Führung und Agilität im Ehrenamt
Was Führung, Agilität und Ehrenamt miteinander zu tun haben und warum das für ein neues Führungsverständnis wichtig ist
Ehrenamtliches Engagement entwickelt sich in den letzten Jahren weiterhin stabil über alle Altersgruppen. Der Trend sich zu engagieren ist in unserer Gesellschaft ungebrochen, wie auch die Analyse des aktuellen Freiwilligensurvey belegt. Zum Glück! Viele aktuelle Herausforderungen wurden gerade und nur durch den großen Einsatz vieler Ehrenamtlicher gut gemeistert. Denken wir hier nur an die Hochwasser-Katastrophe in 2021 oder auch die direkte und schnelle Unterstützung der Menschen aus der Ukraine, die durch den Krieg nach Deutschland geflüchtet sind.
Ehrenamt ist und bleibt eine wichtige und starke Säule unserer Gesellschaft. Dabei ist auch hier die erfolgreiche Zusammenarbeit untereinander ein entscheidender Faktor. Nur durch Zusammenarbeit kann ehrenamtliches Engagement seine volle Wirkung entfalten. Führung ist dabei ein wichtiges Thema, weil Führung Beziehungen aktiv gestaltet. Neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit wie agile Formate und Methoden zu nutzen, und sich auch neuer Kommunikationskanäle aktiv zu bedienen, sind in der heutigen Zeit wesentliche und wichtige Erfolgsfaktoren.
Einige Fakten über ehrenamtliches Engagement
Nach den Ergebnissen der Umfragen zu ehrenamtlichem Engagement (Freiwilligensurvey, Engagementbericht des BMFSF, Generali Engagementatlas¹) engagieren sich 39,7 % der Deutschen im Alter ab 14 Jahren freiwillig für die Gesellschaft. Das entspricht ca. 28,8 Millionen Menschen.
Als „freiwillig engagiert“ wird gezählt, wer „in der Befragung angibt, freiwillige oder ehrenamtliche Arbeiten oder Aufgaben außerhalb von Beruf und Familie auszuüben“.
Im Vergleich zu der letzten Befragung aus dem Jahr 2019 ist das Engagement dabei im Wesentlichen stabil geblieben. Im Vergleich zum Engagement in 1999 – als sich ca. 21,6 Millionen Menschen engagierten – ist die Lust sich zu engagieren in den letzten zwanzig Jahren stark gestiegen.
Trotz des mittelfristig wachsenden Engagements, ist zu beobachten, dass die Übernahme von Leitungs‐ oder Führungsfunktionen im Ehrenamt rückläufig ist: „Hiernach sank der Anteil der Engagierten mit Leitungs‐ und Vorstandsfunktion von 38,2 % im Jahr 1999 um gut zehn Prozentpunkte auf 27,5 % im Jahr 2014“. Und auch im aktuellen Freiwilligensurvey 2019 ist ausgeführt: „Engagierte haben im Zeitvergleich anteilig immer seltener leitende Tätigkeiten inne. Für Männer ist der relative Rückgang zwischen 1999 und 2019 stärker als für Frauen“.
Für Organisationen wird es zunehmend schwerer, diese Positionen zu besetzen. Neben den Herausforderungen des demografischen Wandels und den Auswirkungen der Digitalisierung kommt eine weitere „Bremse“ in der Motivation der freiwillig Engagierten hinzu, verantwortungsvolle Führungsaufgaben – längerfristig – übernehmen zu wollen.
Kommt Ihnen das bekannt vor? Ja, richtig – es ist eine sehr ähnliche Diskussion wie wir sie in Wirtschaftsunternehmen diskutieren. Und das ist genau der Kern der Sache. Es geht längst nicht mehr um „Geld“ und 2Karriere“. Worum es dann geht? Im Ehrenamt wollen wir Sinn stiften, helfen und unterstützen, aber vor allem auch unsere eigenen Bedürfnisse erfüllen und etwas tun, was uns entspricht. Genau wie im „normalen“ Job müssen sich also Organisationen die Farge stellen: Was ist eine nachhaltige und zukunftsfähige Motivation für Führung?
Motivation – Engagement – Emotion
Für ein leistungsstarkes freiwilliges Engagement ist die Motiverfüllung der entscheidende Faktor. Aus der Befriedigung von Motiven heraus entstehen positive Gefühle wie beispielsweise Freude, Spaß, Begeisterung, Zugehörigkeitsgefühle, Wohlbehagen oder Dankbarkeit. Diese positiven Emotionen führen dazu, dass sich Menschen engagieren, einsetzen und ihr Bestes geben.
