Gesundheit als strategischer Erfolgsfaktor in Unternehmen

Gastbeitrag von | 04.07.2019

Wie kann es in einer Welt der zunehmenden Komplexität und Veränderungsdynamik durch den beschleunigten technologischen Wandel und die globale Vernetzung gelingen, innerlich stabil und in Balance zu bleiben – als Mensch, Team und Organisation?

Was macht Unternehmen derart anpassungs- und wandlungsfähig, dass sie den Balanceakt schaffen, ihren Wurzeln treu zu bleiben und sich dennoch neu zu erfinden, um ein nachhaltig profitables Wachstum zu sichern?

Wie schaffen sie es, mit diesem Tempo und Wettbewerbsdruck mitzuhalten und trotz Fachkräftemangel und angespanntem Bewerbermarkt in einigen Bereichen keine Probleme bei der Suche nach qualifiziertem Fachpersonal und Auszubildenden zu haben?

Was sind die Erfolgsfaktoren für Unternehmen, um diesen Veränderungen der Außenwelt souverän begegnen zu können und sich schnell genug anzupassen?

Menschen machen Unternehmen erfolgreich

Bei allem Technologie- und Digital-Hype, Unternehmen sind im Wettbewerb nicht erfolgreich, weil sie mit neuesten Technologien aufwarten und von A bis Z digitalisiert und agilisiert sind. Denn das können früher oder später andere Unternehmen auch, die vielleicht oben drauf noch günstiger produzieren und schneller liefern. Die Antwort liegt auf der Hand: Die Menschen und ihre Interaktion in sozialen Systemen und mit der Außenwelt machen den Unterschied.

Zukunftsorientierte Unternehmer und Unternehmen stellen Menschen in das Zentrum unternehmerischen Denkens und Handelns. Ob Kunden, Mitarbeitende, Lieferanten, Geschäftspartner oder andere Anspruchsgruppen. Sie haben echtes Interesse am Menschen und sind schon in ihrem eigenen Sinne um deren Wohlergehen bemüht.

Klingt zu schön, um wahr zu sein? Diese humanistische Vorstellung passt nicht zur Realität? Nun, es gibt ja Unternehmen, die nach diesem Grundprinzip offenbar erfolgreich agieren. Allerdings ist das kein Selbstläufer und es stellt besonders an das Management und die Führung hohe Anforderungen.

Wie also können Unternehmen diesen Status erreichen, halten und langfristig wirtschaftlich erfolgreich agieren, ohne dass die steigenden Leistungs- und Lernanforderungen zu Lasten der Gesundheit der Mitarbeitenden gehen? Ohne dass das Hamsterrad nach dem Muster “schneller, höher, weiter” Menschen und Organisationen reihenweise an den Rand ihrer Leistungsreserven führt und diese sich in der Folge erschöpfen und “ausbrennen”? Wie können die körperliche und mentale Gesundheit auch mit den Möglichkeiten moderner Technologien und Tools sogar gefördert und Arbeitsbedingungen verbessert werden?

Diese Fragen beschäftigten mich seit geraumer Zeit im Umfeld der Diskussionen rund um Arbeiten 4.0, New Work, VUCA-Welt und lebenslanges Lernen aus medizinisch-sozialer, gesundheitsökonomischer und betriebswirtschaftlicher Sicht. Daher lag es für mich nahe, auch das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) in der digitalen Arbeitswelt einmal näher unter die Lupe zu nehmen.

Dazu möchte ich zunächst zum heutigen Verständnis von BGM und Gesundheitsförderung in modernen Unternehmen einige Hypothesen aus meiner Perspektive und Erfahrung zur Diskussion stellen. Ich freue mich, wenn Sie Lust haben, sich einzubringen.

Moderne Unternehmen und Gesundheit

“Gesunde Mitarbeiter – Gesunde Unternehmen”, “Resilienz als Erfolgsfaktor im digitalen Wandel”, “Glückliche Mitarbeiter stärken die Arbeitgebermarke, Produktivität, Innovationskraft Ihres Unternehmens” und nicht zu vergessen, dafür die “gesunde Unternehmenskultur und Werte entwickeln”…

So oder ähnlich klingen die vielversprechenden Slogans von Anbietern betrieblicher Gesundheitslösungen und in diesen Tenor kann ich mich zum Teil auch einreihen. Aber ich möchte ehrlich sein. Ganz so einfach ist es nämlich nicht und eine Erfolgsformel für “gesunde + glückliche Mitarbeiter = leistungsfähig + motiviert = performante Organisation und Unternehmen” gibt es auch nicht. So simpel geht die Gleichung nicht auf.

