Mut, das Wundermittel für die Zukunft?!
Was fällt Ihnen als erstes zu Mut ein? Sind es Helden wie Superman, Frodo aus dem „Herr der Ringe“ oder Pipi Langstrumpf? Ist es vielleicht Nenas Liedzeile „Liebe wird aus Mut gemacht“ oder das Wahlprogramm der Grünen „Zukunft wird aus Mut gemacht“? Oder fällt Ihnen eher das Mutmagazin1 oder die Initiative Mutland2 ein? Vielleicht denken Sie bei Mut auch an sich selbst?
Von Mut wird nicht nur in der Literatur gesprochen, noch wird er nur besungen oder als Slogans auf Plakaten platziert. Mut findet sich in Aussagen wieder wie „Du bist aber mutig“, „wie mutig von dir“ oder „mutigen Schrittes ging er voran“. Mut ist die positiv besetzte Eigenschaft, die geschätzt und bewundert wird. Aufgrund des aufgebrachten Mutes verändert sich eine Situation – für einen selbst und auch für andere. Mut ist somit auch eine Entscheidung, die sich in Handlung ausdrückt und Veränderung anstößt. Und Veränderung ist eine Quelle für das Neue. Kein Wunder, dass Organisationen mutig sein sollen, um zukunftsfähig zu werden oder Veränderungen anzugehen.
Die Wertigkeit von Mut
In der jährlichen Führungskräfte-Befragung der Wertekommission wird Mut als einer der sechs Kernwerte aufgeführt. Gekennzeichnet durch die „Bereitschaft, Neues zuzulassen und anzunehmen“, „Fehlerfreundlichkeit“ und die „Kraft zur Entscheidung und Veränderung“.3 Aspekte, die ebenfalls in den Diskussionen rund um New Work, Innovation, Führung oder Haltung auftauchen. Auch auf Veranstaltungen wird das Thema Mut aufgegriffen. Beispielhaft hierfür sind der Mutmacher-Gipfel oder die diesjährige Leadership Konferenz für Querdenker, die den Titel „Mit Mut und Haltung in die Zukunft führen“ hat. Mut ist anscheinend ein wichtiger Wert für die Zukunft. Interessanterweise spiegelt sich das nicht in den Ergebnissen der Führungskräfte-Befragung wider. Dort rangiert Mut trotz der medialen Aufmerksamkeit seit Jahren auf dem letzten Platz.4
Der Blick auf empirische Studien zu Mut am Arbeitsplatz eröffnet eine weitere Betrachtungsebene: Situationen, die Mut erfordern, werden von Führungskräften eher gemieden.5 Somit ist es wenig verwunderlich, wenn Menschen in ihrer Organisation vom Ausprobieren und Versuchen, dem Einlassen auf innovativ Neues oder selber denken abgehalten werden. Dabei sind genau das Faktoren, die mutiges Handeln in der Organisation fördern und dem Streben nach Innovation zugutekommen. Klare Worte dafür findet Wolf Lotter mit „Innovation ist nichts für Feiglinge.“6 und der anschließenden Frage „Wer aber lehrt und unterstützt den Mut zur eigenen Haltung?“7
Was ist denn Mut?
Da stellt sich dann die Frage, was Mut überhaupt ist. In der Psychologie bezeichnet Mut drei Phänomene: erstens ein Gefühl oder emotionalen Zustand, zweitens eine Persönlichkeitseigenschaft und drittens ein sichtbares Verhalten.
