Veränderungswiderstand im Team
„Wir wollen so bleiben, wie wir sind!“
Nach wie vor wird viel geschrieben und diskutiert über den berühmten „Veränderungswiderstand“ in den unzähligen Transformationen und Change Maßnahmen. Im Fokus dabei ist fast ausschließlich der Mensch als Individuum. Was aber, wenn ein ganzes Team sich sperrt? Sogar mit Vorankündigung jede Anregung sich zu verändern abprallen lässt? Gibt es doch gar nicht? Eben doch, und dazu möchte ich einen Erfahrungsbericht aus meiner Beraterinnenpraxis teilen. Das kann selbstverständlich keine vollständige Beschreibung sein und ich bin mir bewusst, dass ich als Beraterin involviert und hier aus der Position der Beobachterin, die von mir selektierten Aspekte, formuliere.
Der Auftrag: Das Team “stören”.
Das 9-köpfige Team aus Abteilungsleitenden arbeitet schon viele Jahre zusammen. Sie alle haben einen naturwissenschaftlichen Hintergrund und verantworten Arbeitsbereiche, in denen es auf Genauigkeit und Fehlerfreiheit ankommt. Rein fachlich haben die verschiedenen Abteilungen wenig Berührungspunkte, das Unternehmen ist formal arbeitsteilig organisiert. Der Bereichsleiter möchte, dass dieses Führungsteam zu einem visionären, verschworenen und flexiblen Team zusammenwächst. Gleichzeitig wird Agilität gefordert, das gilt für alle Abteilungen im Unternehmen und so finden seit geraumer Zeit Scrum-Schulungen und Agile-Leadership Fortbildungen statt. Die Unternehmensführung betont in dem Zusammenhang immer wieder die Bedeutung der Haltung hinter Agilität.
Vor einigen Monaten hat mich der Bereichsleiter eben jenes Führungsteams darum gebeten, ihn und die Führungskräfte über einen längeren Zeitraum auf ihrem Weg zu begleiten. Der klare Auftrag an mich: Stören. Das bedeutet, das Team zur Reflexion anregen, meine Beobachtungen spiegeln und Impulse zur Veränderung setzen. In einem Kennenlern-Workshop habe ich mir den „Stör-Auftrag“ vom Team quittieren lassen. Schließlich besteht oft eine Diskrepanz zwischen dem offiziellen Auftrag und dem, was das Team wirklich sucht und will.
Wir beginnen miteinander zu arbeiten und ich erlebe eine Gruppe von Menschen, die höflich, nett und humorvoll miteinander umgehen. Ihre Kommunikation ist aber vor allen Dingen eines: sachorientiert. In der ersten gemeinsamen 2-Tages-Klausur fallen mir ein paar Dinge auf. Die Verwirrung ist groß, als es meinerseits nur eine grobe Agenda gibt, denn damit ist unklar, was genau von den Teilnehmenden „abzuarbeiten“ sei. Die Verwunderung wird über die zwei Tage immer wieder formuliert. Immerhin beginnen wir mit der Formulierung der Erwartungen. Auffällig ist, dass Jeder aus der Runde „Offenheit“ als zentralen Aspekt für die Veranstaltung benennt. Auch auffällig ist, wie oft Formulierungen wie „wir sollten hier mal Entscheidungen treffen und auch beibehalten, aber das schaffen wir ja nie“ oder „auch mal was umsetzen, aber das klappt ja nicht“ gewählt werden.
Im weiteren Verlauf beziehen sich die Beiträge Einzelner selten aufeinander und es werden wenig Fragen gestellt. Verstehen wollen, wie die anderen denken, scheint kein großes Gewicht in diesem Team zu haben. Auch die eingeforderte Offenheit ist wenig erkennbar. So werden Angebote, sich als Team oder das Thema Führung zu reflektieren, eher hingenommen als genutzt. Mein Spiegeln der Kommunikationsmuster im Team führt zu kollektivem Schweigen und nachgelagertem Beschweren beim Bereichsleiter. Die am Ende der Klausur getroffenen Entscheidungen werden gleich im Anschluss beim Bereichsleiter in Einzelgesprächen wieder infrage gestellt.