Manchmal wird auch einfach etwas zu dick aufgetragen. Zum Beispiel stelle ich mir des Öfteren die Frage, wie solche systemisch wirksamen Gesundheitseffekte und eine höhere Leistungsfähigkeit von Menschen und Organisationen mit Einzelaktionen und Maßnahmen zustande kommen sollen, die lediglich auf der Ebene der individuellen Verhaltensänderung ansetzen. Denn unser Verhalten wird geprägt durch die Verhältnisse, die uns umgeben. Mehr als uns oft bewusst und manchmal lieb ist.

Oder, wenn sich Verhältnisse zwar ändern, indem mehr Möglichkeiten geschaffen werden, Gesundheitsangebote unkompliziert und flexibel in Anspruch zu nehmen, z.B. Betriebssport, Fitness, Rückenkurse, Ernährungsberatung, Obstkorb, Yoga, Anti-Stress-Online-Coaching, Pausen-Meditation, Apps, Wearables. Aber diese Form der Unterstützung unspezifisch ist, ohne direkten Bezug zu beruflichen Belangen und Herausforderungen in der Arbeitswelt mit der digitalen Transformation.

Nach wie vor zielen Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention – auch digital – vor allem auf die Verbesserung der körperlichen Gesundheit ab und in der Praxis wird ein besseres Wohlbefinden und Mental Health vor allem durch Verhaltensänderung gesehen.

Alles nur eine Frage des richtigen Mindsets?

Keine Frage, die Verantwortung für die eigene Gesundheit liegt in erster Linie bei jedem selbst. Die Einstellung und Haltung, Denk- und Verhaltensmuster, das Wissen, die Kompetenz, persönliche Ressourcen und die Motivation dafür, einem gesunden Lebensstil nachzugehen sind wesentlich. Und deswegen sind solche allgemeinen Maßnahmen zur Unterstützung der Gesundheits- und Selbstfürsorge auch zu begrüßen.

Betriebliche Angebote sollten allerdings darüber hinaus gehen und Menschen beim Erhalt ihrer Gesundheit und des Wohlbefindens im Arbeitsalltag unterstützen, sie dort entlasten und befähigen, neue Anforderungen und Herausforderungen souverän zu meistern. Denn nur Ausgleich VON der Arbeit zu schaffen und eine Work-Life-Balance anzustreben, reicht nicht aus und ist auch nicht zielführend, um beruflich bedingte Gesundheitsbelastungen nachhaltig zu reduzieren.

Individuell passende Angebote unterstützen, wo es drauf ankommt, lebensphasenorientiert. Sie können Menschen helfen, ihre körperliche und psychische Gesundheit zu stärken, Probleme im beruflichen Kontext und persönlichen Lebensumfeld zu lösen und ein selbstbestimmtes, erfülltes Arbeits- und Privatleben zu führen, aber auch Krankheiten oder Unfallfolgen zu bewältigen und den Wiedereinstieg, den Schritt in die Neuorientierung oder in den Ruhestand zu begleiten.

Gesundes und sicheres Arbeiten wird vor allem durch Bedingungen geschaffen, die das ermöglichen. Es geht darum, die Arbeitsorganisation, Strukturen und Prozesse auch mit digitalen Strategien präventiv, inklusiv und wertschöpfend zu gestalten – durch zeitgemäßes Management, Veränderungsgestaltung und menschenorientierte formelle und informelle Führung in allen Bereichen der Personal- und Unternehmensstrategien.

Das Definitions- und Imageproblem von BGM

Einer der häufigsten Missverständnisse liegt in der synonymen Verwendung der Begriffe “Betriebliche Gesundheitsförderung” (BGF) und “Gesundheitsmanagement” (BGM) begründet. Worin liegt eigentlich der Unterschied und welche Rolle spielt das?

Zunächst zum BGM: Das ist ein umfassendes und idealerweise systematisch integriertes Management- und Führungssystem und hat mit BGF-Maßnahmen wie Rückenkursen, Betriebssport, Obstkorb und Schulungsvideos erst mal nicht viel zu tun. Es umfasst sowohl gesetzlich verpflichtende als auch freiwillige Bausteine zum Arbeits- und Gesundheitsschutz wie die Gefährdungsbeurteilung von körperlichen und psychischen Belastungen, die Ableitung von Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung, oder die Eingliederung nach Krankheit und Integration. Damit agiert BGM auf Strategie-, Prozess-, Führungs- und Kulturebene im Schulterschluss mit der Personal- und Organisationsentwicklung und ist meistens im HR angesiedelt.
BGF ist demnach nur eine Säule dieser Dimensionen für die Unternehmens- und Mitarbeitergesundheit.

