Unconscious Biases – die Welt in unseren Köpfen

Gastbeitrag von | 21.03.2022

Unconsious Biases kann in zweierlei Hinsicht übersetzt werden: Zumeist wird es mit unbewussten Vorurteilen übersetzt, passender hingegen ist der Begriff der „unbewusste Voreingenommenheit“. Diese Übersetzung spiegelt in besserem Maße wider, dass wir in unserem ersten Urteil und unserer Ersteinschätzung befangen sind. Dabei ist jeder von uns aufgrund seiner kulturellen Herkunft, seiner Erziehung, seines alltäglichen Umgangs und seiner gesammelten Erfahrungen in anderer Art unbewusst voreingenommen und dieses ist die eigentliche Welt in unseren Köpfen, mit der wir in unseren Augen außerordentlich gut zurechtkommen.

Jeder hat Unconscious Biases – das ist OK

Der Schlüssel zur unbewussten Voreingenommenheit ist, sich zu verdeutlichen, dass man voreingenommen ist. Jeder von uns, ohne Ausnahme, ist voreingenommen, auch wenn manche das Gegenteil behaupten. Es ist vollkommen in Ordnung, dass wir diese Voreingenommenheit haben. Sie macht das Leben einfacher. In jedem Augenblick werden wir mit über 10 Millionen Eindrücken konfrontiert. Das Gehirn kann jedoch nur 40 davon verarbeiten. Die Folge davon sind unbewusste Entscheidungen und Vereinfachungen, um mit der jeweiligen Situation umgehen zu können. In diesen Momenten agieren wir instinktiv. 95 % aller unserer Handlungen beruhen auf Instinkten – schnellem unbewussten Denken und Reflexen. Die restlichen 5 % dagegen sind von bewussten Entscheidungen und Denken geprägt. Doch warum ist das so? Beim Blick zurück in die Naturhistorie und Evolution, wird schnell deutlich, warum sich instinktives Verhalten ausgezahlt hat: Überleben! In dem Moment, in dem wir uns einem Dinosaurier gegenüber sehen, müssen wir zügig entschieden, ob wir den Kampf mit einem Speer gewinnen können oder lieber die Flucht ergriffen werden sollte. Dementsprechend sind Unconscious Biases nicht immer schlecht, denn sie sicherten unser Überleben.

Die unbewusste Voreingenommenheit und ihre Vorteile

In der Vergangenheit hat die unbewusste Voreingenommenheit das Überleben gesichert. Heute ist dieser Aspekt häufig stark reduziert, jedoch kann aus diesem Artefakt zur Überlebenssicherung unserer Vorfahren noch etwas Gutes gewonnen werden: Bei den vielen Eindrücken, die unsere Gesellschaft in jedem Moment für uns bereithält, helfen die Instinkte und damit die daraus resultierenden Unconscious Biases dabei, Komplexität reduzieren. Das alltägliche Leben wird deutlich erleichtert, denn bspw. können aus Erfahrungen Wissenslücken gefüllt und auch schnelle Entscheidungen getroffen werden. Etwas anders formuliert: Die unbewusste Voreingenommenheit hilft uns eine gewisse Stabilität in unserem Leben (oder auch in unserem Kopf) zu generieren. Natürlich gibt es nicht nur Vorteile. In dem Fall wäre alles ein bisschen zu einfach. Wenn wir uns unserer Biases nicht bewusst sind, können keine objektiven Beurteilungen oder Entscheidungen getroffen werden, was häufig auch zu Fehleinschätzungen führt. Weiterhin tritt eine stärkere Ausprägung der unbewussten Voreingenommenheit in homogenen Gruppen und unter Druck auf. Zumeist intensiviert sich diese auch mit fortschreitendem Alter.

Der „Cognitive Bias Codex“

Tauchen wir etwas tiefer in die Welt der Unconscious Biases ein. Es gibt insgesamt über 180 verschiedene Biases, denen wir erliegen können und es kommen regelmäßig neue dazu. Diese über 180 Unconscious Biases lassen sich in vier Gruppen gliedern, wie von John Manoogian III im „Cognitive Bias Codex“¹ dargestellt:
Cognitive Bias Codex
Diese vier Kategorien verdeutlichen sehr anschaulich, dass die Reduktion der Komplexität ein Haupttreiber für unsere Voreingenommenheit ist. Der größte Cluster mit den meisten Punkten ist „Nicht ausreichende Bedeutung“ – einem Umstand wird nicht ausreichend Wichtigkeit zugedacht und Lücken werden mit bestehendem Wissen aufgefüllt. In der zweitgrößten Kategorie „Notwendigkeit des schnellen Handelns“ greifen wir auf wiedererkannte Aspekte und Muster zurück und agieren zügig aus unserer Erfahrung heraus. Gefolgt wird dieser vom dritten Cluster „Zu viele Informationen“. Entscheidungen werden nur basierend auf den Informationen getroffen, die uns interessieren, alles Weitere wird ausgeblendet. Als letztes und damit die bisher kleinste Kategorie „Woran sollen wir uns erinnern?“. Auch hier wird anhand von Erfahrung das Erlebte heruntergebrochen und nur ein Bruchteil für die Erinnerung und zukünftiges Handeln ausgewählt.

