Der Arbeitsunfall im Unternehmen
Wie bereiten Sie sich auf Arbeitsunfälle in Ihrem Unternehmen vor?
Jenny Müller und ihr Team waren in diesem Jahr besonders erfolgreich und erhielten als Auszeichnung die besondere Ehre, den fünf Meter hohen Weihnachtsbaum in der offenen Eingangshalle ihres Arbeitgebers zu schmücken. Voller Begeisterung sammelte das Team kreative Ideen, entwickelte ein stimmiges Konzept und besorgte alle benötigten Materialien. Für die Umsetzung stieg Jenny auf die hohe Sicherheitsleiter, nahm die modischen, erdfarbenen Glaskugeln entgegen und schmückte den Baum mit sichtlicher Freude und einem Hauch von Stolz. Ein Erinnerungsfoto war auch gleich gemacht.
Plötzlich rannte eine Kollegin herbei und rief hektisch nach Jenny. Reflexartig drehte sie sich um – ein fataler Fehler. Jenny verlor das Gleichgewicht und stürzte aus großer Höhe direkt auf den Marmorboden. Erst ertönte ein markerschütternder Schrei, der noch weit im Gebäude zu hören war, dann folgte absolute, gespenstische Stille. Ein Arbeitsunfall, mit dem niemand gerechnet hatte. Alle Anwesenden waren wie gelähmt, unfähig, sofort zu reagieren.
Nur die Kollegin an der Rezeption, einige Meter vom Ort des Geschehens entfernt, handelte geistesgegenwärtig. Sie löste umgehend Alarm aus, informierte die Ersthelfer und rief den Notruf an. Kurz darauf trafen die Ersthelfer ein. Bald war das Geheul der Sirenen, das Quietschen der Rettungswagenreifen und die Stimme der Notärztin zu hören. Jenny wurde auf die Schaufeltrage gelegt, und es wurde beschlossen, die Angehörigen zu informieren – ein klares Zeichen dafür, wie ernst die Situation war. Am Nachmittag meldeten sich erste Pressevertreter bei der Geschäftsleitung und baten um ein Interview.
Die regelmäßige Überprüfung von Arbeitsmitteln
Ein Arbeitsunfall ist definiert als „ein von außen einwirkendes Ereignis während einer Arbeitsschicht oder einer beauftragten Tätigkeit, das zu einem Gesundheitsschaden oder sogar zum Tod führt“. [1] Es ist ein großes, kaum greifbares Glück, wenn in einem Unternehmen über viele Jahre hinweg kein schwerer Arbeitsunfall geschieht. Doch wie die geschilderte Situation zeigt, kann dieser Zustand unerwartet und abrupt enden. Leiterunfälle wie der beschriebene gehören seit Jahren zu den traurigen Spitzenreitern in den Statistiken der Berufsgenossenschaften – sowohl in Bezug auf die Häufigkeit als auch auf die finanziellen Leistungen. [2]
Lassen Sie uns anhand dieser Geschichte das Thema Arbeitsunfall von vorne aufrollen:
In unserem Beispiel fällt Jenny Müller durch eine Unachtsamkeit von der Leiter, sie hätte aber auch wegen einer defekten Leitersprosse aus luftiger Höhe abstürzen können. An sich ist es naheliegend, Arbeitsmittel auf ihre sichere Gebrauchsfähigkeit zu überprüfen und idealerweise mit einer Prüfplakette zu versehen. Was passiert aber, wenn bei einer Prüfung ein Risiko festgestellt wird? Wird das Gerät ausgetauscht? Oder lautet die Entscheidung der Geschäftsführung: „Die Leiter wird ohnehin nur einmal im Jahr gebraucht, wir müssen sparen und das Risiko ist auch nicht sonderlich groß?“ Die Praxis zeigt: Häufig wird das Risiko eines Arbeitsunfalls deutlich unterschätzt.
Glücklicherweise ereignete sich der beschriebene Unfall in Sichtweite der Rezeption. Die Kollegin reagierte geistesgegenwärtig und alarmierte sofort die internen Ersthelfer und den Notruf. Die Rettungskräfte waren schnell vor Ort. Die Verletzte wurde umgehend medizinisch versorgt, anschließend mit dem Rettungswagen zum nahegelegenen Sportplatz gebracht und von dort mit einem Hubschrauber in eine Spezialklinik geflogen.
Die Angehörigen im Blick
Schauen wir uns den Arbeitsunfall weiter an: Ein wichtiger Schritt in solchen Situationen ist die schnelle und klare Kommunikation mit Angehörigen.
Die Notärztin forderte, die Familie der Verletzten zügig zu informieren, da sie die Schwere der Verletzungen vor Ort nur begrenzt einschätzen konnte. Diese Bitte offenbarte jedoch gravierende Lücken in den organisatorischen Abläufen des Unternehmens. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich eine Führungskraft bereit erklärte, die Verantwortung für diesen sensiblen Anruf zu übernehmen.
Doch damit begannen die eigentlichen Schwierigkeiten. Wer sollte überhaupt kontaktiert werden, und wie gelangte man an die aktuelle Telefonnummer? Ein Blick in die Personalakte von Jenny Müller bot keine wirkliche Hilfe. Dort stand lediglich eine alte, vor 15 Jahren eingetragene Festnetznummer, die längst nicht mehr existierte. Ein erster Anrufversuch bestätigte, dass sie gelöscht und inzwischen neu vergeben worden war. Eine aktuelle Notfallnummer für ein nahestehendes Familienmitglied fehlte komplett. Niemand aus Jennys Kollegenkreis konnte eine alternative Kontaktperson nennen, was die ohnehin angespannte Situation weiter erschwerte.