Als das Thema Agilität dran ist, entsteht ein zentraler Moment. Inhaltlich geht es um die Ergebnisse einer internen Studie zu den gelebten agilen Werten, die in Interviews mit Mitarbeitenden abgefragt wurden. Das Team fragt mich, was ich von den Ergebnissen halte. Ich bringe meine Überraschung zum Ausdruck, denn ohne einen Hinweis hätte ich nicht vermutet, dass hier agil gearbeitet wird. Das begründe ich selbstverständlich und zwar damit, dass Agilität in der Kommunikation des Teams (in dem Auszug, den ich erlebe) nicht stattfindet. Rumms, das hat scheinbar gesessen. Das Schweigen in der Runde dauert eine Weile und dann werde ich aufgeklärt. Man nutze schließlich ein Kanban-Board und nach einer entsprechenden Schulung hat eine Abteilungsleiterin sofort in ihren Teams Konsent als Entscheidungsmethodik eingeführt. Im Nachgang hat das Führungsteam auch hierzu ein Gespräch mit dem Bereichsleiter. „Die Frau Borgert kommt aus der IT, die hat natürlich ganz andere Anforderungen was Agilität betrifft. Das passt nicht zu uns“. Es gibt noch viele weitere Situationen, in denen selbst kleine Ideen zur Veränderung der etablierten Routinen gleich abgelehnt oder umgedeutet werden. Mein Wunsch, „Störungen“ doch gleich direkt an mich zu adressieren, verhallt.
Ein Erklärungsversuch der gruppendynamischen Phänomene
Und so versuche ich, wie immer, mir einen Reim auf meine Beobachtungen zu machen. Erklärungsansätze aus den unterschiedlichen Disziplinen gibt es viele. Hier und jetzt möchte ich den Blick auf gruppendynamische Phänomene lenken. Dazu bemühe ich das wohlbekannte Riemann-Thomann-Modell¹, welches der Psychologe und Autor Eberhard Stahl² auf die Analyse von Gruppen erweitert hat. Drei grundlegende Fragestellungen treiben mich um und sollen so Ansatzpunkte liefern, die ich hier kurz anreiße.
1. Ist das Führungsteam ein Team?
Die Antwort ist eindeutig: Nein. Das Führungsteam verhält sich wie eine lose Truppe. Die Sachorientierung steht klar im Vordergrund und die Kommunikation ist höflich distanziert. Rein fachlich gibt es keine Notwendigkeit (aus Sicht der einzelnen Führungskräfte) enger zusammenzuarbeiten. Auch wenn der Bereichsleiter für diese Gruppe einen „hierarchiefreien Raum“ verbal anbietet, ist die formale Rangordnung jederzeit präsent und bindend. „Wenn unser Chef das sagt, …“
Beständigkeit ist eine wichtige Basis für diese Gruppe von Führungskräften und auffällig oft werden in Diskussionen Sprachbilder aus dem Militär bemüht.
Gruppenfeldtypen im Riemann-Thomann-Modell
Es ist nur logisch, dass das Führungsteam (ich verwende den Begriff Team hier der Einfachheit weiter) wenig begeistert auf meine Einladungen zur Selbstreflexion und mein Spiegeln reagiert, denn ich komme ihnen damit zu nahe. Auch müssten sie in ihrem Miteinander ein wenig Distanz aufgeben und dafür bräuchte es einen für sie relevanten Anlass. Versucht man Truppen in Richtung Nähe / Wandel zu verändern, entsteht schnell ein harter Kampf. Ohne triftigen Grund für die Gruppe selbst geht das kaum. Damit lässt sich auch schon vermuten, wie es um die Forderung „arbeitet jetzt agil“ bestellt ist. Wie immer auch Agilität im konkreten Kontext eines Unternehmens definiert ist, es braucht ein entsprechendes Maß an Nähe und Wandel. Agilität geht nur im Team, schon weil das Aushandeln und Verabreden der Zusammenarbeit verbindlich sein muss und das Maß an Freiheit, das eine Truppe bietet, einschränkt.
2. Soziale Identität und Gruppenselbstbild
Als Mensch sind wir mit der Entwicklung unserer Identität nicht an einem bestimmten Punkt fertig. Identität ist ein lebenslanger Prozess, der viel mit unserer Zugehörigkeit zu Gruppen zu tun hat. Ich bin Autorin, Rednerin, Kind des Ruhrgebietes, BVB-Fan, sportbegeistert und vieles mehr. In diesem Auszug meiner Selbstbeschreibung finden sich Gruppenzugehörigkeiten. Abhängig vom aktuellen Kontext wechseln die Prioritäten, aber immer sind Gruppen ein ganz wesentlicher Teil unserer Identität. Genau wie wir als Individuen ein positives Selbstbild bevorzugen, versuchen Gruppen positive Distinktheit herzustellen. Dazu grenzt eine Gruppe sich selbst (ingroup) von anderen Gruppierungen (outgroup) ab. Das geht leicht und schnell, eine arbeitsteilige formale Organisationsstruktur beispielsweise sorgt automatisch für ein „die“ und „wir“. Vertrieb versus Service oder IT versus Fachbereiche oder Controlling versus Entwicklung oder, oder, oder.
Die Abgrenzung sorgt für ein positives Selbstbild der eigenen Gruppe, denn die bestätigt sich selbst, dass sie innovativer, schlauer, schneller oder irgendwie besser als die outgroup ist. Was aber geschieht, wenn das Selbstbild in Wanken gerät? Stelle ich nun infrage, dass der Bereich agil arbeitet, so braucht es eine Strategie, um die positive Distinktheit zu wahren. Davon gibt es diverse, in diesem Fall wählt das Team eine andere Dimensionssicht; „Frau Borgert kennt uns gar nicht und hat andere Vorstellungen von Agilität“. So verhindern sie weitere Auseinandersetzung mit sich selbst und für das Führungsteam ist das Thema abgehakt.