Da wir uns permanent weiterentwickeln, kommen auch stetig neue Unconscious Biases auf dem „Cognitive Bias Codex“ hinzu. So ist zum Beispiel der „Google Bias“ eine neuerliche Voreingenommenheit. Diese zeigt auf, dass wir uns nicht mehr bestimmte Dinge merken müssen, da wir dieses Wissen einfach im Internet nachschlagen oder suchen können. Eine andere Voreingenommenheit ist der „IKEA Bias“. Basierend darauf vertrauen wir eher den Dingen, die wir mit den eigenen Händen gebaut haben, als etwas fertig Gebautes zu kaufen. So gibt es in dem von John Manoogian III dargestellten Codex eine sehr vollständige Liste der unbewussten Voreingenommenheiten. Natürlich trägt nicht jeder einzelne von uns alle diese Biases mit sich, sondern nur eine Auswahl davon. Die eigene Voreingenommenheit hängt unter anderem von unserem täglichen Umfeld und der kulturellen Herkunft ab.

Die bekanntesten und auch am häufigsten anzutreffenden Voreingenommenheiten, vor allem auch im professionellen Umfeld, sind z.B.

  1. Mini-Me-Effekt – Personen, die mir ähnlich sind, werden bevorzugt,
  2. Status-Quo-Effekt – die bekannte, jetzige Situation ist bevorzugt,
  3. Stereotypen-Effekt – bestimmte Eigenschaften werden aufgrund der Erscheinung zugeordnet,
  4. Herdentrieb – weil viele Personen etwas machen, ist es das richtige,
  5. Gruppen-Effekt – Personen, die der gleichen Gruppe angehören, werden bevorzugt,
  6. Bestätigung-Effekt – ich suche für meine Meinung Bestätigung und damit ist es die richtige Meinung.

Im Arbeitsumfeld haben die Unconscious Biases noch eine weitere und durchaus weitreichendere Auswirkung. Sie verhindern unter anderem bei der Einstellung von Bewerbern die Diversität und Inklusion. Auch im privaten Umfeld können uns die eigene Befangenheit oder der andern im Wege stehen. Aus diesem Grunde ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass man voreingenommen ist.

Nudging – Gegen seine Unconscious Biases vorgehen!

Was kann jeder von uns nun gegen die eigene unbewusste Befangenheit unternehmen? Im ersten Schritt haben wir bereits akzeptiert, dass wir voreingenommen sind. Jetzt folgt das „Nuding“ oder auch „Anstupsen“. Das Prinzip des Nudging wurde von Richard Thaler (Gewinner des Ökonomie – Nobelpreises 2017) aufgesetzt. Dieses besagt, dass durch kleine Anstupser die eigenen blinden Flecken der Voreingenommenheit eliminiert und Verhaltensbrücken gebaut werden. Ein solcher Anstupser ist bei einem schlecht arbeitenden Team im professionellen Umfeld bspw. das Team-Frühstück oder Abteilungs-Mittagessen. Jedes Teammitglied bringt für das gemeinsame Essen etwas mit, was für seinen Kulturkreis typisch ist oder vielleicht sogar sein Lieblingsessen. Daraus resultieren viele angeregte Unterhaltungen, man lernt sich untereinander besser kennen und die Befangenheiten werden abgebaut. Ein anderes Beispiel ist der „Kennenlern-Spaziergang“. Hierbei können wir während des Spaziergangs einen neuen Kollegen oder ein neues Vereinsmitglied kennenlernen und erweitern bewusst die Welt in unserem Kopf. Es gibt viele solcher Anstupser, die Richard Thaler für das Überwinden der persönlichen Biases in seinem Buch „Nudge“ zusammengefasst hat.²

Fazit

Da 95 % unserer Handlungen instinktiv sind, ist auch dieser Hauptteil unseres Denkens und Handelns unbewusst. Folglich ist jeder von uns unbewusst voreingenommen. Wenn wir uns bewusst machen, welchen Unconscious Biases wir erliegen, wo unsere eigenen blinden Flecken sind, können wir bewusst unser eigenes Handeln mittels „Nudging“ beeinflussen. Das muss nicht anstrengend sein, sondern kann auch Spaß machen. Mit einem Anstupser probieren wir etwas Neues aus und wer weiß, ob wir einem anderen damit für eine große Freude bereiten.

 

Hinweise:

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[1] The Cognitive Bias Codex
[2] Richard Thaler: Nudge

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Dr. Miriam Kunze
Dr. Miriam Kunze

Miriam Kunze hat sich nach ihrem Chemiestudium einschließlich Promotion für die Forschung und Entwicklung zum Themengebiet der Batterie entschieden und ist diesem seit 17 Jahren in verschiedenen Funktionen treu geblieben. Begonnen hat sie mit der universitären Forschung und wechselt anschließend in die Industrie. Dort startete sie zum Batteriethema in der spezifischen Produkt- und Materialentwicklung wechselte anschließend in die batteriebezogene Komponentenentwicklung bei einem  Tier1. Heute ist Miriam Kunze als Teamleiterin bei VW im Bereich der Batterien tätig. Diese Position der Teamleitung veranlasste sie sich intensiv mit Diversität, Inklusion und den Unconscious Biases auseinander zu setzen.