Das Entstehen von positiven Gefühlen ist die Gegenleistung für den eigenen Einsatz: Es ist die erwünschte und erwartete „Belohnung“. Die positiven Gefühle treiben zur Leistung an.
Um Motive erfüllen zu können, müssen sie bekannt und bewusst sein. Dies gilt für den potenziell Engagierten selbst wie auch für Personen, die ihn in der jeweiligen Organisationsform führen.
Die entscheidende Frage lautet also: Was sind die wichtigsten persönlichen Bedürfnisse im freiwilligen Engagement, und wie können sie erfüllt werden?
Wesentliche Motive, sich freiwillig zu engagieren und dafür Zeit und Lebensqualität einzubringen, sind:
- Anerkennung,
- persönliche Beziehungen,
- soziale Gerechtigkeit,
- organisieren,
- sich kümmern,
- Ansehen,
- Einflussnahme,
- Wissenserweiterung,
- Wettkampf.
Alle Motive sind absolut wertfrei zu verstehen! Es gibt in diesem Zusammenhang keine „guten“ oder „schlechten“ Antreiber. Alle dienen dazu, Impulse für eine (freiwillige) Leistung zu setzen.
Dabei handeln die wenigsten Menschen nur aus einem Motiv heraus. Es gibt ganz individuell stärkere und schwächere Ausprägung von Motiven. Und es ist auch das Zusammenspiel mehrerer Motive, das uns letztendlich in unseren Bedürfnissen und Handlungen prägt. So wie jeweils schon unterschiedliche Motive in jedem Einzelnen „wirken“, wirken auch die verschiedenen Motivationen aller in einer ehrenamtlichen Organisation. Es sind unterschiedliche Motive, die zusammenspielen, die aber teilweise auch gegeneinander wirken können. Wie erzeugt man soziale Gerechtigkeit, wenn es in einem Sportverein um Wettkampf geht? Wie gehe ich mit einem herrschsüchtigen Vereinsvorsitzenden um, der zwar die wirtschaftlichen Belange recht gut regelt, in Vorstandssitzungen aber regelmäßig für schlechte Stimmung sorgt? Und persönliche Beziehungen nehmen eine noch größere Rolle ein, wenn hinter jedem zweiten Satz gesagt oder gedacht wird: „Das mache ich in meiner Freizeit.“
Der:die autokratische Chef:in ist in der New Work-Wirtschaftswelt verpönt (wenn auch noch lange nicht abgeschafft) – in Vereinen ist es oft üblich, dass eine:r das sagen hat und viele mitlaufen.
Während in der Konzernwelt Emotionen nichts zu suchen haben, kann Ehrenamt nicht ohne funktionieren, denn genau sie sind es, die Menschen zu freiwilligen Leistungen bewegen.
Führung im Ehrenamt muss daher wesentlich mehr als in der Wirtschaftswelt, wo zumindest teilweise noch eine Vergütung als Kompensationszahlung verstanden werden kann, intrinsisch motivieren. Wenn wir hier Führung neu denken und attraktiv gestalten, dann kann das einen großen Impact auf Führung überhaupt haben. Dann macht Führung wieder Sinn und Spaß – sie schafft Mehrwert!
Führung – Verantwortung – Organisation
Die Führung von Menschen gestaltet sich als eine herausfordernde Aufgabe, die viel Verantwortung des Führenden bedarf. Neben „klassischen“ (wirtschaftlich beeinflussten) Führungsaufgaben und Kompetenzen beinhalten die spezifischen ehrenamtlichen Strukturen besondere Herausforderungen an Führungskräfte. Ehrenamtliche Strukturen unterscheiden sich stark hinsichtlich der Betätigungsfelder, der Organisation, in der Größe und Zielsetzung. Dieses weite, bunt gemischte Feld wird geprägt vom Aufeinandertreffen unterschiedlichster Menschen und deren Persönlichkeiten, mit ganz unterschiedlichen Fähigkeiten und Hintergründen.
Ehrenamtliches Engagement befindet sich immer in einem Spannungsfeld zwischen ideellem Anspruch und erfolgreichem Handeln. In diesem Spannungsfeld müssen sich Führungskräfte bewegen. Führung ist dabei eine Dienstleistung an den zu führenden Menschen und an der Organisation. Das bedeutet auch immer wieder, sich schwierigen Situationen zu stellen, wenn es der Sache dient.
Eine der größten Herausforderungen in der ehrenamtlichen Führung ist, im Umgang mit Menschen scheinbare Gegensätze zu vereinen.
