Jobs to be done

Gastbeitrag von | 02.09.2019

Wenn wir Produkte entwickeln, wollen wir sie natürlich auch verkaufen. Leider ist der Konkurrenzdruck heute enorm – Nutzer können zwischen vielen verschiedenen Produkten wählen. Wir müssen also durch unsere Marketing-Maßnahmen den Nerv des Nutzers treffen, seine Bedürfnisse identifizieren und adressieren und so sein Interesse für unser Produkt wecken. Das ist gar nicht so einfach. In diesem Beitrag möchte ich Ihnen berichten, wie wir in einem 3-tägigen Kreativworkshop Marketing-Storys entwickeln, die auf die Bedürfnisse der Nutzer ausgerichtet sind.

Weg von „Produkt-Featuritis“ im Marketing

Leider ist es oft so, dass bei Produktdarstellungen viel zu wenig auf die Bedürfnisse des Nutzers eingegangen wird, sondern vielmehr Funktionen des Produktes aufgelistet werden. Dazu ein kurzes Beispiel:

Warum kaufen wir eine Kamera? Um Fotos zu machen? Weil die Mega-Pixel-Zahl extrem hoch ist? Weil sie einen 1.000-fachen Zoom hat? Weil sie im Dunklen gut erkennbare Bilder macht? In gewisser Weise ja, klar.

Aber warum sind diese Funktionen für uns essentiell? Welche Bedürfnisse stecken wirklich dahinter? Wir wollen zum Beispiel schöne Erinnerungen an besondere Erlebnisse und Momente haben. Wir wollen unsere Erinnerungen mit anderen teilen. Wir wollen andere mit faszinierend aussehenden Bildern beeindrucken, möglichst viele Likes oder Follower bekommen, Anerkennung kriegen. Die Funktionen der Kamera sind für uns nur Mittel zum Zweck.

Man bezeichnet diese tatsächlich dahinterstehenden Bedürfnisse auch als „Jobs (to be done)“ – also Jobs bzw. Bedürfnisse, die ein Nutzer mit einem Produkt wirklich erfüllen bzw. befriedigen will.

Auf genau diese Jobs sollten wir uns im Marketing konzentrieren. Was wir also in der Marketing-Botschaft für unsere Kamera herausstellen sollten sind nicht die Funktionen, sondern: wirklich jeder kann tolle, faszinierende Fotos machen und wirken wie ein professioneller Fotograf – und das ohne viel Aufwand und Wissen über die dahinterstehende Technik.

Wie genau kommt man jedoch zu solchen Jobs to be done und somit zu den Kern-Botschaften? Wir bei der itemis AG1 haben zusammen mit Ferdinand Grah von Creativity in Use2 einen 3-tägigen Workshop konzipiert, um unser Produkt-Marketing zu verbessern. Das Ziel: eine Marketing-Story zu erarbeiten, die die Kernbedürfnisse der Nutzer adressiert. Dieses Konzept möchte ich Ihnen im Folgenden vorstellen.

Zu einer guten Marketing-Story in nur 3 Tagen

Auch wir haben festgestellt, dass wir uns im Marketing oft auf die Funktionen unserer Software-Produkte konzentrieren. Gleichzeitig haben wir als IT-Dienstleister aufgrund der Vielzahl an Themen, die wir bearbeiten, weit gestreute Bereiche, für die unsere Marketing-Abteilung arbeitet. Erfahrungsgemäß nimmt die Erarbeitung eines Marketing-Konzepts für ein Thema daher oft einiges an Zeit in Anspruch, da viele Themen parallel bearbeitet werden.

Da wir uns in den letzten Jahren intensiv mit dem Thema Design Thinking auseinandergesetzt haben, kam schließlich die Idee auf, die dahinterstehenden Konzepte und Methoden für das Marketing zu verwenden. Wir haben uns daher einerseits ein Limit von drei Tagen gesetzt, in der wir ohne Unterbrechung an der Marketing-Story für eines unserer Produkte arbeiten wollen. Wir wollten uns damit herausfordern und uns die Frage beantworten: können wir innerhalb dieser Zeit ein neues Marketing-Konzept ausarbeiten, dass die wirklichen Jobs adressiert und weniger auf Features ausgerichtet ist?

Das konkrete Ziel des Workshops

Das primäre Ziel, das wir in den drei Tagen verfolgt haben, ist die Jobs unserer Nutzer zu identifizieren, um darauf aufbauend eine durchgängige Story zu entwickeln. Von dieser Story wollten wir konkrete Texte für Präsentationen, Webseite, Mailings, Tweets etc. ableiten können. Gleichzeitig wollten wir auch „Bilder“ erarbeiten, die diese Story grafisch untermalen.