Mut als sichtbares Verhalten kann unterschiedliche Formen annehmen. Es gibt den physischen Mut, der zum Vorschein kommt, wenn das Leben bedroht wird. Der existenzielle Mut zeigt sich z.B., wenn der „innere Schweinehund“ überwunden und somit die eigene psychische Stabilität erhalten wird. Naheliegendes Beispiel ist die Überwindung einer destruktiven Gewohnheit wie der Alkoholabhängigkeit. Hier interessiert besonders der moralische bzw. soziale Mut, zu dem auch die Zivilcourage und der zivile Ungehorsam zählen.8
Die Whistleblower sind ein schönes Beispiel wie physischer und sozialer Mut zusammenspielen. Obwohl sie mit rechtlichen Konsequenzen zu rechnen haben und ihr Leben durch das Aufdecken des Fehlverhaltens ihrer Organisationen aus den Fugen geraten wird, tun sie es trotzdem und nehmen das Risiko auf sich. Sie bleiben sich selbst und ihrer Wertorientierung treu. Es kann auch sozialer Mut dazu gehören, als Projektleitung das Prestigevorhaben in der Organisation für gescheitert zu erklären, oder Entscheidungen der Managementebene offen in Frage zu stellen. Abhängig von der Organisation kann ein solches Verhalten mit sozialer Ächtung, Spott oder Gesichtsverlust einhergehen. Hieran zeigen sich anschaulich die Merkmale mutigen Verhaltens: Ein Risiko wurde aufgenommen bzw. der Verlust einer Sicherheit, wie zum Beispiel die Leitung des nächsten Projekts oder sogar des Jobs, in Kauf genommen. Trotz des persönlichen Risikos hat die Projektleitung eine Entscheidung darüber getroffen, welches Verhalten sie in dieser Situation als „richtig“ oder „falsch“ empfindet und ist aktiv geworden. Und mit Gewissheit ist nicht klar, welche Auswirkungen bei allem Nachdenken über mögliche Konsequenzen, ihr Verhalten haben wird. Überwunden wird die Ungewissheit durch einen Funken Hoffnung oder Zuversicht. Genau das unterstreicht den sozialen Mut, eine Stellung zu beziehen ohne zu wissen wie Andere sich dazu verhalten werden und dafür die Verantwortung zu übernehmen.
Mutig zu sein, bedeutet Furcht und psychische Widerstände zu überwinden, Risiken einzugehen, die Unsicherheit und den offenen Ausgang aushalten zu können, und ein mögliches Scheitern in Kauf zu nehmen. Die Chance zu versagen bereitet weniger Sorgen als nicht aktiv zu werden, denn „wer mutig handelt, verfolgt ein Ziel, das einen höheren Wert aufweist als das Anti-Ziel der Gefahrenvermeidung.“9 Mutiges Verhalten drückt sich daher individuell verschieden aus. Für die eine ist es mutig einen Impulsvortrag auf einer Veranstaltung zu halten, für jemand anderen einen Fehler einzugestehen und für die Nächste eine ungewöhnliche Idee im Unternehmen zu verfolgen.
Die Alternative oder das Anti-Ziel, d.h. nichts zu machen und somit kein persönliches Risiko zu tragen, bedeutet ferner sich von einer potenziellen Entwicklungschance zu verabschieden. Es ist gefährlicher, mutlos zu sein und am Gewohnten festzuhalten, als mutig zu sein und den Handlungsraum zu erweitern. Das gilt auch für Organisationen. Interessanterweise wird in den Organisationen nicht geprüft, welche Kosten entstehen, indem kein Risiko eingegangen wird. Ronald Wayne, der dritte Gründer von Apple, kann zumindest erahnen, was ihm entgangen ist, nachdem er eine Woche nach der Geschäftsgründung ausstieg und seinen zehnprozentigen Anteil zurückgab.10
Was fördert Mut IN Organisationen?
Zurück zu der Frage wie Mut unterstützt werden kann: Shilpzand et al. konnten in einer Untersuchung zu Mut am Arbeitsplatz feststellen, dass die soziale Einbindung in ein Team, die erlebte Autonomie sowie die vermuteten Vorteile, ein mutiges Verhalten begünstigen. Nach Hammer ist es zudem das Wissen, dass Fehler nicht sanktioniert werden. Wobei es nicht zwingend Fehler sein müssen, sondern vielmehr Fehlschläge oder Irrtürmer sind, die einen auf dem mutigen Weg ins Unbekannte begleiten können. Für etwas, das unbekannt ist, gibt es schließlich keine vorgefertigten Lösungen, sondern nur Wege die gegangen werden können mit dem Risiko Fehltritte oder Umwege zu machen.11
Das Unternehmen Phonak richtet dabei den Blick auf das Positive, indem z.B. Projektabbrüche durch das Projektteam begrüßt und die Beteiligten in der Mitarbeiterzeitschrift als Helden*innen für ihren Mut gefeiert werden. Das soll nicht implizieren, dass Fehler sich nicht bitter anfühlen können oder Verluste mit sich bringen, doch die können geringer sein als z.B. das Projekt fortzuführen. Es gilt den Lernprozess mit seinen Chancen in den Mittelpunkt zu stellen, auf die Versuche und Erfahrungen zu fokussieren und das Vorgehen zu reflektieren. Zumal das Versuchen den Vorteil hat, dass die betreffende Person selber ein tieferes Verständnis der Problem- oder Aufgabenstellung erhält und Zusammenhänge erkennt. Aus dem Alltag sind jedem von uns Beispiele bekannt, in denen durch das Ausprobieren Erfahrungen vermehrt wurden. Denken Sie nur an die ersten Gehversuche, das Schreiben des ersten Textes, das erste Mannschaftsspiel oder die ersten Kochversuche. Sind diese auf Anhieb geglückt? War es nicht vielmehr ein „Probieren, Lernen, Weitergehen – und von vorn.“12 Eine Stärkung des Versuchens und Ausprobieren ist genau das, was sich auch Mitarbeitende in ihren Organisationen mehr wünschen.13 Dann lassen sich nämlich neue Möglichkeiten oder Potenziale für Verbesserungen entdecken.