Um erfolgreich im Sinne der Menschen und der Organisation zu agieren, ist es notwendig, reflektiert an die eigenen Führungsaufgaben heranzugehen und Führungsaufgaben professionell wahrzunehmen.
Für die ehrenamtliche Führungspraxis ist es hilfreich, die potenziellen Schwierigkeiten zu kennen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sich darauf einstellen zu können.
Wesentliche Herausforderungen sind:
- eine hohe Werteorientierung in den Organisationen,
- persönliche Beziehungen untereinander gestalten,
- heterogene Gruppen,
- zeitliche Ressourcen,
- Führungskräftequalifizierung.
Gerade der letzte Punkt muss neu gedacht werden. Ehrenamt hat keine Personalauswahlprozesse. Und das ist auch gut so. Mehr als alles andere brauchen wir dann aber Führungskräfte, die mit Diversität umgehen können, mit herausfordernden Teamkonstellationen, mit Kommunikationshürden. Führung ohne Weisungsbefugnis ist im Ehrenamt an der Tagesordnung. Das Konzept des „freiwilligen Folgens“ eines Vorbilds können wir genau hier trainieren. Das heißt aber nicht, dass Führungskräfte im Ehrenamt Testfiguren sind. Sie brauchen genau wie bezahlte hauptamtliche Führungskräfte Unterstützung, Weiterbildungen und das Wissen um innovative Organisationstheorien.
Agilität – Flexibilität – Veränderung
Organisationen, die sich verändern, bleiben lebendig – und sichern sich damit vielleicht nicht nur ihren Erhalt, sondern auch ihre Attraktivität. Sofern es ehrenamtlichen Unternehmungen gelingt, sich immer wieder mit aktuellen Entwicklungen im Innen- und im Außenverhältnis auseinanderzusetzen und ihre organisatorische Struktur im Einklang mit ihrer Kultur anzupassen, zeugt dies von einer hohen Agilitätskompetenz.
Agile Organisationen sind absolut zukunftsorientiert und gehen mit Unsicherheiten bewusst um. Soweit Agilität in einer Organisation gelebt werden soll, sind die Einstellung und Umstellung auf neue Entwicklungen als ein ganzheitlicher, anhaltender Prozess anzuerkennen, an dem alle Beschäftigten mitwirken. Dies gelingt durch eine besondere Form der Kooperation zwischen Funktionen, Teams und Führung. Damit Agilität funktionieren kann, müssen alle aktiv dazu beitragen.
Es gibt nicht die eine agile Organisation. Allerdings gibt es bestimmte Elemente die Agilität prägen. Dazu gehören Werte, die Orientierung geben, eine eigenverantwortliche Haltung in der Zusammenarbeit, eine vielseitige Führung und eine kontinuierliche Reflexion, um eben aus Erfahrungen zu lernen und Veränderungen erfolgreich zu begegnen. Alles wesentliche Elemente, die auch ehrenamtliche Organisationen in der Zusammenarbeit entscheidend kennzeichnen.
Viele Faktoren können eine Organisation hierin unterstützen agil zu sein und agiles Zusammenwirken zu ermöglichen: Zu nennen sind hier alle Strukturen und Prozesse, die dazu befähigen, sensitiv und reflektiert zu sein und mit Unsicherheiten verantwortungsvoll umzugehen. Also z.B. ein Commitment, das immer wieder eingeholt wird „mitzumachen“. Im ehrenamtlichen Engagement ergibt sich dies schon alleine daraus, dass jede:r Engagierte völlig freiwillig seinen(ihren Beitrag leistet und sich daher seine/ihre Verbindlichkeit aus der Überzeugung heraus ergibt. Auf der anderen Seite bedeutet es aber auch, dass es für ehrenamtliche Organisationen umso wichtiger ist, sich dieser „Überzeugung“ immer wieder zu versichern und Mitglieder und Freiwillige entsprechend immer wieder hier abzuholen. Weitere positive Unterstützer für Agilität sind kultureller Art: Ein Umfeld, das Lernen, Mitgestaltung und Innovation ermöglicht, in dem eine offene Feedback- und Vertrauenskultur besteht und das in erster Linie auf Lösungsorientierung angelegt ist, erleichtert agiles Verhalten.
Agile Arbeitsorganisationen sind weniger durch eine hierarchische Struktur als vielmehr durch ein Netzwerkgefüge geprägt. Eine Netzwerkorganisation zeichnet sich dadurch aus, dass ihre Mitglieder weitestgehend autonom handeln und durch gemeinsame Ziele langfristig miteinander verbunden sind. Hierdurch wird koordiniert zusammengearbeitet. Mit einer Netzwerkorganisation sollen stabile, kooperative und komplexe Beziehungen zwischen den beteiligten Partnern ermöglicht werden. Gleichzeitig ermöglichen Netzwerkorganisationen einen kontinuierlichen vereinfachten Austausch miteinander. Wissen kann hier schneller geteilt und eine systematische Gestaltung in den Mittelpunkt gerückt werden. Somit können viele Netzwerkteilhaber sich zeitnah einheitliche Informationen und Kenntnisse verschaffen, bzw. diese erhalten.