Die Teilnehmer

Im Design Thinking ist ein interdisziplinäres Team wichtig. Gleichzeitig sollte die Teamgröße zwischen 5-7 Teilnehmern liegen. Wir haben uns anhand unserer Ziele überlegt, welche Skills und somit welche Rollen wir benötigen. Prinzipiell wollten wir ein Kernteam aufsetzen, das in der Lage ist – mit dem nötigen Input – ein Marketing-Konzept inklusive Texten und Grafiken zu entwerfen. Daher gab es Vertreter der folgenden Rollen:

  • 1 Moderator
    Hier haben wir uns externe Unterstützung durch Ferdinand Grah geholt, der uns auch in den letzten Jahren im Design Thinking fit gemacht hat. Da wir wissen, dass er ein sehr guter Moderator und Querdenker ist, erschien er uns der Richtige für diesen Job zu sein.
  • 1 Grafiker
  • 2 Texter
    Hier haben wir zu Lernzwecken eine externe Texterin hinzugeholt, um im Rahmen des Workshops professionelle Tipps zum Thema Storytelling zu erhalten. Danke hier an Nina Draese3 für die tolle Unterstützung.
  • 1 Produktmanager / Usability Engineer, der sich sowohl mit dem Produkt, als auch den Nutzern auskennt.
  • 1 Web-Entwickler

Neben dem Kernteam haben wir ein Inputteam aufgebaut, das punktuell zum Workshop dazugekommen ist und Input über die Nutzer eingebracht hat. Die Personen im Inputteam haben nahen Kundenkontakt und sind seit mehreren Jahren mit dem Produkt unterwegs. Das Inputteam bestand aus 3 Personen.

Die Vorbereitung

Da nicht alle aus dem Kernteam mit dem Produkt vertraut waren, haben wir im Vorfeld eine 2-stündige Produkt-Demonstration durchgeführt. Ziel war es, alle auf einen gleichen Wissensstand bzgl. der Funktionsweise des Produktes zu bringen.

Der Ablauf

Zeitlich haben wir für jeden Tag zwischen 9 – 16 Uhr angesetzt, damit jeder neben dem Workshop noch Zeit für seine eigentliche Arbeit hat.

Tag 1: Wissen über die Nutzer ihre Jobs sammeln

Am ersten Tag ging es vor allem darum herauszufinden, was unsere Nutzer charakterisiert und welche Jobs sie mit unserem Produkt erfüllen wollen. An diesem Tag war daher auch das Inputteam die meiste Zeit vor Ort. Die folgenden Methoden kamen zur Anwendung:

Wissen sammeln an Tag 1 bei Jobs to be done

Am Ende des ersten Tages standen somit unsere Grundinformationen. Wir wussten, worauf wir uns konzentrieren wollten. Die formulierten Job Stories wurden priorisiert, um einen klaren Fokus auf die wichtigsten Jobs der Nutzer zu setzen.

Tag 2: Storyboard und Prototyp entwickeln

An Tag 2 galt es dann, darauf basierend ein Storyboard zu entwickeln und darauf aufbauend einen Prototyp zu entwerfen.  Prototyp hieß hier für uns, Texte zu formulieren, die unsere Story ausdrücken. Diese sollten der Grundstein für die Texte unserer Webseite sowie einer Produktpräsentation sein. Außerdem haben wir an ersten grafischen Entwürfen für die Bildsprache gearbeitet.

Die folgenden Methoden kamen zum Einsatz:

Tag 2 - Storyboarding und Prototyping bei Jobs to be done

Hier einfach mal ein paar Einblicke, in welchem Status sich unser Prototyp am Ende des 2. Tages befand:

Tag 2 - Stand der Prototypen - Jobs to be done

Tag 3: Prototyping & Feedback-Zyklen

Am letzten Tag standen immer wieder Zwischenpräsentationen an, um Feedback zu unseren Ideen vom Inputteam zu erhalten und unseren Prototypen entsprechend anzupassen. Insgesamt haben wir unser Konzept 3 Mal präsentiert, hatten dann jeweils wieder knapp 90 Minuten Zeit für eine Überarbeitung, bevor das Inputteam wieder für eine Feedback-Runde zu uns gestoßen ist.

Damit Sie einen Einblick bekommen, wie viel in drei Tagen herauskommt, ein Foto unseres Raums:

Tag 3 - Feedbackzyklen - Jobs to be done

Das Ergebnis

Die spannende Frage ist natürlich: was kam raus?

Wir haben unsere Marketing-Story nun verstärkt auf die Hindernisse und Bedürfnisse fokussiert. Um hinterher die Funktionen des Produktes auf eine einfache und leicht verständliche Weise zu präsentieren, haben wir die Analogie eines Routenplaners verwendet. Auf Screenshots des Produktes haben wir an dieser Stelle im Marketing-Prozess verzichtet.

