Kündigungen als Spiegel der Unternehmenskultur

Gastbeitrag von | 07.08.2025

Was haben der 31. März, der 30. Juni, der 30. September und der 31. Dezember gemeinsam? An diesen Tagen fallen Monats- und Quartalsende zusammen. Und viele Unternehmen und ihre HR-Bereiche fürchten diese Tage. Denn gerade an solchen Stichtagen werden Kündigungen wirksam und Mitarbeitende nutzen die Gelegenheit, fristgerecht neue Wege einzuschlagen. Besonders Unternehmen, die wenig über die tatsächlichen Bedürfnisse ihrer Belegschaft wissen, stehen dann vor gleich drei Problemen: Sie wissen nicht wirklich, warum es zur Kündigung kam. Sie können nichts daraus lernen. Und sie müssen plötzlich irgendwie mit der zusätzlichen Arbeitslast umgehen.

Organisatorische Herausforderungen und die bloße Hoffnung auf Besserung

Gerade in Zeiten der immer schnelleren Transformation, in der auch jene Unternehmen merken, dass sie sich bewegen müssen, die (zu) lange gezögert haben, geht es jetzt zur Sache. Es laufen mehrere Transformationsprozesse parallel:

  • Digitalisierung,
  • generelle Überprüfung von Prozessen,
  • Integration von künstlicher Intelligenz in den Arbeitsalltag und die
  • Übertragung von mehr Verantwortung an Mitarbeitende.

Ach ja, Führungskräften muss natürlich noch vermittelt werden, dass sie ihre Teams schnell „empowern“, denn jede Idee könnte kostbar sein.

Selbst wenn Unternehmen jährliche Mitarbeiterbefragungen durchführen, sollten sie sich nicht in Sicherheit wiegen, denn diese Befragungen sind nur eine Momentaufnahme, ein Feedback-Fenster von wenigen Tagen. Was ist aber mit den anderen 51 Wochen? Was bleibt unausgesprochen? Was passiert mit den Befragungsergebnissen? Werden sie systematisch analysiert und werden passende Formate initiiert, um aus einer Stimmung eine echte Veränderung zu bewirken? Oder leitet man sie an die Führungskräfte mit dem Vermerk „schau mal, diese Herausforderungen hast du in deinem Team“ weiter und hofft, dass es beim nächsten Mal besser wird?

Das Beispiel einer Kündigung

Ich möchte Ihnen ein brandaktuelles Beispiel an die Hand geben, das mich wirklich zornig macht: Ein loyaler Facharbeiter – nennen wir ihn Peter – aus einer Blechschlosserei mit vollen Auftragsbüchern kündigt nach vielen Jahren. Die Entscheidung fällt ihm nicht leicht. In der Nacht zuvor schläft er kaum, hat Magendrücken. Denn eigentlich identifiziert er sich mit seinem Job. Er geht die Extrameile. Er macht Überstunden, wenn es sein muss. Er gibt alles für die Kunden und sein Team.

Zuerst informiert er den Betriebsleiter. Der zeigt sich überrascht. Peter bietet an, bis zum letzten Tag voll mitzuarbeiten – ein ungewöhnliches Angebot. Denn die meisten Mitarbeitenden möchten am Ende ihrer Zeit den Resturlaub nehmen, um sich auszuruhen, bevor sie im neuen Job durchstarten.

Warum kündigt Peter? Wegen seines Chefs. [1] Monatelang hat er ihn systematisch übergangen, seine Leistung kleingeredet, seine Meinung ignoriert. Und als die Kündigung kommt? Kein Gespräch, kein Innehalten. Stattdessen schaltet der Chef sofort die Personalabteilung ein – nicht, um den Abschied wertschätzend zu begleiten, sondern als Schutzschild. Am nächsten Tag erfährt Peter, dass er ab sofort Urlaub nehmen soll. Ohne dass er ihn beantragt hat.

Statt eines klärenden Gesprächs teilt HR ihm mit, dass ihm ein Aufhebungsvertrag zur sofortigen Unterschrift vorgelegt wird. Angeblich mit Zustimmung seines Vorgesetzten. Nur: Der spricht kein Wort mehr mit ihm. Kein Gespräch. Kein Dank. Kein Plan.

