschlossen bleibt. Hinzu kommt die Anfahrt zum Arbeitsplatz: „Wir schützen die Umwelt, wenn meine Angestellten nur noch vier Tage die Woche mit dem Auto zum Arbeitsplatz fahren müssen“, betont Unternehmer Bernd Ritter.
Einen positiven Effekt kann die 4-Tage-Woche auch auf den Gender Pay Gap haben. Wird die Arbeitszeit auf 30, 32 oder 34 Stunden reduziert – wie es viele 4-Tage-Woche-Betriebe tun – bei vollem Lohn (!), dann kämen mehr Frauen aus der „Teilzeitfalle“ heraus. Teilzeit-Stellen, Teilzeit-Löhne und Teilzeit-Renten werden abgeschafft. Frauen und Männer arbeiten dann gleichberechtigt mit Vollzeit-Bezahlung in Vollzeitstellen mit weniger Wochenstunden als bisher. Männer und Frauen können so die Care-Arbeit mit Senioren und Kindern gerecht verteilen. Wer will, kann selbstverständlich mehr arbeiten und mit seinem Arbeitgeber über das neue „Vollzeit-Plus“ verhandeln.
Alle faul oder voller Tatkraft?
„12 bis 14 Stunden in der Hotellerie und Gastronomie durchzuackern, wie ich es früher auch getan habe, ist heute nicht mehr salonfähig. Das ändert sich zum Glück. Endlich machen jüngere Menschen das nicht mehr mit und trauen sich, Nein zu sagen. Qualität setzt sich durch. Und die 4-Tage-Woche ist ein Puzzleteil“, erzählt Grit Pauling, General Managerin im 25hours Hotel in Köln. Anstatt sich über faule Angestellte zu beschweren, sagt sie: „Je jünger, desto fauler? Nein! Sie sind anders gebildet und anders smart, ich kann von ihnen über Investmentfonds lernen. Es ist wichtig, Menschen so zu nehmen, wie sie sind und zuzuhören. Was bringt es, sich zu beschweren?“
1, 2, 3 machen. Nadja Amireh, Gründerin der Wake up Communications in Düsseldorf, zeigt ihre Tatkraft. „Ich bin bei sowas schnell entschlossen.“ Zuerst checkte sie die Idee der 4-Tage-Woche, ob arbeitsrechtlich ein Problem bestehen könnte. Dann präsentierte sie das Projekt dem 14-köpfigen Team. Auf einen ersten Schreck im Team folgte Zustimmung: „Anfangs waren die Kollegen etwas geschockt. Das kam wohl daher, weil sie damit nicht gerechnet hatten. Nach 1-2 Tagen war die Freude dann aber sehr groß.“
Seit 1986 hat Rosi Titzmann jeden Samstag Haare geschnitten. Damit ist jetzt Schluss. Ihre unternehmerische Entscheidung: Geöffnet wird Dienstag bis Freitag. „Es kann mir keiner erzählen, dass die Leute glücklich darüber sind, samstags am freien Tag im Friseursalon zu sitzen.“ Im Team kamen zuerst Bedenken. „Was machen dann unsere Kunden?“ Sie wichen der Freude: „Samstags kann ich meine Eltern besuchen.“ Seit Juni 2022 ist der Plan umgesetzt, alle arbeiten drei Stunden weniger pro Woche und sind begeistert: „Was für ein Lebensgefühl. Was für eine Befreiung.“ Auch für die Kunden: „Mega gute Idee, ich muss nicht mehr am Samstag zu euch kommen.“
Die Liebe zum Job
Es ist wie immer, wenn mit Traditionen gebrochen wird. Wer sich zu sehr an den Status quo gewöhnt hat, kann sich kaum vorstellen, dass es auch anders geht. „Das haben wir noch nie gemacht!“ In Debatten zur 4-Tage-Woche kommen häufig als Fragen getarnte Vorwürfe: „Wenn die Arbeit sinnvoll ist, wenn sie mich erfüllt, warum soll ich sie dann nur vier Tage machen?“
Ein scheinbar schlagendes Argument, das unterstellt, dass jeder, der für weniger Arbeitszeit plädiert, seine Arbeit nicht mag. Bedeutet die 4-Tage-Woche tatsächlich, dass ich meinen Beruf ungerne ausübe? Lässt der Wunsch nach einer 3-Tage-Freizeit auf geringe Arbeitsmotivation schließen?
Der Liebe-zum-Job-Logik folgend könnte man auch fragen: Wenn ich neben meiner Arbeit auch meine Familie liebe, warum bekommt Arbeit fünf Tage und die Familie nur zwei Tage? Liebe ich meine Familie so viel weniger? Wenn ich Familie und Arbeit beide liebe, wäre nicht eine gerechte Teilung der Zeit für Job und Familie korrekt? Oder als Kompromiss 4:3 statt 5:2? Selbst bei vier Tagen Arbeit und drei Tagen Zeit mit der Familie läge der Schwerpunkt immer noch bei der Arbeit. Wenn ich neben meiner Arbeit auch mein Ehrenamt, meine Hobbys und meinen Sport liebe, warum bekommen diese Tätigkeiten bisher weniger produktive Zeiten, häufig abends nach der Arbeit?
„Einer meiner Antriebe zur 4-Tage-Woche ist die Liebe zu meinem Beruf“, erzählt die Unternehmensberaterin Jana Koske: „Ich wünsche mir, mit derselben Energie wie heute auch noch in 10 und in 20 Jahren arbeiten zu können. Ich möchte meine Kraft im geliebten Job noch lange aufrechterhalten. Ich liebe meine Arbeit, ich arbeite richtig gerne. Auch meinen Sport liebe ich, und dennoch mache ich nicht täglich Sport. Ich liebe meine Arbeit so sehr, dass ich bis zur Rente volle Leistung bringen will. Um das aktuelle Leistungsniveau zu halten, brauche ich wie im Sport Ruhephasen.“
Zusammenfassung
Das Thema der 4-Tage-Woche hat mich schon länger fasziniert. Doch wie grundlegend sie das Leben, unsere Gesundheit, die Arbeit und das Wirtschaften beeinflussen kann, ist mir erst beim Schreiben und im Austausch mit den 151 Unternehmen klar geworden, die 4-Tage-Woche-Vorreiter sind. Möglicherweise ist es auch ein gutes Modell für Ihr Unternehmen.
Hinweise:
[1] Der Standard: https://www.derstandard.de/story/2000142561297/das-jahr-der-viertagewoche
[2] WirtschaftsWoche: Deswegen ist die Viertagewoche bei uns Standard
Das Buch 4 Tage Woche ist überall im lokalen Buchhandel und online bestellbar.
Dies ist ein Best of Blog 2023 Beitrag. Hier können sie die besten Beiträge aus 2023 herunterladen.
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Martin Gaedt hat im t2informatik Blog zwei weitere Beiträge veröffentlicht:
Martin Gaedt
Martin Gaedt ist Autor der Bücher „4 Tage Woche“ (2023) „Rock Your Work“ (2022), „Rock Your Idea“ (2016), „Mythos Fachkräftemangel“ (2014). Seit 2014 hat er in rund 650 Keynotes und Workshops mehr als 100.000 Menschen provotaint. Seit 1999 ist er Unternehmer, gründet selbst und war 61-mal Arbeitgeber.