Zeugenbefragung und transparente Kommunikation
Inzwischen war auch die Polizei vor Ort eingetroffen und hatte Fragen an die Zeugen. Die hohe Leiter, die beim Unfall im Einsatz war, war erst zwei Monate zuvor überprüft und als sicher eingestuft worden – sie trug sogar eine entsprechende Plakette. Schnell stand fest, dass es sich bei dem Vorfall um eine Verkettung unglücklicher Umstände handelte. Um den Zeugen einen geschützten Raum für ihre Aussagen zu bieten, wurden zwei angrenzende Besprechungsräume geöffnet. Gleichzeitig stellte die Kantine Getränke, Schokolade und Snacks bereit, um die angespannten Anwesenden zu unterstützen. Die Geschäftsleitung war ebenfalls vor Ort, sichtlich schockiert von dem Geschehen. Sie entschied spontan, den restlichen Arbeitstag für alle Beteiligten freizugeben.
Spätestens mit der Landung des Rettungshubschraubers hatte sich der Unfall wie ein Lauffeuer im Unternehmen verbreitet. Am Nachmittag meldeten sich schließlich die Pressevertreter: Eine lokale Zeitung und ein Fernsehsender baten um ein Interview. Ausnahmsweise trat die geschäftsführende Gesellschafterin persönlich vor Mikrofon und Kamera. Sehr ruhig sprach sie zunächst von ihrer eigenen Betroffenheit, die ihr zudem ins Gesicht geschrieben war. Anschließend drückte sie der verunglückten Mitarbeiterin, deren Kolleginnen und Kollegen sowie Jennys persönlichem Umfeld ihr tief empfundenes Mitgefühl aus. Sie betonte, dass das Unternehmen eng mit den Ermittlungsbehörden zusammenarbeite und neue Erkenntnisse transparent mit der Öffentlichkeit teilen werde.
Wie gut ist Ihre Organisation auf einen Arbeitsunfall vorbereitet?
Arbeitsunfälle können in jedem Unternehmen unerwartet und abrupt auftreten – wie die Geschichte von Jenny Müller eindrucksvoll zeigt. Die entscheidende Frage lautet: Sind Sie und Ihr Unternehmen darauf vorbereitet, schnell und effektiv zu reagieren?
- Nutzen Sie regelmäßige Probealarme, um die Abläufe im Ernstfall zu üben?
- Überprüfen Sie Arbeitsmittel auf ihre Gebrauchstauglichkeit?
- Gibt es ausgebildete Ersthelfer, die in der gesamten Organisation bekannt und stets erreichbar sind?
- Werden Notfallkontakte Ihrer Mitarbeitenden dokumentiert und mindestens einmal jährlich aktualisiert, damit in kritischen Situationen keine wertvolle Zeit durch veraltete Daten verloren geht? Und genauso wichtig: Sind diese Informationen leicht zugänglich?
Neben diesen organisatorischen Aspekten ist es ebenso relevant, dass Ihre Sicherheitsausrüstung regelmäßig überprüft wird. Sind Feuerlöscher in Ihrem Unternehmen einsatzbereit und entsprechend den Vorgaben gewartet? Funktionieren Rauchmelder zuverlässig und werden sie routinemäßig getestet? Und wie steht es um die Verbandskästen – sind sie vollständig ausgestattet und auf dem aktuellen Stand?
Ein Unfall wie der von Jenny Müller zeigt auch, wie essenziell es ist, klare Verantwortlichkeiten zu definieren: Wer übernimmt die Kommunikation mit den Angehörigen? Wer stellt sicher, dass die Namen der Anwesenden dokumentiert werden? Wer koordiniert bei Bedarf die Zusammenarbeit mit Polizei und Presse?
Diese Fragen sollten Sie im Vorfeld beantworten, um im Ernstfall handlungsfähig zu bleiben. Denn eine gute Vorbereitung kann nicht nur Leben retten, sondern auch sicherstellen, dass ein solcher Vorfall professionell, respektvoll und transparent bewältigt wird.
Vielleicht nutzen Sie diese Geschichte als Anstoß, Ihre Sicherheitsprozesse und Notfallpläne kritisch zu hinterfragen und zu verbessern?
Hinweise:
[1] Siebtes Sozialgesetzbuch, Definition Arbeitsunfall
[2] Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, Unfallgeschehen 2023
Stefan Hund ist Fachkraft für Arbeitssicherheit und Experte für Trauerbegleitung. Gemeinsam mit dem Team des Trauermanagers unterstützt er Führungskräfte in einer Masterclass und als Last-Level-Support im Umgang mit belastenden Trauersituationen von Mitarbeitenden.
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Stefan Hund
Stefan Hund ist Experte für Trauerbegleitung und hat den innovativen Ansatz des Trauermanagers entwickelt. Mit seiner langjährigen Erfahrung als evangelischer Pastor (i.R.) und über 700 begleiteten Trauerfällen sowie seiner Qualifikation als Fachkraft für Arbeitssicherheit kombiniert er menschliche Empathie mit professionellem Know-how. Der Trauermanager bietet individuell auf Unternehmen zugeschnittene Handlungsleitfäden für Führungskräfte, die sich auf die sechs zentralen Traueranlässe konzentrieren. Ergänzend vermittelt er umfassendes Hintergrundwissen, das Führungskräften hilft, sicher und kompetent zu handeln.
Seine Mission: Menschlichkeit in den Mittelpunkt stellen. Vorbereitete Führungskräfte unterstützen trauernde Mitarbeitende einfühlsam und professionell. Das Resultat: konkrete Hilfe für betroffene Mitarbeitende, reduzierte Kosten und eine stärkere Bindung der Mitarbeitenden ans Unternehmen.
Sein Motto: „Führungskräfte, unterstützt eure trauernden Mitarbeitenden professionell – es ist einfacher, als ihr denkt!“
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