Die damit verbundenen Ansichten und Ideen lassen sich leichter offen aussprechen, wenn ein vertrauensvoller Umgang gegeben ist und das Gesagte zu keiner sozialen Ächtung führt. Jemandem zu vertrauen schließt ein, sich nahbar und verletzlich zu zeigen sowie sich mit seinen Emotionen und seinen Sichtweisen einzubringen. Dafür braucht es nicht nur in planungsgesteuerten oder Zahlen-Daten-Fakten fixierten Unternehmen Mut. Vertrauen zeigt sich neben dem Einstehen für Fehler auch, wenn Ängste geteilt oder wenn abweichende Meinungen geäußert werden. Streit, leidenschaftliche Gesprächsrunden oder Auseinandersetzungen sind zwar reibungsvoll, doch wertvoll da verschiedene Perspektiven eingebracht werden und der Status quo hinterfragt wird. Gerade das Einbringen der Emotionen schafft Verbundenheit unter den Beteiligten. Dieses Vertrauen im Bündnis mit Zutrauen stärkt das selbstverantwortliche Arbeiten und fördert die Autonomie. Dahingegend führt die Kontrolle zu einem Rückgang der Leistung wie selbst zu erahnen ist und auch durch die Neurobiologe bestätigt wird.14 Vertrauen Sie darauf, dass die Menschen in ihrem Arbeitsumfeld sich für die Ziele ihrer Organisation engagieren?
Und nun?
Autonomie, Vertrauen, Offenheit, Fehlertoleranz und Lernfähigkeit sind alles Faktoren, die aus der Innovationsforschung zu einem innovationsfördernden Umfeld beitragen, daher sind Innovationen und Mut fest miteinander verbunden.15 Ein mutiges Handeln erfordert eine Auseinandersetzung mit dem Menschenbild und den Werten innerhalb der Organisation sowie das Hinterfragen des Umgangs mit Fehlern und der Förderung der Autonomie. Für die Führungsebene stellt sich zudem die Frage, wie sie den Menschen zur Entfaltung ihres Muts verhelfen. Denn wie Förster und Kreuz prägnant formulieren: „Es ist Führungsaufgabe, Menschen zu ermutigen, sich aus der Deckung zu wagen und etwas zu tun, was sie sonst vielleicht nicht tun würden.“16 Mut kann eine erstaunliche und wunderbare Wirkung entfalten. Diese Wirkung kann eine Organisation irritieren, doch sie bringt damit auch etwas in Bewegung. Mut ist kein Wundermittel, das wie der Zaubertrank aus Asterix & Obelix eingenommen werden kann. Vielmehr steckt in jedem von uns ein Mutpotenzial, das es wie einen Muskel zu trainieren gilt, um den eigenen Gestaltungs- und Handlungsraum inner- und außerhalb der Organisation zu erweitern. Schließlich befähigt uns dieser Zuwachs an Mut, Probleme schneller und zielgerichtet zu lösen und uns weniger leicht von Schwierigkeiten einschüchtern zu lassen. So lassen sich Zukunftsoptionen gestalten.
Und was macht Ihre Organisation, um Sie zu ermutigen? Fragen Sie sich auch selbst, wann Sie (sich) in Ihrer Organisation:
- das letzte Mal über einen Ihrer Fehler gesprochen haben?