Allerdings ist diese Komplexität eines BGM wenig bekannt und in der Praxis hat es sich bislang auch noch nicht im großen Stil durchsetzen können. Als Gründe werden oft Hürden bezüglich des Aufwandes (Zeit/Personal/Geld) genannt, gerade von kleinen oder mittelständischen Unternehmen. Auch die Akzeptanz und Beteiligung von Führungskräften, die zielgruppenspezifische Ansprache und Erreichbarkeit der Mitarbeiter, die Heterogenität der Beschäftigten und individuellen Ansprüche an Flexibilität und die Vereinbarkeit von Bedürfnissen auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite sind häufige Herausforderungen.

Noch dazu leidet das BGM unter einem “eingestaubten” Image. Wahrscheinlich sind auch daraus die wohlwollender klingenden Abkömmlinge entstanden.

Und ein wesentlicher Punkt ist aus meiner Sicht auch, dass das “klassische” BGM, das überwiegend zentral gesteuert wird, mit Blick auf sich rasant verändernde Anforderungen im Arbeitsumfeld durch die Digitalisierung und Vernetzung, gesellschaftliche Bewegungen durch den Wertewandel, demografische Entwicklung und lebenslanges Lernen in der VUCA-Welt etc. nicht mehr zeitgemäß ist. Es braucht auch hier neue Ansätze.

Erste kleine Schritte zählen – und dann dranbleiben

Die Hemmschwelle für ein systematisches BGM ist offenbar für viele Unternehmen zu hoch, und das ist eigentlich unnötig. Denn es gibt viele Möglichkeiten und Wege, ein BGM zu implementieren. Hier kann ein erfahrener Partner helfen, der den Prozess von der Zielfindung bis zur Umsetzung begleitet. Neben Beratern und DIenstleistern gibt es auch von Krankenkassen, Berufsgenossenschaften und öffentlicher Hand vielfältige Unterstützungs- und Fördermöglichkeiten.

Und man kann selbst ganz klein anfangen. Mit dem, was man hat. Vieles kostet nicht viel mehr außer etwas Zeit und die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche zu richten. Das spart wiederum Geld und Nerven. Jeder Schritt ist wichtig, um weiterzukommen und der richtige Zeitpunkt ist immer, lieber früher als später.

Große Wirkung und hohe Anerkennung hinterlässt es schon, wenn Unternehmer*innen und Führungskräfte selbst mit gutem Beispiel vorangehen, wenn Mitarbeitende bei Vorhaben frühzeitig einbezogen werden und man sich einfach mal zusammen und ganz ungezwungen ohne Projektplan über Hintergründe, Ziele, Ideen, Wünsche, Hürden und Erwartungen austauscht.

Wenn es um Gesundheit und bessere Arbeitsbedingungen geht, finden sich immer Freiwillige, die gerne bereit sind, sich zu engagieren. Menschen organisieren sich selbst und sind dabei äußerst kreativ, wenn man ihnen die Möglichkeiten und Mittel dafür bietet. Vor allem erreicht man damit auch die, die man wirklich erreichen will, da man näher an der Basis ist und versteht, was diese braucht.

Mitarbeiter*innen können im Team ebenso organisatorische und koordinative Aufgaben von BGM-Teilbereichen übernehmen und Budget dafür verantworten. Man sollte ihnen aber auch Freiräume dafür zugestehen, sie qualifizieren und nicht voraussetzen, dass dies nur neben dem Tagesgeschäft laufen kann. Wo möglich, sollten sie assistiv und digital unterstützt werden, um zusätzliche administrative Aufgaben aufs Nötigste zu begrenzen.

Sich entweder um Gesundheit oder das Daily Business zu kümmern, ist keine Option. Es geht darum, Arbeitsprozesse und die Organisation gesünder zu gestalten, die sich auch in einer verbesserten Wertschöpfung äußert. Dies schafft wiederum Freiräume für Kreativität, Lernen und Entwicklung. Jede Investition macht sich hier mehr als doppelt bezahlt.

Was ist mit Feel Good Management und Corporate Happiness?

