Mitarbeitergespräch? Nein, danke!
Warum klassische Mitarbeitergespräche nicht mehr zeitgemäß sind und welchen alternativen Ansatz Sie nutzen können
Jährliche Mitarbeitergespräche gehören in vielen Unternehmen immer noch zum Standard. Mitarbeitende und Führungskräfte setzen sich zusammen, um Leistungen zu bewerten, Ziele zu definieren und Entwicklungspläne zu schmieden. Doch was als wichtiges Führungsinstrument gedacht war, verursacht heute oft mehr Frust als Fortschritt. Es kostet Zeit, Geld und Nerven und verstärkt zudem veraltete Hierarchien. Die gute Nachricht: Es gibt längst bessere Wege, um Leistung, Zusammenarbeit und Entwicklung zu fördern.
Die Ziele von Mitarbeitergesprächen
Das Mitarbeitergespräch soll einen kommunikativen Raum bieten, um wichtige Themen zu besprechen, die im täglichen Austausch oft zu kurz kommen. Im Mittelpunkt steht zunächst die Rückschau: Dabei wird die vergangene Arbeitsperiode der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters bilanziert. Welche Aufgaben wurden erfolgreich gemeistert, wo gab es Schwierigkeiten und welche Stärken und Entwicklungsfelder wurden sichtbar.
Im nächsten Schritt folgt die Vorausschau. Hier geht es darum, die Eignungsschwerpunkte der Mitarbeitenden neu zu bestimmen, die Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften zu reflektieren sowie konkrete Ziele und Aufgaben für die kommende Arbeitsperiode zu vereinbaren. Ergänzend werden Entwicklungsmaßnahmen festgelegt, um die individuelle und gemeinsame Leistungsfähigkeit zu stärken.
Damit wird deutlich: Das Mitarbeitergespräch ist in erster Linie ein Führungsinstrument, das auf klassische, formal fixierte Hierarchien zugeschnitten ist. Führungskräfte führen diese Gespräche mit ihren Mitarbeitenden, um die Grundlage für zentrale Folgeprozesse zu schaffen. Dazu gehören die gemeinsame Abarbeitung definierter Aufgaben und Ziele, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie ggf. die Planung der Karriere- und Gehaltsentwicklung. Trotz dieser traditionellen Einbindung gerät das Mitarbeitergespräch selbst in konservativ geführten Unternehmen zunehmend in die Kritik. [1] Und in Unternehmen mit demokratischeren Strukturen verliert es sogar vollständig an Relevanz.
Die Aufwände von Mitarbeitergesprächen
Um einschätzen zu können, ob ein Führungsinstrument sinnvoll ist, sollten Aufwand und Nutzen sorgfältig betrachtet werden. Der Aufwand für Mitarbeitergespräche lässt sich relativ klar beschreiben, während der Nutzen häufig diffus bleibt.
Bereits die Vorbereitung erfordert Zeit: Es müssen Termine koordiniert und geeignete Räume organisiert werden, was Kapazitäten in der Personalabteilung, bei den Führungskräften und Mitarbeitenden bindet. Hinzu kommt die inhaltliche Vorbereitung auf das Gespräch, die sowohl bei den Mitarbeitenden als auch bei den Führungskräften Zeit in Anspruch nimmt. In manchen Fällen werden zusätzlich Trainings zur Gesprächsführung durchgeführt, was zusätzlich Kosten für Trainingshonorare und Spesen bedeutet.
Die Durchführung der Gespräche selbst verursacht selbstverständlich zusätzlichen Aufwand. Mitarbeitende und Führungskräfte investieren Zeit, und gerade für Führungskräfte steigt der Aufwand erheblich, je mehr Gespräche geführt werden müssen. Zusätzlich können Kosten für die Nutzung von Besprechungsräumen und Materialien entstehen.
Nach Abschluss der Gespräche folgt oft eine Auswertung, die wiederum Zeit von Mitarbeitenden, Führungskräften und teilweise der Personalabteilung erfordert.
Neben diesen direkt zuordenbaren Aufwänden und Kosten kommen schwerer quantifizierbare Faktoren hinzu. Dazu zählt insbesondere das Risiko von Demotivation, wenn die Gespräche als unbefriedigend oder belastend empfunden werden. Diese Form der Demotivation kann sich negativ auf die Arbeitsatmosphäre und langfristig auf die Leistung des Teams auswirken. Und was war nochmals der Nutzen des Mitarbeitergesprächs?
Die Probleme von Mitarbeitergesprächen
Selbst in traditionell geführten Unternehmen führen Mitarbeitergespräche regelmäßig zu Problemen. Interessanterweise sind manche der häufig vorgebrachten Kritikpunkte dabei gar nicht besonders überzeugend. So wird zum Beispiel oft argumentiert, es sei unsinnig, Mitarbeitende, die man eingestellt habe, weil sie gut seien, jährlich zu beurteilen. Dieses Argument greift jedoch zu kurz, denn der Einstellungsprozess garantiert nicht, dass sich neue Kolleginnen und Kollegen tatsächlich so entwickeln, wie es erwartet wurde. Außerdem stellt sich die Frage, wie sich ihre Leistung über die Zeit verändert.
Die eigentlichen Probleme liegen jedoch an anderer Stelle. Zunächst stellt sich die Frage, warum Mitarbeitende überhaupt in ihren Einzelleistungen jährlich beurteilt werden sollen, gerade in einer Zeit, in der schnelles und gemeinsames Handeln sowie Teamarbeit entscheidend sind. Während immer häufiger die Bedeutung von Zusammenarbeit betont wird, werden Mitarbeitende weiterhin einzeln bewertet und in Konsequenz auch unterschiedlich behandelt.