Damit eine agile Organisationsgestaltung ihre ganze Wirksamkeit entfalten kann, empfehlen sich agile Formate und Methoden in der Zusammenarbeit.
Die Führung einer zukunftstauglichen Organisation unterliegt daher einem Kreislauf von Planungs-, Entwicklungs- und Umsetzungsstadien.
Wir können davon ausgehen, dass sich unsere Zukunft zunehmend durch Technik bestimmt. Und wir können ebenfalls davon ausgehen, dass wir uns zukünftig immer schneller aufgrund dieses Fortschritts verändern werden und müssen. So wie im privaten Umfeld wandelt sich auch unsere berufliche Umwelt durch Digitalisierung und die technische Progression: Neue Geschäfts- und Servicemodelle entstehen, tradierte Modelle lösen sich auf und verschwinden vom Markt, daneben wachsen unterschiedlichste Branchen zusammen und vernetzen sich. Dienstleistungen, für die Betriebsmittel oder Angestellte vorgehalten werden müssten, verändern sich dahingehend, dass über eine (Internet-)Plattform Produkte angeboten und diese mit einer Logistik versehen werden. Der Gedanke der Vernetzung steht immer im Vordergrund und bringt Produkt oder Service mit Logistik zusammen. Dies hat einen zunehmenden Einfluss auf Tätigkeiten, Zusammenarbeit und Kultur. Dabei macht der technologische Fortschritt oder umfassender ausgedrückt, die Digitalisierung nicht in der Arbeitswelt halt, sondern betrifft unsere gesamte Gesellschaft und unser Zusammenleben im gleichen Maße. Damit ist auch das Ehrenamt als wesentlicher Teil unserer Gesellschaft davon berührt und betroffen.
Fazit
Führungskräfte im Ehrenamt müssen sich (noch) mit ihrer eigenen Qualifikationen zum Thema Führung auseinandersetzen und sich selbst um einen Standard kümmern. Sie stolpern in Führungsrollen und werden dort mit hochgradig komplexen Themen konfrontiert. Sie sind eigentlich immer mit der wichtigsten Ressource befasst: mit Menschen. Darum sollte Führung im Ehrenamt in ganz vielen Fällen als Netzwerk in einem Team gemeinschaftlich erfolgen.
Insgesamt sollte das Thema Führung als Standardthema im freiwilligen Engagement etabliert werden. Hierfür bedarf es eines Zusammenwirkens möglichst aller Führungskräfte einer Organisation. Ehrenamtliche Strukturen sind oft ein Spiegelbild gesellschaftlicher Strukturen – vielmehr als unsere geclusterte Berufswelt.
In der ehrenamtlichen Führung muss mit Widersprüchen und Gegensätzen gelebt werden. Dieses Spannungsfeld müssen Führungskräfte erkennen und eine Balance finden. Zentrale Herausforderung ist hierbei weniger das Lösen von Problemen als die Gestaltung des Miteinanders in der Lösungsfindung.
Führung ist dabei das Mittel das gute und kraftvolle Beziehungen erzeugt.
Hinweise:
[1] Freiwilligen Survey 2014 und 2019 sowie Dritter Engagementbericht: Zukunft Zivilgesellschaft. Junges Engagement im digitalen Zeitalter (2020)
Britta Redmann hat ein Buch zum Thema Erfolgreich führen im Ehrenamt veröffentlicht.
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Im t2informatik Blog hat Britta Redmann drei weitere Artikel veröffentlicht:
Britta Redmann
Britta Redmann ist als Anwältin, Mediatorin und Coach selbständig tätig und verantwortet bei einem Softwarehersteller den Bereich HR & Corporate Development. Sie ist Autorin verschiedener Fachbücher. Als Personalleiterin hat sie in verschiedenen Branchen Organisationsentwicklungen begleitet, geleitet und arbeitsrechtlich umgesetzt. Ihre besondere Expertise liegt auf der Entwicklung von Organisationen bis hin zu agilen und vernetzten Formen der Zusammenarbeit. Moderne Konzepte, wie z.B. zu Agilität, Arbeit 4.0 und Digitalisierung werden von ihr arbeitsrechtlich transformiert und organisatorisch implementiert.