Wer ein ganzheitliches, systematisches BGM in der Organisation implementiert (hat), braucht kein extra Feel Good Management oder eine Person, die für die “Corporate Happiness Culture” verantwortlich ist. Der entscheidende Stellhebel für die Wirksamkeit und auch für den ROI jeder betrieblichen Intervention liegt in der Umsetzung. Wie so oft ist das WIE auch beim Thema Gesundheitsmanagement entscheidend.

Man kann dem Kind einen anderen Namen geben und Gesundheit aus verschiedenen Perspektiven fördern. Aber man kann durch Intervention weder Wohlbefinden noch Kultur gezielt entwickeln und steuern, noch Menschen gesund und glücklich “machen” und ihnen Sinn “geben”. Die Kultur ist bereits da und verändert sich ohne unser aktives Zutun. Inwieweit sie sich in positive und gewünschte Richtung entwickelt und sich eine gesunde Kultur etabliert, hängt auch davon ab, in welchem Rahmen sie das kann. Darauf kann auch durch ein besseres Miteinander Einfluss genommen werden:

Was für ein Miteinander prägt die Zusammenarbeit? Welche Werte und Ziele werden verfolgt? Welche Haltung prägt das Menschenbild? Was wird im Alltag an wen und wie kommuniziert? Wie autonom und flexibel können Menschen ihre Arbeit erledigen und sich weiterentwickeln? Was hindert sie daran? Welche Strukturen, Regeln und ungeschriebenen Gesetze stehen im Weg? Werden Leitbilder und Worte mit Taten gelebt? Und so weiter.

Dennoch sind die persönliche Wahrnehmung der Kultur und des Betriebsklimas und die Auswirkung auf das Wohlbefinden und Sinnempfinden höchst individuell und subjektiv. Und wir haben nun mal nicht alles in der Hand. Manchmal ist weniger Intervention auch mehr.

Fazit

Unternehmen, die ein echtes Interesse am Menschen haben und ihn in das Zentrum ihres unternehmerischen Denkens und Handelns stellen, müssen sich um ihre Zukunftsfähigkeit und Attraktivität als Arbeitgeber kaum Sorgen machen. Denn sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie hohe Anerkennung, Loyalität und Verbundenheit ihrer Mitarbeitenden, Kunden und Geschäftspartner genießen.

Das schaffen sie, indem sie auf gute, gesunde Arbeitsbedingungen und Nachhaltigkeit setzen und stabile Beziehungen zu den Menschen aufbauen, die letztlich mit für ihren Unternehmenserfolg sorgen. Die Werkzeuge finden sich dafür auf strukturell-technologischer und sozial-kultureller Ebene. Durch geschickten Einsatz gelingt es ihnen, auf Veränderungen des Umfeldes zu reagieren und vorausschauend zu agieren.

Emotional stabile Beziehungen basieren auf gegenseitiger Pflege, gerade in unsicheren Zeiten und unter instabilen Bedingungen sozialer Ordnungssysteme. Wie in jeder guten Beziehung baut ein Mit- und Füreinander auf Geben und Nehmen, Vertrauen, Respekt und Wertschätzung. Wer zudem Offenheit im Unternehmen wagt, erfährt auch mehr über sich selbst und lernt den gesunden Umgang mit Konflikten, unterschiedlichen individuellen Bedürfnissen, Interessen und Ansprüchen und wie man auch schwierige Zeiten souverän überwindet. Dabei zählt nicht, dass sich alle einig sind, sondern dass die Richtung stimmt, an der sich jeder orientieren kann. Dann geht man den Weg auch gemeinsam weiter und zusammen geht das mit dem Wandel auch leichter.

Mit einer klar formulierten Vision, Besinnung auf menschliche Werte und Führungsprinzipien, die konsequent auf Wert-Schöpfung für das Unternehmen, Wert-Schätzung durch Kunden und Mitarbeitende und Wert-Generierung für das Gemeinwohl ausgerichtet sind, können Menschen und Organisationen das, was die Zukunft bringen soll, schon jetzt erfolgreich und gesund gestalten – menschlich und wirtschaftlich.

 

Hinweise:

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Dr. Karin Kelle-Herfurth
Dr. Karin Kelle-Herfurth

Dr. Karin Kelle-Herfurth ist Beraterin, Ärztin, Health & Business Counselor (MHBA). Sie berät Unternehmer*innen und Teams zu ganzheitlichen individuellen Gesundheitskonzepten und begleitet sie als Sparringspartnerin in Veränderungsprozessen auch online. Dies kombiniert sie mit Business Training, Workshops und Supervision mit dem Fokus auf Management, Führung, Kommunikation und Zusammenarbeit im Kontext neuer Arbeit im digitalen Zeitalter.