Darüber hinaus zementiert das Mitarbeitergespräch bestehende Hierarchien. Führungskräfte übernehmen die Rolle von Beurteilenden und entscheiden am Ende auch über Gehaltserhöhungen oder Karriereschritte. Damit festigt sich Jahr für Jahr ein hierarchisches System, das häufig als überholt empfunden wird.
Ein weiteres Problem ergibt sich aus der zeitlichen Verzögerung: Schwächen, Fehler oder Konflikte werden oft erst Monate später angesprochen. Dies ist gleich aus mehreren Gründen problematisch. Zum einen ist das menschliche Erinnerungsvermögen fehleranfällig. In der Psychologie wird dieses Phänomen als „false memories“ bezeichnet. Sowohl die subjektive Wahrnehmung als auch die spätere Erinnerung daran sind oft unzuverlässig. Zum anderen werden wichtige Lernprozesse verzögert, wenn sie nicht zeitnah angestoßen werden. Statt direkt gegenzusteuern, bleibt das Verhalten häufig über Monate unverändert. [2]
Und was können Sie anstelle von Mitarbeitergesprächen tun?
Die einfachste Alternative besteht darin, auf das Mitarbeitergespräch vollständig zu verzichten und die damit verbundenen Aufwände einzusparen. Damit dies erfolgreich funktioniert, ist es jedoch erforderlich, die alltägliche Kommunikation zu verbessern. Nur so können die Lern- und Entwicklungsprozesse, die bisher über das Mitarbeitergespräch abgedeckt wurden, weiterhin stattfinden.
Eine besonders empfehlenswerte Möglichkeit ist ein jährlich stattfindendes, selbstorganisiertes Gespräch im Team oder in der Arbeitsgruppe. Dieses Format unterscheidet sich in mehreren Punkten vom klassischen Mitarbeitergespräch. Es gibt nicht nur eine Führungskraft als Gesprächsleitung, sondern es können zusätzlich Moderatorinnen oder Moderatoren aus dem Kreis der Mitarbeitenden bestimmt werden. Der Fokus liegt nicht mehr auf der individuellen Leistung, sondern auf der Qualität der Zusammenarbeit innerhalb des Teams.
Bei der Rückschau geht es nicht darum, einzelne Fehler oder Leistungen zu analysieren, sondern Muster und wiederkehrende Themen zu erkennen. Gerade diese Betrachtung über einen längeren Zeitraum kann einen echten Mehrwert liefern, den spontane Einzelgespräche nicht leisten können. So entsteht die Chance, aus den Erfahrungen des gesamten Teams zu lernen, anstatt individuelle Bewertungen in den Vordergrund zu stellen.
Mein Plädoyer lautet daher: Schaffen Sie das klassische Mitarbeitergespräch ab und ersetzen Sie es durch kontinuierliche, kurze Feedbackschleifen im Arbeitsalltag sowie durch selbstorganisierte Teamgespräche, die einmal jährlich stattfinden.
Fazit
Das klassische Mitarbeitergespräch hat in vielen Organisationen seinen Platz verloren. Es verursacht hohen Aufwand, liefert oft unklaren Nutzen und verstärkt Strukturen, die heute vielfach als überholt gelten. Während es ursprünglich dazu gedacht war, Leistungen zu bewerten, Ziele zu setzen und Entwicklungen zu fördern, führt es in der Praxis häufig zu Frustration, Demotivation und einem Festhalten an hierarchischen Mustern.
Auch die Kosten- und Aufwandsseite spricht eine deutliche Sprache. Von der Planung über die Durchführung bis hin zur Auswertung werden wertvolle Kapazitäten gebunden, die nicht immer in einem angemessenen Verhältnis zum Ertrag stehen. Besonders problematisch ist zudem, dass Rückmeldungen oft zu spät kommen und wichtige Lernprozesse verzögert werden.
Eine zeitgemäße Antwort auf diese Herausforderungen liegt in einer konsequent verbesserten alltäglichen Kommunikation und in selbstorganisierten Teamgesprächen. Sie bieten die Chance, Muster zu erkennen, die Zusammenarbeit zu stärken und Entwicklungsimpulse zu setzen – und das ohne den Ballast veralteter Bewertungsroutinen.
Wer sich von traditionellen Mitarbeitergesprächen verabschiedet, gewinnt nicht nur Zeit und Ressourcen, sondern stärkt auch eine Kultur der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Verantwortung. Das schafft bessere Voraussetzungen für nachhaltigen Erfolg.
Hinweise:
Interessieren Sie sich für bessere Partizipation und mehr Nachhaltigkeit in Ihrem Unternehmen? Dann sprechen Sie Dr. Andreas Zeuch und die Unternehmensdemokraten einfach an.
[1] Armin Trost: Unter den Erwartungen: Warum das jährliche Mitarbeitergespräch in modernen Arbeitswelten versagt
[2] Hinzu kommen die typischen Probleme von Zielvereinbarungen, die von Vertreterinnen und Vertretern des Beyond Budgeting-Ansatzes seit Langem beschrieben werden. In Deutschland hat bspw. Niels Pfläging in seinem Buch Führen mit flexiblen Zielen anschaulich erklärt, warum solche Vereinbarungen oft mehr schaden als nutzen.
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Dr. Andreas Zeuch hat weitere Beiträge im t2informatik Blog veröffentlicht, u.a.:

Dr. Andreas Zeuch
Dr. Andreas Zeuch ist als freiberuflicher Berater, Trainer, Speaker und Autor tätig. Er begleitet Unternehmen auf ihrem Weg zu mehr Mitbestimmung und Unternehmensdemokratie. Seine Bücher „Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten“ und „Feel it!: So viel Intuition verträgt Ihr Unternehmen“ sind Bestseller und liefern viele praktische Beispiele.
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