Peter fühlt sich übergangen, geht an seinen Platz, packt still seine Sachen, duscht, stempelt aus und fährt nach Hause. Am nächsten Tag meldet er sich krank. Ein Abschied vom Team? Unmöglich. Und das nach all den Jahren und den erfolgreichen Projekten, die sie gemeinsam „gerockt“ haben.

So geht jemand, der eigentlich bleiben will, wenn man sich um ihn kümmern würde. Ohne Abschied, ohne Dank, ohne Würde. Eiskalt ins Abseits befördert.

Die Retrospektive im Team

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für eine Team-Retrospektive. Nicht als Wunschkonzert, sondern als Aufarbeitung:

  • Was lief schief?
  • Wo gab es Spannungen?
  • Was müssen wir lernen, um weitere Kündigungen zu verhindern?

Eine klug moderierte Retrospektive schafft in etwa 90 Minuten Klarheit, regt Veränderung an und zeigt dem verbleibenden Team, dass wir hinschauen und sie ernst nehmen.

Dieser innovativ gestaltete Trennungsprozess kann aktiv im Recruiting eingebunden werden. Warum ist das wichtig? Weil insbesondere junge Menschen planen, alle zwei bis drei Jahre den Arbeitgeber zu wechseln, um sich weiterzuentwickeln. Für sie ist es wichtig zu wissen, dass der künftige Arbeitgeber konstruktiv damit umgehen wird. Doch viele Unternehmen handeln genau gegenteilig! Sie sichern sich juristisch ab, gehen klärenden Gesprächen aus dem Weg und verpassen so die Chance, die Unternehmenskultur weiterzuentwickeln.

Die Gefahr von Vertrauensverlust und Dominoeffekten im Team

Peter bricht für immer mit seinem Arbeitgeber. Und auch das verbleibende Team zieht sich innerlich zurück und hadert mit dem vermeidbaren Verlust. Vom teuren Image-Schaden nicht zu sprechen.

Zwei Kollegen sitzen fassungslos in der Kantine. Einer fragt den anderen: „Hat dir jemand Bescheid gesagt, dass Peter heute seinen letzten Tag hat?“„Nee. Er hat sich nur noch schnell verabschiedet. Sah ziemlich fertig aus.“

Was bleibt, ist Irritation. Der Vertrauensverlust zieht leise seine Kreise. Die Gespräche werden oberflächlicher. Der Betriebsleiter spricht die Kündigung mit keiner Silbe an, sondern verteilt lediglich Peters Arbeit auf das restliche Team. Der Krankenstand steigt. Der nächste Kollege erkundigt sich bereits bei Peter, wie es beim neuen Arbeitgeber ist. Die suchen tatsächlich noch Fachpersonal mit genau seinen Qualifikationen! Er vereinbart ein Bewerbungsgespräch und wird in zwei Monaten dort anfangen. Ein Dominoeffekt, wie er auch in zahlreichen Studien beschrieben wird. [2]

Der konstruktive Umgang mit Kündigungen

Die Trennung von Arbeitnehmern bzw. der Wechsel von Arbeitgebern ist im Laufe eines Berufslebens eher die Regel als die Ausnahme. Folglich ist Offboarding – der strukturierte Prozess der Trennung von Mitarbeitern, die für eine Organisation tätig waren – eher Normalität als Sonderfall.

Offboarding kann ein strategischer Lernmoment sein. Ein Raum für Reflexion. Ein Ort für Feedback, das man sonst nie bekommen hätte. Ein Anlass, um sich zu bedanken und das Dankeschön nachhallen zu lassen. Und für eine neue Klarheit im Team:

  • Wie wollen wir miteinander arbeiten?
  • Was muss sich ändern, damit nicht der Nächste geht?

Das wäre nicht nur klüger, sondern auch menschlicher.

Was sollten Führungskräfte, HR-Bereiche, Unternehmensführungen und Teams also tun?

Führungskräfte sollten lernen, dass es Teil ihrer Aufgabe ist, mit Kündigungen und den damit verbundenen Trennungen professionell und konstruktiv umzugehen, statt dieses Thema zu ignorieren und das Trennungsmanagement der Personalabteilung zu überlassen.