- die Versuche und Fortschritte von einer/einem anderen anerkannt haben?
- etwas entschieden haben, dessen Ergebnis Sie nicht kannten?
- das letzte Mal auf etwas Neues eingelassen haben?
- mutig gefühlt haben?
Hinweise:
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[1] vgl. https://www.mutmagazin.de/
[2] vgl. https://www.mutland.org/
[3] Hattendorf, K./ Heidbrink, L./ Egorov, M./ Peus, C./ Verdorfer, A. (2018): Führungskräftebefragung 2018, Wertekommission Initiative bewusste Führung e.V. (Hrsg.), Bonn., S. 12ff.
[4] vgl. Hattendorf, K. et al (2018), S. 13
[5] Sandberg, B. (2017): Mut in den Berufskulturen von Managern und Künstlern, In: interculture journal Bd. 16 Nr.27/28, S. 72
[6] Lotter, W. (2018): Innovation. Streitschrift für barrierefreies Denken, Edition Körber, Hamburg, S. 141
[7] Lotter, W. (2018), S. 141
[8] Dick, A. (2010): Mut. Über sich hinauswachsen. Verlag Hans Huber, Bern, S. 43ff.
[9] Dick, A. (2010), S. 50
[10] Borchers, D. (2011): Seine Angst brachte ihn um dreißig Milliarden Dollar, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/apple-ohne-ron-wayne-seine-angst-brachte-ihn-um-dreissig-milliarden-dollar-11558868.html, zuletzt abgerufen 02.04.2019
[11] vgl. Sandberg, B. (2017), S. 71ff.
[12] Lotter, W. (2018), S.197
[13] Hays, ZukunftsAllianz Arbeit & Gesellschaft e.V. (ZAAG) und Gesellschaft für Wissensmanagement e.V. (GfWM) (2016): Der Ruf nach Freiheit, Innovationsförderliche Arbeitswelten aus der Sicht der Arbeitenden, https://www.hays.de/personaldienstleistung-aktuell/studie/der-ruf-nach-freiheit, (zuletzt abgerufen 02.04.2019), S. 9f.
[14] Beck, H. (2018): Irren ist nützlich. Warum die Schwächen des Gehirns unsere Stärken sind. 3. Aufl., Goldmann Verlag, München, S. 92f.
[15] Vahs, D./Brem, A. (2015): Innovationsmanagement. Von der Idee zur erfolgreichen Vermarktung (5., überarbeitete Auflage), Schaffer-Poschel, Stuttgart, S. 210ff. und S. 225,
Meyer, J.-U. (2015): Die Innovationsfähigkeit von Unternehmen. Messen, analysieren und steigern. BusinessVillage, Göttingen, S. 212ff.,
Rustler, F. (2016): Denkwerkzeuge der Kreativität und Innovation (2. Auflage), Midas Management, Zürich, S. 52ff.,
Gassmann, O./ Sutter, P. (2013): Praxiswissen Innovationsmanagement. Von der Idee zum Markterfolg (3., überarbeitete und erweiterte Auflage), Hanser, München., S.234ff.,
Eckert, B./ Jenkins, N. (2014): Innovationskultur entschlüsselt. 12 Strategien für Führungskräfte und Innovationsverantwortliche, New & Improved, LLC., S. 17
[16] Kreuz, P. (2018): Provokative Kompetenz; https://www.youtube.com/watch?v=VPLvx1-YP2E, zuletzt abgerufen 02.04.2019
Sonja Tangermann hat im t2informatik Blog weitere Beiträge zum Thema Mut veröffentlicht:
Sonja Tangermann
Sonja Tangermann engagiert sich als Fachberaterin für die frühe Bildung mit dem Ziel die Selbstwirksamkeit der Beteiligten zu stärken und sie zum nachhaltigen Handeln anzuregen. Bei ihren Schwerpunkten im Qualitäts- und Projektmanagement und der Erwachsenenbildung sind für sie der Austausch und die Zusammenarbeit mit Menschen der zentrale Mittelpunkt ihrer Tätigkeit. Seit 2019 arbeitet sie nebenberuflich noch als Coach und Mediatorin, um Organisationen und Einzelpersonen auf dem Weg zur eigenen Handlungsfähigkeit zu begleiten und unterstützt ehrenamtlich das PMCamp Berlin.