Design Thinking is Life!
Kennen Sie Dani Rojas aus der TV-Serie Ted Lasso? Dieser Kerl, der ständig „Football is Life!“¹ brüllt und es liebt, in seiner eigenen Welt zu leben? Was wäre, wenn wir das Ganze einmal umdrehen und statt „Football is Life“ einfach „Design Thinking is Life“ ausrufen würden?
Design Thinking wurde in Deutschland als Workshop-Ansatz etabliert. Als ich vor 12 Jahren meine Ausbildung zum Design Thinking Coach am Hasso-Plattner-Institut absolvierte, ging es darum, großartige Workshops zu gestalten. Das Konzept wurde auf eine äußerst rigide Weise durchgezogen; Phasen wurden strikt befolgt und die Stoppuhr wurde geschwungen, als ob es kein Morgen gäbe. Auch wenn sich das Ganze irgendwie unbehaglich anfühlte, die Schritte, die mit eiserner Disziplin entlang der Zeitachse durchgeführt wurden, produzierten immer wieder faszinierende Ergebnisse. Und gerade für Workshopanfänger bietet die stark geführte Vorgehensweise auch heute noch eine gute Struktur und dadurch Sicherheit.
Skeptiker des Design Thinkings kritisieren gerne die Strenge des Ansatzes, vor allem wenn er von Personen mit begrenzter systemischer Erfahrung oder begrenzter Kenntnis vom Alltag in Unternehmen umgesetzt wird. Die Praxis, nur gelegentlich in Form von Workshops mit Design Thinking zu arbeiten, und dann wieder zu herkömmlichen, direktiven Methoden zurückzukehren, kann tatsächlich dazu führen, dass Teams in Sackgassen landen.
„Design Thinking haben wir ausprobiert, aber es hat nicht wirklich funktioniert“, ist leider ein oft gehörter Satz.
Ich muss zugeben, auf diese Weise funktioniert Design Thinking auch nach meiner Erfahrung nur begrenzt. Aber Design Thinking wäre nicht Life, wenn es sich nicht weiterentwickelt hätte. Nachfolgend möchte ich kurz die beiden häufigsten Ausprägungen beschreiben.
Großartige Workshops mit Design Thinking
Ich glaube nach wie vor, dass Design Thinking großartige Workshops ermöglichen kann. Die Vorteile liegen jedoch eher darin, dass
- Teams in einen intensiven Austausch treten,
- neue Perspektiven kennenlernen und
- grundlegende Ausrichtungsentscheidungen treffen.
Das schafft eine „gemeinsame Basis“, die im täglichen Miteinander von unschätzbarem Wert ist. Viele unserer Kunden schätzen diese Art von Workshops, da sie immer wieder den Fokus schärfen, Ideen generieren und gleichzeitig kleinere Konflikte lösen können.
Für tiefgreifende Neuausrichtungen, die Entwicklung neuer Produktideen oder die intensive Gestaltung von Projekten führt jedoch kein Weg an der zweiten Ausprägung vorbei.
Design Thinking im Alltag
Im Laufe meiner Design-Thinking-Reise habe ich bei mir selbst eine Veränderung bemerkt: Mir wurde bewusst, dass die AHA-Momente, die ich beim Anwenden der methodischen Elemente erlebt habe, mir im Alltag geholfen haben, besser auf Herausforderungen zu reagieren.
Wenn mir heute jemand von einer Herausforderung erzählt, reagiere ich nicht mehr reflexartig mit einer Lösung. Stattdessen frage ich nach: Was ist das eigentliche Problem? Ist es das, was oberflächlich sichtbar ist, oder gibt es verborgene Bedürfnisse, die dazu führen, dass das Problem trotz verschiedener Lösungsansätze weiterhin besteht?
Ein Beispiel aus meinem Alltag: Ich habe eine Nachbarin, die als Physiotherapeutin in einer Klinik arbeitet. Sie erzählte mir, dass einige Patienten körperlich nicht gesund wurden, obwohl alles darauf hindeutete, dass sie es sein sollten. Der Grund war, dass die Patienten die Rehabilitation suchten, um dort eine Zuwendung zu erhalten, die ihnen im Alltag fehlte. Das eigentliche Problem lag also nicht in der Behandlung des kranken Rückens, sondern in der Lebenssituation der Person. Traditionelle Bewegungstherapie allein kann hier keine nachhaltige Lösung bieten.
Und diese Erkenntnis führt zu folgender Frage:
Wie kann Design Thinking Teil des Lebens werden?
Seit vielen Jahren arbeite ich mit einem Marketingunternehmen zusammen, das sich auf projektbasierte Arbeit spezialisiert hat. Die Geschäftsführerin dieses Unternehmens hat eine interessante Erkenntnis gewonnen: Durch die Anwendung von Design Thinking konnte sie ihre Arbeitszeit um mindestens 20 % effektiver nutzen.
Früher organisierte sie jeden Montag mit ihrem Team ein sogenanntes „Weekly Meeting“. In diesem Meeting wurden alle laufenden Projekte besprochen, und es wurde überlegt, welche Schritte in der kommenden Woche anstehen. Die Geschäftsführerin half dem Team, wichtige Entscheidungen zu treffen.
In der Regel funktionierte diese Vorgehensweise bis zur Mitte der Arbeitswoche gut. Doch dann tauchten immer wieder neue Entscheidungsfragen auf, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter standen einzeln vor ihrem Schreibtisch, um Unterstützung zu suchen. Donnerstag und Freitag waren geprägt von diesen Herausforderungen.