Und die Personalabteilung muss endlich mehr sein als nur Verwaltung. Sie sollte Brückenbauer zwischen Menschen werden und eine Kündigung als Chance für die Kultur- und Unternehmensentwicklung etablieren. Das ist ihre strategische Aufgabe.

Unternehmensführungen sind eingeladen, sich tiefer mit den strategischen Auswirkungen eines angeknacksten Unternehmensimages zu beschäftigen. Werden die Chancen beim Offboarding verpasst, leidet das Image, und leidet das Image, wird auch das künftige Onboarding schwieriger.

Und auch das verbleibende Team muss einbezogen werden: in die Aufarbeitung, in die Verabschiedung und vor allem in die Zukunftsgestaltung. Denn sie wissen, was vor Ort – in der Werkstatt, im Büro oder auf dem Shopfloor – tatsächlich los ist. Sie wissen, was nötig ist, um die Rahmenbedingungen zu verbessern, damit alle Lust haben, sich produktiv einzubringen, statt zu kündigen. Sie nicht zu befragen, halte ich zunehmend für fahrlässig.

Der konstruktive Umgang mit Kündigungen

 Abbildung: Der konstruktive Umgang mit Kündigungen

Vielleicht hätte Peter dann gesagt: „Es war keine leichte Entscheidung. Aber ich gehe mit einem guten Gefühl. Und wer weiß: Vielleicht komme ich ja eines Tages zurück.“

Denn auch das ist Offboarding: die Frage, ob eine Rückkehr denkbar ist. Ob der Abschied fair und offen war, sodass die Tür nicht für immer zufällt.
Offboarding ist ein Kulturtest. Wenn Unternehmen ihn bestehen, gewinnen sie nicht nur Respekt, sondern vielleicht auch ehemalige Mitarbeiter zurück.

 

Hinweise:

[1] Laut einer Umfrage von Compensation Partner & Gehalt.de 2019, kündigen 45 % der Mitarbeiter wegen ihres Chefs. Siehe: Capital: Kündigung: Warum Beschäftigte ihren Job aufgeben. Eine andere Studie von Appinio/XING aus dem Jahr 2023 nennt den Chef als Kündigungsgrund in 43 % der Fälle. Siehe t3n: Kündigung: Mitarbeiter verlassen keine Unternehmen, sondern ihre Chefs.

[2] Süddeutsche Zeitung: Gibt es einen Dominoeffekt bei Kündigungen?

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Arbeitszeugnisse erstellen in agilen Organisationen

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Natalia Hoffmann-Demsing hat zwei weitere Beiträge im t2informatik Blog veröffentlicht:

t2informatik Blog: Der Abschied als Führungsaufgabe

Der Abschied als Führungsaufgabe

t2informatik Blog: Wie funktioniert wertschöpfendes Offboarding

Wie funktioniert wertschöpfendes Offboarding

Natalia Hoffmann-Demsing
Natalia Hoffmann-Demsing

Natalia Hoffmann-Demsing ist HR-Mentorin, selbständige Business Coach und liebt Menschen. Ihre Mission ist es, die Mitarbeiterzufriedenheit in Unternehmen zu steigern und die Fluktuation zu reduzieren. Strukturiert, Schritt für Schritt. Sie geht dabei in die Tiefe, arbeitet die pain-points heraus und unterstützt Unternehmen dabei ihren ganz individuellen Weg zu einer begeisterten Belegschaft zu gehen.

Sie arbeitet seit vielen Jahren mit Unternehmen unterschiedlichster Branchen, wie Industrie, Telekommunikation und das Finanzwesen. Sie ist ausgebildeter systemischer Business-Coach, lizensierte MBTI-Trainerin, Trainerin (IHK), Agile Coach und Fachbuchautorin (Haufe und ManagerSeminare).

Sie versteht sich als Bindeglied zwischen der traditionellen und der agilen Arbeitswelt und bewegt sich spielerisch zwischen den Welten. Im Zentrum ihres Wirkens steht stets der Mensch und die Schaffung von Rahmenbedingungen, in denen Menschen ihre Stärken wirksam einbringen und intrinsisch motiviert arbeiten können.

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