3. Umgang mit Veränderungsdruck
Bisher hat das Führungsteam (und seine Abteilungen) als Truppe gut funktioniert und die Passung zur Aufgabenstellung war gegeben (keine Notwendigkeit von intensiver Kooperation). Nun aber gibt es ordentlich Druck auf den Bereich. Vom Marktdruck abgesehen, hat das Unternehmen besagte Agilitäts-Strategie ausgelobt. Die Gruppe soll sich verändern. Und damit noch einmal zurück zum Riemann-Thomann-Modell. Das Führungsteam müsste sein Gruppenfeld (Distanz/Beständigkeit) verändern, um der neuen Aufgabenstellung gerecht zu werden. Nach Stahl hat es drei Möglichkeiten auf den Veränderungsdruck zu reagieren:
Verleugnung ist eine mögliche Reaktion. Die Forderung nach Agilität wird einfach ignoriert. Ist Agilität, wie in vielen anderen Unternehmen auch, nur eine Mode, wird Verleugnung erfolgreich sein. Mit Abwarten und Teetrinken ist dieses Team schon vielen anderen Anforderungen begegnet.
Akkommodation ist die zeitintensive und aufwendige Neuaushandlung des eigenen Gruppenvertrages. Das Gruppenfeld wird verschoben oder erweitert, wozu es Auseinandersetzung, Reflexion und verbindliche Verabredungen braucht.
Meiner Beobachtung nach, hat das Führungsteam Variante 3 gewählt: Assimilation. Agilität wird so umgedeutet oder auch fragmentiert, dass es ohne Veränderung der Routinen und Verabredungen „umgesetzt“ werden kann. In diesem Fall werden einfach einige, als hilfreich empfundene, Methoden ausgewählt und das war es. Kundenzentrierung, kontinuierliche Verbesserung oder auch Autonomie der Arbeitsteams werden weiterhin ausgeblendet. Das führt Agilität ad absurdum, für das Führungsteam ermöglicht es ein „wir wollen so bleiben, wie wir sind“.
Assimilation ist ein weitverbreitetes Phänomen und zwar das einer Gruppe. Es ist die „Verabredung“ innerhalb der Gruppe, die dafür sorgt, nicht etwa der Einfluss eines einzelnen Menschen.
Und das Happy End?
Das steht noch aus. Aus meiner Perspektive gibt es kein Rezept, keine fertige Lösung für diese Aufgabenstellung. Trotzdem gibt es Ideen und Möglichkeiten. Das Führungsteam erweitert sich nun um neue Kollegen, was eine Möglichkeit bietet, den Gruppenvertrag neu zu verhandeln. Dabei wird die entsprechende Storming-Phase wichtig sein, damit Konflikte nicht allein auf die Sachebene verschoben werden. Das Team könnte so lernen, mehr Nähe herzustellen und Gemeinschaft auch mal über individuelle Freiheit zu heben. Gleichzeitig braucht es die Suche nach Relevanz. Das gilt sowohl für Agilität, wie auch für die Veränderungen am Markt und deren Einfluss auf den Bereich in der Zukunft. Was hat für das Team wirklich so große Relevanz, dass es bereit ist sein Gruppenfeld zu verändern? Das ist eine der wesentlichen Fragen, an der wir nun arbeiten.
Dieser Erfahrungsbericht lässt Sie, liebe Leserinnen und Leser, ohne Endergebnis zurück. Dafür aber, so hoffe ich, mit Anregungen für einen Blick auf Gruppenverhalten.
Hinweise:
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[1] Riemann-Thomann-Modell
[2] Stahl, Eberhard: Dynamik in Gruppen, Beltz, 2002
Interessieren Sie sich für die erfolgreiche Zusammenarbeit in Teams, dann empfehlen wir Ihnen das Buch Erfolg ist ein Mannschaftssport von Stephanie Borgert.
Diesen Beitrag finden Sie auch im kostenlosen Blogpaper Team – Sieben Perspektiven zu Teams.
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Stephanie Borgert
Stephanie Borgert ist Komplexitätsforscherin und Ingenieur-Informatikerin. Sie spricht, berät und schreibt über das komplexitätsgerechte Agieren in einer dynamischen, turbulenten Welt. Mittlerweile hat sie sieben Bücher dazu veröffentlicht. Ihr Buch „Unkompliziert!“ war in 2018 Wirtschaftsbestseller. Zudem schreibt Stephanie Borgert seit vielen Jahren als Wirtschaftskolumnistin für die Frankfurter Rundschau.