Die Frage stand im Raum, ob ein weiteres „Weekly Meeting“ am Donnerstag sinnvoll wäre. Die Geschäftsführerin und ihr Team entschieden sich dafür, diese Frage in einem Workshop mithilfe von Design Thinking zu bearbeiten.
Schnell wurde deutlich, dass ein Großteil der notwenigen Entscheidungen von den Mitarbeitenden selbst getroffen werden konnten. Es war jedoch das Gefühl der Unsicherheit, das sie daran hinderte, eigenverantwortlich zu handeln. Die Idee entstand, dass Mitarbeitende in solchen Fällen ein oder zwei Kollegen um Unterstützung bitten sollten, um gemeinsam die verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten zu erörtern und schließlich gemeinsam eine sinnvolle Entscheidung zu treffen.
Gleichzeitig etablierte das Unternehmen den Ansatz des „Design Thinking im Alltag“. Dieser Ansatz entspricht einer Haltung, die den Design-Thinking-Elementen „Beobachten“ und „Sichtweise definieren“ besondere Bedeutung beimisst. Design Thinking endet nicht nach dem Prototyping. Im Gegenteil, es beginnt erst dann richtig.
Der initiale Workshop sensibilisiert für das, was noch unbekannt ist, oder wo unsichere Annahmen im Spiel sind. Der Prototyp, der in diesem Rahmen entsteht, hat logischerweise noch ein instabiles Fundament. Wird der gesamte Zyklus nur einmal durchlaufen, ist das Scheitern eigentlich vorprogrammiert.² Was folgt ist also bei Bedarf ein wiederholter Durchlauf, bei dem Erkenntnisse und Ergebnisse besprochen und als Input für eine Weiterentwicklung genutzt werden.
Aus meiner Perspektive ist das ein schönes Beispiel für Design Thinking im Alltag. Mitarbeitende nutzen die Elemente des Prozesses, sie machen es unbewusst, ganz einfach, weil es für sie nützlich ist.
Fazit
Design Thinking im Alltag fördert die Wahrnehmung von Beobachtungen und Validierungen, die durch das prototypische Ausprobieren möglich werden. Es nutzt die Sensibilisierung für gezieltes Sammeln und die anschließende Auswertung von Informationen. Darüber hinaus involviert es regelmäßig verschiedene Personen, um sicherzustellen, dass niemand alleine gelassen wird, wenn es darum geht, mit neuen Erkenntnissen umzugehen und diese zu bewerten.
In meiner Beobachtung hat sich Design Thinking genau in diese Richtung entwickelt: Es ist zu einem Ansatz geworden, der sich nahtlos in unser tägliches Leben integriert.
Design Thinker sind nicht zufrieden mit oberflächlichen Lösungen, sie sind immer im Modus der Beobachtung. Sie sammeln Erkenntnisse und leben Empathie. Und wenn es notwendig ist, können sie sich fokussieren und den „Sack“ schließen. Wenn ein Prototyp nicht die gewünschten Ergebnisse bringt, geben sie nicht sofort auf, sondern iterieren. Sie reflektieren Erkenntnisse und Erfahrungen bewusst und nutzen diese zur kontinuierlichen Weiterentwicklung. Dies geschieht nicht durch chaotisches Herumprobieren, sondern auf strukturierte Weise, die auf den Prinzipien des Design Thinkings basiert.
Übrigens: Dani Rojas hatte zwischendurch genug von seinem „Football is Life“-Slogan. Glücklicherweise erkannte er, dass Design Thinking nicht nur ein Spiel, sondern auch der Tod des Stillstands ist. Für mich ist Design Thinking ein Lebensstil!
Hinweise:
[1] Dani Rojas Originalzitat lautet: „…even though football is life, football is also death. And that football is football, too. But mostly that football is life!
[2] Dies gilt auch für herkömmliche Entscheidungsprozesse, nur wird darüber weniger offen gesprochen.
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Inga Wiele hat einen weiteren Beitrag im t2informatik Blog veröffentlicht:
Inga Wiele
Inga Wiele liebt es, Menschen zu ermuntern, sich auf neue Wege einzulassen. Dabei versteht sie es, die verschiedenen Sichtweisen der Beteiligten zu erkennen und Teams zu fördern. Hindernissen begegnet sie mit der Analyse zur gekonnten Gegenstrategie – immer das Ziel vor Augen, den Kurs wieder in Sichtweite zu bekommen.
Inga hat Betriebswirtschaft an der Berufsakademie Stuttgart studiert. Einige Jahre Erfahrung als Software-Beraterin in Deutschland und in Boston/USA haben sie gelehrt, Kontexte schnell zu verstehen, und es ihr ermöglicht, bei SAP, wo sie fast 14 Jahre tätig war, kundenorientiert Produktinnovationen voranzubringen. In dieser Zeit war sie auch zwei Jahre Mitglied des Aufsichtsrats der SAP AG.
2011 wurde Inga an der d.school des Hasso-Plattner-Instituts in Potsdam zum Design Thinking Coach ausgebildet und war aktiv als Projektcoach und Trainer am Roll-Out dieser Arbeitsmethode bei der SAP AG beteiligt.
Seit 2014 ist sie selbständig als Geschäftsführerin der Firma gezeitenraum, die sie mit ihrem Mann Christian gegründet hat. In Sankt Peter-Ording verwirklichen beide ihren Traum, am Meer zu leben und Stürme zu meistern. Inzwischen wurd gezeitenraum sieben Mal von brand eins und statista als eine der besten Unternehmensberatungen ausgezeichnet.