Vor unserem Workshop sah unser Angebot wie folgt aus:

Angebot vor Workshop - Jobs to be done

Der Fokus lag hier deutlicher auf Funktionalität und Fachbegriffen (orange umrandet) sowie der Darstellung des Tools mittels Screenshots.

Die folgenden Screenshots zeigen Auszüge aus der Präsentation, die wir basierend auf den Workshop-Ergebnissen erstellt haben:

Die neue Marketing-Story - Jobs to be done

Wie war das Feedback zum Ergebnis?

Auch wenn wir bei unserer ersten Ergebnispräsentation im Workshop noch keinen Prototypen hatten, sondern nur unsere Story vorgestellt haben, merkten wir, dass unsere Idee beim Inputteam sehr gut ankam. Wir waren also auf einem guten Weg. Auch die weitere Ausarbeitung bekam positive Resonanz. Gleichzeitig war das regelmäßige Feedback durch das Inputteam von uns sehr wichtig. Sie gaben uns Hinweise zu Punkten, die unklar waren oder nicht der Sprache der Nutzer entsprachen.

Im Gesamten konnte das Konzept überzeugen und wich tatsächlich sehr deutlich von unseren sonstigen Produktdarstellungen ab. Das zeigte sich auch bei weiteren Vorstellungen des Produktes mit der neuen Story – jeder gab uns das Feedback, dass wir auf dem richtigen Weg seien. Wir sind mit dem Ergebnis also erstmal zufrieden und nutzen es gerade, um darauf aufbauend weiteres Marketing-Material zu erstellen, um beispielsweise unsere Webseite anzupassen.

Unser Resümee

Wir würden es wieder tun und machen es auch! Im Oktober steht bei uns der nächste Workshop für das nächste Produkt an. Die Konstellation des Teams hat sich als richtig herausgestellt. Insbesondere die Zusammenarbeit mit dem Inputteam hat viel geholfen, frischen Input zu erhalten und Dinge zu präzisieren.

Etwas sollte man allerdings nicht außen vorlassen: damit man auf die tatsächlichen Jobs und Bedürfnisse der Nutzer kommt, ist es essentiell, die Nutzer zu kennen. Das heißt: im Vorfeld zum Workshop sollte es intensiven Nutzerkontakt geben und beispielsweise über Interviews ihre Bedürfnisse erarbeitet werden. Dies kann auch im Rahmen des Workshops selbst erfolgen. Eine gute Ansprache funktioniert nur, wenn wir auch die wirklich richtigen Bedürfnisse adressieren.

Bezüglich unserer Frage: kann man eine gute Story in drei Tagen entwickeln, können wir jetzt sagen: ja, können wir. Aber: diese 3 Tage waren auch gespickt von Höhen und Tiefen – teilweise hatte das Team kurze Durchhänger, die eine, richtig gute Ideen schien zu fehlen, der Prototyp-Bau verzögerte sich und die erste Präsentation rückte immer näher, was den Druck erhöhte. Die positive Resonanz auf das Ergebnis hat uns aber gezeigt: es hat sich gelohnt. Und tatsächlich denke ich, dass gerade der Zeitdruck dazu beigetragen hat, eine Idee schnell zu entwickeln und auf die Straße zu kriegen.

Fragen? Her damit!

Mir ist bewusst: so einen Workshop in einem kurzen Text rüberzubringen, ist nicht ganz so leicht bzw. nicht detailliert genug. Falls Sie also tiefergehende Fragen zu den Inhalten und Methoden des Workshops haben, kommen Sie gerne auf mich zu!

Hinweise:

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Das neue Konzept ist bereits online: https://www.itemis.com/en/yakindu/model-viewer

Yakindu - das neue Konzept ist online
Über LinkedIn können Sie leicht Kontakt mit Sandra Schering aufnehmen.

[1] Informationen zu Itemis finden Sie unter https://www.itemis.com/
[2] Informationen zu  Ferdinand Grah von Creativity in Use finden Sie unter https://ferdinandgrah.de/
[3] Informationen zu Nina Draese finden Sie unter https://www.xing.com/profile/Nina_Draese

 Sandra Schering hat einen weiteren Beitrag im t2informatik Blog veröffentlicht:

t2informatik Blog: Design Thinking in der Produktentwicklung

Design Thinking in der Produktentwicklung

Sandra Schering
Sandra Schering

Sandra Schering leitete bei der itemis AG von Ende 2016 bis Ende 2019 den Usability Bereich der itemis AG. Sie unterstützte Kunden bei der Einführung und Durchführung von Usability Engineering Methoden, führet Usability Trainings durch, z. B. als Vorbereitung auf die CPUX-F- und CPUX-UR-Zertifizierung, und leitete Teams als Moderatorin durch den Design Thinking Prozess. Seit Anfang 2020 ist sie als Strategic UX Designer bei der Signal Iduna Gruppe tätig.